Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.09.2020, Az.: 1 ME 133/19

Dorfgebiet; Gebot der Rücksichtnahme; Hundepension; Hundeschule; Hundeschule, gewerbliche

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.09.2020
Aktenzeichen
1 ME 133/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71924
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 24.09.2019 - AZ: 2 B 213/19

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Hundepension und Hundeschule mit maximal 40 Hunden ist im Dorfgebiet als sonstiger Gewerbebetrieb gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO zulässig.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen - 2. Kammer - vom 24. September 2019 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Umnutzung einer ehemaligen landwirtschaftlichen Hofstelle in eine Hundepension und Hundeschule.

Die Antragsteller sind Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks A-Straße in der Gemeinde A-Stadt, Ortsteil G.. Der Beigeladene ist Eigentümer des südlich auf der gegenüberliegenden Seite der H. Straße belegenen Grundstücks (Hausnummer 3). Beide Grundstücke liegen am östlichen Ortsrand am Übergang zum Außenbereich. Ein Bebauungsplan besteht nicht.

Das Grundstück des Beigeladenen ist mit einer ehemaligen landwirtschaftlichen Hofstelle bestehend aus einem Wohnhaus, einer Scheune und Stallungen bebaut. Südlich grenzt eine größere Wiese an den Gebäudebestand. Die Umnutzung der vormals landwirtschaftlich genutzten Gebäude in einen Schulungsraum für die Hundeschule und zur Unterbringung von Zwingern und sonstigen Betriebsflächen für die Hundepension sowie die Nutzung der Wiese zu Ausbildungszwecken ist Gegenstand der am 8. Mai 2018 erstmals erteilten und mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 2019 geänderten Baugenehmigung.

Die Antragsteller haben gegen die Baugenehmigung Klage erhoben und einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, den das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 24. September 2019 abgelehnt hat. Sie sind im Wesentlichen der Auffassung, dass das Vorhaben des Beigeladenen in dem aus ihrer Sicht vorliegenden allgemeinen Wohngebiet unzulässig sei. Von dem Vorhaben gingen zudem unzumutbare Lärmbelästigungen aus, die im Genehmigungsverfahren nicht zutreffend ermittelt worden seien. Der Antragsgegner und der Beigeladene treten dem entgegen. Sie gehen von einem Dorfgebiet aus und verweisen bezüglich der Schallimmissionen auf ein im Baugenehmigungsverfahren vorgelegtes Schallgutachten, ausweislich dessen die Immissionsrichtwerte der TA Lärm an allen betrachteten Immissionsorten um (mindestens) 6 dB(A) unterschritten würden.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Im Gegenteil teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass sich die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist.

Ohne Erfolg berufen sich die Antragsteller auf einen auch in einem nach § 34 Abs. 2 BauGB zu beurteilenden Gebiet grundsätzlich anzuerkennenden Gebietserhaltungsanspruch. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die nähere Umgebung des Baugrundstücks entspreche ihrer Art nach einem faktischen Dorfgebiet im Sinne des § 5 BauNVO, trifft auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens zu. Dorfgebiete dienen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben. Ein Dorfgebiet im Sinne des § 5 BauNVO ist nicht durch ein "ländliches Ambiente" definiert, sonders stellt ein "ländliches Mischgebiet" dar, in dem Landwirtschaftsbetriebe ebenso wie nicht störende Gewerbebetriebe, wie sie traditionell im Dorfgebiet angesiedelt waren, und sonstiges Wohnen zulässig sind. Fehlt nur eine dieser drei Hauptnutzungen, ist die allgemeine Zweckbestimmung des in diesem Sinne definierten Gebietes nicht mehr gewahrt (Senatsbeschl. v. 22.12.2008 - 1 MN 194/08 -, BRS 73 Nr. 17 = juris Rn. 18). Die vorgenannten Nutzungen müssen jedoch nicht in einem bestimmten Mischungsverhältnis stehen. Der Gebietscharakter eines Dorfgebiets wandelt sich insbesondere erst dann, wenn die landwirtschaftliche Nutzung völlig verschwindet und auch eine Wiederaufnahme ausgeschlossen erscheint (BVerwG, 23.4.2009 - 4 CN 5.07 -, BVerwGE 133, 377 = BRS 74 Nr. 66 = juris Rn. 10). Auch die Existenz ehemaliger landwirtschaftliche Betriebe, die von Nichtlandwirten zur Tierhaltung zu Hobbyzwecken und zur Lagerhaltung genutzt werden, steht einem Wandel des Gebietscharakters hin zu einem allgemeinen Wohngebiet entgegen, wenn und solange von diesen noch eine prägende Wirkung ausgeht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 1.9.2010 – 4 B 31.10 -, BRS 76 Nr. 70 = juris Rn. 9).

Das zugrundegelegt ist der Ortsteil G., der sich von Westen nach Osten auf einer Länge von gut 500 m entlang der Straßen H. Straße, Am I., Im J., Trockene K. und Am L. erstreckt, nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Beurteilung anhand der zur Akte gereichten Lichtbilder und Beschreibungen sowie der bei google maps zu findenden Luftaufnahmen insgesamt als ein einheitliches faktisches Dorfgebiet einzustufen.

In der Ortslage, und zwar in zentraler Lage an der Straße Im J. und an der H. Straße sind ausweislich der Stellungnahme der Landschaftskammer vom 10. September 2019 zwei aktive Landwirte ansässig, die von dort aus Ackerbau und Forstwirtschaft betreiben bzw. die eigene Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen außerhalb des Dorfes organisieren. Beides sind landwirtschaftliche Nutzungen. Dass im Ort selbst eine landwirtschaftliche Tierhaltung jedenfalls in größerem Umfang nicht mehr stattfindet, ist mit Blick auf den Gebietscharakter unerheblich. Tierhaltung ist nur eine Form der Landwirtschaft im Sinne von § 201 BauGB und daher als solche nicht erforderlich, um einem Gebiet den Charakter eines Dorfgebietes zu verleihen. Unerheblich ist auch, ob es sich um eine Haupt- oder Nebenerwerbsnutzung handelt.

Hinzu kommen nach dem eigenen Vortrag der Antragsteller eine Vielzahl von Nutzungen, die in einem allgemeinen Wohngebiet unzulässig, für ein durch landwirtschaftliche und gewerbliche Nutzungen geprägtes Dorfgebiet hingegen typisch sind. Dazu zählen verschiedene (private oder gewerbliche) Pferdehaltungen auf ehemaligen landwirtschaftlichen Hofstellen, deren Existenz auch durch den auf den Luftaufnahmen südlich der H. Straße sichtbaren Reitplatz belegt wird. Die Antragsteller nennen zudem zunächst selbst einen gewerblichen Pferdehof mit Einstellpferden an dem ihrem Wohnhaus entgegengesetzten Ende des Dorfes, dessen Existenz sie allerdings zuletzt wieder bestritten haben, sowie einen weiteren Vollerwerbslandwirt. Neben dem Wohnhaus der Antragsteller wird mit bis zu 300 fm in einem weit über das in einem allgemeinen Wohngebiet hinaus zulässige Maß hinaus Brennholz gelagert und ausweislich der zur Akte gereichten Lichtbilder auch verarbeitet; ferner werden dort in einem verpachteten Stall in den Wintermonaten fünf bis sechs Kühe untergebracht. Im Ort werden ferner Ziegen, Schafe und Hühner gehalten; ferner sind in erheblichem Umfang landwirtschaftliche Maschinen anzutreffen. Die sich daraus ergebende gemischte Nutzung landwirtschaftlicher und gewerblicher Art in Verbindung mit einer Wohnnutzung belegt in aller Deutlichkeit die Richtigkeit der Feststellungen des Verwaltungsgerichts. Die Annahme, es handele sich dennoch um ein allgemeines Wohngebiet im Sinne von § 4 BauNVO, liegt auch bei wohlwollender Betrachtung fern.

Soweit die Antragsteller demgegenüber meinen, das Grundstück des Beigeladenen sowie ihr eigenes Grundstück würden durch die landwirtschaftliche Nutzung nicht (mehr) geprägt, weil diese zu weit entfernt liege, trifft das nicht zu. Anhaltspunkte dafür, dass innerhalb der Ortslage eine Grenze zwischen verschiedenen Gebietstypen zu ziehen sein könnte, bestehen nicht; auch die Antragsteller vermögen solche Anhaltspunkte nicht zu bezeichnen. Im Gegenteil zeichnet sich die gesamte Ortslage durch eine nach Art und Maß homogene Struktur aus, die von (ehemaligen) Hofstellen geprägt und die für ein gewachsenes Dorf typisch ist. Eine Zäsur ergibt sich auch nicht aus trennenden Straßen oder topografischen Besonderheiten. Schließlich ist die maximale Ausdehnung von Ost nach West von gut 500 m und von Nord nach Süd von rund 200 m keinesfalls so ausgeprägt, dass allein deshalb nicht mehr von einem einheitlichen Dorfgebiet auszugehen sein könnte.

Die Hundepension und Hundeschule ist in dem hier zur Genehmigung gestellten relativ kleinen Umfang im Dorfgebiet als sonstiger Gewerbebetrieb entsprechend § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO zulässig. Die Störungsintensität des Betriebs mit maximal 40 auf dem Gelände in den Innenräumen und auf der Außenanlage anwesenden Hunden erreicht kein Ausmaß, das es rechtfertigen könnte, den Betrieb auf ein Gewerbegebiet oder gar auf den Außenbereich zu verweisen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 5.12.1988 - 4 B 209.88 -, juris Rn. 3). Soweit die Antragsteller demgegenüber ausführen, tatsächlich betreibe der Beigeladene auch eine auf Gewinnerzielung ausgerichtete Hundezucht und übe weitere über die grüngestempelte Betriebsbeschreibung hinausgehende Nutzungen aus, ist das ungeachtet der zweifelhaften Substanz der erhobenen Behauptungen ohne rechtliche Relevanz. Streitgegenstand dieses Verfahrens ist allein das Vorhaben in dem von der angegriffenen Baugenehmigung legalisierten Umfang.

Ein Verstoß gegen das hier aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO folgende Gebot der Rücksichtnahme aufgrund der von dem Vorhaben ausgehenden Lärmemissionen liegt ebenfalls nicht vor; der Senat folgt insofern den überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts. Die neuerlichen Angriffe der Antragsteller auf das schalltechnische Gutachten vom 6. Mai 2019 in dessen ergänzter Fassung vom 10. September 2019, das für das Grundstück der Antragsteller Beurteilungspegel von 51 dB(A) tags und 37 dB(A) nachts ausweist, verfangen nicht.

Zu Unrecht meinen die Antragsteller, das Gutachten lasse einzelne genehmigte Nutzungen außer Betracht. Das Gutachten legt seiner Betrachtung vielmehr eine Vollbelegung der Zwinger mit 28 Hunden, eine zusätzliche Nutzung der Quarantänezwinger sowie eine Nutzung des Außengeländes mit der maximal genehmigten Zahl von zehn Hunden zugrunde. Dabei geht das Gutachten von einem Gebell entsprechend dem Maximalpegel in den Zwingern über 24 Stunden, in den Quarantänezwingern über 12 Stunden und auf dem Außengelände über 13,5 Stunden aus. Das sind außerordentlich konservative Annahmen, die - wie der Gutachter bei den der Überprüfung dienenden Schallmessungen vor Ort selbst festgestellt hat - die tatsächlichen Schallemissionen erheblich überzeichnen. Vor diesem Hintergrund war es offensichtlich nicht geboten, etwaige, mit der Beschwerde überdies nicht substantiiert beschriebene Besonderheiten der Ausbildung von Schutz- und Jagdhunden in die Betrachtung einzubeziehen. Angesichts des erhebliches Abstand zu den im Dorfgebiet zulässigen Immissionsrichtwerten nach Nr. 6.1 TA Lärm von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts ist es zudem von vornherein ausgeschlossen, dass eine weitergehende Berücksichtigung von Welpen aus einer privaten Zucht das Vorhaben rücksichtslos erscheinen lassen könnte.

Ebenfalls zu Unrecht wenden sich die Antragsteller gegen die Berücksichtigung der in dem Gutachten bezeichneten vier Immissionsorte. Richtig und dem Gutachten unmittelbar zu entnehmen ist, dass dort keine Messungen stattgefunden haben, sondern eine rechnerische Ermittlung der Immissionsbelastung erfolgt ist. Die Messungen bezogen sich demgegenüber auf die Emissionsseite und dienten - wie dem Gutachten ebenfalls in aller Deutlichkeit zu entnehmen ist - lediglich der Überprüfung der Berechnungsergebnisse. Vor diesem Hintergrund stellt es offenkundig keinen Mangel dar, dass am Grundstück der Antragsteller „nie ein Mikrofon aufgestellt“ worden ist.

Unsubstantiiert und damit nicht dem Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechend ist die Behauptung der Antragsteller, das Gutachten berücksichtige die Impulshaltigkeit und die Störungsintensität von Hundegebell nicht ausreichend. Der Gutachter hat entsprechende Zuschläge angesetzt und seine Ansätze plausibel erläutert. Ein Fehler ist insoweit weder dargetan noch ersichtlich.

Auf die richtige Erfassung der Fremdgeräusche kommt es schließlich nicht an. Für die rechnerische Ermittlung der Beurteilungspegel an den maßgeblichen Immissionsorten waren diese ohne Belang. Aufgrund der Unterschreitung der Immissionsrichtwerte von mehr als 6 dB(A) war die Vorbelastung nicht zu ermitteln (Nr. 3.2.1 TA Lärm); dies entspricht der Vorgehensweise des Gutachters.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V. mit § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig, weil er einen Antrag gestellt und sich damit selbst einem Kostenrisiko ausgesetzt hat; im Übrigen hat er das Verfahren wesentlich gefördert.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).