Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.12.2009, Az.: 8 LA 185/09

Berücksichtigung strafgerichtlicher Verurteilungen bei der Entscheidung über die Eignung eines Bewerbers als Arzt; Regelungssystem des Bundeszentralregistergesetzes

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.12.2009
Aktenzeichen
8 LA 185/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 29458
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2009:1210.8LA185.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 19.08.2009 - AZ: 5 A 3940/08

Fundstellen

  • ArztR 2010, 221
  • DSB 2010, 29
  • DVBl 2010, 267
  • DÖV 2010, 326
  • GesR 2010, 102-103
  • GewArch 2010, 133
  • MedR 2010, 315
  • NJW 2010, 1768-1769
  • NdsVBl 2010, 107-108
  • NordÖR 2010, 89

Amtlicher Leitsatz

Die Approbationsbehörde kann bei der Entscheidung über die Eignung eines Bewerbers als Arzt auch strafgerichtliche Verurteilungen - hier u.a. wegen Totschlages - berücksichtigen, die zwar nicht mehr in ein Führungszeugnis aufzunehmen, aber weiterhin im Bundeszentralregister enthalten sind.

Gründe

1

Dem Kläger kann für das Zulassungsverfahren keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden, weil sein Zulassungsantrag aus den nachfolgenden Gründen erfolglos bleibt, § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO.

2

Der 1946 geborene Kläger begehrt die Erteilung einer ärztlichen Approbation. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24. Juli 2008 ab. Der Kläger sei zur Ausübung des ärztlichen Berufes weiterhin "unwürdig". Die "Unwürdigkeit" ergebe sich aus den im Bundeszentralregister jeweils noch nicht zu tilgenden und deshalb verwertbaren strafgerichtlichen Verurteilungen des Klägers. Denn der Kläger sei 1986 wegen Totschlages und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren, 2000 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen und 2005 wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt worden. Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage abgewiesen.

3

Ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit dieser Entscheidung bestehen aus den vom Kläger vorgebrachten Gründen nicht. Der Kläger wendet sich nicht gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass er bei Berücksichtigung der aufgeführten Straftaten weiterhin zur Ausübung des ärztlichen Berufes unwürdig i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Bundesärzteordnung (BÄO) sei. Er meint allerdings, dass die Verurteilungen aus den Jahren 1986 und 2000 im vorliegenden Verfahren mangels Aufnahme in ein Führungszeugnis gar nicht mehr verwertbar seien. In dieser Annahme kann ihm nicht gefolgt werden.

4

Das Bundeszentralregistergesetz (BZRG) regelt in § 51 Abs. 1 die Voraussetzungen für ein Verwertungsverbot. Es knüpft dazu an die Tilgung der Verurteilungen im Bundeszentralregister an. Die hier maßgeblichen Straftaten sind nach §§ 46 Abs. 1 Nrn. 2 a) und 4, Abs. 3, 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG frühestens im Dezember 2015 tilgungsreif und folglich bis dahin nach § 51 Abs.1 BZRG grundsätzlich verwertbar. Aus den vom Kläger angeführten Bestimmungen über den Inhalt des Führungszeugnisses nach §§ 30 ff. BZRG sowie über die Behördenauskunft nach § 41 Abs. 1 BZRG folgt weder allgemein noch speziell für das Approbationsverfahren ein anderes Ergebnis, d.h. ein Verwertungsverbot.

5

Dem stehen schon der Wortlaut und die Systematik des Gesetzes entgegen. Das Bundeszentralregistergesetz unterscheidet bewusst zwischen dem Inhalt des Führungszeugnisses nach §§ 30 ff. BZRG, der unbeschränkten (Behörden)Auskunft nach § 41 Abs. 1 BZRG, den Voraussetzungen für ein Verwertungsverbot nach §§ 51 f. BZRG und der Offenbarungspflicht des Betroffenen nach § 53 BZRG. Dieses Regelungssystem kann nicht dadurch durchbrochen werden, dass über den Wortlaut des § 51 BZRG hinaus aus §§ 30 und 41 BZRG weitere ungeschriebene Verwertungsverbote abgeleitet werden. Ein solches Vorgehen widerspräche zudem dem Sinn und Zweck der Regelungen. Zwar ist nach § 41 Abs. 1 BZRG der Approbationsbehörde aus dem Bundeszentralregister keine Auskunft über Eintragungen zu erteilen, die nicht (mehr) in ein Führungszeugnis aufzunehmen sind, wie vorliegend bereits während des Verwaltungsverfahrens die beiden älteren Verurteilungen des Klägers nach §§ 33, 34 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 BZRG. Damit ist aber gerade kein umfassendes Verwertungsverbot solcher noch nicht tilgungsreifer Verurteilungen verbunden. Dies ergibt sich schon daraus, dass dem Verwaltungsgericht in einem sich an das Verwaltungsverfahren anschließenden gerichtlichen Verfahren gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 1 BZRG aus dem Bundeszentralregister zum "Zwecke der Rechtspflege" uneingeschränkt, d.h. auch über solche nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmende, noch nicht tilgungsreife Verurteilungen Auskunft zu erteilen ist. § 41 Abs. 1 Nr. 1 BZRG enthält keine Einschränkung dahin, dass den Verwaltungsgerichten nur in den in § 41 Abs. 1 Nrn. 2 ff. BZRG ausdrücklich genannten Fällen uneingeschränkt Auskunft zu erteilen ist. Außerdem sind der Approbationsbehörde auf Grund der gesetzlichen Mitteilungspflicht der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte nach § 14 Abs. 1 Nr. 4 EGGVG i.V.m. Nr. 26 der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) ältere Verurteilungen ohnehin regelmäßig zielgerichtet und nicht nur "zufällig" bekanntgegeben worden (vgl. Götz/Tolzmann, BZRG, 4. Aufl., § 52, Rn. 15), so dass es einer zusätzlichen Auskunft nach § 41 BZRG gar nicht bedarf. § 41 Abs. 1 BRZG lässt daher nicht den Schluss zu, im Approbationsverfahren solle den beteiligten Behörden und Gerichten bewusst keine Kenntnis von älteren Verurteilungen des Bewerbers gewährt werden, und kann schon deshalb keine Grundlage für ein darauf beruhendes ungeschriebenes Verwertungsverbot darstellen. Dem stünde zusätzlich § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG entgegen. Danach darf nämlich abweichend von dem in § 51 Abs. 1 BZRG ausdrücklich normierten Verwertungsverbot selbst eine getilgte Verurteilung berücksichtigt werden, wenn der Betroffene die Zulassung zu einem Beruf beantragt und die Zulassung sonst zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit führen würde. Diese Bestimmung ist vom Gesetzgeber gerade für das ärztliche Approbationsverfahren geschaffen worden (vgl. Hase, BZRG, § 52, Rn. 5, m.w.N.) und schließt es aus, die Verurteilung eines approbierten Bewerbers wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren allein wegen Zeitablaufs generell außer Acht zu lassen.

6

Dem Rechtsstreit kommt unter den vom Kläger bezeichneten Fragestellungen auch keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Aus den genannten Gründen ergibt sich, dass im Approbationserteilungsverfahren jedenfalls alle im Bundeszentralregister enthaltenen, noch nicht zu tilgenden Verurteilungen des Bewerbers verwertbar sind. Ebenso wenig kommt der Frage grundsätzliche Bedeutung zu, "ob das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ... der Verwertung von strafrechtlichen Urteilen entgegensteht, die zwar noch nicht im Bundeszentralregister, wohl aber im Führungszeugnis getilgt sind". Denn es wird vom Kläger nicht dargelegt und ist auch sonst für den Senat nicht ersichtlich, warum strafgerichtliche Verurteilungen kraft Verfassungsrechts nach Ablauf der sich aus den §§ 34 ff. BZRG ergebenden Fristen unverwertbar und die darüber hinausgehenden Fristen nach §§ 46 ff. BZRG für die Tilgung aus dem Bundeszentralregister insoweit verfassungswidrig sein sollen. Das Bundesverfassungsgericht hat es gerade nicht beanstandet, dass für die Entscheidung über die Berufszulassung auch ältere Straftaten bis zu ihrer Tilgung im Bundeszentralregister berücksichtigt werden (vgl. Beschl. v. 9.5.1988 - 1 BvR 959/87 -, [...]). Im Übrigen übergeht der Kläger bei seiner Fragestellung auch die vom Gesetzgeber in § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG besonders gewürdigte Bedeutung der ärztlichen Approbation.