Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.12.2009, Az.: 9 ME 108/09
Aufspaltung einer öffentlichen Einrichtung i.S.v. § 6 Abs. 1 niedersächsisches Kommunalabgabengesetz (NKAG) durch angrenzende Außenbereichsflächen an die an der Einrichtung belegenen Innerortsstraße; Voraussetzungen einer wirksamen Abschnittsbildung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 22.12.2009
- Aktenzeichen
- 9 ME 108/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 29597
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2009:1222.9ME108.09.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- DVBl 2010, 264-265
- FStNds 2010, 229-231
- Städtetag 2010, 48
Amtlicher Leitsatz
- 1)
Eine bei natürlicher Betrachtungsweise bestehende öffentliche Einrichtung im Sinne von § 6 Abs. 1 NKAG wird nicht dadurch in mehrere öffentliche Einrichtungen aufgespalten, dass an die auf ganzer Länge als Innerortsstraße einzustufende Straße Außenbereichsflächen angrenzen.
- 2)
Eine wirksame Abschnittsbildung setzt voraus, dass das Bauprogramm der Gemeinde einen Ausbau über den ausgebauten Abschnitt hinaus vorsieht (wie OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.8.2005 - 2 LB 38/04 - NordÖR 2006, 84 = Die Gemeinde 2007, 237).
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (3 A 175/07) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. Oktober 2007 zu Unrecht abgelehnt.
Nach der im Beschwerdeverfahren gebotenen summarischen Prüfung des angefochtenen Bescheids ergeben sich erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Heranziehung des Antragstellers zu Straßenausbaubeiträgen für den Ausbau der Straße C. auf der Teilstrecke zwischen der Kreisverkehrsanlage im Norden und der südlich gelegenen Einmündung der D. - Straße. Denn die von der Antragsgegnerin beschlossene Abschnittsbildung stellt nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand keine tragfähige Grundlage für die Abrechnung der durchgeführten Ausbaumaßnahme dar.
Im Ergebnis zuzustimmen ist dem Verwaltungsgericht allerdings in seiner Bewertung, dass der ausgebaute Straßenabschnitt vom Kreisverkehr im Norden bis zur D. - Straße im Süden Teil einer einheitlichen öffentlichen Einrichtung im Sinne des § 6 Abs. 1 NKAG ist. Öffentliche Einrichtung ist jeder Straßenzug, den der unbefangene Beobachter bei natürlicher Betrachtungsweise als selbstständiges, von anderen Straßen abgegrenztes Element des gemeindlichen Straßenverkehrsnetzes ansieht. In eng begrenzten Ausnahmefällen kann es notwendig sein, an der Maßgeblichkeit des anhand einer natürlichen Betrachtungsweise festgelegten Einrichtungsbegriffs nicht festzuhalten. Eine solche Notwendigkeit besteht nicht schon dann, wenn eine Innerortsstraße teils beidseitige und teils einseitige Bebauung aufweist; sie zerfällt deshalb nicht in mehrere selbstständige öffentliche Einrichtungen. Umstände, die ein Abweichen von dem herkömmlichen Einrichtungsbegriff gebieten, hat der Senat u.a. für den Fall angenommen, dass eine Außenbereichsstraße zur Innerortsstraße wird bzw. eine Innerortsstraße in den Außenbereich eintritt und die öffentliche Einrichtung deshalb dort beginnt bzw. endet, wo der Straßentyp sich ändert (Beschluss des Senats vom 21.12.2005 - 9 ME 327/05 - a.a.O. und vom 12.1.2006 - 9 ME 245/05 - a.a.O.). In solchen Fällen hat das sonst maßgebliche tatsächliche Erscheinungsbild der Anlage keine ausschlaggebende Bedeutung mehr, weil straßenausbaubeitragsrechtlich dem Umstand Rechnung getragen werden muss, dass verschiedene Straßentypen (einerseits Innerortsstraße, andererseits Außenbereichsstraße), für die unterschiedliche Anliegeranteile gelten, bestehen (Beschlüsse des Senats vom 19.12.2008 - 9 LA 99/06 - NdsVBl 2009, 170 und vom 22.12.2008 - 9 LA 156/08 -).
Diese Rechtsprechung führt im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht zu der Annahme, die bei natürlicher Betrachtungsweise einheitliche öffentliche Einrichtung C. zerfalle aus Rechtsgründen in mehrere öffentliche Einrichtungen. Sie bezieht sich nämlich auf die Fälle eines Wechsels von einer Innerortsstraße zu einer Außenbereichsstraße. Der entlang der Straße C. teilweise vorhandene bauplanungsrechtliche Außenbereich ändert indessen nichts daran, dass die Straße C. auf ganzer Länge als Innerortsstraße einzustufen ist und an keiner Stelle zur Außenbereichsstraße wird. Dies gilt auch insoweit, als das nördliche Teilstück von rund 200 m Länge nach den unwidersprochen gebliebenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts beidseitig im Außenbereich liegt. Denn auch Straßenstrecken innerhalb der geschlossenen Ortslage, die im baurechtlichen Außenbereich liegen, gehören zu den Ortsstraßen im Sinne des § 47 Nr. 1 NStrG, sofern sie dem durch den Anbau verursachten inneren örtlichen Verkehr dienen bzw. sich als organisches Verbindungsglied im inneren Ortsstraßennetz darstellen (vgl. Germershausen/Seydel, Wegerecht und Wegeverwaltung in Preußen, Bd. 1, 1932, S. 17; Kodal/Krämer u.a., Straßenrecht, 6. Aufl. 1999, Kapitel 8 Rn. 11.2). Hiervon kann bei dem 200 m langen Teilstück ausgegangen werden, weil es den Verkehr innerhalb der sich nach Norden fortsetzenden geschlossenen Ortslage vermittelt und Teil des innerörtlichen Verkehrsnetzes ist. Da die Straße C. somit auf ihrer gesamten Länge als Innerortsstraße einzustufen ist, entfällt der straßenausbaubeitragsspezifische Grund, eine Abweichung von dem sich an einer natürlichen Betrachtungsweise orientierenden Einrichtungsbegriff und eine Aufspaltung in verschiedene Einrichtungen vorzunehmen.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist die vom Rat beschlossene Abschnittsbildung nicht rechtsfehlerfrei erfolgt. Nach § 6 Abs. 4 NKAG kann der Aufwand auch für Abschnitte einer Einrichtung ermittelt werden, wenn diese selbstständig in Anspruch genommen werden können. Den Gemeinden steht bei ihrer Entscheidung darüber, ob und wo sie einen Abschnitt bilden, ein Ermessen zu, das seine Schranke im Willkürverbot findet und unter Beachtung des Zwecks, den der Gesetzgeber mit der Einführung des Rechtsinstituts der Abschnittsbildung verfolgt hat, ausgeübt werden muss. Nach dem Willen des Gesetzgebers stellt die Abschnittsbildung ein im Interesse der Finanzsituation der Gemeinden zugelassenes Vorfinanzierungsinstitut dar. Die Möglichkeit der Abschnittsbildung soll die Gemeinde in die Lage versetzen, bei auf den Ausbau der öffentlichen Einrichtung in ganzer Länge abzielenden Maßnahmen, die sich über mehrere Straßenabschnitte erstrecken und einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, Ausbauabschnitte gesondert endgültig abzurechnen (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.8.2005 - 2 LB 38/04 - NordÖR 2006, 84 = Die Gemeinde 2007, 237). Bei einer von vornherein auf einen bestimmten Abschnitt einer öffentlichen Einrichtung beschränkten Baumaßnahme ist für eine Abschnittsbildung kein Raum, weil das Institut der Abschnittsbildung im Blick auf seine Vorfinanzierungsfunktion nicht dazu dient, einzig ein auf den Abschnitt beschränktes eigenständiges Abrechnungsgebiet zu schaffen. Letztlich soll Gegenstand der Abrechnung immer der Ausbau der öffentlichen Einrichtung auf ganzer Länge sein. Die nach einer Abschnittsbildung auf den einzelnen Abschnitt beschränkte Abrechnung kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn damit eine Vorfinanzierung angestrebt wird und die Anlieger im Bereich des noch nicht ausgebauten Abschnitts später für eine vergleichbare Baumaßnahme zu Beiträgen herangezogen werden sollen. Daher setzt eine wirksame Abschnittsbildung voraus, dass das Bauprogramm der Gemeinde einen Ausbau über den ausgebauten Abschnitt hinaus vorsieht (ebenso OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.8.2005 - 2 LB 38/04 - a.a.O. und wohl auch Hessischer VGH, Beschluss vom 8.10.1999 - 5 ZU 4103/98 - zitiert nach [...] sowie Driehaus in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand Sept. 2009 § 8 Rdnr. 289i u 289k). Das Bauprogramm muss weitere Teilstrecken der öffentlichen Einrichtung erfassen, von der Gemeinde aber nicht in einem Zug, sondern etappenweise, eben in Abschnitten umgesetzt werden (Driehaus, ZMR 2008, 849, 852).
Diesen rechtlichen Vorgaben scheint die von der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 17. März 2008 vorgenommene Abschnittsbildung nicht standzuhalten. Denn ein Bauprogramm, das den Ausbau der öffentlichen Einrichtung C. auch außerhalb des abgerechneten Abschnitts vorsieht, vermag der Senat - jedenfalls nach dem im Beschwerdeverfahren erkennbaren Sach- und Streitstand - nicht festzustellen. Den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin sind keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass ihre Planungen in Form eines wirksamen Bauprogramms einen Ausbau über die südliche Abschnittsgrenze an der D. - Straße hinaus bis zum Ende der öffentlichen Einrichtung vorsehen. Sie sprechen vielmehr dafür, dass allein der abgerechnete Ausbau der Straße C. Gegenstand der Ausbauplanung war. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts lässt allein der Umstand der Abschnittsbildung nicht darauf schließen, dass auch noch der Ausbau auf der weiteren Straßenstrecke südlich der D. - Straße beabsichtigt ist. Obwohl der Antragsteller die Absicht der Antragsgegnerin, in absehbarer Zeit den restlichen Teil der Straße auszubauen, im Beschwerdeverfahren substanziiert bestritten hat, hat die Antragsgegnerin weder behauptet, ein weitergehender Ausbau sei beabsichtigt gewesen, noch hat sie für einen weiteren Ausbau sprechende Unterlagen vorgelegt. All dies spricht dafür, dass die Antragsgegnerin die ausgebaute Teilstrecke der Straße C. nicht "verselbstständigt" im Wege der Abschnittsbildung abrechnen kann.
Die vorgenommene Abrechnung lässt sich schließlich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der tatsächlich vorgenommene Ausbau einer Teilstrecke sei auch ohne Abschnittsbildung eigenständig abrechenbar. Der Senat hat in seiner Rechtsprechung (Urteil vom 7.9.1999 - 9 L 393/99 - a.a.O., Beschluss vom 23.3.2000 - 9 M 4288/99 - und Urteil vom 11.7.2007 - 9 LC 262/04 -) die Beitragsfähigkeit der auf einer Teilstrecke durchgeführten Erneuerungsmaßnahme für den Fall anerkannt, dass die Erneuerung nur in einem Teilbereich notwendig, das nicht ausgebaute Reststück also nicht erneuerungsbedürftig ist. Dabei muss die Ausbaustrecke innerhalb der öffentlichen Einrichtung einen nicht nur untergeordneten Teilbereich erfassen und die Gemeinde sowohl die Notwendigkeit eines nur teilweisen Ausbaus als auch Umfang sowie Beendigung der Baumaßnahmen deutlich machen.
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann ein beitragsfähiger Teilstreckenausbau vorliegend nicht bejaht werden. Dieser scheitert bereits daran, dass das nicht ausgebaute Reststück der Straße C. nach der Annahme des Verwaltungsgerichts, der die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren nicht entgegengetreten ist, ebenfalls erneuerungsbedürftig ist und sich die Notwendigkeit des Ausbaus damit nicht auf die hier ausgebaute Teilstrecke beschränkt.
Nach alledem ist die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Heranziehungsbescheid der Antragsgegnerin vom 4. Oktober 2007 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen. Da der angefochtene Verwaltungsakt aufgrund der Zahlung des Antragstellers bereits vollzogen ist und der Senat die Beseitigung der Vollzugsfolgen in Höhe des streitigen Betrags von 57.742,65 EUR als angemessen ansieht, hebt er insoweit gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO die Vollziehung auf. Die Antragsgegnerin hat diesen Betrag umgehend an den Antragsteller zurückzuzahlen.