Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.12.2009, Az.: 5 ME 182/09

Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners bzgl. des Nichtbestehens der Wiederholungsprüfung und das endgültige Nichtbestehen der Zwischenprüfung 2008 für den gehobenen allgemeinen Verwaltungsdienst; Letztentscheidungskompetenz der Prüfer bzgl. prüfungsrechtlicher Wertungen trotz der Möglichkeit eingeschränkter Kontrollen der Bewertungen durch die Gerichte; Zulässige Bindung an das Punkteschema einer Lösungsskizze

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.12.2009
Aktenzeichen
5 ME 182/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 29536
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2009:1210.5ME182.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 24.06.2009 - AZ: 2 B 1844/09

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Aufhebung eines Prüfungsbescheides und die Verpflichtung der Prüfungsbehörde, das Prüfungsverfahren durch Neubewertung der betreffenden Aufgabe fortzusetzen, setzt voraus, dass die Bewertung einer vom Prüfling angesprochenen Aufgabe fehlerhaft ist und dass dieser Fehler Einfluss auf das Gesamtergebnis hat.

  2. 2.

    Die gerichtliche Kontrolle der Bewertung einer Prüfungsklausur hat sich darauf zu erstrecken, ob die Prüfer anzuwendendes Recht verkannt haben, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sind, allgemein gültige Bewertungsgrundsätze verletzt haben oder sich von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob die Prüfer ihre Bewertung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt haben, die einer sachlichen Überprüfung standhalten, ob sie bei ihrer Bewertung den Zweck, dem die Prüfung dient, verkannt haben und ob ferner die Bewertung in sich schlüssig und nachvollziehbar ist und den Anforderungen rationaler Abwägung nicht widerspricht.

  3. 3.

    Streiten Prüfling und Prüfer um die Beantwortung von Fachfragen, so ist dem Prüfling ein Antwortspielraum einzuräumen. Eine von ihm vorgetragene und mit gewichtigen Argumenten versehene Antwort darf nicht deshalb als falsch gewertet werden, weil die Prüfer fachlich anderer Ansicht sind als der Prüfling.

  4. 4.

    Liegt für die Bewertung der schriftlichen Leistung des Prüflings eine mit einem Punkteschema versehene Musterlösung oder Lösungsskizze vor, gilt, dass diese den Prüfern lediglich eine allgemeine und nicht verbindliche Hilfestellung geben.

  5. 5.

    Es ist nach den allgemein anerkannten Grundsätzen des Prüfungsrechts u.a. Aufgabe allein des Prüfers zu entscheiden, ob Ausführungen an der richtigen Stelle stehen, den zutreffenden Umfang haben und deshalb im Zusammenhang mit den übrigen Ausführungen und den Leistungen anderer Kandidaten zur Vergabe eines oder mehrer Punkte führen. Ob und in welcher Weise bei Anwendung eines Punkteschemas Punkte jeweils zu vergeben und wie einzelne Prüfungsbestandteile zu gewichten sind, ist hierbei in weitgehendem Umfang der gerichtlichen Kontrolle entzogen, weil dem Prüfer bei der Vergabe von Punkten ein weiter Bewertungsspielraum verbleibt.

  6. 6.

    Wenn ein Prüfer einen einheitlichen Prüfungsmaßstab anwendet, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass er sich auch in unzulässiger Weise unter Einschränkung seines ihm zustehenden Bewertungsspielraums hieran gebunden gefühlt hat, nur weil er von diesem Schema, der vorgeschlagenen Gewichtung der einzelnen Aufgabenteile sowie der Zuordnung der Gesamtpunktzahl zu den in der Prüfungsordnung vorgesehenen Noten und Punkten nicht abgewichen ist, sondern es sich zu Eigen gemacht hat.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den im Tenor genannten Beschluss, mit dem das Verwaltungsgericht ihren Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 abgelehnt hat.

2

Mit Bescheid vom 24. Februar 2009 hatte der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin das Nichtbestehen der Wiederholungsprüfung und das endgültige Nichtbestehen der Zwischenprüfung 2008 für den gehobenen allgemeinen Verwaltungsdienst nach § 13 der Verordnung über die Ausbildung und Prüfung für die Laufbahn des gehobenen allgemeinen Verwaltungsdienstes (APVOgehD) vom 30. Juni 2003 (Nds. GVBl. S. 287), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 19. September 2007 (Nds. GVBl. S. 356), festgestellt und zugleich die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet. Den hiergegen eingelegten Widerspruch, mit dem sich die Antragstellerin gegen die Bewertung der von ihr im Rahmen der Wiederholungsprüfung angefertigten Kommunalrechtsklausur mit 4 Punkten ("mangelhaft") durch den Erst- und den Zweitprüfer (Erstprüfer 5 Punkte; Zweitprüfer 3 Punkte) wendete, wies der Antragsgegner nach Einholung von Stellungnahmen des Erst- und des Zweitprüfers mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2009 unter Hinweis hierauf zurück.

3

Unter dem 22. April 2009 hat die Antragstellerin Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist, und zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 24. Juni 2009 abgelehnt. Es hat zur Begründung ausgeführt, der zulässige Antrag sei unbegründet, weil der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise begründet habe und das öffentliche Interesse am Sofortvollzug die privaten Interessen der Antragstellerin, vom Sofortvollzug verschont zu bleiben, überwögen, da das Prüfungsergebnis rechtmäßig zustande gekommen sei. Die von der Antragstellerin geltend gemachte unzulässige Bindung des Erstprüfers an die Musterlösung sei angesichts der von ihm in der Kommunalrechtsklausur vorgenommenen Randbemerkungen, der fehlenden Abwertung von seitens der Antragstellerin in Abweichung von der Lösungsskizze gemachten Ausführungen in der Klausur und dessen Ausführungen in seiner im Widerspruchsverfahren abgegebenen Stellungnahme vom 2. April 2009 nicht zu erkennen. Ebenso wenig lasse sich aus der Übereinstimmung des Votums des Erstprüfers mit der arithmetisch ermittelten Notenpunktzahl eine unzulässige Bindung herleiten. Die Beanstandung des von der Antragstellerin zu § 130 Abs. 1 NGO gebildeten Obersatzes führe nicht zur Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidung, da es in den prüfungsspezifischen Bewertungsspielraum falle, ob der Prüfer bei der Darstellung einer Vorschrift vor der eigentlichen Subsumtion in einem juristischen Gutachten zunächst die Wiedergabe der Vorschrift unter Aufführung aller Tatbestandsmerkmale verlange, zumal es sich hierbei nur um ein untergeordnetes Randproblem gehandelt haben dürfte. Die gegen die Bewertung des Zweitprüfers im Widerspruchsverfahren erhobenen Bedenken seien im gerichtlichen Verfahren nicht mehr aufrechterhalten worden und griffen auch nicht durch.

4

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie der verwaltungsgerichtlichen Einschätzung der Bewertung der Kommunalrechtsklausur durch den Erstprüfer als rechtmäßig entgegen tritt.

5

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

6

Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, die allein von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 4 und 6 VwGO), rechtfertigen eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht von einem Vorrang der öffentlichen Interessen am Sofortvollzug des angefochtenen Bescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides vor den privaten Interessen der Antragstellerin, von dem Vollzug verschont zu bleiben, ausgegangen, weil sich auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens die Feststellung des Nichtbestehens der Wiederholungsprüfung nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig erweist.

7

Die Aufhebung eines Prüfungsbescheides und die Verpflichtung der Prüfungsbehörde, das Prüfungsverfahren durch Neubewertung der betreffenden Aufgabe fortzusetzen, setzt voraus, dass die Bewertung einer vom Prüfling angesprochenen Aufgabe fehlerhaft ist und dass dieser Fehler Einfluss auf das Gesamtergebnis hat. Die gerichtliche Kontrolle der Bewertung einer Prüfungsklausur hat sich darauf zu erstrecken, ob die Prüfer anzuwendendes Recht verkannt haben, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sind, allgemein gültige Bewertungsgrundsätze verletzt haben oder sich von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob die Prüfer ihre Bewertung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt haben, die einer sachlichen Überprüfung standhalten, ob sie bei ihrer Bewertung den Zweck, dem die Prüfung dient, verkannt haben und ob ferner die Bewertung in sich schlüssig und nachvollziehbar ist und den Anforderungen rationaler Abwägung nicht widerspricht. Streiten Prüfling und Prüfer um die Beantwortung von Fachfragen, so ist dem Prüfling ein Antwortspielraum einzuräumen. Eine von ihm vorgetragene und mit gewichtigen Argumenten versehene Antwort darf nicht deshalb als falsch gewertet werden, weil die Prüfer fachlich anderer Ansicht sind als der Prüfling. Im Übrigen müssen Prüfer bei ihrem wertenden Urteil von Einschätzungen und Erfahrungen ausgehen, die sie im Laufe ihrer Prüfungspraxis bei vergleichbaren Prüfungen entwickelt haben und die sie allgemein anwenden. Die Bestehensgrenze, also der Maßstab für ungenügende Prüfungsleistungen, lässt sich nicht starr und ohne den Blick auf durchschnittliche Leistungen bestimmen. Daraus folgt, dass Prüfungsnoten nicht isoliert gesehen werden dürfen, sondern in einem Bezugssystem zu finden sind, das durch die persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen der Prüfer beeinflusst wird. Hieraus resultiert ein prüfungsrechtlicher Bewertungsspielraum. Auch hier unterliegt die Bewertung der Prüfer zwar im dargestellten Umfang der durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen Kontrolle. Prüfungsspezifische Wertungen bleiben dabei aber der Letztentscheidungskompetenz der Prüfer überlassen (vgl. zum Vorstehenden BayVGH, Urt. v. 29.4.2009 - 7 ZB 08.996 -, [...] Langtext, Rn. 21; Urt. v. 11.2.1998 - 7 B 96.2162 -, [...] Langtext, Rn. 26 jeweils m.w.N.). Liegt für die Bewertung der schriftlichen Leistung des Prüflings eine mit einem Punkteschema versehene Musterlösung oder Lösungsskizze vor, gilt, dass diese den Prüfern lediglich eine allgemein und nicht verbindliche Hilfestellung geben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.4.1997 - BVerwG 6 B 4.97 -, Buchholz 4221.0 Prüfungswesen Nr. 379 = [...] Langtext, Rn. 8; Beschl. v. 11.6.1996 - BVerwG 6 B 88.95 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 368 = [...] Langtext, Rn. 4). Die Verwendung solcher Musterlösungen und Lösungsskizzen ist grundsätzlich zulässig und zur Vereinheitlichung der Bewertung geboten, auch soweit darin vorgegeben wird, für welche Teillösungen maximal wie viele Punkte vergeben werden und wie viele Punkte zur Vergabe eines bestimmten Notenpunktes führen können. Diese Vorgaben können lediglich die Grundlage dafür bilden, einzelne Teile der Aufgabenstellung zu gewichten und deren Abgleich untereinander nach ihrer Bedeutung und Schwierigkeit erleichtern helfen. Das in der Musterlösung oder einer Lösungsskizze vorgeschlagene Bewertungssystem darf aber nicht zu einer Bindung dahingehend führen, dass die Übereinstimmung bestimmter Ausführungen in der Klausur mit dem Lösungsvorschlag in der Musterlösung oder der Lösungsskizze zwingend zur Vergabe bestimmter Leistungspunkte führen müsste. Eine derart weitgehende Bindung würde dem prüfungsspezifischen Bewertungsspielraum der Prüfer widersprechen. Denn es ist nach den allgemein anerkannten Grundsätzen des Prüfungsrechts u.a. Aufgabe allein des Prüfers zu entscheiden, ob Ausführungen an der richtigen Stelle stehen, den zutreffenden Umfang haben und deshalb im Zusammenhang mit den übrigen Ausführungen und den Leistungen anderer Kandidaten zur Vergabe eines oder mehrer Punkte führen. Ob und in welcher Weise bei Anwendung eines Punkteschemas Punkte jeweils zu vergeben und wie einzelne Prüfungsbestandteile zu gewichten sind, ist hierbei in weitgehendem Umfang der gerichtlichen Kontrolle entzogen, weil dem Prüfer bei der Vergabe von Punkten ein weiter Bewertungsspielraum verbleibt (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 8.5.2002 - 2 L 6330/96 -, OVGE MüLü 49, 361 = [...] Langtext, Rn. 44 f.; FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 1.9.2009 - 12 K 12086/07 -, [...] Langtext, Rn. 35 jeweils m.w.N.).

8

Unter Beachtung dieses Maßstabes für die gerichtliche Kontrolle rechtfertigen die Beschwerdegründe die Annahme eines Fehlers seitens des Erstprüfers bei der Bewertung der Kommunalrechtsklausur nicht.

9

Erstmals im Beschwerdeverfahren rügt die Antragstellerin innerhalb der Darlegungsfrist und damit in beachtlicher Weise, dass das in der Lösungsskizze enthaltene 100-Punkte-Schema mit der Prüfungsordnung nicht vereinbar sei, weil § 4 Abs. 1 und Abs. 2 APVOgehD nur ein 15-Punkte-Schema bei der Notenvergabe kenne. Dieser Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. § 4 Abs. 1 APVOgehD legt die Noten und die ihnen zugeordneten Punkte fest, mit denen die von dem Beamten in der Ausbildung und den Prüfungen gezeigten Leistungen zu bewerten sind. § 4 Abs. 2 APVOgehD bestimmt in diesem Zusammenhang die für das Bestehen oder Nichtbestehen der Zwischenprüfung und der Laufbahnprüfung maßgeblichen Durchschnitts- und Endpunktzahlen (vgl. dazu §§ 13 und 18 APVOgehD). Diese Vorschriften enthalten keine Regelungen, wie innerhalb einer schriftlichen Prüfungsleistung einzelne Aufgabenteile zu gewichten und zu bewerten sind. Es ist daher dem Aufgabensteller unbenommen, seiner Lösungsskizze ein Punkteschema - wie hier ein 100-Punkte-Schema - beizufügen, mit dem er zugleich eine Gewichtung der Aufgabenteile sowie die Zuteilung der insgesamt vergebenen Punkte zu den in der Prüfungsordnung vorgesehenen Noten bzw. Punkten vorschlägt.

10

Ebenso wenig schließt sich der Senat der Auffassung der Antragstellerin an, allein aus dem Umstand, dass der Erstprüfer sich bei der Bewertung der schriftlichen Arbeiten an das in der Lösungsskizze enthaltene Punkteschema einschließlich der vorgeschlagenen Gewichtung der Aufgabenteile und der Zuordnung zu den nach der Prüfungsordnung zu vergebenen Punkte gehalten habe, lasse sich eine unzulässige Bindung des Prüfers durch die Lösungsskizze herleiten. Mit der Verwendung eines in der Lösungsskizze vorgeschlagenen Punkteschemas stellt ein Prüfer zunächst sicher, dass er bei der Bewertung sämtlicher von ihm zu bewertenden Arbeiten einen einheitlichen Prüfungsmaßstab anwendet. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass er sich auch in unzulässiger Weise unter Einschränkung seines ihm zustehenden Bewertungsspielraums hieran gebunden gefühlt hat, nur weil er von diesem Schema, der vorgeschlagenen Gewichtung der einzelnen Aufgabenteile sowie der Zuordnung der Gesamtpunktzahl zu den in der Prüfungsordnung vorgesehenen Noten und Punkten nicht abgewichen ist, sondern es sich zu Eigen gemacht hat. Vielmehr fällt es nach dem eingangs aufgezeigten Maßstab in den Rahmen des ihm zustehenden prüfungsspezifischen Bewertungsspielraums, von einem in der Lösungsskizze vorgeschlagenen Punkteschema Gebrauch zu machen. Aus der Lösungsskizze selbst lässt sich im Übrigen vorliegend nicht entnehmen, dass die Prüfer unter Zurückstellung ihres Bewertungsspielraums zwingend an das Punkteschema gebunden sind.

11

Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn sich der Prüfer - hier der Erstprüfer - tatsächlich durch das in der Lösungsskizze vorgeschlagene Punkteschema bei der Bewertung der schriftlichen Prüfungsleistung gebunden gefühlt und er dadurch den ihm zustehenden prüfungsspezifischen Bewertungsspielraum verkannt haben sollte. Hierfür bestehen indes auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens keine Anhaltspunkte. Solche ergeben sich insbesondere nicht aus der Stellungnahme des Erstprüfers vom 2. April 2009.

12

Die Antragstellerin rügt, der Erstkorrektor habe in seiner Stellungnahme vom 2. April 2009 festgestellt, dass sie zu korrekten Ergebnissen gelangt und es deshalb nicht auszuschließen sei, dass bei Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums eine höhere Punktzahl hätte vergeben werden können, sodass die Klausur insgesamt als bestanden hätte gewertet werden müssen. Das Verwaltungsgericht interpretiere diese Stellungnahme nicht zutreffend, denn sie betreffe ausschließlich die sprachliche Gestaltung der Klausur und nicht inhaltliche Fragen. Die Ausführungen des Erstprüfers unter Ziffer 4 seiner Stellungnahme zeigten deutlich, dass er sich streng an die Noten-/Punkte-Tabelle der Lösungsskizze gebunden habe.

13

Mit diesem Vorbringen versucht die Antragstellerin, allein aus den Ausführungen des Erstprüfers unter Ziffer 4 seiner Stellungnahme vom 2. April 2009 eine unzulässige Bindung an das Punkteschema der Lösungsskizze herzuleiten, was ihr jedoch nicht gelingt. Der Erstprüfer geht dort auf die von der Antragstellerin im Widerspruchsverfahren durch ihren Prozessbevollmächtigten geäußerte Kritik ein, wonach ein Abzug von 2,5 Punkten von den nach der Lösungsskizze maximal zu vergebenden 10 Punkten bei der Bewertung der Prüfung der Beschlussfähigkeit des Rates wegen unzureichender Subsumtion unangemessen sei, weil alle Ergebnisse korrekt angesprochen worden seien und daher allenfalls ein Abzug von 1 bis 1,5 Punkten in Betracht komme. Diese Kritik wiederholt sie unter anderem unter Ziffer 2. ihrer Beschwerdeschrift.

14

Insoweit ist beachtlich, dass sich die Antragstellerin das in der Lösungsskizze vorgeschlagene Punkteschema selbst zu Eigen macht, um auf diese Weise die Bewertung des genannten Aufgabenteils mit einer höheren Punktzahl erreichen zu können, während sie gleichzeitig die Anwendung des Schemas durch den Erstprüfer als unzulässige Einschränkung seines Bewertungsspielraums rügt. Ihre Argumentation erweist sich insoweit als nicht schlüssig, da sie jedenfalls hinsichtlich dieses Aufgabenteils die Gewichtung des Punkteschemas mit einer maximalen Punktzahl von 10 Punkten selbst nicht in Zweifel zieht. Ungeachtet dessen lassen die Ausführungen des Erstprüfers eine unzulässige Bindung an das Punkteschema nicht erkennen. Vielmehr zeigt er mit seinen Ausführungen unter Ziffer 4 seiner Stellungnahme in nachvollziehbarer Weise auf, aus welchen Gründen er einen Abzug von 2,5 Punkten für angemessen und einen Abzug von nur 1 bis 1,5 Punkten angesichts der zwar nicht beim Ergebnis, aber in der Begründung bestehenden Mängeln der Klausur für unangebracht hält. Der Umstand, dass der Erstprüfer hierbei auf die Zuordnung der Punkte zu den Noten in veranschaulichender Weise zurückgreift und deutlich macht, dass der von der Antragstellerin geforderte Abzug von lediglich einem Punkt eine Bewertung dieses Aufgabenteils mit der Note "sehr gut" zur Folge hätte, während der von ihm vorgenommene Punktabzug noch eine Bewertung mit der Note "gut" bedeute, begegnet unter dem Gesichtspunkt der Unverbindlichkeit des in der Lösungsskizze enthaltenen Punkteschemas keinen Bedenken. Die Ausführungen dienen nur der Veranschaulichung, dass der in den prüfungsspezifischen Bewertungsspielraum des Erstprüfers fallende Punktabzug nachvollziehbar vorgenommen worden ist und die Antragstellerin eine andere Bewertung - unter Zugrundelegung eben dieses Punkteschemas - nicht mit ihrem Widerspruchsvorbringen darzulegen vermochte. Diese Vorgehens- und Begründungsweise ist gerichtlich nicht zu beanstanden. Denn abgesehen von den korrekten Ergebnissen bestehen Mängel in Bezug auf die Herleitung und Begründung der von der Antragstellerin gefundenen Ergebnisse, die der Erstprüfer bereits in seinen Randbemerkungen zu der Klausur aufgezeigt hat und die den vorgenommenen Punktabzug als vertretbar erscheinen lassen. Eine Verletzung des prüfungsspezifischen Bewertungsspielraums, der in dem Punktabzug nach Ansicht der Antragstellerin zum Ausdruck kommen soll, ist demnach nicht gegeben. Im Rahmen der gerichtlichen Kontrolldichte kann diese Beurteilung nur beanstandet werden, wenn sie offensichtlich nicht vertretbar ist, insbesondere weil die Prüfer für ihre Bewertung vernünftige Gründe nicht angeführt, einzelne richtige Teile der Bearbeitung ersichtlich überhaupt nicht bewertet oder willkürlich keine Punkte vergeben haben (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 1.9.2009, a.a.O., Rn. 36, 39). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor und sind auch von der Antragstellerin nicht geltend gemacht worden. Dementsprechend ist es auch nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss aufgrund der Stellungnahme des Erstprüfers, soweit sie sich auf das Wesen der hier vorliegenden Lösungsskizze bezieht, zu dem Ergebnis kommt, dass dieser die Lösungsskizze nicht als verpflichtende Musterlösung gewertet habe und er sich seines Beurteilungsspielraums bewusst gewesen sei.

15

Die Antragstellerin meint des Weiteren, dass der Erstprüfer die Lösungsskizze als verbindliche Vorgabe angesehen habe, zeigten seine Ausführungen in dessen Stellungnahme, es würden eben nicht sämtliche relevanten Punkte angesprochen, was schon allein bei einem Vergleich zwischen der Lösungsskizze und der Klausur deutlich werde. Die Vorgaben in der Lösungsskizze seien die "relevanten Punkte". Damit verschließe sich der Erstprüfer der Möglichkeit, eine Klausurlösung auf Folgerichtigkeit und Konsequenz zu überprüfen, die - einem anderen als dem vorgegebenen Aufbau folgend - weniger Punkte enthalte als die Musterlösung.

16

Damit stellt die Antragstellerin die verwaltungsgerichtliche Einschätzung, der Erstprüfer habe die Lösungsskizze nicht als verpflichtend gewertet und sei sich seines Bewertungsspielraums bewusst gewesen, nicht erfolgreich in Frage. Die von der Antragstellerin angeführten Ausführungen des Erstprüfers in seiner Stellungnahme vom 2. April 2009 beziehen sich auf die von ihr im Widerspruchsverfahren geäußerte Behauptung, in der Klausur habe sie beim Aufgabenteil "Tätigwerden der Kommunalaufsichtsbehörde und Entscheidungsvorschlag" die relevanten Probleme sämtlich angesprochen.

17

Nach Auffassung des Erstprüfers - wie sie bereits aus seinen Randbemerkungen der Kommunalrechtsklausur erkennbar ist - sind die nach der Lösungsskizze im Aufgabenteil "Tätigwerden der Kommunalaufsichtsbehörde und Entscheidungsvorschlag" u.a. vorgesehenen Ausführungen der Antragstellerin zur Unwirksamkeit des Beschlusses wegen der Mitwirkung eines ausgeschlossenen Ratsmitglieds bei der Beschlussfassung nach § 26 Abs. 6 NGO im Rahmen der Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit an der falschen Stelle erörtert, da es sich um ein formelles Problem handele, während die an sich gebotenen Ausführungen zur materiellen Rechtmäßigkeit des Beschlusses am Maßstab der §§ 96 Abs. 1, 85, und 82 Abs. 2 NGO gänzlich fehlten. Er hat daher diesen Aufgabenteil mit 0 Punkte bewertet. Im Übrigen hat der Erstprüfer die Ausführungen der Antragstellerin zum Aufgabenteil "Tätigwerden der Kommunalaufsichtsbehörde und Entscheidungsvorschlag" jedenfalls teilweise gebilligt und den von der Lösungsskizze abweichenden und noch nicht einmal in einem grammatikalisch vollständigen Satz gemachten Entscheidungsvorschlag mit insgesamt 8 Punkten von nach der Lösungsskizze maximal zu vergebenden 20 Punkten bewertet, obwohl die Antragstellerin von dem von dem Erstprüfer und der Lösungsskizze für richtig erachteten Ergebnis abgewichen ist und Ausführungen zu § 26 Abs. 6 NGO an dieser Stelle wie auch Ausführungen zur Frage des Tätigwerdens der Kommunalaufsichtsbehörde allein im öffentlichen Interesse fehlen. Vor diesem Hintergrund sind den von der Antragstellerin gerügten Aussagen des Erstprüfers unter Ziffer 5 seiner Stellungnahme Anhaltspunkte für eine Verletzung seines prüfungsspezifischen Bewertungsspielraums nicht zu entnehmen. Denn es fehlt tatsächlich an der Erörterung wesentlicher Punkte, wobei der Hinweis des Erstprüfers auf einen Vergleich der Klausur mit der Lösungsskizze lediglich als Beleg für seine Auffassung dient. Dies zeigt seine Wortwahl ("schon"). In Anbetracht dessen und der dennoch erfolgten Bewertung des Aufgabenteils "Tätigwerden der Kommunalaufsichtsbehörde und Entscheidungsvorschlag" mit 8 Punkten erweist sich der Vorwurf, der Erstprüfer habe sich dergestalt an die Lösungsskizze gebunden gefühlt, dass er sich einem anderen Aufbau und einer darauf beruhenden Lösung verschlossen habe, ebenfalls als nicht haltbar. Im Übrigen ist nicht zu beanstanden, dass der Erstprüfer mit seinen Randbemerkungen in der Klausur auf den nach seiner Auffassung zutreffenden Lösungsweg, der der Lösungsskizze entspricht, hinweist. Denn dieses dient der gebotenen Nachvollziehbarkeit der von ihm vorgenommenen Bewertung der Aufgabenteile.

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Für ihre Einschätzung, der Erstprüfer habe sich in unzulässiger Weise an die Lösungsskizze gebunden gefühlt, führt die Antragstellerin zudem an, die Aussagen des Erstprüfers in seiner Stellungnahme seien widersprüchlich, wenn er einerseits feststelle, dass sie im Lösungsabschnitt "Zuständigkeit" zu konkreten Ergebnissen gelangt sei, dieses in Gutachterklausuren jedoch "bekanntermaßen" von untergeordneter Bedeutung sei, während er andererseits ausführe, dass es für den Entscheidungsvorschlag wichtig sei, ein korrektes Ergebnis vorzuweisen.

19

Hierbei handelt es sich nach Auffassung des Senats indes nur vermeintlich um einen Widerspruch in den Aussagen des Erstprüfers. Denn die von der Feststellung des Erstprüfers, in Gutachtenklausuren sei das Ergebnis von untergeordneter Bedeutung, abweichenden Ausführungen, dass es für den Entscheidungsvorschlag wichtig sei, ein korrektes Ergebnis vorzuweisen, beziehen sich nur auf den von der Antragstellerin zu bearbeitenden Aufgabenteil "Tätigwerden der Kommunalaufsichtsbehörde und Entscheidungsvorschlag", sodass er nicht - wie die zuvor unter 4 der Stellungnahme getätigte Äußerung - verallgemeinerungsfähig ist. Die Aussage erweist sich mit Blick auf die konkrete Aufgabenstellung jedenfalls als vertretbar, weil die Antragstellerin gehalten war, gutachtlich zu prüfen, "ob der Landkreis gegen den Beschluss des Rates vom 8.10.2008 zu TOP 16 kommunalaufsichtlich vorgehen kann bzw. muss." Der von der Antragstellerin geltend gemachte Bewertungsfehler lässt sich aus dem Zusammenhang dieser Aussagen daher nicht herleiten.

20

Schließlich beanstandet die Antragstellerin, dass der Erstprüfer die von ihr in der Klausur verwendete Formulierung "Als nächstes müsste ein Beschluss vorliegen.", als unzureichend ansehe. Soweit der Erstprüfer meine, sie hätte die dieser Formulierung zugrunde liegende gesetzliche Bestimmung des § 130 Abs. 1 Satz 1 NGO vollständig zitieren und insbesondere auch prüfen müssen, ob der Beschluss vom 8. Oktober 2008 eine "andere Maßnahme" im Sinne dieser Bestimmung sein könne, sei diese Forderung kleinlich und gehe an der Klausurlösung vorbei. Denn die von ihr gewählte Formulierung knüpfe ersichtlich an den Einleitungssatz der gesamten Klausurlösung an, der laute: "Zu prüfen ist, ob die Kommunalaufsichtsbehörde (KAB) gegen den Beschluss des Rates vom 08.10.2008 zu TOP 16 vorgehen kann bzw. muss. Rechtsgrundlage könnte § 130 I 1 NGO sein." Hieran knüpfe die vom Erstprüfer bemängelte Formulierung an, die daher dementsprechend sinngemäß bedeute "... zu prüfen ist, ob der Beschluss des Rates vom 08.10.2008 ... eine Entscheidung im Sinne des § 130 Abs. 1 Satz 1 NGO darstellt". Insoweit könne die Formulierung nicht beanstandet werden und seien Punktabzüge nicht gerechtfertigt.

21

Dieses Vorbringen setzt sich bereits nicht hinreichend mit dem angefochtenen Beschluss auseinander und genügt daher nicht den in§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO normierten Darlegungsanforderungen. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Erstprüfer ausweislich seiner Stellungnahme mit der Randbemerkung "oder eine andere Maßnahme" zu dem Satz in der Klausur "Als nächstes müsste ein Beschluss vorliegen." zum Ausdruck habe bringen wollen, dass § 130 Abs. 1 NGO nicht nur bei einem Beschluss Anwendung finde und sich die Klausurbearbeitung bei der bloßen Darstellung der abstrakten Norm sich nicht ausschließlich im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt auf die von der Kommunalaufsicht zu beanstandenden Beschlüsse beziehen dürfe, sondern die Norm vollständig wiederzugeben sei. Die Subsumtion unter der Norm erfolge im Gutachten erst danach. Diese Beanstandung führe nicht zur Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidung, denn sie stelle sich als Ausdruck seines prüfungsspezifischen Bewertungsspielraums dar, der auch die Entscheidungsfreiheit des Prüfers betreffe, ob bei der Darstellung einer Vorschrift vor der eigentlichen Subsumtion in einem juristischen Gutachten zunächst die Vorschrift unter Aufführung aller Tatbestandsmerkmale wiedergegeben werden solle oder ob es sachgerecht sei, sich bereits bei der Darstellung der Norm auf die für die Falllösung allein in Betracht kommenden Tatbestandsmerkmale zu beschränken. Eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums sei nicht zu erkennen. Im Übrigen dürfte es sich hierbei um ein für das Ergebnis der Klausur untergeordnetes Randproblem gehandelt haben.

22

Hiermit setzt sich das Beschwerdevorbringen nur unzureichend auseinander. Die Antragstellerin zieht die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht in Zweifel, dass es in den prüfungsspezifischen Bewertungsspielraum des Prüfers falle, wenn er bei der Darstellung einer Vorschrift vor der eigentlichen Subsumtion in einem juristischen Gutachten zunächst die Wiedergabe der vollständigen Vorschrift unter Aufführung aller Tatbestandsmerkmale verlange. Soweit sie sich auf die in der Klausur enthaltenen Einleitungssätze bezieht, ist ihrer Argumentation und Interpretation entgegen zu halten, dass der Erstprüfer die dortigen Ausführungen nicht bemängelt hat, sondern Gegenstand der Kritik ist, dass die gerügte Formulierung - insbesondere die Verwendung des Wortes "müsste" - den Schluss zulasse, dass die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Satz 1 NGO nur dann erfüllt sein könnten, wenn ein Beschluss vorliege. Diese Kritik ist auch mit Blick auf die Einleitungssätze nicht von der Hand zu weisen.