Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.06.2020, Az.: 1 KN 93/18

Auslegungsbekanntmachung; Umweltbelange; Umweltbericht; umweltbezogene Informationen; Umweltbezug

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.06.2020
Aktenzeichen
1 KN 93/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71957
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Geht die planende Gemeinde davon aus, dass ein Bebauungsplan keine Umweltbelange berührt und ihr deshalb keine umweltbezogenen Informationen vorliegen, muss sie darauf in der Auslegungsbekanntmachung gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB hinweisen (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 11.9.2014 - 4 CN 1.14 -, NVwZ 2015, 232 = juris Rn. 14; Urt. v. 29.9.2015 - 4 CN 1.15 -, NVwZ 2016, 84 = juris Rn. 9).

2. Ein Umweltbericht gemäß § 2a BauGB ist auch dann zu erstellen, wenn aus Sicht der planenden Gemeinde Umweltbelange nicht berührt sind.

Tatbestand:

Der Antragsteller wendet sich gegen die 6. Änderung des Bebauungsplans Nr. 34.1 „F. Straße“, weil die darin getroffene Höhenfestsetzung einem von ihm beabsichtigten Bauvorhaben entgegensteht.

Der Antragsteller ist (u.a.) Eigentümer des im Stadtteil G. der Antragsgegnerin gelegenen Grundstücks A-Straße (Gemarkung G. Flur 5 Flurstücke H., I.). Die F. Straße verläuft - getrennt durch eine Waldfläche - in etwa parallel zum Deich bzw. zum J. Nordseestrand. Das Grundstück des Antragstellers liegt südlich der F. Straße im Bereich zwischen J. Allee (westlich) und K. weg (östlich) und ist mit einem mehrgeschossigen Appartementhaus mit Ferienwohnungen bebaut; weitere Teile des Grundstücks werden als Campingplatz genutzt.

Der Bebauungsplan Nr. 34.1 „F. Straße“, dessen 6. Änderung streitgegen-ständlich ist, stammt in seiner Ursprungsfassung aus dem Jahr 1974 und umfasst Bereiche nördlich und südlich der F. Straße. Für das Grundstück des Antragstellers setzt der Bebauungsplan seit seiner im Jahr 2003 in Kraft gesetzten 2. Änderung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ein Sondergebiet „Fremdenbeherbergung und Camping“ fest, in dem nach textlicher Festsetzung u.a. Appartementhäuser zulässig sind. Die Bauweise ist als offen bestimmt. Bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung sind eine Grundflächenzahl von 0,4, eine Geschossflächenzahl von 1,2 und eine Zahl der Vollgeschosse von VIII als Höchstmaß festgesetzt. Eine Bestimmung zur Höhe baulicher Anlagen besteht nicht.

Im Februar 2016 stellte der Antragsteller eine später geringfügig modifizierte Bauvoranfrage zum Neubau eines Appartementhauses auf seinem Grundstück. Das Gebäude sollte über zwei Untergeschosse, acht Vollgeschosse und ein Staffelgeschoss verfügen und insgesamt 43 Ferienappartements aufnehmen. Die Gebäudehöhe soll rund 30 m betragen und das westlich benachbarte Appartementhaus um rund 4,50 m überragen. Daraufhin erließ die Antragsgegnerin am 29. Juni 2016 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung einen Zurückstellungsbescheid sowie wenig später eine Veränderungssperre. Die Bauvoranfrage ist - soweit ersichtlich - bislang unbeschieden.

Schon vor Erlass des Zurückstellungsbescheids, in seiner Sitzung vom 9. Juni 2016, hatte der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin beschlossen, die 6. Änderung des Bebauungsplans Nr. 34.1 „F. Straße“ aufzustellen. Diese Änderung betrifft einen auch das Grundstück des Antragstellers umfassenden Teilbereich des Geltungsbereichs des Ursprungsbebauungsplans. Der Änderungsbereich wird im Norden durch die F. Straße, im Osten durch den L. weg sowie im Süden durch die erste Bautiefe (nördlich der Jugendherberge am K. weg auch zweite Bautiefe) entlang der F. Straße begrenzt und reicht im Westen bis nahezu bis an die J. Allee. Textlich ist unter „2. Höhe baulicher Anlagen“ bestimmt:

„Das Plangebiet ist in zwei Teilbereiche aufgegliedert und werden durch den K. weg (Gemarkung…) voneinander in einen westlichen und östlichen Teil getrennt.

Westlich des K. wegs ist die Zahl der Vollgeschosse auf VIII als Höchstmaß begrenzt. Die Gebäudehöhe darf hier zusätzlich maximal 25,50 m betragen. Östlich des K. wegs ist die Zahl der Vollgeschosse auf IV als Höchstmaß begrenzt. Die Gebäudehöhe darf hier zusätzlich maximal 18,00 m betragen.

Der Bezugspunkt für die Festsetzung der maximalen Gebäudehöhe ist der höchste Punkt der Erschließungsstraße F. Straße mittig vor der straßenseitigen Fassade des Gebäudes. Untergeordnete Dachaufbauten, Schornsteine, Antennen u.ä. dürfen diese Höhenbegrenzung geringfügig überschreiten.“

In der Begründung der 6. Änderung ist zum „Anlass und Ziel der Planung“ ausgeführt, dass für die Bebauung auf der Südseite der F. Straße die bisher nur durch die Festsetzung von Geschossigkeiten als bauliches Höchstmaß für Gebäude vorgenommene Gliederung zusätzlich durch Höchstmaße in Metern festgelegt werden solle. Anlass der Planung sei das Bauprojekt des Antragstellers, das den Rahmen der bisher festsetzungskonformen Bebauung durch findige Ausnutzung dieser Festsetzung in der Höhe bei Weitem überträfe. Zur „Planungskonzeption“ heißt es, dass durch eine präzisere Höhenfestsetzung, die durch Inanspruchnahme der bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten herbeigeführt werden solle, ein dem Ortsbild nicht mehr entsprechendes Übermaß an Gebäudeproportionen ausgeschlossen und insbesondere die künftigen zulässigen Bauhöhen sinnvoll begrenzt werden sollten. Die Maßfestsetzungen orientierten sich dabei am vorhandenen Bestand.

Das weitere Planaufstellungsverfahren gestaltete sich wie folgt: Eine frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 BauGB wurde in Form einer Informationsveranstaltung am 9. August 2016 durchgeführt. Die öffentliche Auslegung der Planänderung mit Begründung nach § 3 Abs. 2 BauGB wurde im Zeitraum 1. Februar 2017 bis 8. März 2017 durchgeführt. Die Bekanntmachung hierfür war in den F. Nachrichten vom 21. Januar 2017 erfolgt. Zu umweltbezogenen Informationen enthielt diese keinerlei Angaben. Ein Umweltbericht wurde nicht erstellt.

Der Antragsteller, der sein geplantes Vorhaben wegen der für sein Grundstück bestimmten Höhenfestsetzung nicht realisieren konnte, erhob unter dem 6. März 2017 Einwendungen. Unter Bezugnahme auf die von ihm gestellte Bauvoranfrage machte er geltend, dass eine unzulässige Verhinderungsplanung vorliege. Außerdem befänden sich im weiteren Verlauf der F. Straße - außerhalb des Änderungsgebiets - Baukörper mit einer Höhe von bis zu 30 m. Aufgrund der örtlichen und topographischen Verhältnisse, die insbesondere durch den an der F. Straße gelegenen Deich bestimmt seien, ergäbe sich keine planerische Notwendigkeit der Aufnahme einer Höhenbeschränkung auf 25,50 m. Die Höhen der Baukörper an der F. Straße seien unterschiedlich. Ein historisch gewachsenes geschlossenes Baukörperbild bestehe nicht. Insoweit seien z.B. das Objekt F. M. mit mindestens 12 Geschossen sowie das Gebäude „Haus N.“ in der F. Straße O. und das „Haus P.“ in der F. Q. zu nennen.

In seiner Sitzung vom 4. Mai 2017 stimmte der Rat der Antragsgegnerin den in der Anlage zur Sitzungsvorlage beigefügten Stellungnahmen zur öffentlichen Auslegung zu und beschloss den Bebauungsplan Nr. 34.1 „F. Straße“, 6. Änderung als Satzung. Nach Ausfertigung durch den Oberbürgermeister der Antragsgegnerin am 5. Juni 2017 wurde der Satzungsbeschluss am 24. August 2017 im Amtsblatt für den Landkreis C. bekannt gemacht.

Unter dem 7. März 2018 machte der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin verschiedene Verfahrens- und Formfehler - unter anderem einen fehlenden Umweltbericht und eine nicht ausreichende Auslegungsbekanntmachung - geltend, zog erneut die Erforderlichkeit der Planänderung in Zweifel und hielt an seiner Auffassung fest, dass es sich um eine unzulässige Verhinderungsplanung handele.

Am 10. Juli 2018 hat der Antragsteller Normenkontrollantrag gestellt. Zur Begründung hält er insbesondere seine vorgenannten Rügen aufrecht. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin würde durch das von ihm beabsichtigte Bauvorhaben kein Präzedenzfall geschaffen, da sich bereits in unmittelbarer Umgebung vergleichbare Baukörper befänden.

Der Antragsteller beantragt,

dem vom Rat der Antragsgegnerin am 4. Mai 2017 als Satzung beschlossenen Bebauungsplan Nr. 34.1 „F. Straße“, 6. Änderung für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Normenkontrollantrag abzulehnen.

Sie ist der Auffassung, dass das Planaufstellungsverfahren fehlerfrei sei. Eine Verhinderungsplanung liege nicht vor, weil sie das städtebauliche Ziel verfolge, ein dem Ortsbild nicht mehr entsprechendes Übermaß an Gebäudeproportionen auszuschließen und insbesondere die künftigen zulässigen Bauhöhen sinnvoll zu begrenzen. Deshalb treffe der Plan differenzierte Höhenfestsetzungen, die sich an dem Bestand orientierten. Im westlichen Geltungsbereich stellten die Gebäude F. R. S. mit maximal 25,24 m die höchsten Gebäude dar. Östlich werde aufgrund des von dem Gebäude F. T. gesetzten Maßstabs die zulässige Höhe auf 18,00 m festgesetzt. Soweit weiter westlich eine höhere Bebauung vorhanden sei, sei dies historisch begründet, für den hier maßgeblichen Bereich aber nicht prägend. Aufgrund dieser städtebaulichen Absichten habe sie die Erweiterungswünsche des Antragstellers in der Abwägung fehlerfrei zurückgestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der zulässige Normenkontrollantrag ist begründet.

Der Bebauungsplan Nr. 34.1 „F. Straße“, 6. Änderung ist aus formellen Gründen unwirksam. Die Beteiligung der Öffentlichkeit (§ 3 BauGB) ist nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden; zudem ist die Begründung des Bebauungsplans (§ 9 Abs. 8 BauGB) fehlerhaft. Materiellrechtlich wäre der Plan dagegen voraussichtlich nicht zu beanstanden.

Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 BauGB, der hier ebenso wie die übrigen Vorschriften des Baugesetzbuchs gemäß § 233 Abs. 1 Satz 1 BauGB in der zum Zeitpunkt des Aufstellungsbeschlusses maßgeblichen Gesetzesfassung Anwendung findet, sind die Entwürfe der Bauleitpläne mit der Begründung und den nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen für die Dauer eines Monats öffentlich auszulegen. Ort und Dauer der Auslegung sowie Angaben dazu, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, sind mindestens eine Woche vorher ortsüblich bekannt zu machen. Die Vorschrift verlangt mithin, dass in der Auslegungsbekanntmachung ausgeführt wird, welche Arten umweltbezogener Informationen der planenden Gemeinde vorliegen. Das gilt auch dann, wenn die Gemeinde - wie hier - der Auffassung ist, der Plan wirke sich auf die Umwelt nicht aus. Diese Einschätzung, dass ein Plan keine Auswirkungen auf die Umwelt entfaltet, stellt nach dem Sinn und Zweck des § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB und der dieser Vorschrift zugrundeliegenden europarechtlichen Vorgaben selbst eine umweltbezogene Information dar, auf die hinzuweisen ist. Denn auch ein solcher Hinweis entfaltet die von § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB bezweckte Anstoßwirkung, indem er die Bürger veranlasst, die Einschätzung der Gemeinde kritisch zu hinterfragen und auf möglicherweise doch betroffene Umweltbelange hinzuweisen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.9.2014 - 4 CN 1.14 -, NVwZ 2015, 232 = juris Rn. 14; Urt. v. 29.9.2015 - 4 CN 1.15 -, NVwZ 2016, 84 = juris Rn. 9). Da der Hinweis fehlt und der Antragsteller dies rechtzeitig gerügt hat (§ 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB), liegt ein gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB beachtlicher Fehler vor, der zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führt.

Gemäß § 9 Abs. 8, §§ 2a, 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB hat die Gemeinde dem Bebauungsplan selbst sowie dem Planentwurf im Aufstellungsverfahren eine Begründung beizufügen; diese Begründung muss gemäß § 2a Abs. 3 BauGB einen Umweltbericht nach Anlage 1 als einen gesonderten Teil der Begründung enthalten. Ein solcher Umweltbericht fehlt; dieser ist auch - ebenso wie der Hinweis auf die verfügbaren Arten umweltbezogener Informationen nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB - nicht deshalb ausnahmsweise entbehrlich, weil die Antragsgegnerin davon ausging, dass Umweltbelange nicht nachteilig betroffen waren. Ein gänzlich fehlender Umweltbericht stellt vielmehr gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB grundsätzlich - und so auch hier - einen beachtlichen Fehler dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.8.2009 - 4 CN 4.08 -, BVerwGE 134, 264 = juris Rn. 19 f.), den der Antragsteller fristgemäß gegenüber der Antragsgegnerin gerügt hat.

Für den Fall, dass die Antragsgegnerin ein ergänzendes Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB durchführen möchte, merkt der Senat zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten allerdings an, dass die materiellen Einwände dem Normenkontrollantrag voraussichtlich nicht zum Erfolg verholfen hätten. Eine gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB verstoßende Verhinderungsplanung liegt angesichts der von der Antragsgegnerin benannten städtebaulichen Zielsetzungen nicht vor; dass sie das Bauvorhaben des Antragstellers zum Anlass für ihre Planung genommen hat, ist - wie schon aus den §§ 14 ff. BauGB folgt - nicht zu beanstanden. Der Senat vermag auch keinen Fehler in der gemäß § 1 Abs. 7 BauGB vorzunehmenden Abwägung zu erkennen. Es begegnet keinen Bedenken, dass die Antragsgegnerin die in der näheren Umgebung bereits vorhandenen Bauhöhen als Maßstab für die geplante Höhenfestsetzung herangezogen und weiter entfernt liegende höhere Gebäude unberücksichtigt gelassen hat. Die Wertung der Antragsgegnerin, nach der die J. Allee eine städtebauliche Zäsur zwischen dem westlich gelegenen und höher verdichteten Kernbereich und den weiter östlich liegenden und weniger umfangreich bebauten Quartieren bewirkt, ist für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar. Dass sie mit Blick auf ihre städtebaulichen Zielsetzungen das Interesse des Antragstellers an einem höheren und damit gewinnbringender zu nutzenden Gebäude zurückgestellt hat, begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Die Höhenbegrenzung auf 25,50 m ermöglicht im Zusammenspiel mit den übrigen Festsetzungen immer noch eine sehr weitgehende bauliche Ausnutzung der Plangrundstücke.