Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.12.2009, Az.: 12 ME 234/09
Verwertungsverbot für nicht richterlich angeordnete körperliche Untersuchungen für den Bereich des Fahrerlaubnisrechts; Kriterien für die Berücksichtigung einer Blutprobenuntersuchung in einem auf Entziehung der Fahrerlaubnis gerichteten Verwaltungsverfahren
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.12.2009
- Aktenzeichen
- 12 ME 234/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 29471
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2009:1216.12ME234.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 08.09.2009 - AZ: 7 B 2372/09
Rechtsgrundlage
- § 81a Abs. 2 StPO
Fundstellen
- DAR 2010, 221-223
- NJW 2010, 629-630
- NStZ-RR 2010, 274
- NZV 2010, 371-372
- SVR 2010, 69-71
- StRR 2010, 82
- VRR 2010, 83
- VRR 2010, 159-160
- zfs 2010, 114-115
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Für den Bereich des Fahrerlaubnisrechts ist weder im Straßenverkehrsgesetz noch in der Fahrerlaubnis-Verordnung ein ausdrückliches Verwertungsverbot für nicht richterlich angeordnete körperliche Untersuchungen bestimmt.
- 2.
Die Fahrerlaubnisbehörde darf daher im überwiegenden Interesse an dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter einer großen Zahl von Verkehrsteilnehmern in einem auf Entziehung der Fahrerlaubnis gerichteten Verwaltungsverfahren auch ein unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a StPO gewonnenes Ergebnis einer Blutprobenuntersuchung berücksichtigen, wenn aus diesem ohne Weiteres eine fehlende Kraftfahreignung des Betroffenen hervorgeht.
Gründe
Das mit Schreiben vom 22. September 2009 vorgebrachte Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist bei sachgerechter Auslegung als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine noch zu erhebende Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. September 2009 anzusehen, mit dem dieses den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die mit Bescheid des Antragsgegners vom 13. August 2009 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers abgelehnt hat. Diese Auslegung liegt deshalb nahe, weil der Antragsteller die Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss nicht selbst wirksam einlegen kann, sondern sich vor dem Oberverwaltungsgericht durch einen Rechtsanwalt oder eine diesem gleichgestellte und zur Vertretung berechtigte Person gemäß § 67 Abs. 4 VwGO vertreten lassen muss. An dieser Voraussetzung, auf die in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses hingewiesen worden ist, fehlt es bisher. Sie kann auch nicht mehr erfüllt werden, nachdem die Frist für die Einlegung der Beschwerde (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) abgelaufen ist.
Das danach im Interesse des Antragstellers als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Beschwerdeverfahren zu verstehende Begehren des Antragstellers ist zwar zulässig, denn ein solcher Antrag unterliegt nicht dem Vertretungszwang (§ 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO; vgl. auch § 166 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 5, § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO); er ist auch rechtzeitig innerhalb der Beschwerdefrist gestellt worden. Der Antrag ist aber unbegründet, weil die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht gegeben sind. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat nicht die nach § 114 Satz 1 ZPO i.V.m. § 166 VwGO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat im Fall des Antragstellers einen gelegentlichen Konsum von Cannabis und ein fehlendes Vermögen zur Trennung von Konsum und Fahren im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV angenommen, da dieser am 20. Mai 2009 mit einer THC-Konzentration von 7,5 ng/ml und einem THC-COOH-Gehalt von 160 ng/ml ein Kraftfahrzeug geführt und in seinem Schreiben vom 24. August 2009 eingeräumt hat, in der Woche vom 23. bis 30. April 2009 Cannabis konsumiert zu haben. Die Annahme der fehlenden Fahreignung des Antragstellers begegnet bei den hier in Frage stehenden Werten und den vom Antragsteller gemachten Angaben zu seinem Konsumverhalten keinen Bedenken. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit auf die Begründung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts und die dort zitierten Senatsentscheidungen Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Der erneut mit Schreiben vom 22. September 2009 vom Antragsteller vorgebrachte Einwand, nicht unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt zu haben, ist durch den hier festgestellten THC-Wert von 7,5 ng/ml widerlegt, bei dem nach verkehrswissenschaftlichen Erkenntnissen von einem zeitnahen Konsum mit einer entsprechenden Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit auszugehen ist.
Der Antragsteller kann der mit Bescheid vom 13. August 2009 verfügten Fahrerlaubnisentziehung auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die Blutentnahme am 20. Mai 2009 ohne richterliche Anordnung erfolgt sei und das Ergebnis der Blutuntersuchung vom 29. Mai 2009 daher von der Fahrerlaubnisbehörde nicht verwertet werden dürfe. Nach § 81a Abs. 2 StPO steht die Anordnung einer körperlichen Untersuchung dem Richter und nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und - nachrangig - ihren Ermittlungspersonen zu. Die Frage, ob im Fall des Antragstellers im Rahmen der durchgeführten Verkehrskontrolle am 20. Mai 2009 die Voraussetzungen der Gefährdung des Untersuchungserfolges vorgelegen haben, ist - soweit ersichtlich - bislang nicht Gegenstand einer strafgerichtlichen Entscheidung oder einer Bußgeldentscheidung gewesen. Diese Frage lässt sich im vorliegenden Verfahren auf Grundlage der im Verwaltungsvorgang des Antragsgegners befindlichen polizeilichen Ermittlungsunterlagen auch nicht abschließend beantworten. Gegen eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs könnte allerdings sprechen, dass der Antragsteller laut polizeilichem Bericht vom 26. Mai 2009 um 11.15 Uhr kontrolliert worden ist und keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass angesichts des einfach gelagerten und ohne Weiteres überschaubaren Sachverhalts ein Richter zu dieser Zeit nicht hätte angerufen werden und dieser auch ohne Aktenvorlage fernmündlich die begehrte Anordnung hätte treffen können, so dass vermutlich bei Einschaltung des Richters eine (erhebliche) zeitliche Verzögerung nicht eingetreten wäre (vgl. dazu OLG Celle, Beschl. v. 15.9.2009 - 322 SsBs 197/09 -, [...]; ferner Beschl. v. 6.8.2009 - 32 Ss 94/09 -, NJW 2009, 3524-3527). Selbst wenn man zugunsten des Antragstellers von einem Verstoß gegen die strafprozessuale Beweiserhebungsvorschrift des§ 81a Abs. 2 StPO ausgeht, folgt daraus nicht zugleich ein Verbot für den Antragsgegner, das Ergebnis der Blutuntersuchung im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren zu verwerten. Für den Strafprozess ist anerkannt, dass über das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes - mit Ausnahme ausdrücklich geregelter Verwertungsverbote wie in § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO - jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.7.2009 - 2 BvR 2225/08 -, NJW 2009, 3225-3226 m.w.N. zur Rechtsprechung der Strafgerichte). Im Anwendungsbereich des § 81a StPO, der - wie dargelegt - eine Eilanordnung durch Polizeibeamte ohnehin nicht schlechterdings ausschließt, tritt das staatliche Strafverfolgungsinteresse gegenüber dem Individualinteresse des Einzelnen an der Bewahrung seiner Rechtsgüter zurück, wenn Gefahr im Verzug willkürlich angenommen und der Richtervorbehalt bewusst und gezielt umgangen bzw. ignoriert wird oder wenn die Rechtslage bei Anordnung der Maßnahme in gleichwertiger Weise verkannt worden ist (OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.10.2009 - 2 SsBs 149/09 -, NJW 2009, 3591-3592; ferner OLG Celle, Beschl. v. 6.8.2009 - 32 Ss 94/09 -, a.a.O., jeweils m.w.N.). Gegen die Annahme eines strafprozessualen Verwertungsverbots spricht hier, dass bei einem Sachverhalt der hier vorliegenden Art eine richterliche Anordnung mit hoher Wahrscheinlichkeit regelmäßig auch fernmündlich und typischerweise zu ergehen pflegt, dass eine Blutentnahme durch einen Arzt einen eher geringfügigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen darstellt, dem andererseits ein erhebliches öffentliches Interesse an der Abwendung erheblicher Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer gegenübersteht, und dass die die Blutentnahme anordnende Polizeibeamtin die Notwendigkeit einer richterlichen Anordnung nicht schlechthin verkannt, sondern eine solche im Einzelfall wegen Eilbedürftigkeit als entbehrlich angesehen hat (vgl. dazu OLG Celle, Beschl. v. 15.9.2009 und 6.8.2009, a.a.O.).
Selbst wenn man indes ein strafprozessuales Verwertungsverbot annehmen wollte, bedeutete das nicht, dass im vorliegenden Zusammenhang eine entsprechende Beurteilung geboten wäre. Zwar muss die Behörde auch im Verwaltungsverfahren bei ihrer Ermittlungstätigkeit die sich aus Gesetzen, allgemeinen Verfahrensgrundsätzen und Grundrechten ergebenden Grenzen beachten (vgl. Bader/Ronellenfitsch, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rn 30). Für den Bereich des Fahrerlaubnisrechts ist aber weder im Straßenverkehrsgesetz noch in der Fahrerlaubnis-Verordnung ein ausdrückliches Verwertungsverbot für nicht richterlich angeordnete körperliche Untersuchungen bestimmt. Ebenso wie im Strafprozessrecht kann daher ein solches Verbot nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls unter Abwägung der gegenläufigen Interessen angenommen werden, wobei jedoch in Verwaltungsverfahren, die wie das Fahrerlaubnisrecht der Gefahrenabwehr dienen, nicht ohne Weiteres dieselben Maßstäbe wie im repressiven Bereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts gelten (vgl. bereits Senat, Beschl. v. 14.8.2008 - 12 ME 183/08 -, VD 2008, 242-244 unter Bezugnahme auf OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 20.3. 2008 - 1 M 12/08 -, [...]; zuletzt Beschl. v. 5.11.2009 - 12 ME 237/09 -; ferner VG Osnabrück, Urt. v. 20.2.2009 - 6 A 65/08 -, [...] und VG Braunschweig, Beschl. v. 29.1.2008 - 6 B 214/07 -, [...]). Denn im Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis hat die Behörde maßgeblich und mit besonderem Gewicht weitere Rechtsgüter Drittbetroffener und das öffentliche Interesse am Schutz der Allgemeinheit vor Fahrerlaubnisinhabern, die sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen haben, zu beachten. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es, ein von der Fahrerlaubnisbehörde rechtswidrig angeordnetes Gutachten über die Fahreignung bei der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis zu berücksichtigen, wenn das Gutachten ein eindeutig negatives Ergebnis ausweist (vgl. bereits Senatsbeschl. v. 14.8.2008 - 12 ME 183/08 -, a.a.O.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 20.3. 2008 - 1 M 12/08 -, a.a.O.). Dieser Gedanke gilt umso mehr, wenn der Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften nicht von der Fahrerlaubnisbehörde selbst zu verantworten ist. Da der Verstoß gegen die strafprozessuale Beweiserhebungsvorschrift des § 81a StPO in Konstellationen wie vorliegend nicht von der für das Verwaltungsverfahren zuständigen Fahrerlaubnisbehörde ausgeht, kann die für das Strafverfahren gültige Überlegung, dass das Interesse des Einzelnen an der Bewahrung seiner Rechtsgüter zu Lasten des staatlichen Strafverfolgungsinteresses bei groben Verstößen durch die für die Strafverfolgung zuständigen Behörden unter dem Gesichtspunkt einer fairen Verfahrensgestaltung überwiegt, auf das Fahrerlaubnisentziehungsverfahren nicht übertragen werden. Die Fahrerlaubnisbehörde darf daher im überwiegenden Interesse an dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter einer großen Zahl von Verkehrsteilnehmern in einem auf Entziehung der Fahrerlaubnis gerichteten Verwaltungsverfahren auch ein unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a StPO gewonnenes Ergebnis einer Blutprobenuntersuchung berücksichtigen, wenn aus diesem ohne Weiteres eine fehlende Kraftfahreignung des Betroffenen hervorgeht. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass weder das Straßenverkehrsgesetz noch die Fahrerlaubnis-Verordnung für die Anordnung von ärztlichen Untersuchungen und Begutachtungen einen Richtervorbehalt vorsehen und es einen Wertungswiderspruch bedeutete, wenn Fälle, die ihren Ausgang in einem straf- oder bußgeldrechtlich ahndungsfähigen Verkehrsverstoß nehmen, anders behandelt würden als solche, in denen die Behörde nach § 11 Abs. 2 FeV aufgrund ihr bekannt gewordener Tatsachen selbst Zweifeln an der Kraftfahreignung eines Betroffenen nachgeht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 3.11.2009 - 1 S 205.09 -, [...]).