Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.09.2020, Az.: 2 ME 345/20

Ersatzleistungen; Hausaufgaben; Leistungsbewertung; Oberstufe gymnasiale; Onlineunterricht; Qualifikationsphase; Schulschließung pandemiebediingte; Versetzung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.09.2020
Aktenzeichen
2 ME 345/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71944
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 12.08.2020 - AZ: 6 B 4010/20

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wenn aufgrund einer pandemiebedingten Schulschließung eine verlässliche Bewertung der Leistungen eines Schülers nicht möglich ist, weil etwa der Betrachtungszeitraum zu gering oder das Leistungsbild des Schülers in den zu beurteilenden Phasen in besonderer Weise uneinheitlich ausfällt oder auffällig von den Vorleistungen abweicht, kann abhängig von den Umständen des Einzelfalls eine Verpflichtung der Schule in Betracht kommen, Ersatzleistungen zum Beispiel in Form von Onlineunterricht und Aufgaben zur häuslichen Bearbeitung anzubieten (vgl. Senatsbeschl. v. 3.6.2020 - 2 ME 265/20 -, juris Rn. 7 f.).

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 6. Kammer - vom 12. August 2020 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt seine vorläufige Versetzung in die Qualifikationsphase (12. Schuljahrgang) der gymnasialen Oberstufe.

Der Antragsteller besuchte im Schuljahr 2019/2020 den 11. Schuljahrgang der Antragsgegnerin. Im Abschlusszeugnis dieses Schuljahrgangs wurden die Leistungen des Antragstellers in den Fächern Mathematik und Biologie mit jeweils drei Punkten (mangelhaft) sowie im Fach Chemie mit null Punkten (ungenügend) bewertet. Aufgrund dieses Notenspiegels beschloss die Zeugnis- und Versetzungskonferenz der Antragsgegnerin unter dem 30. Juni 2020, den Antragsteller nicht in die Qualifikationsphase zu versetzen. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch im Wesentlichen mit der Begründung, ihm sei es durch die Corona-Pandemie nicht möglich gewesen, seine Noten in den genannten Fächern im zweiten Schulhalbjahr des Schuljahres 2019/2020 zu verbessern. Nachdem diesem Widerspruch durch die Zeugnis- und Versetzungskonferenz der Antragsgegnerin am 8. Juli 2020 nicht abgeholfen wurde und der Widerspruch - soweit ersichtlich - bisher nicht beschieden worden ist, hat der Antragsteller am 23. Juli 2020 einen Antrag beim Verwaltungsgericht gestellt mit dem Ziel, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn im Schuljahr 2020/2021 vorläufig am Unterricht in der Qualifikationsphase - 12. Schuljahrgang - der gymnasialen Oberstufe teilnehmen zu lassen.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 12. August 2020 abgelehnt. Hiergegen führt der Antragsteller seine Beschwerde, mit der er sein Ziel weiterverfolgt.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Die von diesem dargelegten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch auf die begehrte vorläufige Teilnahme am Unterricht in der Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe der Antragsgegnerin nicht glaubhaft gemacht hat.

Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über die gymnasiale Oberstufe (VO-GO) vom 17. Februar 2005 (Nds. GVBl. S. 51), zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. September 2018 (Nds. GVBl. S. 188) - VO-GO - erfolgt eine Versetzung in die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe, wenn eine erfolgreiche Mitarbeit in dieser Phase erwartet werden kann. Von dieser ist nach Satz 2 dieser Vorschrift auszugehen, wenn am Ende der Einführungsphase des 11. Schuljahrgangs die Leistungen (1.) in allen Pflicht- und Wahlpflichtfächern mindestens mit fünf Punkten oder (2.) in einem Pflicht- oder Wahlpflichtfach mit ein, zwei, drei oder vier Punkten und in allen anderen Pflicht- und Wahlpflichtfächern mindestens mit fünf Punkten bewertet worden sind. Sind die Leistungen in mehr als einem Pflicht- oder Wahlpflichtfach mit weniger als fünf Punkten bewertet worden, so können diese Leistungen nach § 9 Abs. 3 Satz 1 VO-GO nach bestimmten, in den Sätzen 2 bis 4 dieser Vorschrift näher definierten Maßgaben ausgeglichen werden.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass der Antragsteller aufgrund des oben aufgeführten Notenspiegels in den drei genannten Fächern, die nach § 8 Abs. 1 VO-GO in Verbindung mit der Anlage 1 jeweils Pflichtfächer im Aufgabenfeld C sind, diesen Anforderungen nicht genügt. Zur näheren Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen darauf abgestellt, dass es den Bewertungen der von dem Antragsteller in diesen Fächern erbrachten Leistungen auch unter Berücksichtigung der Unterrichtseinschränkungen im zweiten Schulhalbjahr des Schuljahres 2019/2020 aufgrund der Corona-Pandemie nicht an einer ausreichenden Grundlage gefehlt habe. Wie sich aus dem Protokoll der Abhilfekonferenz vom 8. Juli 2020 ergebe, habe der Antragsteller unter anderem hohe Fehlzeiten aufgewiesen, überwiegend schwache Leistungen erbracht und Möglichkeiten zur Notenverbesserung nicht wahrgenommen. Letztlich beruhe die Auffassung des Antragstellers, bei einem regulären Unterrichtsbetrieb hätte er seine Noten verbessern können, auf bloßen Spekulationen.

Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, diese Einschätzung des Verwaltungsgerichts in Zweifel zu ziehen. Der Antragsteller beschränkt sich in seiner Beschwerde darauf, sein erstinstanzliches Vorbringen, im zweiten Schulhalbjahr des Schuljahres 2019/2020 habe es in der Einführungsphase des 11. Schuljahrgangs der Antragsgegnerin und auch landesweit pandemiebedingt keinen regulären Präsenzunterricht und keine Leistungskontrollen gegeben und die im Homeschooling angebotene Beschulung und insbesondere die in diesem Zeitraum durchgeführten Leistungskontrollen seien nicht gleichwertig gewesen und unter Verstoß gegen Nr. 3.1 des sogenannten Zeugniserlasses zustande gekommen, zu wiederholen. In dem auch vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Protokoll der Nichtabhilfekonferenz ist im Einzelnen ausgeführt, der Antragsteller habe im Fach Biologie im Zeitraum vom 22. April bis zum
6. Juli 2020 nur eine der fünf gestellten Aufgaben abgegeben, diese Abgabe sei zudem verspätet gewesen und habe sich im schwach ausreichenden Bereich befunden. Zum 15. April 2020 habe die Fachlehrerin in diesem Fach für den Antragsteller lediglich drei Notenpunkte eingetragen. Der Antragsteller habe die Möglichkeiten zur Notenverbesserung trotz direkter Ansprache nicht genutzt und eine Eigeninitiative zur Extraleistungen nicht gezeigt. Im Fach Chemie sei der Antragsteller im gesamten Schuljahr 2019/2020 nur in einer einzigen Unterrichtsstunde am 4. November 2019 anwesend gewesen, habe von der Möglichkeit der Teilnahme an Online-Referaten ohne Rückmeldung keinen Gebrauch gemacht, von den gestellten Online-Aufgaben nur eine einzige am 19. Juni 2020 zur Hälfte bearbeitet und abgegeben und darüber hinaus weitere Anstrengungen, Zusatzleistungen zu erbringen, nicht wahrgenommen. Im Fach Mathematik habe der Antragsteller im Halbjahreszeugnis vier Punkte gehabt, in der im zweiten Halbjahr geschriebenen Klausur habe er lediglich null Punkte erreicht, seine mündliche Mitarbeit habe sich sowohl vor als auch nach dem Homeschooling im nicht ausreichenden Bereich befunden, von den gestellten Online-Aufgaben habe er keine einzige eingereicht und weitere Anstrengungen seinerseits zur Notenverbesserung habe es nicht gegeben. Aus dem während der Abhilfekonferenz abgegebenen Bericht der Klassenlehrerin ergibt sich zudem, dass der Antragsteller viele unentschuldigte Fehlzeiten aufzuweisen und es deshalb und wegen der drohenden Nichtversetzung mehrfach Gespräche mit ihm gegeben habe.

Aufgrund dieses Gesamtbildes der mangelhaften und ungenügenden Leistungen des Antragstellers auch und insbesondere im zweiten Schulhalbjahr des Schuljahres 2019/2020 schließt sich der Senat der Einschätzung des Verwaltungsgerichts an, dass die Bewertungen im Abschlusszeugnis des 11. Schuljahrgangs in den genannten drei Fächern nicht zu beanstanden sind. Die von dem Antragsteller in den Vordergrund seiner Argumentation gestellten pandemiebedingten Einschränkungen des Schulbetriebs der Antragsgegnerin sind für die negativen Leistungsbewertungen ersichtlich nicht kausal gewesen, sondern diese beruhen allein auf dem Verhalten des Antragstellers.

Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Antragstellers, die pandemiebedingten Einschränkungen des Schulbetriebs machten eine verlässliche Bewertung seiner Leistungen unmöglich. Im Fach Mathematik haben sowohl vor als auch nach der pandemiebedingten Unterbrechung des Präsenzunterrichts ausweislich der Dokumentation der Antragsgegnerin Schulstunden in einem Umfang stattgefunden, die eine Leistungsbewertung ermöglichen (vgl. zum Maßstab Senatsbeschl. v. 3.6.2020 - 2 ME 265/20 -, juris Rn. 7). In den Fächern Biologie und Chemie war der Präsenzunterricht demgegenüber so begrenzt, dass die Schule gehalten war, Ersatzleistungen anzubieten. Eine solche Verpflichtung kann abhängig von den Umständen des Einzelfalls in Betracht zu ziehen sein, wenn aufgrund eines Unterrichtsausfalls eine verlässliche Bewertung der Leistungen nicht möglich ist, weil beispielsweise der Betrachtungszeitraum zu gering ist oder das Leistungsbild des Schülers bzw. der Schülerin in den zu beurteilenden Phasen in besonderer Weise uneinheitlich ausfällt oder auffällig von den Vorleistungen abweicht (Senatsbeschl. v. 3.6.2020 - 2 ME 265/20 -, juris Rn. 8); das ist hier aufgrund der geringen Präsenzstundenzahl der Fall. Ihrer Pflicht ist die Antragsgegnerin indes in nicht zu beanstandender Weise durch das Angebot von Onlineunterricht und Aufgaben zur häuslichen Bearbeitung nachgekommen; der Antragsteller hat die Angebote indes nicht bzw. nicht mit Erfolg wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat - unabhängig davon, dass Erlasse das Gericht grundsätzlich nicht zu binden vermögen - eine Abweichung von den in Nr. 3.1 des Runderlasses des Nds. Kultusministeriums vom 3. Mai 2016 (SVBl. 2016, 303) festgelegten Bewertungsgrundsätzen nicht zu erkennen.

Hinzu kommt schließlich: Selbst wenn weder ausreichender Schulunterricht erteilt noch ausreichende Ersatzleistungen angeboten worden wären, käme eine Versetzung in die Qualifikationsphase allenfalls dann in Betracht, wenn das bisherige Gesamtbild der Leistungen des Antragstellers darauf schließen ließe, dass bei ordnungsgemäßem Unterricht versetzungsadäquate Leistungen erzielt worden wären. Das ist mit Blick auf die ebenfalls bei weitem unzureichenden Leistungen im regulär verlaufenen ersten Schulhalbjahr nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).