Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.08.2011, Az.: 4 ME 160/11
Auslösen der Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG durch einen erst nach Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis gestellten Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.08.2011
- Aktenzeichen
- 4 ME 160/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 32454
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:0818.4ME160.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 31.05.2011 - AZ: 5 B 1657/11
Rechtsgrundlagen
- § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG
- § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG
- § 81 Abs. 4 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Ein erst nach Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis gestellter Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels löst die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht aus.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den erstinstanzlichen Beschluss ist unbegründet. Denn das Verwaltungsgericht hat seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes zu Recht abgelehnt.
Der Senat stimmt mit dem Verwaltungsgericht darin überein, dass der Hauptantrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. März 2011, mit dem seine Anträge auf Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 7. Januar 2008 und 11. Januar 2011 unter Androhung der Abschiebung abgelehnt worden sind, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, in Bezug auf die Versagung der Aufenthaltserlaubnis unzulässig ist, weil die Anträge vom 7. Januar 2008 und 11. Januar 2011 erst nach dem Erlöschen der dem Antragsteller erteilten Aufenthaltserlaubnis vom 22. November 2006 gestellt worden sind und daher die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht ausgelöst haben. Dem kann der Antragsteller nicht mit Erfolg entgegen halten, dass auch ein verspätet gestellter Verlängerungsantrag die Fortgeltungsfiktion auslöse, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen dem Ablauf der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels und dem Antrag bestehe. Zwar ist die Behandlung verspäteter Verlängerungsanträge in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Die herrschende Meinung schließt die Fiktionswirkung verspätet gestellter Verlängerungsanträge jedoch aus (Nds. OVG,Beschl. v. 4.8.2010 - 11 ME 279/10 - u. v. 2.9.2009 - 11 ME 205/09 -; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 21.1.2010 - OVG 3 B B.09 -; GK-AufenthG, Stand: Juni 2009, § 81 Rn. 42 ff.; Hailbronner, AuslR, Stand: Juli 2009, § 81 AufenthG Rn. 25 f.; Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl., § 81 Rn. 21 ff.; Huber, AufenthG, Kommentar, 1. Aufl., § 81 Rn. 8). Für die herrschende Meinung sprechen insbesondere die Gesetzesmaterialien zum Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970), in denen ausdrücklich hervorgehoben worden ist, dass nach § 81 Abs. 4 AufenthG die Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach Ablauf seiner Geltungsdauer nicht möglich ist (BT-Drs. 16/5065, S. 184). Damit ist der Auffassung, auch einem verspäteten Antrag könne eine Fortgeltungsfiktion zukommen, die Grundlage entzogen. Dies kommt auch in Nr. 81.4.2.1 und 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 zum Ausdruck.
Ein anderes Ergebnis ergäbe sich aber selbst dann nicht, wenn man der hiervon abweichenden Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (u.a. Beschl. v. 19.4.2010 - 18 B 195/10 -) folgen würde, dass auch ein verspätet gestellter Verlängerungsantrag dann die Fortgeltungsfiktion auslöse, wenn ein innerer Zusammenhang und insbesondere eine zeitliche Nähe mit dem Ablauf der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels bestehe. Bei einem zeitlichen Abstand von mehr als fünf Monaten zwischen dem Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis vom 22. November 2006 und der Stellung des Verlängerungsantrags vom 7. Januar 2008 kann von einer geringfügigen, den inneren Zusammenhang wahrenden Verspätung nämlich keine Rede mehr sein (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 4.8.2010 - 11 ME 279/10 -).
Das Verwaltungsgericht hat auch den hilfsweise gestellten Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig nicht abzuschieben, zu Recht mangels glaubhaft gemachten Anordnungsanspruchs abgelehnt.
Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass der Antragsteller trotz der Eheschließung mit einer Deutschen keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besitzt, weil der Antragsteller die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt. Nach dieser Bestimmung setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Da sich das erforderliche Visum nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird, bestimmt (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.1.2011 - 1 C 23/09 -) und es daher nicht auf den früheren Aufenthaltszweck ankommt (Nds. OVG, Beschl. v. 1.3.2010 - 13 ME 3/10 - m.w.N.), kann der Antragsteller, der im Jahr 1996 mit einem Visum zu Studienzwecken eingereist ist, das erforderliche Visum nicht vorweisen.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ergibt sich aus § 39 Nr. 1 AufenthV keine Ausnahme von der Visumpflicht, weil der Antragsteller keine Aufenthaltserlaubnis besitzt; wie bereits ausgeführt hat sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 7. Januar 2008 auch die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht ausgelöst. Das Verwaltungsgericht ist des Weiteren zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des§ 39 Nr. 3 AufenthV ebenfalls nicht vorliegen. Entsprechendes gilt für die Voraussetzungen des § 39 Nr. 5 AufenthV, wonach ein Ausländer, dessen Abschiebung nach § 60 a AufenthG ausgesetzt ist und der aufgrund einer Eheschließung im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat, einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen kann. Dabei kann dahinstehen, ob für das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Bestimmung auf den Zeitpunkt der Antragstellung, den des Erlasses des ablehnenden Bescheides der Antragsgegnerin vom 29. März 2011 oder den der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 30.4.2010 - 18 B 180/10 - m.w.N.), weil die genannten Voraussetzungen zu keinem dieser Zeitpunkte vollständig erfüllt gewesen sind bzw. vorliegen. Im Zeitpunkt der Antragstellung war die Abschiebung des Antragstellers zwar ausgesetzt; damals besaß er nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aber keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund seiner Eheschließung, weil seine Ehefrau das 18. Lebensjahr seinerzeit noch nicht vollendet hatte. Da die Ehefrau des Antragstellers auch bei Erlass des Bescheides vom 29. März 2011 das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, war die letztgenannte Voraussetzung auch zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt. Schließlich liegen die Voraussetzungen des § 39 Nr. 5 AufenthV auch gegenwärtig nicht vor, da die dem Antragsteller erteilte Duldung mit der Entscheidung der Antragsgegnerin über den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erloschen ist. Dass eine faktische Aussetzung der Abschiebung des Antragstellers während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens keine Aussetzung der Abschiebung nach § 60 a AufenthG darstellt, liegt auf der Hand und bedarf daher keiner näheren Begründung.
Der Antragsteller hat schließlich auch keinen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde von der Einhaltung des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG absieht. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe nach Art. 6 GG grundsätzlich vereinbar ist, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen, weil eine vorübergehende Trennung zur Nachholung des Visumverfahrens auch Eheleuten grundsätzlich zumutbar ist. Daher kann sich allenfalls in Ausnahmefällen, in denen besondere Umstände des Einzelfalls eine Trennung der Eheleute für die Dauer des Visumverfahrens als unzumutbar erscheinen lassen, ein Anspruch des Ausländers, von einer Einhaltung des Visumverfahrens abzusehen, ergeben. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts sind nicht zu beanstanden.
Schließlich muss auch dem Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen, aus den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen der Erfolg versagt bleiben.