Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.12.2009, Az.: 7 ME 55/09
Abfallrechtliche Entsorgungspflicht des Insolvenzverwalters unabhängig von der Aufnahme des Betriebs
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 03.12.2009
- Aktenzeichen
- 7 ME 55/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 27013
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2009:1203.7ME55.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 30.01.2009 - AZ: 2 B 40/09
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 1 KrW-/AbfG
- § 21 KrW-/AbfG
Fundstellen
- AbfallR 2010, 107
- BB 2010, 258
- NJW 2010, 8
- NJW 2010, 1546-1547
- NJW-Spezial 2010, 310-311
- NZI 2010, 235-236
- ZIP 2010, 999-1000
- ZInsO 2010, 1094-1096
- ZUR 2010, 271
Amtlicher Leitsatz
Auch die nach Ergehen der Entsorgungsverfügung, aber vor Erlass des Widerspruchsbescheids erklärte Freigabe von Abfallgegenständen aus der Masse durch den Insolvenzverwalter befreit diesen grundsätzlich von der Entsorgungspflicht, wenn er den Betrieb der Anlage, aus der die Gegenstände stammen, nicht aufgenommen hatte.
Abfallrechtliche Entsorgungspflicht des Insolvenzverwalters
Gründe
I.
Mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss hat das Verwaltungsgericht es abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Antragsgegners vom 26. März 2009 wiederherzustellen.
Mit dem Bescheid ist dem Antragsteller als Insolvenzverwalter der Firma "A. GmbH" aufgegeben worden, bis zum 15. Mai 2009 im Einzelnen aufgeführte gefährliche Abfälle (etwa Bleiglasuren und Altöl) durch eine Fachfirma entsorgen zu lassen und weitere im Einzelnen aufgeführte Abfälle (etwa Ziegel- und Bauschutt, Altholz und verunreinigtes Erdreich) selbst fachgerecht zu beseitigen, ferner, in zwei Bereichen des Betriebes von einem dazu akkreditierten Labor Staubproben entnehmen und diese auf Blei- sowie Bariumkarbonatgehalt untersuchen zu lassen sowie dafür die Auftragsbestätigungen und später die Untersuchungsergebnisse vorzulegen. Für den Fall der Nichtbefolgung drohte der Antragsgegner die Ersatzvornahme an.
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines Beschlusses ausgeführt, dass das öffentliche Interesse an der unverzögerten Umsetzung der angeordneten Maßnahmen durch den Antragsteller dessen Aufschubinteresse überwiege, weil sein Widerspruch gegen die Anordnungen voraussichtlich keinen Erfolg haben werde. Bei den zur Entsorgung angewiesenen Stoffen handele es sich ungeachtet einer eventuell neuen künftigen Verwendung um Abfall im Sinne des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes - KrW-/AbfG -. Auch die angeordneten Beprobungen seien kurzfristig vor Durchführung der Entsorgung erforderlich und rechtlich nicht zu beanstanden. Der Antragsteller sei als Insolvenzverwalter Besitzer der Abfälle geworden und übe damit die tatsächliche Sachherrschaft aus, die ihn abfallrechtlich für die Massegegenstände verantwortlich mache. Daran ändere auch seine nach Zustellung des angefochtenen Bescheides erklärte Freigabe der zu entsorgenden Gegenstände aus der Insolvenzmasse nichts, weil die Entsorgungspflicht immissionsschutzrechtlich an den früheren Betrieb anknüpfe und damit jetzt als Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters fortwirke.
Mit seiner fristgerecht erhobenen Beschwerde verfolgt der Antragsteller das Aussetzungsbegehren weiter und bestreitet seine vom Verwaltungsgericht angenommene Störereigenschaft. Er habe den insolventen Betrieb weder fortgeführt noch alle zu ihm gehörenden Gegenstände in Besitz genommen. Vielmehr sei er von der Gläubigerversammlung lediglich mit dem Abverkauf der noch vorhandenen Ziegel beauftragt worden. Das Grundstück sei nicht Bestandteil der Insolvenzmasse, weil es nicht dem insolventen Unternehmen gehöre. Als Adressaten der Verfügung kämen etwa die früheren Betreiber oder der Grundstückseigentümer in Betracht, ohne dass der Bescheid oder das Verwaltungsgericht dies erörterten. Die Insolvenzmasse, die bereits jetzt eine Unterdeckung aufweise, könnte die veranschlagten Beseitigungskosten ohne Eintritt der Masseunzulänglichkeit gar nicht aufbringen. Jedenfalls sei eine Verantwortlichkeit mit der vorsorglich erklärten Freigabe aus der Masse entfallen. Fortwirkende Betreiberpflichten habe er nicht, weil der Betrieb bereits vor Insolvenzeröffnung stillgelegt worden sei. Da die Abfälle überwiegend ungefährlich seien, liege auch in der Sache kein Interesse an einer sofortigen Vollziehung vor.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen. Die zum Teil gefährlichen Abfälle müssten unverzüglich entsorgt werden. Der Antragsteller sei als Inhaber der tatsächlichen Gewalt Abfallbesitzer und zutreffend als entsorgungspflichtig ausgewählt worden.
II.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren die beantragte Prozesskostenhilfe bewilligt, weil die in den §§ 114 S. 1, 121 Abs. 1 ZPO (§ 166 VwGO) normierten Voraussetzungen dafür - finanzielle Bedürftigkeit und hinreichende Aussicht der Rechtsverteidigung auf Erfolg - vorliegen.
Die von der Beschwerde dargelegten Gründe gebieten die Abänderung des angefochtenen Beschlusses, § 146 Abs. 4 S. 6, S. 3 VwGO. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers ist nach § 80 Abs. 5 S. 1, Abs. 2 Nr. 4 VwGO wiederherzustellen, weil der Bescheid des Antragsgegners vom 26. März 2009 erkennbar rechtswidrig ist und an seiner (sofortigen) Vollziehung deshalb ein öffentliches Interesse nicht bestehen kann.
Eine abfallrechtliche Anordnung wie die im angefochtenen Bescheid getroffene steht nach § 21 KrW- / AbfG im Ermessen des Antragsgegners. Das Ermessen bezieht sich auch auf die Adressatenauswahl, also die Entscheidung, ob nach § 11 Abs. 1 KrW -/AbfG Abfallerzeuger, Abfallbesitzer oder andere Personen in Anspruch zu nehmen sind. Eine Rolle spielen dabei etwa die Grundsätze der Effektivität, der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Zumutbarkeit und das Verursacherprinzip (Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 2. Aufl., Rn. 10 zu § 21, Rn. 9 zu § 11).
1.)
Der angefochtene Bescheid lässt entgegen § 39 Abs. 1 S. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - nicht erkennen, dass der Antragsgegner sein diesbezügliches Ermessen ausgeübt hat. Obgleich der Antragsteller bei seiner Anhörung vor Erlass des Bescheides mitgeteilt hatte, dass der Betrieb seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossen und die Gemeinschuldnerin auch nicht Eigentümerin des Betriebsgrundstücks sei (sondern Frau B. und Herr C.) und er bei einer Inanspruchnahme die auf dem Grundstück lagernden "Altlasten" zur Abwendung einer Masselosigkeit bzw. -unterdeckung aus der Insolvenzmasse freigeben müsse, verweist der Bescheid insoweit lediglich lapidar auf § 3 Abs. 6 KrW-/AbfG und die Sachherrschaft des Antragstellers über die gelagerten Abfälle. Das reicht nicht aus. Denn als Abfallbesitzer ist bzw. war der Antragsteller lediglich einer der potentiell Entsorgungspflichtigen. Unter dem hier vorrangigen Gesichtspunkt der Effektivität (teilweise Gefährlichkeit der Abfälle) kam er mit einer liquiden Insolvenzmasse von seinerzeit 467 Euro (jetzt noch 114,72 Euro, vgl. GA Bl. 150) bei geschätzten Entsorgungskosten von 51.000,00 Euro für eine Heranziehung praktisch weder ganz noch teilweise in Betracht. Der Bescheid schweigt sich trotz Kenntnis dieser Umstände dazu aus, weshalb der Antragsteller trotz eines absehbaren Leerlaufens der Anordnungen gleichwohl herangezogen wird.
Eine darauf eingehende Begründung ist bislang auch nicht nachgeholt worden, § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG. Der Antragsgegner ist lediglich auf die Frage des Abfallbesitzes des Insolvenzverwalters und mögliche Schlussfolgerungen daraus abstrakt vertiefend eingegangen.
Es spricht Vieles dafür, dass insoweit nicht nur ein - hier nach § 46 VwVfG durchschlagender - Begründungsfehler, sondern ein materieller Ermessensfehlgebrauch vorliegt,§§ 40 VwVfG, 114 S. 1 VwGO. Denn es ist, auch wenn Abfallbesitz angenommen wird, nichts dafür ersichtlich, dass der Antragsteller unter Effektivitäts- und Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten richtiger Adressat der Entsorgungsanordnung ist.
2.)
Auch wenn man eine Verantwortlichkeit des Antragstellers nach § 11 Abs. 1 Krw-/AbfG annehmen würde, besteht diese jedenfalls deshalb nicht (mehr), weil er die in der Entsorgungsverfügung aufgeführten Gegenstände unter dem 3. April 2009 aus der Insolvenzmasse freigeben hat (GA Bl. 48).
Der Insolvenzverwalter ist grundsätzlich zur Freigabe von Gegenständen aus der Masse berechtigt, sofern sie unverwertbar sind oder ein die Verwertungskosten übersteigender Erlös nicht zu erwarten ist. Das gilt auch für kontaminierte Grundstücke oder als Abfall zu qualifizierende Massegegenstände (Braun-Kroth, Insolvenzordnung - InsO -, 3. Aufl., Rn. 27 f. zu § 80 m.w.N.). Damit kann der Antragsteller nicht mehr herangezogen werden, weil er die tatsächliche Gewalt über die Gegenstände aufgeben hat und damit nicht mehr Abfallbesitzer nach § 3 Abs. 6 KrW-/AbfG ist (BVerwG, Urt. v. 23. September 2004 - 7 C 22.03 -, BVerwGE 122, 75 <80>). Der Senat geht dabei davon aus, dass der Antragsteller mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 80 Abs. 1 InsO zunächst durchaus das Besitzrecht (und die entsprechende Pflicht) bezüglich der Abfälle erlangt hat und damit als "Zustandsstörer" grundsätzlich auch abfallrechtlich verantwortlich für alle davon ausgehenden Störungen war, ohne dass entgegen der Auffassung des Antragstellers § 148 InsO ein dies ausschließendes Wahlrecht eröffnete (BVerwG, a.a.O., 79 m.w.N., "kraft Besitzergreifung ordnungspflichtig").
Entgegen der Beschlussbegründung des Verwaltungsgerichts hat die Freigabe die - unterstellte - Entsorgungspflicht jedoch nicht fortbestehen lassen.
Dass sie erst nach Erlass der Verfügung vom 26. März 2009 erklärt worden ist, hat insoweit keine Bedeutung, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ersichtlich erst derjenige der Entscheidung über den Widerspruch ist, die noch nicht getroffen wurde (Freigabe erst nach Erlass des Ausgangsbescheids auch in dem vom BVerwG, a.a.O., entschiedenen Fall). Dass sich durch die Freigabe an den faktischen Besitzverhältnissen nichts geändert hätte (vgl. zu diesem Ausnahmefall BVerwG, Beschl. v. 5. Oktober 2005 - 7 B 65.05 -, [...] Rn. 5), ist nicht ersichtlich, weil Anhaltspunkte für Besitz- oder Verfügungsrechte des Antragstellers aus anderen Rechtsgründen - nur um eine Zugriffsmöglichkeit ging es auch vorher - nicht vorliegen.
Für einen Fortbestand der Entsorgungspflicht nach der Freigabeerklärung lässt sich auch aus dem Beschluss des Senats vom 7. Januar 1993 - 7 M 5684/92 - (NJW 1993, 1671) nichts herleiten. In dem dort entschiedenen Fall hatte der Konkursverwalter den Betrieb erst nach Eröffnung des Konkurses eingestellt (vgl. Leitsatz 1). Der Senat hat bei einer derartigen Sachlage das Fortbestehen der Pflicht zur - umfassenden - Verwertung und Beseitigung der Abfälle aus § 5 Abs. 3 Nr. 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - BImSchG - abgeleitet und das damit begründet, dass diese Pflicht nicht an das aufgegebene Eigentum bzw. beim Konkursverwalter an das aufgegebene Verwaltungs- und Verfügungsrecht an den Reststoffen, sondern an den zunächst von ihm weitergeführten und insoweit nicht ungeschehen zu machenden Betrieb der Anlage anknüpft (ebenso BVerwG, Urt. v. 22. Oktober 1998 - 7 C 38.97 -, BVerwGE 107, 299 <303>, vorgehend Nds.OVG, Urt. v. 20. März 1996 - 7 L 2062/95 -, NJW 1998, 398). Diese Situation ist vorliegend aber nicht gegeben, weil der Betrieb der Ziegelei schon vor Insolvenzeröffnung komplett eingestellt war und der Antragsteller damit nicht in die Betreiberstellung eingerückt ist. Masseverbindlichkeiten als Betreiber konnten durch ihn deshalb nicht mehr begründet werden.
3.)
Unter diesen Voraussetzungen kommt es auf die von der Beschwerde weiter gegen Bescheid und Beschluss ins Feld geführten Einwände nicht mehr an.