Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.12.2009, Az.: 4 LA 357/08
Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) auf die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit des NDR
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 23.12.2009
- Aktenzeichen
- 4 LA 357/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 29537
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2009:1223.4LA357.08.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG
- § 1 Abs. 1 NVwVfG
- § 37 Abs. 1 S. 1 NDRVtr
- § 124 Abs. 2 Nr. 1,2,3 VwGO
- § 80 VwVfG
Fundstellen
- DVBl 2010, 267
- NVwZ-RR 2010, 215-216
- NdsVBl 2010, 112
- NordÖR 2010, 65-66
Amtlicher Leitsatz
Das VwVfG ist in Niedersachsen auf die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit des NDR anwendbar.
Gründe
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses den Beklagten verpflichtet hat, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren, das die Befreiung des Klägers von der Rundfunkgebührenpflicht aus sozialen Gründen zum Gegenstand gehabt hat, für notwendig zu erklären, hat keinen Erfolg.
Die von dem Beklagten geltend gemachten Berufungszulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO liegen nicht vor bzw. sind nicht hinreichend dargelegt worden.
Entgegen der Ansicht des Beklagten bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Der Einwand des Beklagten, das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), hier § 80 VwVfG, sei auf ihn nicht anwendbar, ist unzutreffend.
Nach § 1 Abs. 1 Niedersächsisches Verwaltungsverfahrensgesetz (NVwVfG) gelten die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes mit Ausnahme der §§ 1, 2, 61 Abs. 2 und 100 bis 101 für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit (u.a.) der der Aufsicht des Landes unterstehenden Anstalten des öffentlichen Rechts.
Der Beklagte ist nach § 1 Abs. 1 des Staatsvertrages über den Norddeutschen Rundfunk (NDR) vom 25. Februar 1992 - NDRVtr -, dem das Land Niedersachsen mit dem Gesetz zu dem Staatsvertrag über den NDR vom 25. Februar 1992 zugestimmt hat, eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 NDRVtr führen die Regierungen der Länder die Aufsicht über den NDR hinsichtlich der Einhaltung der Bestimmungen dieses Staatsvertrages und der allgemeinen Rechtsvorschriften. Der Beklagte unterliegt demnach als Anstalt des öffentlichen Rechts der Landesaufsicht, wie dies § 1 Abs. 1 NVwVfG voraussetzt, wobei es insofern unerheblich ist, dass es sich nach § 37 Abs. 1 Satz 1 NDRVtr um eine Rechtsaufsicht handelt, die von den an dem genannten Staatsvertrag beteiligen Ländern nach § 37 Abs. 1 Satz 2 NDRVtr im Wechsel von 18 Monaten wahrgenommen wird. Da es sich bei der Tätigkeit des Beklagten im Zusammenhang mit der Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht aus sozialen Gründen, also auch bei der Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren, zudem um eine öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit handelt, sind sämtliche Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 NVwVfG für eine Anwendung der Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes auf diese Tätigkeit des Beklagten erfüllt.
Es sind auch keine Gründe ersichtlich, die gegen die Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes auf die hier in Rede stehende Verwaltungstätigkeit des Beklagten sprechen könnten. Eine Ausnahme bei der Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes für Rundfunkanstalten, wie sie in anderen Landesverwaltungsverfahrensgesetzen vorgesehen ist, enthält das Niedersächsische Verwaltungsverfahrensgesetz nicht. Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich eine Nichtanwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes auch nicht aus der "Staatsferne" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Denn bei den Tätigkeiten des Beklagten im Zusammenhang mit der Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht handelt es sich um schlichte hoheitliche Verwaltungstätigkeit, die nicht in den Kernbereich der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Rundfunkfreiheit fällt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.4.2008 - 19 A 368/04 -; Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, Kommentar, 7. Aufl. 2008, § 2 Rn. 22), auch wenn die Gebührenerhebung nach den Ausführungen des Beklagten dazu beiträgt, ihm eine "unabhängige Finanzierungsgrundlage" zu sichern.
Soweit der Beklagte sich mit der seiner Ansicht nach nicht möglichen entsprechenden Anwendung des § 80 VwVfG und anderer Kostenerstattungsregelungen auseinandersetzt und insofern Rechtsprechung anführt, übersieht er, dass § 80 VwVfG in Niedersachsen unmittelbar anzuwenden ist und die in anderen Bundesländern, in denen die Rundfunkanstalten von einer Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes auf ihre Tätigkeit ausgenommen sind, sich ergebende Frage nach einer entsprechenden Anwendung der Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.4.2008 - 19 A 368/04 -, Bayerischer VGH, Urteil vom 14.11.2006 - 7 BV 06.3364 -; Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 2 Rn. 22) sich hier daher nicht stellt.
Der weitere Einwand des Beklagten, die Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 VwVfG hätten hier nicht vorgelegen, da die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nicht notwendig gewesen sei, genügt bereits nicht den Anforderungen an die Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, da der Beklagte sich mit den diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht auseinandergesetzt hat.
Die Darlegungserfordernisse sind ebenfalls nicht erfüllt hinsichtlich der von dem Beklagten zudem geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, da der Beklagte zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes eine entscheidungserhebliche Frage, die über den Einzelfall hinaus einer allgemeinen Klärung bedarf, nicht konkret bezeichnet hat. Im Übrigen lassen sich die hier entscheidungserheblichen Fragen nach dem oben Gesagten auf der Grundlage des klaren Gesetzeswortlauts des § 1 Abs. 1 NVwVfG bereits im Berufungszulassungsverfahren ohne jede Schwierigkeit beantworten. Auch diesem Grunde kommt eine Zulassung der Berufung weder wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO noch wegen der von dem Beklagten ferner behaupteten besonderen rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO in Betracht.