Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.06.2020, Az.: 1 ME 108/19

Duldung, aktive; formelle Illegalität; Genehmigungsfähigkeit, offenkundige; Nutzungsuntersagung; Öffnungszeiten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.06.2020
Aktenzeichen
1 ME 108/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71709
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 17.07.2019 - AZ: 4 B 3208/19

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Begriff der Öffnungszeit einer Gaststätte ist regelmäßig als der Zeitraum zu verstehen, innerhalb dessen sich Gäste auf dem Gaststättengrundstück aufhalten. Das schließt die Nutzung der Kundenparkplätze ein, nicht hingegen Aufräum- und Reinigungsarbeiten durch das Personal.

Die Verfahrensfreiheit in Nr. 14.13 des Anhangs zu § 60 Abs. 1 NBauO gilt nur für eine zu einem formell und materiell legalen Gaststättenbetrieb akzessorische Außenbereichsnutzung.

Einem bauaufsichtlichen Einschreiten kann eine langjährige bewusste Duldung eines baurechtswidrigen Zustandes nur dann als im Rahmen des Einschreitensermessens explizit zu würdigender Gesichtspunkt entgegenstehen, wenn sie unter Würdigung der Gesamtumstände beim Nutzer die berechtigte Erwartung wecken musste, sein Verhalten werde auch weiterhin geduldet werden, und diese Erwartung zu wirtschaftlichen Dispositionen des Bauherrn geführt hat.

Eine den Erlass einer auf die formelle Baurechtswidrigkeit gestützte Nutzungsuntersagung hindernde offenkundige Genehmigungsfähigkeit einer Nutzung liegt nur dann vor, wenn über die Genehmigungsfähigkeit bereits nach Aktenlage, ohne jegliche weiteren Ermittlungen entschieden werden könnte und wenn zusätzlich jedes andere Ergebnis als die Bejahung der Genehmigungsfähigkeit nicht nur falsch, sondern schlechthin unvertretbar wäre.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 17. Juli 2019 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Rechtszüge auf 7.500,00 EUR festgesetzt; die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts wird insoweit geändert.

Gründe

I.

Der Antragsteller betreibt auf der Grundlage einer Baugenehmigung vom 20. Januar 2017 auf dem aus dem Aktivrubrum ersichtlichen Grundstück ein Restaurant. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 986 der Antragsgegnerin aus dem Jahr 1977 – neu bekannt gemacht am 18. April 2019 –, der dort ein allgemeines Wohngebiet festsetzt. In der dem Bauantrag beigefügten, grüngestempelten Betriebsbeschreibung heißt es: „Die Öffnungszeiten des Betriebes werden individuell nach Jahreszeit und Frequentierung festgelegt, sie liegen zwischen 11 – und 22 Uhr.“ Die als Auflage gekennzeichnete Nebenbestimmung Nr. 5 verpflichtet den Bauherrn, die in einer schalltechnischen Untersuchung vom 21. November 2016 aufgeführten Rahmenbedingungen und Maßnahmen vollinhaltlich einzuhalten. In dieser Untersuchung heißt es unter dem Titel 2. „Angaben zum Vorhaben“: „Südlich des geplanten Restaurants sind 18 Stellplätze vorgesehen. Der Betrieb ist bis maximal 22.00 Uhr geplant.“

Tatsächlich findet der Restaurantbetrieb deutlich über 22 Uhr hinaus statt; dies war Gegenstand verschiedener Nachbarbeschwerden. Am 18. September 2017 beantragte der Antragsteller eine Verlängerung der Öffnungszeit bis 23.00 Uhr. Den nach Ablehnung dieses Antrags mit Bescheid vom 24. Januar 2019 erhobenen Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2019 zurück. Mit bauaufsichtlicher Verfügung vom 3. Juli 2019 erließ die Antragsgegnerin unter Anordnung des Sofortvollzugs folgende bauaufsichtliche Verfügung:

1. Der Betrieb der Gaststätte (Innenbereich) ist spätestens drei Tage nach Zustellung dieses Bescheides nach 22 Uhr einzustellen. Es ist dabei sicherzustellen, dass die Gäste den Betrieb bzw. das Betriebsgrundstück rechtzeitig verlassen und der abfahrende motorisierte Verkehr bis 22 Uhr erfolgt ist.

2. Der Betrieb der Gaststätte (Außenbereich/Freifläche) ist spätestens drei Tage nach Zustellung dieses Bescheides nach 22 Uhr einzustellen. Es ist dabei sicherzustellen, dass die Gäste den Betrieb bzw. das Betriebsgrundstück rechtzeitig verlassen und der abfahrende motorisierte Verkehr bis 22 Uhr erfolgt ist.

Den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines fristgerecht erhobenen Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Die Vollzugsanordnung sei formell nicht zu beanstanden und auch in der Sache gerechtfertigt. Die allein auf die formelle Baurechtswidrigkeit des Restaurantbetriebs nach 22 Uhr gestützte Nutzungsuntersagung sei voraussichtlich rechtmäßig. Der Betrieb ab 22.00 Uhr sei gegenüber der erteilten Genehmigung eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung und auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Ein besonders öffentliches Vollzugsinteresse ergebe sich schon aus der negativen Vorbildwirkung der ungenehmigten Nutzung.

II.

Die dagegen gerichtete Beschwerde, auf deren fristgerecht vorgetragene Gründe sich die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, hat keinen Erfolg.

1.

Die Anordnung des Sofortvollzugs leidet nicht unter formellen Mängeln. Einer eigenen Anhörung bedarf diese entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht (Senatsbeschl. v. 31.1.2002 - 1 MA 4216/01 -, BauR 2002, 772 = juris Rn. 4 m.w.N. und ausführlicher Begründung).

Mit seiner weiteren Rüge, die Antragsgegnerin hätte die Vollzugsanordnung nur auf öffentliche Interessen stützen dürfen, da sie auch die Untersagungsverfügung nicht im Interesse der Nachbarn habe erlassen dürfen, zielt der Antragsteller offenbar darauf ab, dass es im letzten Halbsatz der Vollzugsanordnung heißt, eine Gefährdung von Personen in der Nachbarschaft sei „darüber hinaus“ nicht auszuschließen. Ob die Prämisse des Antragstellers zutrifft, kann an dieser Stelle dahinstehen; denn die Begründung der Vollzugsanordnung lässt deutlich erkennen, dass die Vollzugsanordnung selbständig tragend zum einen auf das öffentliche Interesse, den gesetzwidrig handelnden nicht gegenüber dem gesetzestreuen Bauherrn zu privilegieren, zum anderen auf das ebenfalls öffentliche Interesse, eine Verfestigung der ungenehmigten Nutzung und eine Nachahmung auszuschließen, gestützt hat.

2.

Die gegen die Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung gerichteten Rügen greifen ebenfalls nicht durch.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers stellt die Ausweitung der Öffnungszeiten eine von der Baugenehmigung vom 20. Januar 2017 nicht gedeckte Nutzungsänderung dar. Eine baurechtlich irrelevante bloße Nutzungsintensivierung könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn sich aus der Baugenehmigung keine Festlegung zu den Öffnungszeiten ergäbe (so im von der Antragstellerin bemühten Urteil des VG Bremen v. 28.9.2016 – 5 K 1975/14 –, juris Rn. 46). Das ist nicht der Fall. Bereits die in der grüngestempelten Betriebsbeschreibung angegebene Öffnungszeit bis 22.00 Uhr begrenzt offenkundig den zeitlichen Rahmen des zugelassenen Gastronomiebetriebes.

Die Nutzungsuntersagung geht in ihrem Regelungsgehalt nicht über das zur Sicherstellung der Einhaltung dieser Öffnungszeit Notwendige hinaus. Auch der Senat versteht die Öffnungszeit als denjenigen Zeitraum, innerhalb dessen sich Gäste auf dem Gaststättengrundstück aufhalten. Außerhalb der Öffnungszeit sind die zum Restaurantbetrieb gehörenden Einrichtungen für die Öffentlichkeit „gesperrt“. Das schließt entgegen der Auffassung des Antragstellers ein, dass auch die Nutzung eines auf diesem Grundstück gelegenen Kundenparkplatzes für Ein- und Ausparkvorgänge durch die Öffnungszeit beschränkt wird. Auch Sinn und Zweck der Angabe von Öffnungszeiten in einer Betriebsbeschreibung belegen dies. Die Betriebsbeschreibung soll die genehmigungsrelevanten Parameter des Betriebes bezeichnen. Zu diesen gehört weniger der Zeitraum, in dem das Restaurantpersonal Speisen und Getränke verteilt, als vielmehr der Zeitraum, in dem die mit einem Kundenverkehr verbundene, gaststättentypische, nachbarrechtsrelevante Betriebsamkeit andauert. Diese Betriebsamkeit schließt aber den An- und Abfahrtverkehr auf Kundenparkplätzen ein. Angesichts dessen kann dahinstehen, ob auch die Nebenbestimmung Nr. 5, die die Rahmenbedingungen des Schallgutachten mit – hier eindeutig auch auf den Parkplatzverkehr bezogenen – Öffnungszeiten bis maximal 22 Uhr verbindlich macht, zum Erlass der bauaufsichtlichen Anordnung berechtigt hätte.

Gerade die Einhaltung der so definierten Öffnungszeit ist Gegenstand der bauaufsichtlichen Anordnung der Antragsgegnerin. Dass Satz 1 der Ziffern 1 und 2 der Anordnung jeweils von der Einstellung des Betriebes der Gaststätte spricht, ändert daran nichts. Zutreffend weist zwar der Antragsteller darauf hin, dass die Betriebszeit einer Gaststätte, verstanden als die Zeit, in der in dieser gearbeitet wird, bedingt durch Reinigungs- und Aufräumvorgänge über die Öffnungszeit hinausgehen kann. Dem angegriffenen Bescheid lässt sich aber durch Auslegung noch hinreichend deutlich entnehmen, dass mit dem „Betrieb“ nicht diese Betriebszeit, sondern die Öffnungszeit beschränkt wird. Das zeigt der jeweilige Satz 2 der Ziffern 1 und 2, der 22 Uhr als den Zeitpunkt festlegt, zu dem Gäste das Restaurant und den Parkplatz verlassen haben müssen. Hätten selbst nachfolgende Reinigungs- und Aufräumarbeiten nach 22 Uhr verboten werden sollen, hätte es nahegelegen, nicht den Weggang der Gäste, sondern den des Personals gesondert anzusprechen. Auch entspricht es verbreitetem Sprachgebrauch, den Betrieb einer Gaststätte mit dem Kundenverkehr gleichzusetzen.

Auch die Frage, ob die (Beschränkung der) Öffnungszeiten der Gaststätte automatisch auch auf den – genehmigungsfrei ergänzten – Außenbetrieb zu übertragen seien, ist eindeutig zum Nachteil des Antragstellers zu beantworten. Die Verfahrensfreiheit in Nr. 14.13 des Anhangs zu § 60 Abs. 1 NBauO gilt nur für eine zu einem formell und materiell legalen Gaststättenbetrieb akzessorische Nutzung; sie soll ersichtlich kein Vehikel sein, die in einer Genehmigung geregelten Betriebszeiten einer Gaststätte ohne präventive behördliche Kontrolle durch eine Verlagerung des Bewirtungsgeschehens ins Freie auszuhebeln.

Bestimmtheitsbedenken ergeben sich nach den vorstehenden Ausführungen nicht.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers unterfällt der vorliegende Sachverhalt auch keiner Fallgruppe, in der es ausnahmsweise ermessensfehlerhaft wäre, eine Nutzungsuntersagung ausschließlich auf die formelle Baurechtswidrigkeit eines Vorhabens zu stützen.

Soweit der Antragsteller überhaupt in Frage stellt, dass die Antragsgegnerin ihre Nutzungsuntersagung selbständig tragend auf die formelle Baurechtswidrigkeit des Restaurantbetriebs nach 22 Uhr gestützt habe, ist ihm nicht zu folgen. In der Begründung der Verfügung hat die Antragsgegnerin wiederholt klargestellt, dass ihr die formelle Baurechtswidrigkeit zum Einschreiten genüge. Nachbarbeschwerden werden auf S. 3, 1. Absatz, lediglich im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung, auf S. 3, letzter Absatz, zur Veranschaulichung der Tatsache, dass die Öffnungszeit eine baurechtlich relevante Nutzungsänderung darstellt, angesprochen. Auf Seite 4, 5. Absatz, wird gerade die Notwendigkeit, zur – ergebnisoffenen – Klärung der Berechtigung von Nachbarbeschwerden die Durchführung eines ordnungsgemäßen Genehmigungsverfahrens sicherzustellen, angeführt. Zur Benennung von Nachbarbelangen i.R.d. Begründung der Vollzugsanordnung wird auf die Ausführungen oben unter 1. verwiesen.

Der Einwand des Antragstellers, eine bewusste Duldung des Betriebs seiner Gaststätte nach 22 Uhr seit dem 21. Juli 2017 seitens der Antragsgegnerin stehe dem Erlass der angegriffenen Nutzungsuntersagung entgegen, überzeugt nicht. Einem bauaufsichtlichen Einschreiten kann eine langjährige bewusste Duldung eines baurechtswidrigen Zustandes nur dann als im Rahmen des Einschreitensermessens explizit zu würdigender Gesichtspunkt entgegenstehen, wenn sie unter Würdigung der Gesamtumstände beim Nutzer die berechtigte Erwartung wecken musste, sein Verhalten werde auch weiterhin geduldet werden, und diese Erwartung zu wirtschaftlichen Dispositionen des Bauherrn geführt hat (Senatsbeschl. v. 17.7.2017 - 1 ME 84/17 - n.v.). Dafür sind hier keine Anhaltspunkte ersichtlich. Von einer „unbeanstandeten Nutzung“, auf die auch die vom Antragsteller zitierte Rechtsprechung abstellt, kann keine Rede sein. Das Zuwarten der Antragsgegnerin war ersichtlich ihrem Bestreben geschuldet, dem Antragstellervertreter Gelegenheit zu geben, im Rahmen des Bauantrags- und Widerspruchsverfahrens umfassend seine Sichtweise zur Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens darzulegen. Eine Bereitschaft, selbst über eine Bescheidung des Widerspruchs in diesem Verfahren hinaus auf eine Nutzungsuntersagung verzichten zu wollen, lässt sich dem nicht entnehmen.

Die Behauptung des Antragstellers, er habe vom Stellen seines Bauantrags im Jahr 2017 bis mindestens zum 17. April 2019 – dem Tag vor der rückwirkenden Neubekanntmachung des Bebauungsplans Nr. 986 – einen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für eine Betriebszeitverlängerung bis 23.00 Uhr gehabt, stellt die Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung nicht in Frage. Soweit ersichtlich, meint der Antragsteller, durch eine dilatorische Behandlung seines Bauantrags habe die Antragsgegnerin sich die Gelegenheit verschafft, den Bebauungsplan Nr. 986 rückwirkend zu heilen und so erst die – aus seiner Sicht zuvor bestehende – Genehmigungsfähigkeit seines Vorhabens zu beseitigen. Das könne nicht zu seinen Lasten gehen. Dem ist nicht zu folgen. Grundsätzlich darf eine Gemeinde einen Bauantrag zum Anlass nehmen, das Vorhaben durch Bauleitplanung zu verhindern; das BauGB sieht über die Instrumente der Veränderungssperre und der Zurückstellung von Baugesuchen (§§ 14 ff. BauGB) sogar explizit Instrumente vor, sicherzustellen, dass der Bauherr und die Bauaufsichtsbehörde diesen Versuchen nicht „zuvorkommen“, sollte die Bauleitplanung einige Zeit in Anspruch nehmen. Ein Recht des Bauherrn, nach der Rechtsänderung ein Vorhaben auch ohne Genehmigung so zu errichten bzw. zu nutzen, als sei ihm eine Baugenehmigung zuvor erteilt worden, besteht nicht. Daran ändert vorliegend auch die Dauer des Genehmigungsverfahrens nichts. Auch eine über das Angemessene hinausgehende Dauer eines Genehmigungsverfahrens gestattet es dem Bauherrn nicht, die Nutzung vor dessen Abschluss im Wege der „Selbsthilfe“ aufzunehmen (Senatsbeschl. v. 16.8.2019 - 1 LA 28/19 -, BauR 2020, 103 = juris Rn. 9); vielmehr ist er darauf verwiesen, sein (vermeintliches) Baurecht ggf. über eine Untätigkeitsklage durchzusetzen oder den ihm durch eine rechtswidrige Verzögerung der Antragsbearbeitung entstandenen Schaden geltend zu machen. Sinngemäß Gleiches gilt, wenn sich der Zustand der formellen Baurechtswidrigkeit eines Vorhabens dadurch in die Länge zieht, dass die Bauaufsichtsbehörde eine Baugenehmigung zunächst rechtswidrig ablehnt, so dass ein gerichtliches Verfahren zur Erlangung der Genehmigung erforderlich wird. Unabhängig davon liegt die Annahme, die Antragsgegnerin habe eine Genehmigungserteilung unter bewusster Umgehung der Beschränkungen der §§ 14 ff. BauGB mit dem Ziel hinausgezögert, sich Gelegenheit zu Änderung ihrer Bauleitplanung (oder – was auf dasselbe hinausliefe – zur Heilung eines bestehenden Bebauungsplans) zu verschaffen, fern; denn die Dauer des Genehmigungsverfahrens steht hier ersichtlich in keinem Zusammenhang mit dem Zeitraum, den die Antragsgegnerin zur rückwirkenden Inkraftsetzung des Bebauungsplans Nr. 986 benötigte. Der Antragsteller hatte die Antragsgegnerin erstmals mit Schreiben vom 21. März 2019 darauf aufmerksam gemacht, dass der Bebauungsplan Nr. 986 aus seiner Sicht mangels ordnungsgemäßer Bekanntmachung unwirksam sei. Die Antragsgegnerin reagierte darauf mit einer Neubekanntmachung innerhalb von weniger als einem Monat.

Offensichtlich genehmigungsfähig ist die Öffnung der Gaststätte des Antragstellers nach 22 Uhr, d.h. in den Nachtstunden, nicht. Entgegen der Auffassung des Antragstellers fehlt es an der Offensichtlichkeit nicht nur dann, wenn weitere Sachverhaltsermittlungen erheblichen Umfangs erforderlich sind. Diese Auffassung würde dem Umstand nicht gerecht, dass der Gesetzgeber die Zulässigkeit von Vorhaben – von der nicht geringen Zahl der genehmigungs- bzw. verfahrensfreien Vorhaben einmal abgesehen – nun einmal von der präventiven Kontrolle durch die Bauaufsichtsbehörde abhängig gemacht hat. Eine Ausnahme für einfach gelagerte Fälle hat er nicht vorgesehen. Angesichts dessen sind an die eine effektive Durchsetzung des Bauverfahrensrechts hindernde Ausnahmekonstellation der offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit strenge Anforderungen zu stellen. Sie liegt nur dann vor, wenn über die Genehmigungsfähigkeit bereits nach Aktenlage, ohne jegliche weiteren Ermittlungen entschieden werden könnte und wenn zusätzlich jedes andere Ergebnis als die Bejahung der Genehmigungsfähigkeit nicht nur falsch, sondern schlechthin unvertretbar wäre (Senatsbeschl. v. 29.1.2018 - 1 ME 3/18 - n.v.). Für eine solche Sachlage ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens in den nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eingegangenen Schriftsätzen weder vor, noch – und darauf kommt es an – nach rückwirkender Bekanntmachung des Bebauungsplans Nr. 986 der Antragsgegnerin Hinreichendes ersichtlich. Auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Für einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz ist nichts Hinreichendes erkennbar. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Baurechtskonformität von Gaststätten nicht flächendeckend, sondern nur auf konkrete Nachbarbeschwerden hin zu überprüfen, ist nicht zu beanstanden. Einer Nachbarbeschwerde muss die Antragsgegnerin – sofern sie nicht offenkundig rechtsmissbräuchlich ist – ohnehin nachgehen. Stellt sie dabei, unabhängig von einer Rechtsverletzung gerade des beschwerdeführenden Nachbarn, einen Verstoß gegen objektives Baurecht fest, ist es grundsätzlich sachgerecht, gegen den Verstoß einzuschreiten, anstatt vor ihm die Augen zu verschließen. Eine anlassunabhängige, flächendeckende Überprüfung der objektiven Baurechtskonformität aller vergleichbaren Nutzungen in der näheren Umgebung stellt demgegenüber einen erheblichen Mehraufwand dar, den die Bauaufsichtsbehörden angesichts begrenzter personeller Kapazitäten nicht leisten können und müssen. Dieser Unterschied im Arbeitsaufwand stellt ein sachgerechtes Differenzierungskriterium für die Betätigung des Einschreitens-ermessens der Antragsgegnerin dar. Auf die Richtigkeit der Spekulation des Antragstellers, einzelne oder alle der von ihm benannten Gaststätten in der näheren Umgebung könnten für Betriebszeiten über 22 Uhr hinaus ebenfalls über keine Baugenehmigung verfügen, kommt es angesichts dessen nicht an.

Soweit der Antragsteller aus dem Umstand, dass sämtliche Gaststätten in der Umgebung seines Betriebes ebenfalls über 22 Uhr hinaus geöffnet hätten, ableiten möchte, dass sein Betrieb keine negative Vorbildwirkung entfalten könne, verkennt er, dass die Antragsgegnerin ihre Nutzungsuntersagung sowie die Anordnung des Sofortvollzugs nicht auf die negative Vorbildwirkung des Nachtbetriebs, sondern auf die eines genehmigungswidrigen Handelns des Antragstellers gestützt hat. Das ist nicht zu beanstanden. Spricht sich – was nie von vornherein auszuschließen ist – herum, dass die Bauaufsichtsbehörde selbst gegen von ihr erkannte genehmigungswidrige Nutzungen nicht effektiv einschreitet, wird dies auf lange Sicht die Bereitschaft aller Bauherren zur Beachtung des Bauverfahrensrechts senken.

Mit seinem Einwand, die Antragsgegnerin habe beschwerdeführende Nachbarn mangels Vorliegens einer Gesundheitsgefährdung ermessensfehlerfrei auf den Zivilrechtsweg verweisen können, legt der Antragsteller keinen Ermessensfehler in der angefochtenen Verfügung dar. Ein bauaufsichtliches Einschreiten wird nicht dadurch ermessensfehlerhaft, dass ermessensfehlerfrei – ob das in diesem Fall zutrifft, kann offenbleiben – auch eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bietet der Sach- und Streitstand hinreichende Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwerts, so dass sich eine Festsetzung des – halbierten – Auffangstreitwertes verbietet. Angesichts der Bedeutung, die auch der Antragsteller einer über 22 Uhr hinausgehenden Öffnung seiner Gaststätte für deren Beliebtheit bei der Kundschaft beimisst, sind die wirtschaftlichen Vorteile, die der Antragsteller sich von der Aufhebung der Nutzungsuntersagung verspricht – er selbst spricht von „irreparablen Betriebseinschränkungen“ und „erheblichen Gewinneinbußen“ –, nicht unter 15.000,- Euro anzusetzen; dieser Betrag ist mit Blick auf den vorläufigen Charakter der begehrten Außervollzugsetzung zu halbieren. Auch der erstinstanzlich festgesetzte Streitwert ist daher nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG zu ändern.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).