Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.09.2020, Az.: 2 ME 320/20
Anordnungsgrund; einstweilige Anordnung; Prüfung; vorläufiges Zeugnis; Wiederholungsprüfung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.09.2020
- Aktenzeichen
- 2 ME 320/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 71927
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 13.07.2020 - AZ: 4 B 770/20
Rechtsgrundlagen
- § 123 Abs 1 S 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Für einen auf Ausstellung eines vorläufigen Abschlusszeugnisses gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung fehlt es regelmäßig an einem Anordnungsgrund, wenn der Antragsteller zeitnah an einer Wiederholungsprüfung teilnehmen und so den ihm entstehenden Nachteil selbst abwenden kann. Anderes gilt nur, wenn besondere Umstände des Einzelfalls die Teilnahme an der Wiederholungsprüfung unzumutbar erscheinen lassen oder der Nachteil dadurch nicht (ausreichend) abzuwenden ist.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer - vom 13. Juli 2020 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Ausstellung eines vorläufigen Bachelor-Zeugnisses.
Der Antragsteller studiert Bau- und Immobilienmanagement bei der Antragsgegnerin. Die letzte von ihm zu absolvierende Studien- und Prüfungsleistung stellt das Gesamtmodul Betriebswirtschaftslehre B dar, das aus zwei Klausuren (Betriebswirtschaftslehre B und Rechnungswesen/Jahresabschluss) und einer Studienarbeit besteht. In den Klausuren erreichte der Kläger 40 % bzw. 43 %; die Studienarbeit bestand er mit 87 %. Die Antragsgegnerin verweigerte daraufhin die Ausstellung eines Bachelor-Zeugnisses, weil sie das Modul als nicht bestanden ansah. Sie meint, der Antragsteller habe im Durchschnitt der beiden Klausurleistungen mindestens 45 % erreichen müssen. Da dies nicht der Fall sei, müsse er - was ihm jederzeit kurzfristig ermöglicht werde - eine der beiden Klausuren wiederholen.
Der Antragsteller ist demgegenüber der Auffassung, er habe aufgrund dieser Leistungen sein Studium erfolgreich abgeschlossen. Die Studienarbeit sei in die Berechnung einzubeziehen. Einen auf die Erteilung eines vorläufigen Zeugnisses gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Verwaltungsgericht Stade mit dem angegriffenen Beschluss vom 13. Juli 2020 abgelehnt. Das Gericht hat das Vorliegen eines Anordnungsgrundes verneint, weil es dem Antragsteller jederzeit und ohne unzumutbare Belastung möglich sei, eine Wiederholungsprüfung zu absolvieren. Vor diesem Hintergrund komme die begehrte weitgehende Vorwegnahme der Hauptsache nicht in Betracht.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der Beschwerde.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Mit dem Verwaltungsgericht ist auch der Senat der Auffassung, dass es an dem erforderlichen Anordnungsgrund fehlt; auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts nimmt der Senat Bezug und macht sich diese auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens zu eigen (§ 122 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Unerheblich ist der Einwand des Antragstellers, die vom Verwaltungsgericht zur Stützung seiner Rechtsansicht, nach der die Möglichkeit einer zeitnahen Wiederholungsprüfung einen Anspruch auf vorläufige Erteilung eines Abschlusszeugnisses ausschließt, zitierte Rechtsprechung betreffe andere Fallgestaltungen. Letzteres mag zwar zutreffen, weil Antragsteller und Antragsgegnerin nicht über die Prüfungsbewertung als solche, sondern über die richtige Berechnung der Modulgesamtnote streiten. Im Kern ist die Fragestellung aber vergleichbar. § 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestattet den Erlass der hier begehrten Regelungsanordnung nur dann, wenn eine solche Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Es gilt daher ein strenger Maßstab, der noch dadurch verschärft wird, dass hier mit Außenwirkung etwa gegenüber potenziellen Arbeitgebern des Antragstellers die Hauptsache teilweise vorweggenommen werden soll.
Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht - ebenso wie dies in den zitierten Entscheidungen der Fall ist - zu Recht die Frage gestellt (und verneint), ob die Möglichkeit der zeitnahen Selbsthilfe durch Inanspruchnahme der Wiederholungsklausur ohne das Vorliegen besonderer Umstände das Vorliegen eines wesentlichen Nachteils ausschließt. Das trifft auch nach Auffassung des Senats zu (vgl. bereits Senatsbeschl. v. 19.8.2020 - 2 ME 202/20 -, juris Rn. 10; vgl. auch jeweils m.w.N. SächsOVG, Beschl. v. 9.3.2017 - 5 B 50/17 -, juris Rn. 14; Fischer, in: Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 908). Das zeitnahe Schreiben einer Wiederholungsklausur mag lästig sein und einen gewissen Aufwand bedeuten. Dieser erreicht aber gerade mit Blick auf den sehr überschaubaren Umfang der von dem Antragsteller geschriebenen Klausuren keinen Schweregrad, der den mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Eingriff in die Prüfungshoheit der Antragsgegnerin rechtfertigen könnte. Besondere Umstände des Einzelfalls, die eine andere Betrachtung gestatten könnten, sind auch im Beschwerdeverfahren nicht vorgetragen.
Nur ergänzend merkt der Senat zur Vermeidung weiterer rechtlicher Auseinandersetzungen allerdings an, dass - bejahte man den Anordnungsgrund - ein Anordnungsanspruch voraussichtlich vorliegen würde. Der Antragsteller dürfte das Modul Betriebswirtschaftslehre B bestanden haben, sodass ihm das begehrte Bachelor-Zeugnis auszustellen sein dürfte. Dies folgt aus § 13 Abs. 6 der Prüfungs- und Studienordnung für die Studiengänge Bauingenieurwesen und Bau- und Immobilienmanagement vom 26. Januar 2016 (PSO). Sind danach im Rahmen eines Moduls - wie hier - mehrere Prüfungs- und/oder Studienleistungen vorgesehen, errechnet sich die Modulbewertung aus dem gewichteten Durchschnitt aller bestandenen und bedingt bestandenen Leistungen. Die Gewichtungsanteile sind in Anlage 2 angegeben. Das Modul gilt als bestanden, wenn der gewichtete Durchschnitt 45 % oder mehr beträgt.
Mit 87 % bestanden hat der Antragsteller die Studienarbeit, mit 40 % bzw. 43 % hat er zudem die beiden Klausuren Betriebswirtschaftslehre B und Rechnungswesen/Jahresabschluss bedingt bestanden (vgl. § 13 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 PSO i.V. mit der Anlage 2). Da § 13 Abs. 6 Satz 1 PSO dem eindeutigen Wortlaut zufolge vorsieht, dass alle bestandenen und bedingt bestandenen Prüfungsleistungen in die Modulbewertung einzubeziehen sind, ist der nach der Anlage 2 gewichtete Durchschnitt dieser drei Prüfungsleistungen zu bilden. Die gegenteilige Rechtsauffassung der Antragsgegnerin, nach der nur auf die beiden Klausuren, nicht aber die Studienarbeit abzustellen ist, findet in ihrer Prüfungsordnung keine Stütze. Dass hier keine Mindestleistung verlangt wird, dürfte mit Blick darauf, dass die Studienarbeit gleichfalls benotet wird, voraussichtlich unerheblich sein. Dass überdies - wie der Vertreter der Antragsgegnerin im erstinstanzlichen Verfahren ergänzend vorgetragen hat - die Klausur Rechnungswesen/Jahresabschluss als eigenständiges Modul anzusehen sein könnte, widerspricht der eigenen im Verwaltungsverfahren geäußerten Auffassung der Antragsgegnerin und liegt angesichts der Verklammerung durch die Modulgruppe „#BWLB“ auch eher fern; hinzu kommt, dass für ein nur aus einem Fach bestehendes Modul die Ausgleichsregelungen in § 13 PSO gänzlich leer laufen würden.
Die Gewichtungsanteile betragen auf dieser Grundlage für die Klausur Betriebswirtschaftslehre B 49 %, für die Studienarbeit 11 % und für die Klausur Rechnungswesen/Jahresabschluss 40 %. Unter Berücksichtigung dieser Gewichtungsanteile hat der Antragsteller einen gewichteten Durchschnitt von 46,37 % erreicht (40x49/100 + 43x40/100 + 87x11/100 = 46,37). Damit wäre das Modul insgesamt bestanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und Nr. 18.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).