Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 21.05.2010, Az.: 3 A 175/07

Anforderungen an die Festsetzung von Straßenausbaubeiträgen; Möglichkeit der Heilung eines unwirksamen Gemeinderatsbeschlusses über die Abschnittsbildung durch die Verwaltung oder einen Beschluss des Verwaltungsausschusses der Gemeinde; Voraussetzungen für eine Abschnittsbildung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
21.05.2010
Aktenzeichen
3 A 175/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 17533
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2010:0521.3A175.07.0A

Amtlicher Leitsatz

Die Abschnittsbildung ist ein Vorfinanzierungsinstitut und setzt ein Bauprogramm voraus, das einen Ausbau der Straße auf ganzer Länge vorsieht. An dem grundsätzlichen Erfordernis des Ausbaus auf ganzer Länge der öffentlichen Einrichtung - etwa Erneuerung oder Verbesserung - ändert sich durch die gesetzlich eröffnete Möglichkeit der Abschnittsbildung nichts.

Die Abschnittsbildung ist eine Ermessentscheidung des Gemeinderates. Das Bauprogramm, das einen weiterführenden Ausbau der öffentlichen Einrichtung vorsieht, ist konstitutive Grundlage für den Abschnittsbildungsbeschluss als Ermessensentscheidung.

Ein unwirksamer Gemeinderatsbeschluss über die Abschnittsbildung kann nicht durch die Verwaltung oder einen Beschluss des Verwaltungsausschusses der Gemeinde geheilt werden. Der Respekt vor dem ausschließlich dem Gemeinderat zuzubilligenden Entscheidungsspielraum bei der Abschnittsbildung gebietet es, allein dem Rat die Heilungsmöglichkeit zu eröffnen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Straßenausbaubeitragen.

2

Die Beklagte baute die Straße Im Suren Winkel in Adendorf im Jahre 2006 auf einer Teillänge aus. Am 27. März 2008 beschloss der Rat der Beklagten, einen Abschnitt zu bilden zwischen der Kreisverkehrsanlage am Friedhof (im Norden) bis zum Ende der Einmündung der Von-Stauffenberg-Straße (im Süden). Die Strecke hat eine Länge von 633 m. Westlich der Straße befinden sich auf rund 500 m Länge landwirtschaftlich genutzte Grundstücke (rd. 97.000 qm groß), nur der südliche Bereich - über den Abschnitt hinaus weitergehend - ist bebaut. Östlich der Straße - dem Feld gegenüber und im Norden des Abschnittes - befindet sich auf 200 m Länge der Friedhof (rd. 51.000 qm groß), dann folgt in südlicher Richtung Bebauung von rd. 400 m Länge bis zu dem auf dem Grundstück des Klägers betriebenen Altenheim. Südlich des Altenheimes liegt ein Waldgrundstück mit einer Straßenlänge von 140 m (rd. 29.000 qm groß), dann schließt sich durchgehend bebautes Gelände an. Das Waldgrundstück liegt nur mit einer Frontlänge von 30 m in dem gebildeten Abschnitt. Die Freiflächen - die landwirtschaftlichen Flächen westlich und der Friedhof östlich der Straße - sind ringsumher bebaut, die Bebauung von Adendorf zieht sich in alle Richtungen weiter fort.

3

Die Beklagte erneuerte auf dem beschriebenen Abschnitt die Fahrbahn, legte beidseitig kombinierte Rad- und Gehwege an, erneuerte die Straßenbeleuchtung und stellte neue Straßeneinläufe her zur Ableitung des Regenwassers. Es entstanden Gesamtkosten von rund 660.000 EUR. Die Beklagte legte knapp 271.000 EUR auf die Anlieger um, da sie den ausgebauten Abschnitt einordnete als Straße, die überwiegend dem Durchgangsverkehr dient.

4

Mit Bescheid vom 4. Oktober 2007 wurden gegenüber dem Kläger Straßenausbaubeiträge in Höhe von 92.742,65 EUR festgesetzt und angefordert. Dabei veranlagte die Beklagte das (einheitliche) Grundstück, auf dem sich das Altenheim befindet zum Teil als zweigeschossig und zum Teil als viergeschossig, und es wurde ein Gewerbezuschlag angesetzt.

5

Der Kläger hat Klage erhoben. Er trägt vor, die Abschnittsbildung sei unzulässig. Ein weiterer Ausbau südlich des Abschnittes sei nach dem Ausbauprogramm nicht beabsichtigt.

6

Werde von vornherein nur eine Teilstrecke ausgebaut, verbiete sich eine Abschnittsbildung, und der Aufwand sei auf alle Grundstücke im gesamten Straßenverlauf umzulegen.

7

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 2007 über die Festsetzung von Straßenausbaubeiträgen für den Ausbau der Straße Im Suren Winkel aufzuheben.

8

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Sie hält die Heranziehung für rechtmäßig. Im Hinblick auf den Beschluss des Niedersächsischen OVG im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz, wonach der Abschnittsbildungsbeschluss fehlerhaft sei, habe der Verwaltungsausschuss am 1. Februar 2010 folgenden Beschluss gefasst:

10

Es war stets und ist auch heute noch eine Gesamterneuerung der Straße "Im Suren Winkel" von dem Kreisel am Friedhof bis zur Einmündung des "Rauhen Weges" vorgesehen. Der Rat ging bei seiner Beschlussfassung über die Abschnittsbildung am 27.03.2008 davon aus, dass der Ausbau abschnittsweise je nach Zustand der einzelnen Straßenabschnitte erfolgen sollte. Dabei sollte mit dem jetzt ausgebauten Teilabschnitt begonnen werden, da es den erneuerungsbedürftigsten Zustand aufwies. Die weiter südlich gelegenen Straßenteile sind in einem Zustand, der noch eine Nutzung für ca. 5 bis 8 Jahre erlaubt (s. beigefügte Auskunft des Tiefbauplanungsbüros). Da nach der Rechtsprechung Erneuerungsmaßnahmen nach dem NKAG nur abrechnungsfähig sind, wenn hier sofortiger Sanierungsbedarf gegeben ist, war zunächst nur der Abschnitt vom Kreisverkehr am Friedhof bis zur "von-Stauffenberg-Straße" als erster Teil der Gesamtsanierungsmaßnahme durchzuführen.

11

Im Übrigen diene die Straße nicht dem Durchgangsverkehr. Die Straße sei eine öffentliche Einrichtung mit starkem innerörtlichem Verkehr. Dies führe zu anderen Gemeinde- und Anliegeranteilen. Bei Annahme einer Innerortsstraße liege der Beitrag für das Grundstück des Klägers auch bei Einbeziehung von weiteren Grundstücken in jedem Fall über der bisherigen Festsetzung. Für das Grundstück seien dann über 101.000,00 EUR zu berechnen.

12

Der Kläger hatte im Hinblick auf einen Teilbetrag vorläufigen Rechtsschutz begehrt. Der Antrag hatte vor der Kammer keinen Erfolg (Beschl. v. 20.05.2009 - 3 B 93/08 -). Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht gab dem Antrag statt (Beschl. v. 22.12.2009 - 9 ME 108/09 -). Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht führte aus, der Abschnittsbildungsbeschluss sei fehlerhaft, weil Vieles dafür spreche, dass ein weiterer Ausbau auf der weiteren Straßenstrecke nicht beabsichtigt sei. Die Beklagte habe weder behauptet, ein weiter gehender Ausbau sei beabsichtigt, noch habe sie die für einen weiteren Ausbau sprechenden Unterlagen vorgelegt.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Insbesondere wird auf die Beschlüsse der Kammer vom 20. Mai 2009 (3 B 93/08) und des Niedersächsischen OVG vom 22. Dezember 2009 (9 ME 108/09) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Straßenausbaubeitragsbescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Bescheid ist deshalb nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben.

15

Die Straße Im Suren Winkel ist nicht auf ganzer Länger ausgebaut, und für die Abrechnung eines Abschnittes fehlt es an einem wirksamen Abschnittsbildungsbeschluss. Der bisher ergangene Abschnittsbildungsbeschluss ist unwirksam und hat keine Rechtswirkungen. Der Abschnittsbildungsbeschluss ist auch nicht durch die nachfolgende Erklärung des Verwaltungsausschusses der Beklagten geheilt worden.

16

Der für das Entstehen des Beitragsanspruches maßgebliche gesetzliche Grundtatbestand ist nach § 6 Abs. 1 NKAG die Erneuerung oder Verbesserung der "öffentlichen Einrichtung". Dies bedeutet, dass nach der zwingenden landesgesetzlichen Vorgabe für die Gemeinden der Ausbaubeitrag grundsätzlich erst mit dem Abschluss der Erneuerungs- oder Verbesserungsarbeiten an der öffentlichen Einrichtung insgesamt entstehen kann, d.h. an der öffentlichen Straße auf ihrer gesamten Länge. Bei der Verbesserung oder Erneuerung von Abschnitten (Teillängen) reicht es demzufolge nicht aus, dass das gemeindliche Ausbauprogramm realisiert ist. Als rechtliche Voraussetzung für das Entstehen des Beitragsanspruches bedarf es zusätzlich eines wirksamen Abschnittsbildungsbeschlusses nach § 6 Abs. 4 NKAG, für dessen Erlass der Gemeinderat zuständig ist (OVG Lüneburg, Beschl. v. 11.02.1987 - 9 B 122/86 -, KStZ 1987 Seite 151, seitdem ständige Rechtsprechung).

17

1.

Allgemein gilt für eine Abschnittsbildung:

18

a)

Die Abschnittsbildung ist ein Vorfinanzierungsinstitut und setzt ein Bauprogramm voraus, das einen Ausbau der Straße auf ganzer Länge vorsieht.

19

Die Abschnittsbildung erlaubt es der Gemeinde, die Aufwendungen für bestimmte Straßenstrecken alsbald nach Herstellung und Kostenausgabe durch Beiträge zu refinanzieren. Die Gemeinde muss nicht die Herstellung der gesamten Anlage abwarten, um den Aufwand zu decken. In diesem Sinne ist die Abschnittsbildung - wie die Kostenspaltung, die Vorausleistung und die Ablösung - ein Vorfinanzierungsinstitut (BVerwG, Urt. v. 07.06.1996 - 8 C 30.94 -, NVwZ 1998 Seite 67; Nds. OVG, Urt. v. 20.06.2007 - 9 LC 59/06 -, NSt-N 2007 Seite 317). Die Abschnittsbildung dient dem Zweck, den Zeitraum der Vorfinanzierung der Aufwendungen für die Gemeinde zu verkürzen. Eine wirksame Abschnittsbildung setzt also voraus, dass jenseits des Abschnittes weitere Baumaßnahmen erfolgen sollen, jedoch aus Kostengründen ein abschnittsweiser Ausbau und eine abschnittsweise Abrechnung erfolgt, damit die Gemeinde nicht den Ausbau der Gesamtanlage vorzufinanzieren hat. An dem grundsätzlichen Erfordernis des Ausbaus auf ganzer Länge der öffentlichen Einrichtung - etwa Erneuerung oder Verbesserung - ändert sich durch die gesetzlich eröffnete Möglichkeit der Abschnittsbildung nichts. Denn die Abschnittsbildung dient - wie ausgeführt - der Vorfinanzierung der streckenweise anfallenden Kosten, das Rechtsinstitut erlaubt es hingegen nicht, vom Ausbau der Straße in gesamter Länge abzusehen. Ist deshalb nach dem gemeindlichen Bauprogramm von vornherein und offensichtlich eine Weiterführung der Straßenbauarbeiten nicht beabsichtigt und ein weiterer Streckenausbau in keiner Weise absehbar, ist eine Abschnittsbildung willkürlich und unwirksam (Nds. OVG, Beschl. v. 22.12.2009 - 9 ME 108/09 -; VG Lüneburg. Urt. v. 06.07.2005 - 3 A 51/03 -; OVG SchleswigHolstein, Urt. v. 17.08.2005 - 2 LB 38/04 -). Nach der Rechtsprechung bedarf es allerdings im Hinblick auf den Ausbau der Straße in gesamter Länge keiner schriftlichen Festlegung des Bauprogramms und erst recht keiner förmlichen Festlegung durch Satzung oder Beschluss, solange sich jedenfalls die Grundsatzentscheidung für den Ausbau einer Straße auf ganzer Länge nebst räumlicher Ausdehnung bzw. Umfang der geplanten Maßnahme auf andere Weise zweifelsfrei feststellen lässt. Dabei kann sich der Umfang der geplanten Maßnahme auch auf der Grundlage von Ausbauplänen ergeben. Es reicht aus, wenn das jeweilige Bauprogramm (bzw. dessen Umfang) formlos durch die Verwaltung festgelegt ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.08.2003 - 9 ME 421/02 -, NVwZ-RR 2005, 133).

20

b)

Die Abschnittsbildung ist eine Ermessentscheidung des Gemeinderates.

21

Das Ausbauprogramm darf - wenn es durch die Verwaltung festgelegt ist - kein Verwaltungsinternum bleiben, ohne dem zur Abschnittsbildung berufenen Gemeinderat hiervon Kenntnis zu geben. Das Bauprogramm, das sich über den Abschnitt hinaus auf die gesamte Einrichtung bezieht, muss dem Gemeinderat unterbreitet werden. Er muss das Bauprogramm in seine Willensbildung aufnehmen können, wobei in diesem Zusammenhang auch eine Billigung ausreicht, d.h. eine zustimmende Kenntnisnahme des von der Verwaltung erstellten Programms (VG Schleswig, Urt. v. 10.6.2009 - 9 A 213/08 -). Auf die Kenntnis innerhalb des maßgeblichen Selbstverwaltungsgremiums ist abzustellen, weil für das (weiterführende) Bauprogramm insoweit nichts anderes gelten kann als für den Abschnittsbildungsbildungsbeschluss selbst (OVG Schleswig, Beschl. v. 03.09.1991 -2 M 8/91 -; Urt. v. 17.8.2005 - 2 LB 38/04 -). Denn das Bauprogramm, das einen weiterführenden Ausbau der öffentlichen Einrichtung vorsieht, ist konstitutive Grundlage für den Abschnittsbildungsbeschluss als Ermessensentscheidung. Ein Gemeinderat, der einen Abschnittsbildungsbeschluss fassen würde, ohne über Inhalt und Umfang des weiterführenden Bauprogramms informiert zu sein, würde sein Ermessen über das Ob der Abschnittsbildung und das Wo der Abschnittsgrenzen von vornherein nicht ermessensgerecht ausüben können. Das wäre mit der Stellung des Gemeinderates als dem höchsten Entscheidungsgremium in der Körperschaft nicht zu vereinbaren. Unklarheiten darüber, ob dem Rat im Zeitpunkt der Abschnittsbildung ein weiterführendes Bauprogramm vorgelegen hat, gehen zu Lasten der Gemeinde (OVG Schleswig, Urt. v. 21.10.2009 - 2 LB 15/09 -). Es kann im Interesse der Rechtssicherheit auch nicht angenommen werden, ein Gemeinderatsbeschluss über eine Abschnittsbildung ohne Kenntnis eines weiterführenden Bauprogramms sei (nur) schwebend wirksam oder schwebend unwirksam, bis dass ein weiterführendes Bauprogramm von der Verwaltung oder einem anderen Organ der Gemeinde nachgewiesen sei. Ein Abschnittsbildungsbeschluss des Gemeinderates ohne Kenntnis eines Bauprogramms, das über den fraglichen Abschnitt hinausgeht, ist vielmehr von vornherein unwirksam (nichtig). Ein Gemeinderatsbeschluss kann nur wirksam oder unwirksam sein.

22

2.

Daraus folgt für den vorliegenden Fall:

23

Der Rat der Beklagten hat am 27. März 2008 einen Abschnittsbildungsbeschluss erlassen, wonach der abzurechnende Abschnitt der Straße Im Suren Winkel sich erstreckt vom Kreisverkehrsplatz Friedhof im Norden bis zum südlichen Ende der Einmündung "von-Stauffenberg-Straße". Dieser Abschnittsbildungsbeschluss ist - gemessen an den dargelegten Kriterien - unwirksam.

24

a)

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz gerügt, ein Bauprogramm, das den Ausbau der öffentlichen Einrichtung Im Suren Winkel auch außerhalb des abgerechneten Abschnittes vorsehe, lasse sich nicht feststellen. Den Verwaltungsvorgängen seien keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Planungen der Beklagten einen Ausbau über die südliche Abschnittsgrenze hinaus vorsehen würden. Die Planungen sprächen vielmehr dafür, dass allein der abgerechnete Ausbau der Straße Gegenstand der Ausbauplanung gewesen sei. Die Beklagte habe weder behauptet, ein weitergehender Ausbau sei beabsichtigt gewesen, noch habe sie irgendwelche für einen weiteren Ausbau sprechende Unterlagen vorgelegt.

25

b)

Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ist nach wie vor nicht nachgewiesen, dass dem Rat bei seiner Abschnittsbildung am 27. März 2008 ein weiterführendes Bauprogramm vorgelegen hat und der Rat dieses Bauprogramm zur Grundlage einer Ermessensentscheidung hat machen können.

26

aa)

Allerdings hat die Beklagte nach Abschluss des Verfahrens auf vorläufigen Rechtsschutz einen Beschluss des Verwaltungsausschusses vom 1. Februar 2010 vorgelegt, wonach stets eine Gesamterneuerung der Straße Im Suren Winkel vorgesehen gewesen sei. Die Beklagte hat zudem auch eine Stellungnahme des Ingenieurbüros Rauchenberger vom 23. Februar 2010 eingereicht.

27

Ob aus den nachgereichten Unterlagen geschlossen werden kann, dass es jetzt ein Bauprogramm gibt, das über den abgerechneten Abschnitt hinaus geht, oder die nachgereichten Unterlagen eher prozesstaktische Ursachen haben, mag offenbleiben.

28

Immerhin muss ein Bauprogramm über die bloße Bekundung der Absicht, eine bestimmte Einrichtung in der Zukunft auf ganzer Länge auszubauen, hinausgehen, und es hat einen hinreichenden gestalterischen Detaillierungsgrad aufzuweisen, anhand dessen später auch festgestellt werden kann, zu welchem Zeitpunkt die Verwirklichung des Bauprogramms abgeschlossen ist (OVG Schleswig-Holstein, Urteil v. 21.10.2009 - 2 LB 15/08 -). Im vorliegenden Fall beschränkt sich der Beschluss des Verwaltungsausschusses im Wesentlichen auf die Aussage, dass eine Gesamterneuerung der gesamten Straße "vorgesehen" sei, die südliche Strecke "erlaube" noch eine Nutzung für fünf bis acht Jahre. Der Beschluss nennt weder konkrete Ausbautermine noch nennt er konkrete Ausbaumaßnahmen. Es bleibt unklar, ob auch im südlichen Bereich -wie es im nördlichen Bereich geschehen ist - die Fahrbahn erneuert werden soll, beidseitig kombinierte Rad-und Gehwege geschaffen werden sollen (oder die Gehwege in ihrer Funktion beibehalten werden sollen), ob Beleuchtung und Straßenentwässerung erneuert oder verbessert werden sollen. Vor allem fehlt auch eine Kostenprognose, so dass wegen des Willkürverbots bei einer Abschnittsbildung (Driehaus, Erschließungsund Ausbaubeiträge, 8. Aufl. 2007, § 14 Rn 25 ff) eine Prüfung, ob die Kosten des einen Abschnittes je m² Straßenfläche um mehr als 1/3 höher liegen als im anderen Abschnitt, nicht möglich ist. Immerhin wird aufgrund der Aussagen der Mitarbeiter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung im südlichen Bereich Grunderwerb getätigt, um den Gehweg zu verbreitern, so dass schon wegen möglicher unterschiedlicher Grunderwerbskosten in den verschiedenen Straßenstrecken ein Aufwandsvergleich nahe liegt. Weiter fällt auf, dass im nördlichen Bereich der Straße Im Suren Winkel die Straße mit all ihren Teileinrichtungen breiter angelegt ist als im südlichen Bereich, in dem Altbebauung anzutreffen ist und nicht baurechtlicher Außenbereich wie streckenweise im Norden, so dass auch insoweit ein Kostenvergleich des Ausbaus unter dem Gesichtspunkt der Willkürgrenze angezeigt erscheint.

29

bb)

Jedoch und jedenfalls: Durch den Beschluss des Verwaltungsausschusses und die Stellungnahme des Ingenieurbüros ist nicht nachgewiesen, dass ein konkretes Bauprogramm - mit welchem Inhalt auch immer -schon damals bestanden hat, als der Gemeinderat am 27. März 2008 über die Abschnittsbildung beschlossen hat. Vor allem aber ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Rat der Beklagten - wie es erforderlich wäre - schon im Zeitpunkt des Abschnittsbildungsbeschlusses vom 27. März 2008 Kenntnis von dem weiterführenden Bauprogramm gehabt hat und dieses gebilligt hat. Mit anderen Worten lässt sich nicht feststellen, dass der Gemeinderat der Beklagten am 27. März 2008 über Inhalt und Umfang eines weiterführenden Bauprogramms in einer Weise informiert gewesen ist, dass er sein Ermessen über das Ob der Abschnittsbildung und das Wo der Abschnittsgrenzen ordnungsgemäß hat ausüben können. Die verbleibenden immer noch bestehenden Unklarheiten über das Vorliegen eines weiterführenden Bauprogramms schon im Zeitpunkt der Abschnittsbildung und über den damaligen Kenntnisstand des Gemeinderates hierüber gehen im Ergebnis zu Lasten der Beklagten. Bei rechter Sicht der Dinge können der Beschluss des Verwaltungsausschusses und das nachgereichte Gutachten des Ingenieurbüros die damals im Jahr 2008 erforderliche Kenntnis des Gemeinderates von den maßgeblichen Umständen einer Abschnittsbildung nicht ersetzen. Der Beschluss des Verwaltungsausschusses ist letztlich nicht mehr als eine nachträgliche Interpretation des damaligen Ratsbeschlusses aus heutiger Sicht. Der damalige unwirksame Beschluss des Gemeinderates wird durch diese spätere Interpretation und durch das nachgereichte Gutachten des Ingenieurbüros "nicht zum Leben erweckt". Ein unwirksamer Ratsbeschluss kann nicht durch einen Beschluss des Verwaltungsausschusses geheilt werden. Das Gleiche gilt für das von der Verwaltung nachgeschobene Gutachten des Ingenieurbüros. Es liegt zudem in der Natur der Sache, dass der Rat im Jahre 2008 noch keine Kenntnis haben konnte von einem Gutachten, das erst im Jahre 2010 erstellt wird. Der Respekt vor dem ausschließlich dem Gemeinderat zuzubilligenden Entscheidungsspielraum bei der Abschnittsbildung aufgrund eines ihm vorgelegten weiterführenden Bauprogramms gebietet es, dem Rat allein und weder der Verwaltung noch dem Verwaltungsausschuss die Möglichkeit zu geben, den Ermessensspielraum bei der Abschnittsbildung neu oder erstmals auszufüllen.

30

3.

Die vorgenommene Abrechnung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der tatsächlich vorgenommene Ausbau der Teilstrecke der gesamten öffentlichen Einrichtung sei auch ohne Abschnittsbildung eigenständig abrechenbar.

31

Allerdings kann ein Teillängenausbau einer Straße ausreichen, die Erneuerung oder Verbesserung einer Straße in gesamter Länge anzunehmen mit der Folge, dass alle Grundstücke der gesamten öffentlichen Einrichtung bevorteilt und ihre Eigentümer zu Beiträgen heranzuziehen sind. Dies setzt voraus, dass das ausgebaute Teilstück in Relation zur gesamten öffentlichen Einrichtung eine erhebliche und prägende Länge aufweist und sich der Wirkungsbereich der Ausbaumaßnahme nicht nur auf die ausgebaute Teilstrecke bezieht, sondern sich auf die gesamte Einrichtung erstreckt. In einem solchen Fall des Teillängenausbaus zur Bevorteilung aller Grundstücke im gesamten Straßenverlauf muss die Gemeinde allerdings sowohl die Notwendigkeit eines nur teilweisen Ausbaus als auch Umfang und Beendigung der Baumaßnahmen deutlich machen (Nds. OVG, Urteil v. 11.7.2007 - 9 LC 262/04 -).

32

Jedoch scheitert ein beitragsfähiger Teilstreckenausbau aus zwei Gründen: Die Notwendigkeit des Ausbaus ist nicht auf die hier ausgebaute Teilstrecke beschränkt, was durch das nachgereichte Gutachten ausdrücklich bestätigt wird, wonach auch auf der südlichen Teilstrecke Erneuerungsbedarf besteht (vgl. insoweit auch Beschwerdeentscheidung des Nds. OVG im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz). Zum Anderen hat die Beklagte durch den Abschnittsbildungsbeschluss deutlich gemacht, dass sie die Baumaßnahmen auf der gesamten Strecke der öffentlichen Einrichtung eben noch nicht als beendet ansieht (Beschluss der Kammer im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz, Seite 10).

33

4.

Ob der Rat der Beklagten einen Abschnittsbildungsbeschluss aufgrund eines ihm vorzulegenden detaillierten und konkreten Bauprogramms neu und wirksam fassen kann, mag - da die Klage schon aus den genannten Gründen Erfolg hat - im Ergebnis unentschieden bleiben. Das gleiche gilt im Hinblick auf die Frage, ob wegen des besonderen Zuschnittes und wegen der Nutzbarkeit der Grundstücke im nördlichen Teilbereich der Straße Im Suren Winkel besondere Ermessenserwägungen des Rates erforderlich sind.

34

Geht man davon aus, dass eine Abschnittsbildung bis zum Entstehen der endgültigen Beitragspflicht für die gesamte öffentliche Einrichtung gefasst werden kann, und auch ein von der Gemeinde aufgestelltes Bauprogramm bis zum Entstehen der endgültigen Beitragspflicht geändert werden kann, könnten diese Gesichtspunkte einer erneuten Abschnittsbildung nicht entgegen gehalten werden. Ob ein erneuter Abschnittsbildungsbeschluss ohne Willkür getroffen werden kann oder ob der Rat bei einer erneuten Abschnittsbildung eingehendere Ermessenserwägungen anstellen muss, ist offen.

35

Im Hinblick auf das Willkürverbot geht die Rechtsprechung bislang davon aus, dass sich in den verschiedenen Abschnitten die Kosten für die Ausbaumaßnahmen nicht um mehr als ein Drittel "je Quadratmeter Straßenfläche" unterscheiden dürfen (BVerwG, Urteil v. 07.06.1996 - 8 C 30.94 -, NVwZ 1998 Seite 67). Bei diesem Kostenvergleich kommt es auf ausstattungsbedingte Mehrkosten an, etwa besonders hohe Grunderwerbskosten. Kostenunterschiede aufgrund von Preissteigerungen bleiben unberücksichtigt (Nds. OVG, Beschluss v. 25.07.1990 - 9 L 70/90 -). Bei dem Grenzwert von 1/3 kommt es - so die bisherige Rechtsprechung - nicht darauf an, welche Unterschiede sich für das einzelne Grundstück bei der Beitragsumlage ergeben. Ob daran uneingeschränkt festgehalten werden kann, nachdem das Bundesverwaltungsgericht für den Fall der Bildung einer Erschließungseinheit einen Kostenvergleich anstellt, der auf die Kosten der beitragspflichtigen Veranlagungsfläche abstellt (Urteil v. 10.06.2009 - 9 C 2/08 -), mag hier unentschieden bleiben, weil die Klage schon aus den oben angeführten Gründen Erfolg hat. Die Übernahme der Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes auf den Fall einer Abschnittsbildung könnte zu erwägen sein, weil sowohl die Bildung einer Erschließungseinheit als auch die Abschnittsbildung zu einer Veränderung des vom Gesetzgeber vorgesehenen Grundtatbestandes der Abrechnung der einzelnen öffentlichen Einrichtung führen, und es sachlicher Gründe bedarf, in der einen Fallgruppe auf die Kosten der beitragspflichtigen Veranlagungsfläche abzustellen, in der anderen Fallgruppe aber nicht. Der auf das Gleichbehandlungsgebot zurückgehende Grundsatz der Beitragsgerechtigkeit ist stets zu beachten. So hat das Bundesverwaltungsgericht wiederholt darauf hingewiesen, dass das Beitragsrecht einen angemessenen Ausgleich von Vorteilen und Lasten anstrebt (Urteil v. 06.12.1996 - 8 C 32/95 -), und dass die Grundstücke an der öffentlichen Einrichtung eine Solidargemeinschaft im Sinne einer Vorteilsgemeinschaft bilden. Es lässt sich damit für die jeweilige öffentliche Einrichtung ein Bedürfnis nach einem am Vorteilsgedanken und an der Beitragsgerechtigkeit orientierten solidarischen Ausgleich der Belastungsunterschiede feststellen.

36

Ob diese Überlegungen im Ergebnis dazu führen können, dass eine Abschnittsbildung willkürlich ist, wenn sie zu erkennbaren und erheblichen Beitragsverschiebungen führt, die sich zwar nicht auf die Ausbaukosten pro Quadratmeter Straßenfläche auswirken, wohl aber auf den Beitragssatz pro Quadratmeter Veranlagungsfläche, ist offen. Eine erkennbare und erhebliche Beitragsverschiebung bei einer Abschnittsbildung, die sich auf den Beitragssatz je Quadratmeter Beitragsfläche auswirkt, kann - wie vorliegend - etwa gegeben sein, wenn in dem einen gebildeten Abschnitt Außenbereichsflächen von erheblichem Umfang vorhanden sind, nicht aber im weiteren Verlauf der Straße. Denn dann kann es der Beitragsmaßstab mit sich bringen, dass die Wohngrundstücke in diesem Abschnitt - wegen der "Vergünstigung" der Außenbereichsgrundstücke - verhältnismäßig stärker belastet werden als die Wohngrundstücke im anderen Abschnitt, in denen Außenbereichsflächen nicht vorhanden sind, und die Ausbaukosten auf die Wohngrundstücke nach einem einheitlichen Maßstab in vergleichbarer Höhe umgelegt werden. Das "Verteilungsproblem" verdeutlicht der Beitragsmaßstab, wie er im vorliegenden Fall Anwendung findet: Wohngrundstücke werden bei eingeschossiger Bebauung mit einem Nutzungsfaktor von 1,0 je m² Grundstücksfläche berücksichtigt, Flächen im Außenbereich indes nur mit 0,0333 (Ackerland) und 0,0167 (Waldbestand) je m² Grundstücksfläche. Haben Wohngrundstücke einerseits und Acker- und Waldflächen andererseits dieselbe Größe, entfallen auf die Wohngrundstücke mehr als 99% des durch Beiträge zu refinanzierenden Aufwandes. Die Prozentzahlen werden durch die zum Teil erhebliche Größe von Außenbereichsflächen verändert, gleichwohl verbleibt regelmäßig noch ein erheblicher signifikanter Unterschied der Beitragslasten zwischen den gebildeten Gruppen. Unter dem Blickwinkel der Beitragsgerechtigkeit kann sich dann die Frage stellen, ob "der Mehraufwand", der auf die Wohngrundstücke entfällt, im Wege einer Abschnittsbildung auf wenige Wohngrundstücke umgelegt werden soll oder auf alle Wohngrundstücke an der gesamten öffentlichen Einrichtung. Unterbliebe eine Abschnittsbildung, wäre die "Vergünstigung" der Außenbereichsgrundstücke auf der gesamten Länge der öffentlichen Einrichtung nivelliert und innerhalb der Solidargemeinschaft angemessen und gleich auf alle Wohngrundstücke umgelegt. Immerhin ergibt sich im vorliegenden Fall durch die Beitragsverteilung (unter Zugrundelegung einer Innerortsstraße unter Einbeziehung von weitern Grundstücken, Alternativberechnung zum Schriftsatz vom 29.4.2010) ein Betrag von 15.364,69 EUR für Acker- und Waldflächen bei einem gesamten Anliegeranteil von 336.701,65 EUR (4,56%). Angesichts dieser Verhältnisse stellt sich die Frage, ob es im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Art. 3 GG sachgerecht sein kann, dass allein die Wohngrundstücke des gebildeten Abschnittes die Minderbelastung für Außenbereichsgrundstücke auffangen und tragen müssen, die Wohngrundstücke im übrigen Straßenverlauf hingegen aus ihrer solidarischen Haftung auszunehmen. Die Antwort auf diese Frage hängt naturgemäß ab von den prognostizierten Kosten im anderen Abschnitt und von einem Vergleich des Beitragssatzes. Der Beitragssatz müsste verglichen werden, der sich bei einer Abschnittsbildung und bei einem Verzicht auf eine Abschnittsbildung und Abrechnung der gesamten öffentlichen Einrichtung für die Wohngrundstücke am gebildeten Abschnitt ergibt.

37

Zumindest könnten es diese Überlegungen nahelegen, dass der Rat der Beklagten bei einer (erneuten) Ermessensentscheidung über die Abschnittsbildung die dargelegten Umstände mit in seine Überlegungen einbezieht. Auch wenn das öffentliche Interesse an einer Vorfinanzierung beim Straßenausbau gewichtig ist, so ist auch der gegenteilige Gesichtspunkt von Bedeutung, nämlich eine dem Vorteilsgedanken und dem Grundsatz der Beitragsgerechtigkeit Rechnung tragende Nivellierung und Verteilung der Beitragslast auf alle Grundstücke der Solidargemeinschaft oder Vorteilsgemeinschaft der öffentlichen Einrichtung in der gesamten Länge.

38

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.