Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.01.2024, Az.: 1 ME 104/23
Vorliegen des die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigenden besonderen öffentlichen Interesses im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung; Gerichtliche Berücksichtigung von erst nach der letzten Behördenentscheidung entstandenen oder bekannt gewordenen Umständen bei Prüfung der Vollzugs- und Aufschubinteressen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 12.01.2024
- Aktenzeichen
- 1 ME 104/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 10210
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2024:0112.1ME104.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 24.07.2023 - AZ: 2 B 726/23
Rechtsgrundlage
- § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO
Fundstellen
- BauR 2024, 629-630
- DVBl 2024, 517-520
- DÖV 2024, 456
- NordÖR 2024, 219-220
Amtlicher Leitsatz
Das die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigende besondere öffentliche Interesse muss im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen. Das Gericht hat daher bei der Prüfung der Vollzugs- und Aufschubinteressen auch Umstände zu berücksichtigen, die erst nach der letzten Behördenentscheidung entstanden oder bekannt geworden sind.
Tenor:
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer - vom 24. Juli 2023 werden zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten der Beschwerdeverfahren als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren mit dem Aktenzeichen 1 ME 104/23 auf 9.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine bauaufsichtliche Nutzungsuntersagung sowie den im erstinstanzlichen Eilverfahren festgesetzten Streitwert.
Sie sind Eigentümer der im Aufteilungsplan als "Wohnung ..." bezeichneten, ca. 207 m2 großen Wohneinheit in der G. -Straße im Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Die Wohnung liegt in einem ehemaligen Stabsgebäude, für welches mit Baugenehmigung vom 23. April 2001 eine Nutzungsänderung zum Umbau zu 40 Wohnungen zum Dauerwohnen genehmigt wurde. Nach eigenen Angaben teilten die Antragsteller die Wohnung im Jahr 2012 in zwei Wohneinheiten auf und vermieteten diese fortan an Feriengäste, ohne hierfür eine Genehmigung zu haben. Ein Bebauungsplan liegt für das Gebiet nicht vor.
Am 4. Februar 2022 stellte eine Nachbarin bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten mit der Begründung, ihr Dauermieter fühle sich durch die Vermietung der darunterliegenden Wohnung an Feriengäste gestört. Diese Nachbarin hatten die Antragsteller zuvor vor dem Amtsgericht E-Stadt verklagt, weil sie auf dem Dach der Antragstellerwohneinheit eine Dachterrasse errichtet hatte.
Mit Schreiben vom 8. August 2022 gab die Antragsgegnerin unter Verweis auf einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten den Antragstellern Gelegenheit, sich zu der festgestellten ungenehmigten Wohnungsteilung und Ferienvermietung zu äußern und kündigte an, die bei der Ermittlung des Sachverhalts festgestellten weiteren Ferienwohnungen in dem Gebäude gleichfalls zu prüfen. Unter dem 20. September 2022 gewährte die Antragsgegnerin der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller antragsgemäß Akteneinsicht in den Verwaltungsvorgang, indem sie diesen per E-Mail übermittelte. Der Verwaltungsvorgang beginnt mit der auszugsweisen Wiedergabe der Nachbaranzeige, ohne dass der Name der Anzeigeerstatterin offengelegt wird. Die bereits mit Schreiben vom 8. August 2022 erfolgte Ankündigung einer Nutzungsuntersagung ergänzte die Antragsgegnerin mit E-Mail vom 20. Januar 2023, in der sie der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller mitteilte, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung erfolgen solle.
Mit Bescheid vom 7. März 2023 untersagte die Antragsgegnerin den Antragstellern, ab dem 1. Juni 2023 die streitgegenständliche Wohnung oder einen abgetrennten Wohnungsteil einem ständig wechselnden Kreis von Gästen gegen Entgelt vorübergehend zur Verfügung zu stellen (Ziffer 1). Weiter ordnete sie die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 an (Ziffer 2), drohte den Antragstellern für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Ziffer 1 ein Zwangsgeld in Höhe von 2.400,00 € an (Ziffer 3) und legte den Antragstellern die Kosten des Verfahrens auf (Ziffer 4). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründete die Antragsgegnerin mit der vorliegenden Nachbarstörung durch ferientypisches Verhalten der Ferienwohnungsnutzer. Das öffentliche Interesse an einer kurzfristigen Beendigung der ungenehmigten Nutzung überwiege das private Interesse an deren Fortsetzung, zumal die Antragsteller durch ihr bisherigen Verhalten die Präventivkontrolle der Bauaufsicht unterlaufen hätten. Es sei zudem unangemessen, dass die Antragsteller durch die ungenehmigte Nutzungsänderung einen weiteren finanziellen Vorteil erlangten und damit gegenüber sich rechtmäßig verhaltenden Eigentümern bessergestellt würden. Sechs weitere Wohnungseigentümer erhielten gleichlautende Nutzungsuntersagungen, wobei die Antragsgegnerin deren sofortige Vollziehung zunächst nicht anordnete.
Gegen den an sie gerichteten Bescheid erhoben die Antragsteller am 24. März 2023 verbunden mit einem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist. Ihren Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 24. Juli 2023 zurückgewiesen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung entspreche den formellen Voraussetzungen und sei auch materiell rechtmäßig. Unabhängig von nachbarlichen Beschwerden sei das erforderliche besondere öffentliche Interesse gegeben. Das Interesse, denjenigen, der sich rechtswidrig verhalte, gegenüber dem rechtstreuen Bauherrn nicht besserzustellen, gehe regelmäßig über das Interesse an der Nutzungsuntersagung als solche hinaus, insbesondere wenn - wie hier - der illegalen Bautätigkeit eine besondere Nachahmungswirkung zukomme. Die Begründung der Antragsgegnerin genüge auch dem Einzelfallcharakter der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Allein das Bestehen gleichgelagerter Parallelfälle stehe dem nicht entgegen. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liege im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung nicht (mehr) vor, da die Antragsgegnerin in den vergleichbaren Parallelverfahren entsprechende Anordnungen bereits erlassen bzw. eine entsprechende Absicht glaubhaft versichert habe. Entscheidend sei, dass die Antragsgegnerin alle gleich gelagerten Sachverhalte einheitlich behandele bzw. bestrebt sei, diese einheitlich zu behandeln. Dass die Antragsgegnerin die finanziellen Belange der Antragsteller gegenüber dem öffentlichen Interesse habe zurücktreten lassen, sei nicht zu beanstanden. Es bleibe ihnen unbenommen, die Wohnung weiterhin zum - ggf. befristeten Dauerwohnen - zu vermieten. Der Umstand, dass die Antragsteller die Finanzierung der Wohnung auf eine Vermietung zum Ferienwohnen gestützt hätten, sei in keiner Weise rechtlich schützenswert, sondern drücke eine beachtliche Missachtung allgemeingültiger rechtlicher Regelungen aus und begründe keinerlei Vertrauensschutz. Der Anordnung der sofortigen Vollziehung stehe auch nicht die jahrelange Untätigkeit der Antragsgegnerin entgegen. Eine Verwirkung bauaufsichtlicher Einschreitensbefugnisse komme grundsätzlich nicht in Betracht, Umstände für eine aktive Duldung der ungenehmigten Nutzung seien nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Auch die Nutzungsuntersagung erweise sich als offensichtlich rechtmäßig. Die Ferienvermietung sei nicht von der Bandbreite der genehmigten Dauerwohnnutzung erfasst und damit formell illegal. Die Nutzungsuntersagung sei auch nicht ausnahmsweise wegen offensichtlicher Genehmigungsfähigkeit der Nutzungsänderung rechtswidrig. Abgesehen davon, dass die Kammer dazu tendiere, die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit für die Fälle des § 34 BauGB auszuschließen, seien deren Voraussetzungen hier nicht gegeben, da sich die Eigenart der näheren Umgebung nicht so eindeutig darstelle, dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Ferienwohnens ins Auge springe.
Bei der Festsetzung des Streitwerts hat die Kammer den von den Antragstellern selbst angegebenen Jahresmietwert in Höhe von 18.000 EUR zugrunde gelegt und diesen für das Eilverfahren halbiert. Hiergegen wenden die Antragsteller mit ihrer Streitwertbeschwerde ein, dass als Grundlage der Bemessung die Differenz zwischen den Erträgen durch Ferien- und Dauervermietung, die sie auf ca. 9.000 EUR schätzten, anzusetzen sei. In ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 5. Januar 2024 hat die Kammer u.a. ausgeführt, dass der Streitwertkatalog einen Abzug der genehmigten Nutzung von dem wirtschaftlichen Wert der angestrebten Nutzungsänderung nicht vorsehe.
II.
Die Beschwerden haben keinen Erfolg.
1.
Die gegen die in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 24. Juli 2023 getroffene Sachentscheidung gerichtete Beschwerde mit dem Aktenzeichen 1 ME 104/23, auf deren fristgerecht dargelegte Gründe sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, hat keinen Erfolg.
a)
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO, ist nicht zu beanstanden.
Soweit die Antragsteller unter Hinweis darauf, dass sie erst bei Erhalt des streitgegenständlichen Bescheides von der Nachbarbeschwerde über angebliche Störungen erfahren hätten und sich "dann später" nach Akteneinsicht herausgestellt habe, dass die Nachbarin ihre Klagegegnerin in einer zivilrechtlichen Rechtsstreitigkeit sei, eine unzureichende Anhörung geltend machen, verfängt dies nicht. Eine gesonderte Anhörung erfordert die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nicht, sei es, weil es sich bei dieser bereits nicht um einen Verwaltungsakt handelt (so BVerwG, Urt. v. 12.5.1966 - II C 197.62 -, BVerwGE 24, 92 = ZfBR 1966, 287 = juris 40), sei es, weil es selbst bei Annahme eines Verwaltungsakts die an seine formelle Rechtmäßigkeit zu stellenden Anforderungen durch § 80 Abs. 3 VwGO abschließend geregelt sind (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2002 - 1 MA 4216/01 -, BauR 2002, 772 = BRS 65 Nr. 203 = juris Rn. 4 m.w.N.). Abgesehen davon ist der Vortrag der Antragsteller nichtzutreffend. Laut dem Verwaltungsvorgang erfolgte die mit Schreiben vom 19. September 2022 geforderte Akteneinsicht bereits am 20. September 2022 durch Übersendung des Verwaltungsvorgangs (S. 1-23) per E-Mail. Aus diesem ergibt sich - wenn auch ohne Nennung des Namens des Nachbarn - der Anlass für das Tätigwerden der Antragsgegnerin (S. 1 des Verwaltungsvorgangs).
Entgegen der Auffassung der Antragsteller genügt die Anordnung der sofortigen Vollziehung den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Danach ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Die daraus resultierenden rechtlichen Vorgaben an die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs einer bauaufsichtlichen Nutzungsuntersagung sind in der Rechtsprechung des Senats seit Langem geklärt: Die Begründung muss der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, das besondere, ausnahmsweise überwiegende öffentliche Interesse an einer solchen Vollziehung aus den Umständen des Einzelfalls zu rechtfertigen. Dabei darf sie auf die formelle Ordnungsfunktion des öffentlichen Baurechts abstellen und namentlich berücksichtigen, dass der rechtstreue Bauherr gegenüber demjenigen, der ohne Genehmigung baut, nicht benachteiligt werden darf. Stets erforderlich ist aber, dass die Behörde erkennen lässt, aus welchen Gründen die Bestandskraft des Verwaltungsaktes nicht abgewartet werden soll (Senatsbeschl. v. 13.6.2022 - 1 ME 38/22 -, AUR 2022, 310 = RdL 2022, 362 = juris Rn. 7 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Antragsgegnerin, in der sie sich auf die bereits vorliegenden Störungen der Nachbarschaft durch die ungenehmigte Nutzung beruft (Bescheid v. 7.3.2023 S. 5). Ergänzend stellt die Antragsgegnerin darauf ab, es sei unangemessen, dass die Antragsteller - ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung - noch einen weiteren finanziellen Vorteil erlangten und damit gegenüber Eigentümern, die das erforderliche Baugenehmigungsverfahren durchliefen, bessergestellt würden (Bescheid v. 7.3.2023 S. 6). Soweit die Antragsteller meinen, dass diese Begründung "ersichtlich nur vorgeschoben" sei, was sich nicht nur auf die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung auswirke, sondern bereits deren formelle Rechtswidrigkeit begründe, verkennen sie den Regelungsgehalt des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Dieser erfordert nicht, dass die von der Behörde gewählte Begründung der materiellen Überprüfung standhält. Unerheblich ist deshalb, ob die gegebene Begründung richtig und ein überwiegendes öffentliches Interesse am Sofortvollzug tatsächlich gegeben ist (Nds. OVG, Beschl. v. 15.6.2021 - 13 ME 243/21 -, juris Rn. 23 m.w.N.). Die Behauptung der Antragsteller, dass die gegebene Begründung für die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin keine Rolle gespielt habe, ist zudem nicht zutreffend. Die konkrete Nachbarstörung war für die Antragsgegnerin ausschlaggebend.
b)
Die Nutzungsuntersagung erweist sich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, als rechtmäßig. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist - entgegen der Auffassung der Antragsteller - nur die Annahme der Antragsgegnerin, die Ferienvermietung sei formell baurechtswidrig. Eine weitergehende Prüfung der materiellen Baurechtswidrigkeit war nicht erforderlich. Stützt die Bauaufsichtsbehörde ein Nutzungsverbot - jeweils tragend - sowohl auf die formelle als auch auf die materielle Illegalität der Nutzung bzw. der baulichen Anlage, unterstellt sie diese zweifache Begründung zwar auch dem gerichtlichen Programm der Überprüfung der Ermessensentscheidung. Ein solcher Fall einer doppelten Begründung liegt allerdings nicht schon dann vor, wenn die Bauaufsichtsbehörde materielle Gesichtspunkte in ihrer Verfügung erwähnt. Nur dann, wenn die Behörde ihr Einschreiten erkennbar (auch) von der materiellen Baurechtswidrigkeit des Vorhabens abhängig macht, sie also jedenfalls implizit zu erkennen gibt, dass die formelle Baurechtswidrigkeit allein aus ihrer Sicht ein Einschreiten nicht erfordert hätte, unterstellt sie damit auch die materielle Baurechtswidrigkeit der gerichtlichen Kontrolle Senatsbeschl. v. 11.5.2015 - 1 ME 31/15 -, BauR 2015, 1317 = BRS 83 Nr. 101 = juris Rn. 18). Letzteres ist hier nicht der Fall. Zwar hat die Antragsgegnerin nach der Feststellung, dass ein formell baurechtswidriger Zustand vorliege (Bescheid v. 7.3.2023 S. 2) auch Ausführungen zur planungsrechtlichen Genehmigungsfähigkeit gemacht. Gleichzeitig hat sie aber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die formelle Rechtswidrigkeit für ihre Entscheidung ausschlaggebend war (Bescheid v. 7.3.2023 S. 4). Folgerichtig hat das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Nutzungsuntersagung lediglich geprüft, ob die ungenehmigte Ferienvermietung offensichtlich genehmigungsfähig ist, und dies zutreffend - der Senat macht sich die entsprechenden Ausführungen gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO zu eigen - verneint. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung, sondern zeigt vielmehr, dass die an diese Ausnahmekonstellation zu stellenden Voraussetzungen (vgl. zum Maßstab Senatsbeschl. v. 9.6.2020 - 1 ME 108/19 - BauR 2020, 1444 = BRS 88 Nr. 90 = juris Rn. 19) offensichtlich nicht vorliegen. Soweit der Vortrag der Antragsteller, die Prüfung habe hierbei grundsätzlich nicht nach den Maßstäben eines Baugenehmigungsverfahrens zu erfolgen, sondern es "genüge" eine Offensichtlichkeitsprüfung (Beschwerdebegr. v. 10.8.2023, S. 9), dahingehend zu verstehen sein sollte, dass an die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit geringere Anforderungen als an eine genehmigungsrechtliche "Vollprüfung" zu stellen sind, ist das Gegenteil der Fall.
c)
Das Verwaltungsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorlag. Für die Bewertung der Vollzugs- und Aufschubinteressen im Rahmen des Sofortvollzugs hat das Gericht auch Umstände zu berücksichtigen, die erst nach der letzten Behördenentscheidung entstanden oder bekannt geworden sind (Puttler, in: Sodan/Ziekow, 5. Aufl. 2018, VwGO § 80 Rn. 162). Vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hatte die Antragsgegnerin in einem gleichgelagerten Fall die sofortige Vollziehung im Widerspruchsbescheid angeordnet (Bescheid v. 11.7.2023) und für die weiteren Fälle angekündigt, entsprechend zu verfahren. Diese Ankündigung hat sie mit den in den gleich gelagerten Verfahren erlassenen Widerspruchsbescheiden vom 7. August 2023 umgesetzt, sodass spätestens zu diesem Zeitpunkt ein Gleichheitsverstoß nicht mehr vorlag und dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen der Antragsteller die Grundlage entzogen war. Dass die Annahme der Antragsgegnerin, sie müsse im Falle der Antragsteller aufgrund der angezeigten Nachbarstörung, nicht aber in den in der Folge dieser Anzeige ermittelten, im Hinblick auf die ungenehmigte Nutzung gleich gelagerten Fällen anordnen, den Anforderungen des Gleichheitssatzes möglicherweise nicht standhält, ist aufgrund des maßgeblichen Entscheidungszeitpunkts unerheblich.
Soweit die Antragsteller meinen, dem besonderen Vollzugsinteresse das Verhalten der Antragsgegnerin entgegenhalten zu können, verfängt dies nicht. Das Ziel, der Ordnungsfunktion des formellen Baurechts zur Durchsetzung zu verhelfen und dem sich insoweit rechtswidrig verhaltenden Bürger keinen Vorteil gegenüber dem rechtstreuen Bauherrn zu verschaffen, ist ein besonderes öffentliches Interesse, das die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigt. Selbst wenn die Antragsgegnerin - wie die Antragsteller behaupten - jahrzehntelang nicht gegen die ihr "bekannte massenhafte ungenehmigte Ferienwohnungsnutzung" in ihrem Gebiet vorgegangen sein sollte, tragen sie selbst vor, dass sich dies in den letzten Jahren geändert hat. Selbst wenn der - unbelegte - Vorwurf zutreffend sein sollte, rechtfertigt dies weder das rechtswidrige Verhalten der Antragsteller noch zwingt es die Antragsgegnerin, diesen im laufenden Verfahren der Nutzungsuntersagung die Möglichkeit der Legalisierung ihrer illegalen Nutzung zu eröffnen. Abgesehen davon haben die Antragsteller einen erst nach Erlass der Nutzungsuntersagung im März 2023 gestellten Bauantrag bereits im Mai 2023 zunächst wieder zurückgezogen. Einen erneut Ende Juni 2023 gestellten Bauantrag auf Nutzungsänderung hat die Antragsgegnerin nach eigenen Angaben mit Bescheid vom 14. August 2023 abgelehnt.
2.
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Festsetzung des Streitwertes, über die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG der Senat entscheidet, hat ebenfalls keinen Erfolg. Eine Differenzbetrachtung zwischen der untersagten Nutzung und der darüber hinaus verbleibenden zulässigen Nutzung sieht der Streitwertkatalog - wie das Verwaltungsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 5. Januar 2024 (Az.: ) zutreffend ausgeführt hat - nicht vor. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Senats, nach der auch in sonstigen baurechtlichen Verfahren, in denen der Bauherr ein Vorhaben bzw. eine Nutzung an die Stelle eines/einer anderen setzen möchte, regelmäßig keine Differenzbetrachtung erfolgt (Senatsbeschl. v. 30.10.2020 - 1 OA 141/20 -, juris Rn. 3).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren mit dem Aktenzeichen 1 ME 104/23 gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 9.000 EUR festgesetzt und entspricht damit der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, die nicht zu beanstanden ist (s.o.). Der Festsetzung eines Streitwerts für das Verfahren mit dem Aktenzeichen 1 OA 105/23 bedarf es nicht, weil für das Verfahren eine Festgebühr vorgesehen ist (vgl. KV Nr. 5502 der Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).