Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.06.2020, Az.: 13 ME 69/20

Keine Beschäftigungserlaubnis für Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat; Keine Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung bei als offensichtlich unbegründet abgelehntem Asylantrag; Unverrückbarkeitsgrundsatz; Druckfehler im Bundesgesetzblatt

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.06.2020
Aktenzeichen
13 ME 69/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 23164
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 03.03.2020

Amtlicher Leitsatz

Die als Art. 3 Nr. 11 des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294, 1303) verkündete Neufassung des § 61 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 AsylG ("...; Ausländern, die seit mindestens sechs Monaten eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes besitzen, kann die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden.") ist vom Bundestag als Neufassung eines § 61 Abs. 1 Satz 3 AsylG beschlossen worden und auch als solche anzuwenden.

Tenor:

  1. I.

    Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer - vom 3. März 2020 wird zurückgewiesen.

    Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

    Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

    Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. aus B-Stadt wird abgelehnt.

    Außergerichtliche Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.

  2. II.

    Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. aus B-Stadt ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer - vom 3. März 2020 wird zurückgewiesen.

    Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

I. 13 ME 69/20

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade vom 3. März 2020 bleibt ohne Erfolg.

Die Beschwerde gegen den Beschluss, der der Antragstellerin am 24. März 2020 bekanntgegeben wurde, hat die Antragstellerin fristgerecht innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) am 7. April 2020 eingelegt und innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) am 24. April 2020 begründet.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

1. Der Antrag ist bereits nicht statthaft.

Mit der von der Antragstellerin ausdrücklich beantragten Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 5 VwGO) vermag sie ihr Rechtsschutzziel nicht zu erreichen. In der Hauptsache begehrt sie nicht (nur) die Aufhebung der Nebenbestimmung "Beschäftigung nicht gestattet", sondern die Verpflichtung des Antragsgegners, die Nebenbestimmung "Beschäftigung nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde gestattet" zu erlassen. Die Nebenbestimmung an sich ist eine Begünstigung, da nach der gesetzlichen Regelung die Beschäftigung für Geduldete als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltet ist (§ 4a Abs. 4 AufenthG; BT-Drs. 19/8285, S. 87). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage führt somit nicht zu der begehrten Gestattung der Beschäftigung.

Nach Ablauf der vorherigen Duldung vom 18. Juli 2019 ist die dort vermerkte Nebenbestimmung, eine Beschäftigung sei nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde gestattet, erloschen (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 18.7.2019 - 19 BV 15.467 -, juris Rn. 24; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 10.7.2017 - 11 S 695/17 - juris Rn. 31). § 51 Abs. 6 AufenthG gilt nur für Beschränkungen und Auflagen und nicht für die Begünstigung, erwerbstätig sein zu dürfen. Die beantragte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage führt damit nicht zum Aufleben dieser Nebenbestimmung.

Die Antragstellerin kann ihr Rechtsschutzziel daher von vornherein nicht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, sondern nur im Verfahren nach § 123 VwGO erreichen.

2. Selbst wenn man den Antrag entgegen der Ausführungen unter 1. jedoch für zulässig hielte, so mangelte es ihm jedenfalls an der Begründetheit.

Die gerichtliche Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO setzt eine Abwägung des Interesses der Antragstellerin, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Diese Abwägung fällt in der Regel zu Lasten der Antragstellerin aus, wenn bereits im Aussetzungsverfahren bei summarischer Prüfung zu erkennen ist, dass ihr Rechtsbehelf offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.5.2004 - 2 BvR 821/04 -, juris Rn. 20; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 970 ff. m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ist bereits im Aussetzungsverfahren zu erkennen, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg haben wird. Die Antragstellerin hat auch mit ihrem Beschwerdevorbringen nicht darlegen können, weshalb die Nebenbestimmung "Beschäftigung nicht gestattet" zu der ihr erteilten Duldung vom 5. November 2019 durch die Nebenbestimmung "Beschäftigung nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde gestattet" zu ersetzen ist. Die Antragstellerin kann eine dahingehende Erlaubnis nicht beanspruchen.

a) Gemäß § 61 Abs. 2 Satz 4 AsylG darf einem Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat, der nach dem 31. August 2015 einen Asylantrag gestellt hat, während des Asylverfahrens die Ausübung einer Beschäftigung nicht erlaubt werden. Maßgeblich ist insoweit die förmliche Antragstellung (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 8.12.2016 - 8 ME 183/16 -, juris Rn. 6).

Die Antragstellerin, die als kosovarische Staatsangehörige einem sicheren Herkunftsstaat i.S.v. § 29a i.V.m. Anlage II AsylG entstammt, hat am 10. Juni 2016 einen Asylantrag förmlich gestellt. Eine Beschäftigung kann ihr damit nicht gestattet werden, der Ausländerbehörde steht insoweit kein Ermessen zu.

b) Auch die mit dem Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294ff.) am 21. August 2019 in Kraft getretene Ausnahmeregelung in § 61 Abs. 2 Satz 5 AsylG i.V.m. Abs. 1 Satz 2 AsylG begründet einen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zur Beschäftigung nicht, da die Antragstellerin zumindest die Voraussetzung des § 61 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Alt. 1 AsylG nicht erfüllt. Danach ist dem Ausländer eine Beschäftigung zu erlauben, wenn der Asylantrag nicht als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, es sei denn das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entscheidung des Bundesamtes angeordnet. Dieser Ausschluss der Erwerbstätigkeit ist auch mit Art. 15 der Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU) vereinbar, da dieser Artikel nicht den Arbeitsmarktzugang nach Erlass einer ersten Behördenentscheidung, gegen den Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung haben, regelt (vgl. Bergmann/Dienelt/Bergmann, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AsylG § 61 Rn. 2, 6).

Der Asylantrag der Antragstellerin wurde mit Bescheid vom 22. November 2016 als offensichtlich unbegründet abgelehnt, das angerufene Verwaltungsgericht Stade hat die aufschiebende Wirkung der Klage gegen diese Entscheidung nicht angeordnet (Beschl. v. 14.12.2016 - 6 B 3291/16 - n.v.).

c) § 61 Abs. 2 Satz 5 AsylG verweist demgegenüber nicht auf den im Bundesgesetzblatt als § 61 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 AsylG verkündeten Satz "Ausländern, die seit mindestens sechs Monaten eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes besitzen, kann die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden." Dieser Satz ist als § 61 Abs. 1 Satz 3 AsylG anzusehen, was sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt.

Die im Bundesgesetzblatt (Art. 3 Nr. 11 des Gesetzes v. 15.8.2019, BGBl. I S. 1303) veröffentlichte Fassung des § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG entspricht nicht derjenigen, die der Bundestag beschlossen hat. In seiner Sitzung vom 7. Juni 2019 hat der Bundestag in seiner diesbezüglichen Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung in der Ausschussfassung abgestimmt (BT-PlPr. 19/105, S. 12891). Die Ausschussfassung sieht vor, dass nach dem letzten Wort des § 61 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AsylG "angeordnet" ein Punkt steht, kein Semikolon (BT-Drucks. 19/10706, S. 11; vgl. auch die Übermittlung des Gesetzesbeschlusses des Bundestags an den Bundesrat, BR-Drs. 275/19, S. 5. f.). Somit soll der Satz 2 nach dem Willen des Gesetzgebers einzig den Anspruch auf Gestattung der Erwerbstätigkeit unter den Voraussetzungen der dortigen Nummern 1-4 umfassen, nicht jedoch die ins Ermessen der Behörde gestellte Beschäftigungserlaubnis für seit sechs Monaten Geduldete. Diese beschlossene Fassung ist maßgeblich (Unverrückbarkeitsgrundsatz), Druckfehler im Bundesgesetzblatt können gemäß § 61 Abs. 3 Satz 2 GGO erratiert werden (siehe Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 82 Rn. 254, 260 (Stand: Dezember 2014).

Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen. Der Beschwerde der Antragstellerin kommt auch nach der im Prozesskostenhilfeverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361, 362 [BVerfG 26.02.2007 - 1 BvR 474/05], juris Rn. 11) die gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu. Aus diesem Grund ist auch für eine Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO kein Raum.

Die Kostenentscheidung im Prozesskostenhilfeverfahren folgt aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

II. 13 PA 70/20

Auch die Beschwerde der Antragstellerin gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer - vom 3. März 2020 bleibt ohne Erfolg.

Dem erstinstanzlichen Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin kommt auch nach der im Prozesskostenhilfeverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung des Zwecks der Prozesskostenhilfebewilligung die gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu (vgl. zu im Hauptsacheverfahren einerseits und im Prozesskostenhilfeverfahren andererseits anzulegenden unterschiedlichen Maßstäben: BVerfG, Beschl. v. 8.7.2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris Rn. 10 ff. m.w.N.). Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf seine Ausführungen im Beschluss vom heutigen Tage in dem Verfahren 13 ME 69/20 (siehe oben I.). Aus diesem Grund ist auch für eine Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO. Ein Streitwert ist nicht festzusetzen. Für die Höhe der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens gilt der streitwertunabhängige Kostentatbestand in Nr. 5502 der Anlage 1 (Kostenverzeichnis) zum Gerichtskostengesetz.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).