Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.08.2011, Az.: 18 MP 4/11

Dienstvereinbarung; Zeiterfassung; Zeitwertkarten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.08.2011
Aktenzeichen
18 MP 4/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 45244
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 18.05.2011 - AZ: 8 B 1/10

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Personalrat kann nicht mit Erfolg eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes rügen, wenn die Arbeitszeit einzelner Beschäftigter während der Testphase der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung minutengenau und nicht mehr mit einem Sechs-Minuten-Takt erfasst und abgerechnet wird.

Gründe

I.

Der Antragsteller und die Beteiligte streiten um die zutreffende Auslegung einer Dienstvereinbarung zur Erprobung eines elektronischen Zeiterfassungssystems. Bislang wurde die Arbeitszeit fast aller Beschäftigten des nichtwissenschaftlichen Bereichs über Stempel- bzw. Zeitwertkarten erfasst, die in einem Sechs-Minuten-Rhythmus mit Handeintragungen versehen wurden. Der Rhythmus entspricht der Taktung älterer mechanischer Stempeluhren, bei denen alle sechs Minuten die zeitmäßige Erfassung "weiterspringt". Intakte mechanische Stempeluhren sind indessen bei der Beteiligten kaum noch vorhanden, so dass an die Stelle des Stempelns die Zeitwertkarten unter Beibehaltung des Sechs-Minuten-Takts überwiegend per Hand ausgefüllt wurden. Die streitige Zusatzvereinbarung vom 28. September 2010 zur Dienstvereinbarung über die Regelung der gleitenden Arbeitszeit sieht eine - später verlängerte - dreimonatige Testphase zur Einführung des elektronischen Zeiterfassungssystems "Zeus" ab dem 1. November 2010 vor, in der bestimmte Beschäftigte sowohl die elektronische Zeiterfassung verwenden als auch die bisherige Zeitwertkarte weiterhin per Handeintrag führen sollen; nur die per Hand geführte Zeitwertkarte soll arbeitsrechtlicher Nachweis für die Erfassung der Arbeitszeit sein. Streitig ist, ob die parallel zur elektronischen Zeiterfassung per Hand zu führende Zeitwertkarte im Sechs-Minuten-Takt oder minutengenau auszufüllen ist. Die Beteiligte steht auf dem Standpunkt, dass eine minutengenaue Eintragung zu erfolgen habe. Mit Schreiben vom 30. November 2010 hat sie dem Antragsteller mitgeteilt, dass die Vereinbarung zu dem Zweck getroffen worden sei, um die am Terminal getätigten Buchungen vergleichen und auf Richtigkeit überprüfen zu können; eventuellen technischen Störungen solle entgegengewirkt werden können. Der Abgleich sei aber nur bei minutengenauen Eintragungen in die Zeitwertkarte sinnvoll. Der Antragsteller ist demgegenüber der Auffassung, dass nach der Zusatzvereinbarung die manuelle Zeitwertkarte im Sechs-Minuten-Takt auszufüllen und die Arbeitszeit entsprechend abzurechnen sei und begehrt im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren eine dahingehende Eilentscheidung. Eine minutengenaue Eintragung auf der Zeitwertkarte sei nur mit sehr kleiner Schrift möglich, was zu Unübersichtlichkeit und Unsicherheiten führe; es könne zudem nicht hingenommen werden, dass die Testphasenteilnehmer dadurch gegenüber den sonstigen Beschäftigten ungleich behandelt würden, dass sie Zeitvorteile durch den Sechs-Minuten-Takt nicht mehr erlangen könnten. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

II.

Die Beschwerde, über die gemäß § 83 Abs. 2 NPersVG i. V. m. §§ 87 Abs. 2 Satz 1, 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG sowie § 944 ZPO der Vorsitzende des Fachsenats entscheidet, hat keinen Erfolg. Ungeachtet der Frage, ob der Antrag aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen oder wegen einer mittlerweile etwaig erfolgten Beendigung der Testphase bereits als unzulässig anzusehen ist, ist jedenfalls das Vorliegen eines Verfügungsgrundes und eines Verfügungsanspruchs zu verneinen, so dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Recht abgelehnt hat; das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung. Offenbleiben kann, ob die Auslegung des Inhalts einer Dienstvereinbarung nach Art einer abstrakten Normenkontrolle - worauf der gestellte Antrag zumindest teilweise abzielt - im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren nach § 83 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 NPersVG überhaupt möglich ist (vgl. dazu etwa: Bieler/Müller-Fritzsche: Niedersächsisches Personalvertretungsgesetz, 15. Aufl., § 41 Rdnr. 12). Selbst wenn man dies mit dem Verwaltungsgericht zu Gunsten des Antragstellers annimmt, bleibt der Antrag nämlich ohne Erfolg.

Der Erlass einer einstweiligen Verfügung, für die nach § 85 Abs. 2 ArbGG die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend gelten, setzt voraus, dass die Verwirklichung eines Rechts gefährdet ist (§ 935 ZPO) oder sonst in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis wesentliche Nachteile oder Unzulänglichkeiten drohen (§ 940 ZPO). Verfügungsgrund - also die Eilbedürftigkeit der begehrten Regelung - und Verfügungsanspruch - das gefährdete Recht - müssen glaubhaft gemacht werden (§§ 920 Abs. 2, 936 ZPO). Die einstweilige Verfügung darf grundsätzlich nicht eine Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen; sie soll möglichst keine endgültigen Verhältnisse schaffen (vgl. Dembowski/Ladwig/
Sellmann: Personalvertretung Niedersachsen, Loseblatt, Stand: April 2011, § 83 Rdnr. 107).

1. Der Antragsteller hat bereits einen Verfügungsgrund, also einen Grund, warum eine Entscheidung im Eilverfahren nötig sein soll, nicht glaubhaft machen können:

Wenn zunächst weiterhin in der von der Beteiligten verlangten Weise bei den manuellen Eintragungen der an der Testphase beteiligten Beschäftigten verfahren wird, sich später aber herausstellt, dass eine Eintragung und Abrechnung im Sechs-Minuten-Takt richtig gewesen wäre, drohen den betroffenen Beschäftigten keine bleibenden Nachteile. Eine Umrechnung von minutengenauer Eintragung in einen Sechs-Minuten-Takt ist nämlich zwar mit Aufwand verbunden, aber möglich, während eine Umrechnung in die umgekehrte Richtung ausgeschlossen ist. Mit der vom Antragsteller begehrten Regelung würde mithin nicht nur die Hauptsache vorweggenommen, sondern hinsichtlich der in Rede stehenden Arbeitszeiten der an der Testphase beteiligten Beschäftigten endgültige und nicht mehr nachträglich korrigierbare Verhältnisse geschaffen. Soweit der Antragsteller - insbesondere im Beschwerdeverfahren - darauf abhebt, dass es nicht um konkrete Nachteile bei der Zeiterfassung gehe, sondern um den Streit um die richtige Auslegung von § 3 der Zusatzvereinbarung, so ist damit erst Recht kein Verfügungsgrund glaubhaft gemacht. Geht es nämlich lediglich um prinzipielle Fragen ohne umgehenden Regelungsbedarf durch das Gericht, sind diese regelmäßig dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten, bei dem gerade im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren auch bei einer zwischenzeitlichen Erledigung an das Rechtsschutzinteresse keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden.

2. Davon unabhängig hat der Antragsteller auch keinen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht. Aus § 3 der Zusatzvereinbarung lässt sich nicht ableiten, dass manuelle Eintragungen in die Zeitwertkarte im Sechs-Minuten-Takt vorzunehmen sind:

a) Der Antragsteller und die Beteiligte mögen bei Abschluss der Zusatzvereinbarung unterschiedliche Vorstellungen über den aus der jeweiligen Sicht klaren Inhalt der im dortigen § 3 getroffenen Regelung gehabt haben. Eine explizite Regelung zu der nun streitig gewordenen Frage ist allerdings gerade nicht getroffen worden. Bei einer Lückenschließung durch ergänzende Auslegung der Zusatzvereinbarung lassen sich aus dem Wortlaut und den systematischen Zusammenhängen für beide Sichtweisen Argumente finden, wobei aber letztlich diejenige des Antragstellers kaum überzeugend ist: Allein die isolierte Betrachtung des Wortlauts von § 3 Satz 1 der Zusatzvereinbarung, die darauf abstellt, dass die "bisherige Zeitwertkarte weiterhin per Handeintrag geführt" werden soll, spricht für eine unveränderte Fortführung der bis dahin tatsächlich praktizierten Verfahrensweise und damit für die Sichtweise des Antragstellers. Die Regelung in § 3 Satz 3, die auch auf Nr. II. 4 der "Hinweise für die Zeiterfassung" (Anlage 3 zur Vereinbarung über die Regelung der gleitenden Arbeitszeit mit Stand vom 9. September 2010) verweist, wonach die Zeiterfassung in Stunden und Minuten erfolgen soll, spricht hingegen für die Sichtweise der Beteiligten. Der Senat hält eine Auslegung nach dem erkennbaren Zweck der Regelung für maßgeblich, Unsicherheiten bei der Einführung der neuen elektronischen Zeiterfassung zu begegnen und einen Abgleich auf Funktionalität der eingesetzten Hard- und Software durchführen zu können. Dies setzt ein minutengenaues Führen der Zeitwertkarte voraus, da nur so der angestrebte Abgleich überhaupt möglich ist. Demgegenüber hält es der Senat schon für im Ansatz nicht überzeugend, von der Gestaltung und Aufmachung der Zeitwertkarte auf den Inhalt der Dienstvereinbarung Rückschlüsse ziehen zu wollen. Im Übrigen wird es sicherlich möglich sein, dass diejenigen Beschäftigten, die sich mit der für die Eintragung in die Zeitwertkarten wohl erforderlichen kleinen Schrift schwertun, vorübergehend etwa vergrößerte Kopien der bisherigen Zeitwertkarten für ihre Eintragungen verwenden.

b) Die Auslegung, dass nach der Zusatzvereinbarung eine minutengenaue Eintragung in die Zeitwertkarten vorzunehmen ist, steht entgegen der Auffassung des Antragstellers auch keineswegs im Widerspruch zum Benachteiligungsverbot. Insoweit kann es - auch wenn sich der Antragsteller mit diesem Aspekt im Beschwerdeverfahren nicht mehr so recht identifizieren lassen will und seinen Anspruch auf Achtung und Einhaltung der Dienstvereinbarung in den Vordergrund zu rücken versucht - allein um den Umstand gehen, dass das Stempeln an einer im Sechs-Minuten-Takt arbeitenden Stempeluhr oder eine dem entsprechende manuelle Eintragung in die Zeitwertkarte gegenüber der minutengenauen Erfassung einen Zeitvorteil von fast 12 Minuten an einem "normalen" Arbeitstag mit einer Mittagspause zur Folge haben kann (Beispiel: Ankunft um 7:05:59 Uhr, Mittagspause um 12:00:01 Uhr beginnen und spätestens um 12:35:59 beenden, Arbeitstag um 15:30:01 Uhr beenden). Der einzige "Nachteil" für die die an der Testphase beteiligten und damit "betroffenen" Beschäftigen besteht darin, dass durch die elektronische Zeiterfassung nebst paralleler minutengenauer Eintragung in die bisherigen Zeitwertkarten ihre Anwesenheitszeiten bei der Arbeitszeiterfassung nunmehr in zeitlich zutreffender Weise erfasst werden. Der "Vorteil", der bisher durch ein geschicktes Ausnutzen des im Sechs-Minuten-Takt erfolgenden "Weiterspringens" der bisherigen mechanischen Zeiterfassung möglich war, entfällt hingegen. Das es personalvertretungsrechtlich nicht schützenswert sein kann, den Beschäftigten die Möglichkeit des Taktierens an der Stempeluhr bzw. bei der entsprechenden handschriftlichen Erfassung zu sichern, liegt auf der Hand. Aus der technischen Ungenauigkeit der mechanischen Zeiterfassung bzw. dem handschriftlichen Pendant ist keine (schützenswerte) Rechtsposition der Beschäftigten oder des Personalrats entstanden, sondern allenfalls eine faktisch günstige Lage, deren Aufrechterhaltung aus Rechtsgründen nicht mit Erfolg verlangt werden kann. Eine Ungleichbehandlung seitens des Arbeitgebers liegt bei Wegfall dieser Möglichkeit nicht vor, sondern kann nur faktisch durch ein (denkbares) unredliches Verhalten einzelner Beschäftigter entstehen. Ein entstehender Zeitvorteil bzw. Zeitnachteil allein durch zufällige Abweichungen vom Stempeln im Sechs-Minuten-Takt gegenüber der von der Beteiligten verlangten minutengenauen Zeiterfassung ist hingegen als so marginal zu bewerten, dass er jedenfalls den Erlass einer einstweiligen Verfügung schon im Ansatz nicht zu rechtfertigen vermag.