Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.06.2020, Az.: 13 ME 53/20

Beschwerde; Beseitigungsanordnung; formelle Illegalität; vorläufiger Rechtsschutz; Wasserrecht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.06.2020
Aktenzeichen
13 ME 53/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71720
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 06.03.2020 - AZ: 1 B 281/20

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Anders als im Baurecht rechtfertigt im Wasserrecht grundsätzlich schon die formelle Illegalität - unabhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit - ein repressives Einschreiten der zuständigen Behörde.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 1. Kammer - vom 6. März 2020 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Antragsgegners vom 11. September 2019 über den Rückbau und die Wiederverfüllung von Entwässerungsgräben wiederherzustellen und hinsichtlich der weiter verfügten Androhung der Ersatzvornahme anzuordnen, zutreffend abgelehnt. Die hiergegen mit der Beschwerde geltend gemachte Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Beschwerdeverfahren zu beschränken hat, gebieten eine Änderung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung nicht.

Die Antragstellerin hat auch mit ihrem Beschwerdevorbringen nicht dargelegt, dass die vom Antragsgegner im Bescheid vom 11. September 2019 angeordnete Rückbau- und Wiederverfüllungsverpflichtung voraussichtlich rechtswidrig ist und die daran anknüpfende Voraussetzung für die begehrte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vorliegt (vgl. zu diesen Voraussetzungen im Einzelnen: Senatsbeschl. v. 17.10.2018 - 13 ME 107/18 -, GewArch 2019, 45 - juris Rn. 9).

Die angeordnete Rückbau- und Wiederverfüllungsverpflichtung findet eine Rechtsgrundlage in § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG. Nach dieser Bestimmung ordnet die zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen an, die im Einzelfall notwendig sind, um Beeinträchtigungen des Wasserhaushalts zu vermeiden oder zu beseitigen oder die Erfüllung von Verpflichtungen nach § 100 Abs. 1 Satz 1 WHG sicherzustellen. Hiernach ist die Behörde auch ermächtigt, wegen eines Verstoßes gegen die in § 100 Abs. 1 Satz 1 WHG genannten wasserrechtlichen Verpflichtungen einzuschreiten (vgl. Senatsbeschl. v. 22.6.2017 - 13 LA 120/17 -, juris Rn. 10; Czychowski/Reinhardt, WHG, 12. Aufl. 2019, § 100 Rn. 35). Dazu zählt auch die Verpflichtung nach § 68 Abs. 1 und 2 WHG, einen Gewässerausbau nur nach vorheriger Planfeststellung oder Plangenehmigung vorzunehmen. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei der von der Antragstellerin vorgenommenen Anlage und Vertiefung von Entwässerungsgräben um einen derart genehmigungsbedürftigen Gewässerausbau im Sinne des § 67 Abs. 2 WHG handelt, beruht auf den auch in der Rechtsprechung des Senats anerkannten rechtlichen Maßstäben (vgl. Senatsbeschl. v. 16.8.2011 - 13 LA 23/10 -, juris Rn. 5 ff. m.w.N.) und wird von der Antragstellerin mit der Beschwerde nicht durchgreifend in Zweifel gezogen.

Schon aufgrund dieses Pflichtenverstoßes war die Antragstellerin berechtigt, die Rückbau- und Wiederverfüllungsverpflichtung anzuordnen. Die Benutzung oder der Ausbau eines Gewässers ohne die erforderliche Erlaubnis oder Bewilligung stellt bereits für sich genommen eine Gefahr für ein Gewässer dar. Die lediglich formelle Illegalität einer Handlung im Wasserrecht rechtfertigt daher grundsätzlich - unabhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit - ein repressives Einschreiten der zuständigen Behörde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.12.1998 - BVerwG 11 B 56.98 -, juris Rn. 5; Urt. v. 10.2.1978 - BVerwG IV C 71.75 -, juris Rn. 25 ff.). Der demgegenüber im Baurecht allgemein anerkannte Grundsatz, dass zur formellen Rechtswidrigkeit die materielle Rechtswidrigkeit hinzukommen muss, wenn eine Beseitigungsanordnung Bestand haben soll, kann auf das Wasserrecht nicht übertragen werden. Das Recht eines Bauherrn, sein Grundstück im Rahmen der Gesetze zu bebauen, ist durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.6.1973 - 1 BvL 39/69 u.a. -, BVerfGE 35, 263, 276 - juris Rn. 43; BVerwG, Urt. v. 19.2.2004 - BVerwG 4 C 4.03 -, BVerwGE 120, 130, 137 - juris Rn. 17). Ein in ähnlicher Weise verfassungsrechtlich gesicherter Anspruch auf Nutzung oder Benutzung des auf dem Grundeigentum vorkommenden Wassers besteht nicht, weil diese Rechtssphäre des öffentlichen Gutes (Gemeingutes) "Grundwasser" durch (heute) §§ 4 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1, 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 WHG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WHG von dem privatrechtlichen Grundeigentum im Sinne der §§ 903, 905 BGB definitorisch getrennt ist (vgl. Senatsurt. v. 20.12.2017 - 13 KN 67/14 -, juris Rn. 178 m.w.N.). Eine Befugnis zur Gewässerbenutzung entsteht vielmehr erst mit der behördlichen Zulassung. Hierüber soll grundsätzlich in dem dafür vorgesehenen Erlaubnis- oder Benutzungsverfahren und nicht bei Gelegenheit von Anordnungen im Zusammenhang mit der Gewässerüberwachung entschieden werden. Die Aufsichtsbehörde braucht daher vor einer Untersagung regelmäßig nicht zu prüfen, ob einem Zulassungsantrag nach materiellem Recht stattgegeben werden müsste. Fehlt es danach an einem auf die Verfassung zurückführbaren Recht auf eine Gewässerbenutzung, so fehlt es auch an der Grundlage für eine dem Baurecht entsprechende Unterscheidung zwischen formeller und materieller Illegalität einer Gewässereinwirkung. Vielmehr ergibt sich, dass jede nicht zugelassene, aber nach dem Wasserhaushaltsgesetz zulassungsbedürftige Einwirkung auf das Wasser schlechthin rechtswidrig ist; eine materiell legale Gewässerbenutzung ist ohne formelle Legalität ausgeschlossen (so ausdrücklich BVerwG, Urt. v. 10.2.1978, a.a.O., Rn. 28).

Das Fehlen der notwendigen behördlichen Zulassung ist nur ausnahmsweise dann kein hinreichender Grund für die behördliche Anordnung der (Wieder-)Herstellung rechtmäßiger Zustände, wenn im Einzelfall aus Gründen der Verhältnismäßigkeit Veranlassung besteht, die Möglichkeit einer Legalisierung behördlich zu prüfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.2.1978, a.a.O., Rn. 28ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 14.5.2018 - 20 B 117/18 -, juris Rn. 11; Bayerischer VGH, Beschl. v. 3.8.2017 - 8 ZB 15.2642 -, juris Rn. 20; Czychowski/Reinhardt, a.a.O., § 100 Rn. 42 f.). Wird die Prüfung - wie hier nach dem Bescheid des Antragsgegners vom 27. Mai 2020 (Blatt 142 ff. der Gerichtsakte) - von der Behörde mit einem für die Zulassung negativen Ergebnis vorgenommen, gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht, von der Untersagung oder Beseitigung schon dann abzusehen, wenn noch nicht völlig zweifelsfrei feststeht, dass der Zulassung keine materiell-rechtlichen Hindernisse entgegenstehen. Entscheidend ist im Gegenteil, ob sich verlässlich absehen lässt, dass einer formellen Legalisierung nichts entgegensteht (so OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 14.5.2018, a.a.O., Rn. 15; vgl. noch restriktiver: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 20.5.2010 - 3 S 1253/08 -, juris Rn. 36: "Evidenzprüfung …, ob die formelle illegale Gewässerbenutzung mit den materiellen wasserrechtlichen Anforderungen vereinbar ist"; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 13.2.2006 - 3 M 116/05 -, juris Rn. 18: "nach einer Vor- oder Evidenzprüfung (muss) erkennbar sein …, dass die formell illegale Gewässerbenutzung mit den materiellen Anforderungen des Wasserrechts vereinbar ist"; Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG § 100 Rn. 76 (Stand: Mai 2011)). Denn die Benutzung oder der Ausbau eines Gewässers können Auswirkungen nicht nur auf das konkrete Gewässer, sondern auch Folgewirkungen für andere Umweltgüter haben. Deshalb unterliegen die für den hier gegebenen Gewässerausbau relevanten Planfeststellungen und Plangenehmigungen einem umfassenden Abwägungsgebot im Rahmen einer medienübergreifenden und saldierenden Gesamtbewertung, die Gesichtspunkte inner- und außerhalb des Wasserrechts zu berücksichtigen hat (vgl. Czychowski/Reinhardt, a.a.O., § 68 Rn. 43 und § 70 Rn. 39). Aufgrund dieser komplexen Abwägung und des Risikos, dass auch ein nur vorübergehender Gewässerausbau zur nachteiligen Beeinträchtigung oder gar Zerstörung von Umweltgütern führen könnte, ist ein derart strenger Maßstab anzulegen. Hinzu tritt, dass die Überprüfung, welche Umweltgüter durch einen Gewässerausbau beeinträchtigt werden, nach Durchführung des Gewässerausbaus in vielen Konstellationen kaum mehr möglich ist, wenn nicht zuvor eine ausreichende Bestandsaufnahme durchgeführt wurde.

Unter Anwendung dieses Maßstabs besteht kein Anlass, das Fehlen der notwendigen behördlichen Zulassung ausnahmsweise nicht als hinreichenden Grund für die angeordnete Rückbau- und Wiederverfüllungsverpflichtung genügen zu lassen. Denn es lässt sich nicht verlässlich absehen, dass einer formellen Legalisierung des von der Antragstellerin vorgenommenen Gewässerausbaus nichts entgegensteht.

Wegen der vorgetragenen Entstehungsgeschichte der Wiedervernässungsfläche und nicht zuletzt der vorgelegten Biotoperfassung aus 2017 bestehen vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Wiedervernässungsfläche um ein Biotop nach § 30 BNatSchG handeln könnte, so dass Handlungen, die zu einer Zerstörung oder einer sonstigen erheblichen Beeinträchtigung der Fläche führen können, nach § 86 Abs. 3 Nr. 2 WHG in Verbindung mit § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 BNatSchG nicht oder nur gegen Ausgleich (§ 30 Abs. 3 BNatSchG) genehmigungsfähig wären. Eine Registrierung des Biotops gemäß § 30 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG ist nicht Voraussetzung für dessen Schutz (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.5.2001 - 2 BvK 1/00 -, juris Rn. 166).

Zudem trägt der Antragsgegner nachvollziehbar vor, dass die Wiedervernässungsfläche ein Lebensraum mit besonderer Bedeutung für besonders geschützte Brut- und Rastvögel darstellen könnte, so dass einer Plangenehmigungsfähigkeit auch § 86 Abs. 3 Nr. 2 WHG in Verbindung mit § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG entgegenstünde.

Die Antragstellerin hat auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht (vgl. zum Glaubhaftmachungserfordernis im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO: Senatsbeschl. v. 12.12.2019 - 13 ME 320/19 -, juris Rn. 29 m.w.N.), dass der Gewässerausbau zu keiner erheblichen Beeinträchtigung der Wiedervernässungsfläche führt. Ein in der Beschwerdeschrift erwähntes Ingenieursgutachten hierzu hat sie nicht vorgelegt. Soweit sie ausführt, der zuvor bestehende, verlandete Graben habe kein Wasser geführt, so lässt dies keinesfalls den Schluss zu, dass eine Entwässerungswirkung verlässlich ausscheidet. Weder ist dieser Graben nach seiner Tiefe den neu angelegten oder vertieften Gräben ähnlich, noch liegt es auf der Hand, dass ein Graben zu jeder Zeit erkennbar Wasser führen muss, um eine entwässernde Wirkung zu haben. Es ist auch nicht klar ersichtlich, dass ein allenfalls die obersten Erdschichten verfestigender Sandweg zu einer horizontalen Wasserundurchlässigkeit bis auf die Grabensohle führt.

Soweit die Antragstellerin auf die Ortsüblichkeit ihres Gewässerausbaus verweist, so berücksichtigt sie nicht die besondere Lage der gerade von ihr (wieder-)hergestellten Gräben unmittelbar neben der Wiedervernässungsfläche. Mit ihrem Vortrag, ihre eigenen Flächen seien zeitlebens bewirtschaftet worden, würde die Antragstellerin zudem auch dann nicht durchdringen, wenn dies glaubhaft gemacht wäre. Nicht jede Maßnahme zur Erhaltung der Bewirtschaftung von Flächen ist ohne Weiteres genehmigungsfähig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).