Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.06.2020, Az.: 10 LA 111/20

Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache; Anforderungen an die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und Klärungsbedürftigkeit der bezeichneten Frage; Lage anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland; Qualifizierung der Erklärung des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 8. Januar 2018; Anforderungen an eine Zusicherung einer Unterbringung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.06.2020
Aktenzeichen
10 LA 111/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 23129
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 11.05.2020

Amtlicher Leitsatz

Die Erklärung des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 8. Januar 2018 stellt keine Zusicherung einer zumindest zeitweisen Unterbringung des Zurückzuführenden i.S.d. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 2018 (2 BvR 714/18) dar.

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Lüneburg - Einzelrichterin der 8. Kammer - vom 11. Mai 2020 wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid zuzulassen, hat keinen Erfolg. Denn der von ihr allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist von ihr nicht hinreichend dargelegt worden.

Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich und einer abstrakten Klärung zugänglich ist, im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf, nicht schon geklärt ist und (im Falle einer Rechtsfrage) nicht bereits anhand des Gesetzeswortlauts und der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung sowie auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann (BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25.18 -, juris Rn. 5, zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; ferner: GK-AsylG, Stand: Juni 2019, § 78 AsylG Rn. 88 ff. m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Januar 2019, § 78 AsylG Rn. 21 ff. m.w.N).

Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG verlangt daher nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (u. a. Senatsbeschluss vom 13.09.2018 - 10 LA 349/18 -, juris Rn. 2 ff.):

1. dass eine bestimmte Tatsachen- oder Rechtsfrage konkret und eindeutig bezeichnet,

2. ferner erläutert wird, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und

3. schließlich dargetan wird, aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren.

Die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und Klärungsbedürftigkeit der bezeichneten Frage im Berufungsverfahren (2.) setzt voraus, dass substantiiert dargetan wird, warum sie im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte und - im Falle einer Tatsachenfrage - welche (neueren) Erkenntnismittel eine anderslautende Entscheidung nahelegen (ständige Rechtsprechung des Senats: u. a. Senatsbeschluss vom 18.02.2019 - 10 LA 27/19 -; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 25.07.2017 - 9 LA 70/17 - m.w.N.). Die Begründungspflicht verlangt daher, dass sich der Zulassungsantrag mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils substantiiert auseinandersetzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.06.2019 - 5 BN 4.18 -, zu den Anforderungen an die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Darlegung einer Tatsachenfrage setzt außerdem eine intensive, fallbezogene Auseinandersetzung mit den von dem Verwaltungsgericht herangezogenen und bewerteten Erkenntnismitteln voraus (Senatsbeschluss vom 18.02.2019 - 10 LA 27/19 -; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 13.01.2009 - 11 LA 471/08 -, juris Rn. 5), weil eine Frage nicht entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist, die sich schon hinreichend klar aufgrund der vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Erkenntnismittel beantworten lässt (GK-AsylG, a.a.O., § 78 AsylG Rn. 609 m.w.N; vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 30.01.2014 - 5 B 44.13 -, juris Rn. 2, und vom 17.02.2015 - 1 B 3.15 -, juris Rn. 3, zu den Anforderungen an die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Erforderlich ist daher über den ergebnisbezogenen Hinweis, dass der Bewertung der Situation in dem betreffenden Land zu der als klärungsbedürftig bezeichneten Tatsachenfrage durch das Verwaltungsgericht im Ergebnis nicht gefolgt werde, hinaus, dass in Auseinandersetzung mit den Argumenten des Verwaltungsgerichts und den von ihm herangezogenen Erkenntnismitteln dargetan wird, aus welchen Gründen dieser Bewertung im Berufungsverfahren nicht zu folgen sein wird (GK-AsylG, a.a.O., § 78 AsylG Rn. 610 m.w.N). Dabei ist es Aufgabe des Zulassungsantragstellers, durch die Benennung von Anhaltspunkten für eine andere Tatsacheneinschätzung, also insbesondere durch das Anführen bestimmter (neuerer) Erkenntnisquellen, darzutun, dass hierfür zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (GK-AsylG, a.a.O., § 78 AsylG Rn. 610 f. m.w.N). Es reicht deshalb nicht, wenn der Zulassungsantragsteller sich lediglich gegen die Würdigung seines Vorbringens durch das Verwaltungsgericht wendet und eine bloße Neubewertung der vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Erkenntnismittel verlangt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.01.2020 - 11 A 2480/19.A -, juris Rn. 13; GK-AsylG, a.a.O., § 78 AsylG Rn. 609 m.w.N, Hailbronner, a.a.O., § 78 AsylG Rn. 28).

Diesen Anforderungen genügt der Zulassungsantrag der Beklagten nicht.

Sie hat zur Begründung des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die folgenden Fragen aufgeworfen:

"ob Antragstellern, welche in Griechenland internationalen Schutz erhalten haben, eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK / Art. 4 GrCH droht, und welche Mindestanforderungen die Zusicherung eines Mitgliedstaates erfüllen muss und ob solche individuell oder generalisierend erfolgen kann, und ob die durch Griechenland angegebenen Erklärung vom 08.01.2018 diese Mindestanforderungen erfüllt."

Die Beklagte hat sich aber nicht konkret mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt. Sie hat nicht substantiiert dargetan, warum die von ihr aufgeworfenen Fragen im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnten. Die Beklagte ist nur insoweit überhaupt auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts eingegangen, als sie behauptet hat, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung allein auf seine Einschätzung gestützt habe, in Griechenland drohe dem Kläger eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK und demnach unausgesprochen die am 8. Januar 2018 abgegebene Zusicherung Griechenlands für unzureichend betrachtet habe. Mit den von dem Verwaltungsgericht herangezogenen zahlreichen aktuellen Erkenntnismitteln hat sich die Beklagte in ihrem Zulassungsantrag ebenso wenig befasst wie mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass im konkreten Fall nicht davon auszugehen sei, dass der Kläger im Hinblick auf den Zeitpunkt seiner asylrechtlichen Anerkennung im Rahmen verschiedener Unterstützungsprogramme eine Unterkunft finden und Geldleistungen erhalten könne (S. 6-7 des Urteilsabdrucks) und eine konkrete Zusicherung der griechischen Behörden, die ihm im Falle einer Rückkehr eine Unterkunft in Aussicht stelle, nicht vorliege (S. 8 des Urteilsabdrucks). Die Beklagte hat sich stattdessen darauf beschränkt, ihre Auffassung zu den von ihr aufgeworfenen Fragen darzustellen und Urteile anderer Verwaltungsgerichte zur Lage anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland sowie des Verwaltungsgerichtshofs für Baden-Württemberg zu den allgemeinen Voraussetzungen für Rückführungen im Dublin-Raum teilweise wiederzugeben. Werden - wie vorliegend - keine aktuelleren Erkenntnisse benannt, die zu einer anderen als der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Bewertung führen können, sondern im Ergebnis allein die aus Sicht der Zulassungsantragstellerin unzutreffende rechtliche und tatsächliche Bewertung des Verwaltungsgerichts gerügt, genügt dies nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.01.2020 - 11 A 2480/19.A -, juris Rn. 18).

Bezüglich der von der Beklagten aufgeworfenen Fragen zu der Erklärung des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 8. Januar 2018 liegt der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung unabhängig von dessen Darlegung auch deswegen nicht vor, da sich die diesbezüglichen Fragen der Beklagten anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne die Durchführung eines Berufungsverfahrens beantworten lassen.

Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 2018 (BVerfG, Beschluss vom 31.07.2018 - 2 BvR 714/18 -, juris Rn. 25), die darauf verweist, dass die Kommission Rückführungen nach Griechenland zur Durchführung von Asylverfahren nur für den Fall empfehle, dass jeweils im Einzelfall auf Grund einer Zusicherung der griechischen Behörden feststehe, dass der Zurückzuführende in einer Unterkunft unterkommen könne; eine solche Zusicherung seitens der griechischen Behörde, den dortigen Beschwerdeführer zumindest für eine Übergangszeit unterzubringen, nicht abgegeben oder vom Bundesamt angefordert worden sei, kann die von der Beklagten in den Grundsatzfragen angesprochene Erklärung des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 8. Januar 2018 nicht als konkrete Zusicherung in diesem Sinne verstanden werden. Denn die Erklärung der griechischen Behörde trifft keine auf den konkreten Einzelfall bezogene Regelung, sondern beschränkt sich allein auf die Feststellung, dass die Richtlinie 2011/95/EU in nationales Recht umgesetzt worden sei und eine richtlinienkonforme Behandlung der Rückkehrer, die internationalen Schutz genössen, zugesichert werde (vgl. VGH München, Beschluss vom 25.06.2019 - 20 ZB 19.31553 -, Rn 20). Demzufolge ist die genannte Erklärung auch nicht mit der Zusage der italienischen Behörden hinsichtlich der Zuweisung einer Unterkunft bei der Überstellung von Rückkehrerfamilien zu vergleichen, sondern verweist lediglich darauf, dass in Griechenland zurückkehrende Flüchtlinge entsprechend der Anerkennungsrichtlinie behandelt werden (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.01.2020 - 11 A 2480/19.A -, juris Rn. 33). Eine Zusicherung bezüglich einer zumindest zeitweisen Unterbringung i.S.d. der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist darin erkennbar nicht enthalten.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).