Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.08.2011, Az.: 1 ME 107/11
Voraussetzungen einer Verpflichtung zur Vorlage von Lärm- und Geruchsgutachten durch den Bauantragsteller für eine Biogasanlage
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 09.08.2011
- Aktenzeichen
- 1 ME 107/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 25692
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:0809.1ME107.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs. 1 BImSchG
- § 17 BImSchG
- Nr. 3.2.1 TA Lärm
- Nr. 4.2 der TA Lärm
- Nr. 7.4 Abs. 2 TA Lärm
- § 37 Abs. 1 VwVfG
- § 71 Abs. 2 NBauO
Fundstellen
- AUR 2012, 71-74
- AbfallR 2011, 293
- BauR 2012, 83-87
- DVBl 2011, 1297-1299
- NVwZ 2012, 124-126
Amtlicher Leitsatz
Zu den Voraussetzungen, unter denen die Baugenehmigungsbehörde dem Bauantragsteller für eine Biogasanlage die Vorlage von Lärm- und Geruchsgutachten abverlangen kann.
Gründe
Der Antragsteller wendet sich als Nachbar gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin für den Neubau einer Biogasanlage im Außenbereich in der Nähe des nordwestlichen Ortsrandes von Rottorf.
Er selbst ist Eigentümer des letzten mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks am westlichen Ende des C., der in den Außenbereich hineinführt. Die streitige Biogasanlage soll jenseits eines nach Norden abgehenden Weges in einer Biegung der genannten Straße hin zum D. errichtet werden. Aus der Sicht des Antragstellers beginnt die Anlage in etwa 150 m Entfernung mit der Zu- und Ausfahrt vom E., die zunächst zu einem Fahrsilo führt. Eine zweite Zu- und Ausfahrt ist nach Westen vorgesehen.
Nach der ursprünglichen, der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zugrunde liegenden Baugenehmigung vom 19. August 2010 sollte der Fahrsilo dreigeteilt mit Flächen von zweimal 1.600 m2 und einmal 1.530 m2 angelegt und in Längsrichtung (ungefähr Nord-Süd) durch vier 2,74 m hohe Wälle voneinander getrennt bzw. nach außen begrenzt werden. Nördlich des Fahrsilos sollen ein Fermenter und ein Gärrestelager mit jeweils 28 m Durchmesser sowie - diese beiden verbindend - ein Technikraum entstehen sowie nahe der Nordwestecke des Fahrsilos ein Blockheizkraftwerk und eine Gasaufbereitungsanlage. Diese Gesamtanlage sollte überwiegend durch einen Wall eingeschlossen werden, dessen Höhe in der Baugenehmigung nicht festgelegt ist, der allerdings nach Süden hin den Zufahrtsbereich und den Fahrweg am südlichen Rand des Fahrsilos offen ließ.
Die Baugenehmigung ist mit einer Vielzahl von Inhalts- und Nebenbestimmungen versehen, die zum Teil auf den Stellungnahmen anderer Fachbehörden beruhen. Unter A. 23. heißt es:
"Bei begründeten Nachbarbeschwerden über Lärmimmissionen ist durch geeignete Maßnahmen (z.B. Errichtung einer Lärmschutzwand, Einschränkung der Nutzungszeiten) die Einhaltung der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm - sicherzustellen."
Unter C. 1. sind verschiedene Vorgaben des Landkreises Harburg, Abteilung Boden/ Luft/Wasser/Immissionsschutz übernommen. Danach dürfen am Wohnhaus des Antragstellers tags 60 dB(A) und nachts 45 dB(A) nicht überschritten werden. Die Einhaltung der Immissionswerte ist auf besonderes Verlangen des Landkreises Harburg nachweisen zu lassen.
Das Blockheizkraftwerk wird nach der Betriebschreibung schallisoliert in einem gedämmten Gebäude aufgestellt. In der Baubeschreibung heißt es, der Container sei "schall- und wärmeisoliert, schallgedämpft, zwangsbelüftet, ex-schutzausgerüstet". Nach Nr. 3.4 der technischen Beschreibung kann durch Schallkapsel eine Geräuschdämmung um 25 dB(A) erreicht werden; in Nr. 3.6 wird ein "schallgedämmter Aggregatcontainer" beschrieben. In Nr. 4.1 der Leistungsbeschreibung zum Blockheizkraftwerk wird zur (optionalen) Schallschutzkapsel u.a. ausgeführt, es bestehe ein sehr hohes Schallschutzabsorptionsvermögen im tiefen Frequenzbereich und die Geräuschentwicklung betrage in 10 m Abstand 65 dB(A). Empfohlen werde ein Betonfundament auf Schalldämmunterlagen. In Nr. 9.1 und 9.2 werden die Abgasgeräusche und das Schalldämpfer-System beschrieben. Jede Seite dieser Unterlagen ist durch Grünstempel der Antragsgegnerin als Anlage zur Baugenehmigung gekennzeichnet.
Auf den Widerspruch des Antragstellers hat die Antragsgegnerin weitere Stellungnahmen des Landkreises Harburg und der Landwirtschaftskammer eingeholt.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt, weil der Einschätzung der Antragsgegnerin zu folgen sei, dass keine unzumutbaren Geräuschbelastungen von der Biogasanlage ausgingen. Das folge aus der großen Entfernung der Anlage vom Wohnhaus, der Umgrenzung der Anlage mit Wällen und der Unterbringung des Biogasmotors in einem schallmindernden Container. Es sei auch nicht substantiiert dargetan, dass die Verkehrsgeräusche auf den öffentlichen Verkehrsflächen nach Maßgabe der Nr. 7.4 Abs. 2 TA Lärm zu berücksichtigen seien, weil der größte Teil des Verkehrs von und zu der Anlage voraussichtlich von Westen erfolge, wo auch die bewirtschafteten Flächen lägen. Zudem sei davon auszugehen, dass bereits eine Vermischung mit dem übrigen Verkehr eingetreten sei.
Auch unzumutbare Geruchsbelästigungen seien nicht zu besorgen. Das Grundstück des Antragstellers liege in einem festgesetzten Dorfgebiet, wo nach der GIRL grundsätzlich 15% Geruchsstundenanteile hinzunehmen seien. Unter Umständen seien nach der obergerichtlichen Entscheidungspraxis auch deutlich höhere Werte zumutbar. Hier seien die Abstände ähnlich wie im Falle des Senatsbeschlusses vom 14. März 2007 (- 1 ME 222/06 -, BauR 2007, 1192).
Das Auftreten tieffrequenten Schalls sei im Prognosewege kaum zu beurteilen; insoweit sei der Antragsteller auf die Möglichkeit nachträglicher Minderungsanordnungen nach § 17 BImSchG zu verweisen.
Mit Nachtrag vom 5. Mai 2011 genehmigte die Antragsgegnerin eine Reihe von Veränderungen am Vorhaben, u.a. Verschiebungen und Größenänderungen von Fermenter, Gärrestelager und Blockheizkraftwerk und anderen Anlagen, den Wegfall aller Silowände und Verschiebung der Lagerflächen sowie Veränderungen an den Einwallungen. Diese sollen nunmehr beiderseits bis an die Zu- und Ausfahrt an E. verlängert werden.
Mit seiner Beschwerde trägt der Antragsteller unter Einbeziehung dieser Änderung vor:
Das Verwaltungsgericht gehe zwar zutreffend davon aus, dass am Grundstück des Antragstellers Werte von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts einzuhalten seien. Dies beziehe sich aber auf die Gesamtbelastung, nicht auf die Immissionen nur eines einzelnen Emittenten. Damit gewähre die fragliche Nebenstimmung zur Baugenehmigung keinen ausreichenden Schutz. Die zusätzliche Auflage, auf Verlangen des Landkreises nachzuweisen, dass die Immissionswerte eingehalten würden, ändere daran nichts.
Verkannt werde auch die tatsächliche Lärmvorbelastung. Geräuscheinwirkungen gebe es bereits seitens zweier landwirtschaftlicher Betriebe und eines angrenzenden Pferdehofs sowie der betriebsbezogenen Verkehrsgeräusche.
Bei dem streitigen Vorhaben unterschätze das Verwaltungsgericht den von dem nur rund 140 m entfernten Fahrsilo ausgehenden Lärm, zumal nicht sichergestellt sei, dass dieser nur von Westen und Norden beliefert würden. Auch die Zuwegung zu benachbarten riesigen Silagesilos münde etwa 110 m nördlich seines Grundstücks in den E. ein.
Die Wälle um die Biogasanlage herum seien viel zu niedrig für einen schallmindernden Effekt.
Infolgedessen hätte die Antragsgegnerin der Beigeladenen ein Schallgutachten abverlangen müssen. Die Klärung der Lärmsituation sei nicht Sache des rechtsuchenden Nachbarn; die Beweislast für die Nachbarverträglichkeit treffe vielmehr die Baugenehmigungsbehörde.
Hinsichtlich der Geruchsbelastung lasse das Verwaltungsgericht offen, bei welchem Geruchsstundenwert es die Grenze ziehe. Auf die Irrelevanzklauseln komme es hier ersichtlich nicht an. Der besonders problematische Fahrsilo sei offensichtlich nicht berücksichtigt worden; insoweit sei der Sachverhalt der herangezogenen Senatsentscheidung nicht vergleichbar.
Soweit auf ein Gutachten aus dem Jahr 2009 zurückgegriffen werde, habe dies auf anderen tatsächlichen Voraussetzungen beruht. Jedenfalls lasse sich aber daraus nicht herleiten, dass die Hauptwindrichtung nicht auf das Grundstück des Antragstellers weise. Tatsächlich wehten die Winde in Rottorf überwiegend aus nordwestlichen Richtungen. Gerade dort solle die Biogasanlage errichtet werden, nicht - wie auch der Landkreis Harburg fälschlich gemeint habe - nördlich vom Wohnhaus. Dem damaligen Gutachten lasse sich nicht entnehmen, dass die von den beiden landwirtschaftlichen Betrieben ausgehenden Immissionen unterhalb von 2% der Jahresgeruchsstunden lägen. Tatsächlich seien die Gerüche deutlich wahrnehmbar. Erst recht gelte dies für die Gerüche vom benachbarten Pferdehof her.
Unzutreffend sei deshalb die Annahme des Verwaltungsgerichts, das Grundstück sei keinen erheblichen Vorbelastungen ausgesetzt. Es werde vielmehr häufig vom Silagegeruch aus den etwa 110 m entfernten, nördlich benachbarten Silagesilos überzogen. Im Übrigen sei der gesamte nördliche Bereich von Rottorf mit emittierenden Einrichtungen versehen. Vor allem mache sich auch die Geruchsbelastung durch den benachbarten Pferdehofbetrieb bemerkbar. Infolgedessen hätte die Antragsgegnerin der Beigeladenen auch die Beibringung eines Geruchsgutachtens abverlangen müssen, zumal die Baugenehmigung nicht einmal Nebenbestimmungen zur Nachkontrolle enthalte.
Hinsichtlich des tieffrequenten Schalls, der erfahrungsgemäß von Biogasanlagen ausgehe, habe das Verwaltungsgericht ihn nicht auf nachträgliches Tätigwerden verweisen dürfen. Für vergleichbar emittierende Windenergieanlagen sei dies bereits geklärt.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hätten auch Brandschutzbestimmungen nachbarschützenden Charakter.
Die nachträglich erteilte Änderungsgenehmigung verschlimmere die Situation.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene treten dem entgegen.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist im Nachbarstreit vorläufiger Rechtsschutz nur dann zu gewähren, wenn derzeit Überwiegendes für die Annahme spricht, die angegriffene Baugenehmigung verletze Drittrechte des Antragstellers (vgl. im EinzelnenBeschl. v. 25.01.2007 - 1 ME 177/06 -, BauR 2007, 1394). Ähnlich hat z.B. der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hervorgehoben, es sei nur dann gerechtfertigt, bereits vor der Entscheidung in der Hauptsache die Nutzung einer baulichen Anlage im Weg des einstweiligen Rechtsschutzes zu unterbinden, wenn die zu erwartenden Beeinträchtigungen erkennbar und erheblich über das Maß dessen hinausgingen, was die Nachbarn letztlich hinzunehmen haben würden (Beschl. v. 25.10.2010 - 2 CS 10.2137 -, BauR 2011, 256). Auch der Antragsteller geht aber derzeit nicht davon aus, dass eine Verletzung seiner Rechte feststeht. Er meint vielmehr, die darüber mangels Einholen von Gutachten bestehende Unsicherheit dürfe nicht zu seinen Lasten gehen.
Dem folgt der Senat im Ergebnis nicht.
Zwar gibt es Fallkonstellationen, in denen Risiken, die nach Erteilung einer Baugenehmigung "offen" bleiben, zum Nachteil der Behörde und des Bauherrn gereichen. Eine Verletzung von Nachbarrechten kann z.B. vorliegen, wenn die Baugenehmigung zu unbestimmt i.S.v. § 37 Abs. 1 VwVfG ist und diese Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft oder wenn infolge der Unbestimmtheit der Baugenehmigung nicht beurteilt werden kann, ob das Vorhaben nachbarschützenden Vorschriften entspricht (vgl. Senatsbeschl. v. 30.11. 2005 - 1 ME 172/05 -, NVwZ-RR 2007, 7; OVG Koblenz, Urt. v. 7.10.2009 - 1 A 10872/07 -, BauR 2010, 581). Es entspricht auch der Rechtsprechung des Senats, dass eine Baugenehmigung bestehende Konflikte nicht nur scheinbar, d.h. "auf dem Papier" lösen darf (vgl. Senatsbeschl. v. 8.2.2011 - 1 LA 109/08 -, [...] und www.dbovg.niedersachsen.de; Urt. v. 18.11.1993 - 1 L 355/91 -, UPR 1994, 345; Beschl. v. 25.11.1994 - 1 M 4954/94 -, 1 M 4954/94 -, [...]; Urt. v. 17.4.1997 - 1 L 2051/96 -, [...]; Urt. v. 29.8.1995 - 1 L 3462/94 -, BauR 1996, 79; Beschl. v. 19.1.2010 - 1 ME 239/09 -, n.v.; OVG Saarlouis, Beschl. v. 26.1.2007 - 2 W 27/06 -, BauR 2008, 652). Das ist z.B., aber nicht nur der Fall, wenn losgelöst von den Verhältnissen des Einzelfalls lediglich die Einhaltung von bestimmten Richtwerten vorgeschrieben wird, ohne dass geklärt ist, ob und wie dies gewährleistet und überprüft werden kann.
Eine solche Fallkonstellation liegt hier indes nicht vor. Die Baugenehmigung enthält zwar Nebenbestimmungen (A. 23. und C.1.), die - über die Bekundung "guten Willens" der beteiligten Behörden hinaus - zur Bewältigung eventueller Immissionskonflikte nichts beitragen. Weder ergibt sich daraus, wann Nachbarbeschwerden als "begründet" anzusehen sind, noch unter welchen Umständen der Landkreis Harburg verlangen wird, die Einhaltung der Immissionswerte nachzuweisen. Die Baugenehmigung legt jedoch eigenständig das zu beachtende "Schutzniveau" des Wohnhauses des Antragstellers fest, nämlich 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts. Darauf, dass der Antragsteller auf die Einhaltung dieser Werte wegen der Randlage des Grundstücks und der Gebietsvorbelastung möglicherweise keinen Anspruch hätte, kommt es danach nicht mehr an.
Der Umstand, dass die Baugenehmigung ohne vorherige Einholung von Immissionsgutachten erteilt worden ist, ist hier nicht damit gleichzusetzen, dass die Baugenehmigung mit dieser Schutzniveaufestlegung "losgelöst von den Verhältnissen des Einzelfalls" erteilt worden wäre. Soweit dies bereits im Eilverfahren beantwortet werden kann, war die vorherige Einholung von Gutachten rechtlich vielmehr nicht geboten:
Die Frage, ob die Baugenehmigungsbehörde dem Bauherrn im Genehmigungsverfahren die Vorlage von Gutachten abverlangen kann, beantwortet sich grundsätzlich nach § 71 Abs. 2 NBauO (Bauvorlagen). Diese Vorschrift betrifft unmittelbar nur das Rechtsverhältnis zwischen Behörde und Bauherrn; nachbarschützende Wirkung hat sie nicht. Unterbleibt die Einholung eines an sich erforderlichen Gutachtens, führt dies nur dazu, dass das Gericht im Nachbarstreit die verbleibenden Fragen im Hauptsacheverfahren von Amts wegen selbst aufzuklären hat, in der Regel durch Beauftragung eines gerichtlichen Sachverständigen.
Das von der Behörde an den Bauherrn gerichtete Verlangen nach Vorlage von Gutachten bedarf einer sachlichen Rechtfertigung. Schon wegen der regelmäßig dafür anfallenden finanziellen Aufwendungen muss ernsthaft in Betracht kommt, dass dem Vorhaben Hindernisse entgegenstehen. Dass überhaupt Umwelteinwirkungen wie Lärm und Gerüche auftreten werden, reicht nicht; sie müssen zumindest das Potential haben, als "schädlich" im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG qualifiziert zu werden. Möglicherweise übertriebene Besorgnisse potentiell Betroffener rechtfertigen die Anforderung eines Gutachtens allein noch nicht.
Wann die Anforderung eines Gutachtens erforderlich ist, ergibt sich vielmehr nach materiellen Maßstäben, welche den einschlägigen Regelwerken zu entnehmen sind.
Für die Beurteilung von Lärm durch den Betrieb von Biogasanlagen gilt insoweit Folgendes:
In Nr. 3.2.1 TA Lärm ist für Anlagen, die nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftig sind, zur Sicherstellung des Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen eine "Prüfung im Regelfall" vorgesehen. Nach Nr. 3.2.1 Abs. 6 TA Lärm ist hierfür in der Regel eine Prognose der Geräuschimmissionen der zu beurteilenden Anlage vorzunehmen. Die Einzelheiten hierzu sind im Anhang der TA Lärm unter A.2 geregelt.
Für nicht nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftige Anlagen - wie sie hier vorliegt - sieht Nr. 4.2 der TA Lärm dagegen nur eine "vereinfachte Regelfallprüfung" vor und schränkt u.a. unter b) das Erfordernis einer Einholung von Prognosen ein. Danach ist eine Prognose im Sinne der Nr. A.2 des Anhangs entbehrlich, wenn auf Grund von Erfahrungswerten an vergleichbaren Anlagen zu erwarten ist, dass der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen "sichergestellt" ist.
Insoweit wird die Auffassung vertreten, dass an prognostische Einschätzungen dieser Art hohe Anforderungen zu stellen sind (vgl. Müller-Wiesenhaken/Kubicek, ZfBR 2011, 217, 220 unter Hinweis auf OVG Münster, Beschl. v. 26.2.2003 - 7 B 2434/02 -, BauR 2003, 1361). Das darf im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes aber nicht zu einer Verschiebung des oben angesprochenen Maßstabes führen, wonach Drittschutz nur gewähren ist, wenn derzeit Überwiegendes für die Annahme spricht, die angegriffene Baugenehmigung verletze Drittrechte des Antragstellers. Insoweit kommt im Übrigen auch dem Umstand Bedeutung zu, dass es häufig ausreichen kann, im Rahmen des Hauptsacheverfahrens die Inhalts- und Nebenbestimmungen einer angegriffenen Baugenehmigung nachträglich präziser zu fassen oder zusätzliche Schutzmaßnahmen anzuordnen, um den Nachbarbelangen Rechnung zu tragen.
Hier ist die Antragsgegnerin nach Einholung von Stellungnahmen der Landwirtschaftskammer und des Landkreises Harburg ersichtlich davon ausgegangen, auf Grund von Erfahrungswerten an vergleichbaren Anlagen sei zu erwarten, dass der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen sichergestellt sei. Die Fehlerhaftigkeit dieser Einschätzung drängt sich zunächst bezogen auf die ursprüngliche Baugenehmigung nicht auf. Den Abstand des Wohnhauses des Antragstellers zur nächstgelegenen Ecke der Fahrsiloanlage hat die Antragsgegnerin mit 180 m ermittelt. Diese Anlage sollte in Längsrichtung über vier jeweils 2,74 m hohe Wälle verfügen, die den Lärm in Richtung auf das Wohnhaus des Antragstellers jedenfalls teilweise abgeschirmt hätten. Anhaltspunkte dafür, dass von diesem Teil der Gesamtanlage besonders gravierende Lärmwirkungen ausgehen, bestehen nicht. Den "Mehrverkehr" auf den öffentlichen Straßen bei Betrieb der Biogasanlage im Vergleich zum bisherigen Zustand hat die Antragsgegnerin mit ca. 456 Fahrzeugen pro Jahr oder 1,24 Fahrzeugen pro Tag errechnet. Das fällt selbst dann nicht entscheidend ins Gewicht, wenn saisonale Häufungen zu berücksichtigen sind. Im Übrigen ist realistischerweise davon auszugehen, dass die Fahrten zur Fahrsiloanlage hauptsächlich von Nordwesten her erfolgen, weil sich dort die überwiegende Zahl der Anbauflächen befindet.
Was die tieffrequenten Geräusche anbetrifft (vgl. Nr. 7.3 der TA Lärm i.V.m. Nr. A 1.5 des Anhangs), mag es Erfahrungswerte dahin geben, dass diese von Motoren in Blockheizkraftwerken ausgehen können (vgl. Müller-Wiesenhaken/Kubicek, ZfBR 2011, 217, 220). Hier ist dieser Motor jedoch durch Kapselung geräuschgedämmt; die in Bezug auf andere Geräte dieser Art getroffenen Befunde lassen sich deshalb nicht ohne Weiteres auf das hier vorgesehene konkrete Modell übertragen.
Hinzu kommt, dass der Abstand des Blockheizkraftwerks zum Wohnhaus des Antragstellers etwa 300 m beträgt; es ist außerdem durch die Fahrsiloanlage vom Wohnhaus des Antragstellers abgeschirmt. All das lässt nicht erwarten, dass es zu unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen kommen würde.
Zu beachten ist weiterhin, dass die Feststellung, ob tieffrequente Geräusche auftreten, prognostisch nur schwer getroffen werden kann. Hierzu hat der 12. Senat dieses Gerichts mit Beschluss vom 5. Januar 2011 (- 12 LA 60/09 -, www.dbovg.niedersachsen.de und [...]) ausgeführt:
Auch die Problematik des tieffrequenten Schalls hat der Beklagte bei der Erteilung der angefochtenen Genehmigung hinreichend berücksichtigt. Insbesondere war er nicht gehalten, zu dieser Frage eine eigene Prognose einzuholen. Auch die tieffrequenten Lärmemissionen werden von der TA Lärm erfasst. Nach Nr. 7.3 TA Lärm sind tieffrequente Geräusche, d.h. solche, die vorherrschende Energieanteile im Frequenzbereich unter 90 Hz besitzen, im Einzelfall nach den örtlichen Verhältnissen zu beurteilen. Dabei haben die örtlichen Verhältnisse sowohl für die Übertragung der Geräusche als auch für die Schutzbedürftigkeit des Immissionsortes Bedeutung (Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. II, TA Lärm Nr.7 Rn. 31). Schädliche Umwelteinwirkungen können dabei insbesondere auftreten, wenn bei deutlich wahrnehmbaren tieffrequenten Geräuschen in schutzbedürftigen Räumen bei geschlossenen Fenstern die nach A.1.5 des Anhangs ermittelte Differenz LCeq - LAeq den Wert 20 dB überschreitet. Hinweise zur Ermittlung und Bewertung tieffrequenter Geräusche enthält A.1.5 des Anhangs zur TA Lärm, der wiederum auf DIN 45680, Ausgabe März 1997, und das zugehörige Beiblatt 1 verweist (vgl. dazu Hansmann, a.a.O., Rn. 30 ff.). Danach sind schädliche Umwelteinwirkungen nicht zu erwarten, wenn die in Beiblatt 1 genannten Anhaltswerte nicht überschritten werden (hierzu Hansmann, a.a.O., Rn. 33). Die TA Lärm und auch die DIN 45680 enthalten jedoch nur Regelungen zur Messung und Bewertung tieffrequenter Geräusche, nicht aber zu ihrer Prognose (vgl. Anhang zur TA Lärm A. 2.1 a. E.). Dies hat seinen Grund darin, dass eine konkrete und zuverlässige Prognose nur in Ausnahmefällen möglich ist (vgl. Feldhaus/Tegeder, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Bd. 4, 6. BImSchVwV (TA Lärm Nr. 7) Rn. 34), weil sich abhängig von den jeweiligen örtlichen Verhältnissen und Besonderheiten regelmäßig erst nach Inbetriebnahme der Anlage feststellen lässt, ob tieffrequente Geräusche tatsächlich auftreten (vgl. Hansmann, a.a.O., Rn. 34). Vor diesem Hintergrund führt es nicht zur Rechtswidrigkeit der Genehmigung, dass der Beklagte vor deren Erteilung im Jahr 2005 vom Beigeladenen keine konkrete Prognose zum tieffrequenten Schall gefordert hat. Der Beklagte hat auch seiner ihm gemäß Nr. 7.3 Abs. 2 der TA Lärm obliegenden Pflicht genügt, Minderungsmaßnahmen zu prüfen, wenn schädliche Umwelteinwirkungen durch tieffrequente Geräusche zu erwarten sind. Durch die Nebenbestimmungen IV Nr. 40 bis 43 hat er die im schalltechnischen Bericht der Zech Ingenieurgesellschaft vom 31. März 2005 dargestellten Vorgaben und Anforderungen verbindlich festgeschrieben und zudem den Einbau von Schalldämpfern verfügt. Dabei ist dem Beigeladenen explizit aufgegeben worden, diese so einzubauen, dass die im schalltechnischen Bericht angegebene Minderung der Schallleistung dauerhaft erreicht wird und zudem keine Einzeltonhaltigkeit auftritt. Dass durch die Schalldämpfer auch der tieffrequente Schall gemindert werden sollte, zeigt Nr. 5.1.3.1 der Antragsunterlagen, wonach die "(Massen)-Schwere Schalldämpfer" gerade dazu dienen sollen, insbesondere die tiefen Frequenzen des Abgasschalls einzudämmen.
Erweist sich die Genehmigung damit im Zeitpunkt ihrer Erteilung hinsichtlich des Lärmimmissionsschutzes als rechtmäßig, lassen später eintretende Entwicklungen - wie hier die nach Inbetriebnahme der Anlage gewonnenen Erkenntnisse zum Auftreten von tieffrequentem Schall - die insoweit rechtmäßige Genehmigung nicht rechtswidrig werden. Insoweit ist zudem zu berücksichtigen, dass die in Betrieb genommene Anlage erheblich von dem genehmigten Vorhaben abweicht, so dass, worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat, die für die errichtete Anlage gemessenen Werte schon deshalb keinen Rückschluss auf eine etwaige Fehlerhaftigkeit einer Prognose für das zur Genehmigung gestellte Vorhaben zulassen. Selbst wenn sich aber etwa die (ex ante zutreffenden) Annahmen einer konkreten Schallprognose anhand des tatsächlichen Betriebes nachträglich als zu optimistisch erweisen würden, würde dies die Genehmigung nicht in Frage stellen, sondern wäre es Aufgabe entweder des Vollzuges der Nebenbestimmungen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung oder des allgemeinen Überwachungsverfahrens nach§ 52 BImSchG, den tatsächlich bestehenden Konflikt ggf. durch nachträgliche Anordnungen nach § 17 BImSchG zu lösen und des Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen zu verhindern. Dies gilt insbesondere, wenn - wie im vorliegenden Fall hinsichtlich des tieffrequenten Schalls - eine konkrete Prognose nicht erstellt worden ist. Stellt sich nach Inbetriebnahme der Anlage durch Messung der Immissionen in der Nachbarschaft heraus, dass die vorgesehenen Maßnahmen zur Minderung tieffrequenter Geräusche nicht ausreichen, können bei Feststellung schädlicher Umwelteinwirkungen durch tieffrequente Geräusche auch nachträgliche Minderungsanordnungen nach § 17 (oder ggf. § 24) BImSchG getroffen werden (vgl. Hansmann, a.a.O., Rn. 35)."
Auch durch die Änderungsgenehmigung hat sich die Lage in Bezug auf die Nachbarbelange nicht maßgeblich verschärft. Wenn die Kapselung des Blockkraftheizwerks - wie den Bauvorlagen zu entnehmen ist - ein "sehr hohes Schallschutzabsorptionsvermögen im tiefen Frequenzbereich" besitzt und die Geräuschentwicklung in 10 m Abstand 65 dB(A) beträgt, ist es wenig naheliegend, dass am Grundstück des Antragstellers noch schädliche Einwirkungen "ankommen". Zwar entfallen die Wälle an der Fahrsiloanlage und damit Anlagen, die die Qualität von Lärmschutzwällen sowohl in Bezug auf die Fahrzeuggeräusche von der Fahrsiloanlage her als auch vom Blockheizkraftwerk gehabt hätten. Bereits die gelagerte Silage selbst dürfte aber einen erheblichen Dämmungseffekt haben. Auch die prognostizierte durchschnittliche Anzahl an Kraftfahrzeugbewegungen ist nach wie vor nicht gravierend. Die geringfügigen Standortverschiebungen einiger der genehmigten Anlagen haben auf die Lärmentfaltung insgesamt ohnehin keinen Einfluss. Schließlich bietet sich hier für den Fall, dass sich im Hauptsacheverfahren dennoch die Unzumutbarkeit der Lärmeinwirkungen erweisen sollte, die Möglichkeit an, die äußere, nunmehr verlängerte, aber nicht mit einer Mindesthöhe angegebene Umwallung des Geländes in Richtung auf das Grundstück des Antragstellers zu einem echten Lärmschutzwall zu "ertüchtigen"; genügend Platz ist dort gegeben.
Auch hinsichtlich der Geruchsentwicklung ist nicht schon deshalb vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren, weil die Antragsgegnerin auf die Anforderung eines Gutachtens verzichtet hat. Das Grundstück des Antragstellers liegt in einem Bereich, in dem Landwirtschaft mit Silage verbreitet ist. Die Antragsteller selbst haben auf die nördlich gelegen Silageflächen der Hofstelle Rieckmann hingewiesen. Der Senat hatte sich bereits mit den Silagen des Hofes Brackelmann am nordöstlichen Ortsrand zu befassen (Verfahren durch Vergleich beendet). Ein Luftbild aus der Bauakte zeigt sogar mitten im Ort Silageflächen im Winkel zwischen F. und G.. Nach den Erkenntnissen des Senats sind bei ordnungsgemäßem Silagebetrieb keine unzuträglichen Geruchseinwirkungen zu erwarten (vgl. Senatsbeschl. v. 14.3.2007 - 1 ME 222/06 -, BauR 2007, 1192); so sollen z.B. nach Gutachten in dem Verfahren Brackelmann an den nächstgelegenen Wohnhäusern - d.h. auf kurze Distanz - nach der GIRL nur Werte von 8,1 bis 10,2% zu erwarten gewesen sein. Selbst wenn man also davon ausgeht, dass der regelmäßig zumutbare Wert im Dorfgebiet bei 15% liegt, drängt sich angesichts der hier gegebenen Abstände eine Überschreitung dieses Wertes nicht auf. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hätte eine Vorbelastung durch andere Betriebe auch nicht zur Folge, dass die Beigeladene zu um so größerer Rücksicht verpflichtet wäre. Vielmehr würde eine solche Vorbelastung tendenziell dazu führen, dass wegen der Ortsüblichkeit ein höherer Wert als 15% für zumutbar erachtet würde.