Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.04.2012, Az.: 1 OA 48/12

Erstattung von Kosten für ein vom Nachbarn privat eingeholtes Lärmgutachten i.R.d. Eilverfahrens bei praktischer Vorwegnahme der Hauptsache

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
02.04.2012
Aktenzeichen
1 OA 48/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 13732
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:0402.1OA48.12.0A

Fundstellen

  • BauR 2012, 1097-1099
  • DÖV 2012, 572
  • HRA 2012, 23
  • NJW 2012, 1828-1829
  • NordÖR 2013, 276
  • SV 2013, 39-40

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    In baunachbarrechtlichen Streitigkeiten können die Kosten für ein vom Nachbarn privat eingeholtes Lärmgutachten jedenfalls dann bereits im Rahmen des Eilverfahrens erstattungsfähig sein, wenn mit diesem die Hauptsache praktisch vorweggenommen wird.

  2. 2.

    Die Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein solches Gutachten setzt bei schwierigen rechtlichen Vorfragen nicht voraus, dass die Rechtsauffassung des letztinstanzlich entscheidenden Gerichts in jeder Hinsicht zutreffend vorweggenommen wird.

  3. 3.

    Mit der Stellung des Eilantrages, erst recht mit der Erteilung des Gutachtenauftrages muss der Nachbar regelmäßig nicht abwarten, bis der Baugenehmigung beigefügte aufschiebende Bedingungen erfüllt sind.

Gründe

1

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Antragsgegnerin dagegen, dass Kosten für ein von der Antragstellerin eingeholtes Lärmgutachten für erstattungsfähig erklärt worden sind.

2

Das Verwaltungsgericht hat die Kosten für das Privatgutachten mit dem angegriffenen Beschuss u.a. unter Bezugnahme auf die im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juli 2008 (- 4 KSt 1004.07 u.a. -, [...]) dargelegten Grundsätze für erstattungsfähig erklärt. Das Gutachten sei zur Vorbereitung des seinerzeit in Aussicht genommenen Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz in Auftrag gegeben und mit der Antragsschrift in das Verfahren eingeführt worden. Die Beigeladene hätte sich als Bauherrin bereits sachverständiger Hilfe bedient; die Antragsgegnerin habe über eigene Sachkunde verfügt. Angesichts der Komplexität des Bauvorhabens und der Vorbelastung habe eine zuverlässige Bewertung der Lärmauswirkungen nur durch spezialisierte Ingenieurbüros geleistet werden können. Darauf habe auch die Antragstellerin zurückgreifen dürfen. Auf das von ihr angezweifelte Gutachten der Beigeladenen habe sie nicht verwiesen werden können. Sie habe auch befürchten müssen, dass durch rasche Ausnutzung der Baugenehmigung Fakten geschaffen würden. Zwar habe die Kammer nicht entscheidend auf das Privatgutachten abgestellt. Maßgeblich sei aber nur, ob die Antragstellerin im Zeitpunkt der Auftragsvergabe davon habe ausgehen dürfen, dass das Privatgutachten den Rechtsstreit fördern werde. Das sei der Fall, auch wenn sich die Lärmschutzproblematik nicht - wie die Beteiligten gemeint hätten - nach der TA Lärm beurteile, sondern nach § 46 Abs. 1 Satz 2 NBauO. Die Kosten seien auch ihrer Höhe nach erstattungsfähig; Anhaltspunkte dafür, dass sie übersetzt seien, bestünden nicht.

3

Mit ihrer dagegen gerichteten Beschwerde macht die Antragsgegnerin geltend, das Verwaltungsgericht habe entgegen dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. November 2006 (- 4 KSt 1003.06 -, [...]) nicht ausreichend berücksichtigt, dass das Gutachten für ein Eilverfahren erstattet worden sei. Die Entscheidung über seine Erstattungsfähigkeit müsse dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Erstattungsfähig seien im Eilverfahren im Übrigen grundsätzlich nur die Kosten für ein Gutachten, das gerade für dieses Eilverfahren und nicht erst für ein späteres Hauptsacheverfahren bestimmt sei. Das fragliche Gutachten sei über den Prüfungsumfang des Gutachtens der Beigeladenen hinausgegangen und habe die Gesamtlärmsituation vor und nach Fertigstellung des Parkhauses untersucht. Es habe mithin auch den Tatsachenvortrag im Hauptsacheverfahren stützen sollen. Ein besonderer zeitlicher Druck habe nicht bestanden. Der Vollzug der Baugenehmigung habe schon deshalb nicht unmittelbar bevorgestanden, weil die geprüften Nachweise für die Standsicherheit noch nicht vorgelegen hätten. Die Antragstellerin habe die Vorlage des Gutachtens auch schon vor Erteilung der Baugenehmigung angekündigt. Das Gutachten sei zur Förderung des Verfahrens nicht geeignet gewesen. Es gebe zwischen ihm und dem Gutachten der Beigeladenen keine entscheidungsrelevanten Unterschiede. Für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts habe es keine Rolle gespielt. Es sei ferner durch Zugrundelegen falscher Voraussetzungen fehlerhaft gewesen. Es habe offenbar nicht berücksichtigt, dass die Fassade des Parkhauses in Richtung Amalienstraße als geschlossen konzipiert worden sei. Die Lärmimmissionen der Straße Am Festungsgraben seien dem Parkhaus zu Unrecht als Anlagenlärm zugerechnet worden. Es sei nicht ersichtlich, welche Eingangsdaten für die Verkehrslärmberechnungen zugrunde gelegt worden seien; sie seien offensichtlich nicht korrekt. Der Gutachter sei schließlich nicht als sachverständige Stelle nach § 26 BImSchG bekannt.

4

Die Antragstellerin tritt dem entgegen.

5

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

6

Das Verwaltungsgericht hat die für die Erstattungsfähigkeit von Gutachterkosten von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zutreffend dargestellt und angewandt. Die von der Antragsgegnerin hiergegen gerichteten Einwände greifen nicht durch.

7

Richtig ist zwar, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens, das im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes und für die Klage im Verfahren der Hauptsache betreffend einen (hier: luftverkehrsrechtlichen) Planfeststellungsbeschluss Bedeutung erlangt hat, im Rahmen der Kostenfestsetzung grundsätzlich dem Hauptsacheverfahren zuzuordnen sind (Beschl. v. 16.11.2006 - 4 KSt 1003.06 -, NJW 2007, 453). Insoweit ist nur am Rande darauf hinzuweisen, dass sich die Gegenstände des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes (Aufhebungsanspruch) und des Hauptsacheverfahrens (Verpflichtungsklage auf Planergänzung) im Bereich des Planfeststellungsrechts unterscheiden können (so ausdrücklich der genannte Beschluss unter Randnummer 15 bei [...]); auf andere Konstellationen sind die dort aufgestellten Grundsätze möglicherweise nicht ohne Weiteres übertragbar.

8

Maßgeblich ist indes, dass das Bundesverwaltungsgericht in dem genannten Beschluss ersichtlich davon ausgegangen ist, die Kostenerstattung sei entweder im Eilverfahren oder im Hauptsacheverfahren möglich. Schließt sich - wie hier - kein Hauptsacheverfahren an, weil das Vorhaben nicht mehr verwirklicht wird, kann dies nicht zur Folge haben, dass der Gegner von berechtigten Erstattungsansprüchen gänzlich frei bleibt. Unter Umständen besteht zwar auch ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Kostenerstattung (vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 9.2.2012 - VII ZB 95/09 -, [...]). Näher liegt eine prozessuale Kostenerstattung aber jedenfalls dann, wenn das Eilverfahren die Hauptsache tendenziell vorwegnimmt. Das ist gerade in nachbarrechtlichen Streitverfahren häufig der Fall. Auch bei ihnen ist eine abschließende rechtliche Durchdringung des Streitstoffs nicht in jedem Fall geboten; häufig entscheidet sich die Durchführbarkeit gerade größerer Vorhaben aber bereits im Eilverfahren. In diesen Fällen ist es sachgerecht, über die Erstattungsfähigkeit bereits im Zusammenhang mit dem Eilverfahren zu entscheiden. Die Genehmigungsbehörde wird dadurch nicht unzumutbar belastet, weil eine doppelte Erstattung nicht in Betracht kommt. Die Frage der Erstattungsfähigkeit entscheidet sich ihrerseits nicht nach dem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, sondern nur danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte; die Erstattungsfähigkeit solcher Kosten setzt auch nicht zusätzlich voraus, dass das Privatgutachten im Rahmen einer ex-post-Betrachtung tatsächlich die Entscheidung des Gerichts beeinflusst hat (vgl. BGH, Beschl. v. 20.12.2011 - VI ZB 17/11 -, [...]; ferner BVerfG, 1. K. d. 1. Senats, Beschl. v. 8.12.2010 - 1 BvR 381/10 -, NJW 2011, 1276). Die Erstattungsfähigkeit kann mithin auch ohne Durchführung des Hauptsacheverfahrens beurteilt werden.

9

Soweit das Verwaltungsgericht - zu Recht (vgl. auch Neumann, in Sodan/Ziekow, VwGO, § 162 Rdnr. Rdnr. 37) - den Gesichtspunkt prozessualer Waffengleichheit hervorhebt, ist zwar darauf hinzuweisen, dass es kostenrechtlich eher von Nachteil für den rechtsschutzsuchenden Nachbarn wäre, wollte man ihn in vollem Umfang (auch) mit dem beigeladenen Bauherrn gleichstellen. Denn dieser kann die Kosten für ein im Baugenehmigungsverfahren erforderliches und vorgelegtes Gutachten selbst gerade nicht erstattet verlangen. Solche Gutachten gehören zu den Bauvorlagen im Sinne des § 71 NBauO; die für sie entstehenden Kosten sind vom Bauherrn abschließend selbst zu tragen (vgl. auch Senatsbeschl. v. 9.8.2011 - 1 ME 107/11 -, DVBl. 2011, 1297). Maßgeblich sind aber die nunmehr auch vom 13. Senat in seinem Beschluss vom 17. Januar 2012 (- 13 OA 207/11 -, NuR 2012, 194) noch einmal - für die Frage der Erstattungsfähigkeit "nachgelagerter Planungskosten" - zusammengefassten Grundsätze (vgl. auch VGH Mannheim, Beschl. v. 22.12.2009 - 5 S 1904/09 -, RdL 2010, 76):

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"Dies beruht allerdings ausschließlich auf der "strukturellen Unterlegenheit" eines gegen ein komplexes fachplanerisches Vorhaben klagenden Laien und dessen sich daraus ergebender spezieller prozessualer Situation. Um nämlich die bereits im Planfeststellungsverfahren erfolgten fachlichen Stellungnahmen derart plausibel und kritisch zu hinterfragen, dass das Gericht Veranlassung für eine eigene Beweiserhebung sehen muss, kann für den Kläger bereits gutachtliche Hilfe zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung notwendig sein (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.07.2008, - 4 KSt 1008/07 -, [...] Rdnr. 9). Es muss m.a.W. eine Situation gegeben sei, in der der Beteiligte mangels genügender eigener Sachkunde sein Begehren tragende Behauptungen nur mit Hilfe des eingeholten Gutachtens darlegen kann, wobei der jeweilige Verfahrensstand zu berücksichtigen ist: Die Prozesssituation muss das Gutachten herausfordern, und dessen Inhalt muss auf die Verfahrensförderung zugeschnitten sein (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.04.2001 - 9 KSt 2/01 -, [...] Rdnr. 3). Der sich gegen ein fachplanerisches Vorhaben wendende Beteiligte muss sich mithin gleichsam in einer "prozessualen Notlage" befinden."

11

Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin nachvollziehbar dargetan, dass sie sich ohne sachverständige Hilfe im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in diesem Sinne nicht hätte behaupten können. Die Geräuschbelastung ihres Grundstücks ist dem Senat aus mehreren Verfahren bekannt. Ihre gutachterliche Bewertung ist schon deshalb schwierig, weil rechtliche Vorfragen umstritten sind. In dieser Situation kann dem Rechtsschutzsuchenden kostenrechtlich nicht zum Nachteil gereichen, wenn er selbst bei der Formulierung des Gutachtenauftrags oder der Gutachter bei der Anfertigung des Gutachtens nicht von vornherein in jeder Hinsicht die Rechtsauffassung des letztinstanzlich entscheidenden Gerichts vorwegnimmt. Das hat im Übrigen auch weder das vom Beigeladenen eingereichte Gutachten getan noch die Antragsgegnerin selbst in den fachlichen Teilen ihrer Stellungnahmen. Insbesondere die Rechtsprechung des Senats zu § 46 Abs. 1 Satz 2 NBauO wird von den Gutachtern in Fällen dieser Art praktisch durchgängig außer Acht gelassen.

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Soweit die Antragsgegnerin meint, ein Privatgutachten habe schon deshalb nicht eingeholt werden müssen, weil seinerzeit mangels Vorliegens geprüfter Nachweise für die Standsicherheit der Vollzug der Baugenehmigung nicht unmittelbar bevorgestanden habe, muss sich die Antragstellerin dies nicht entgegenhalten lassen. Nicht einmal der Senat wird von den Behörden immer verlässlich über den Fortgang von Genehmigungsverfahren informiert, selbst wenn diese zuvor unter Hinweis darauf, dass der Baubeginn wegen Fehlens bestimmter Voraussetzungen noch nicht unmittelbar bevorstehe, das Rechtsschutzbedürfnis in Abrede genommen haben. In Bezug auf das Rechtsschutzbedürfnis hat der Senat in einem ähnlichen Fall jüngst ausgeführt (Beschl. v. 19.1.2012 - 1 ME 188/11 -, [...]):

13

"Das Rechtsschutzbedürfnis kann nicht mit Blick darauf verneint werden, dass die Nachbarn vorläufigen Rechtsschutz noch rechtzeitig genug beantragen können, wenn die aufschiebenden Bedingungen erfüllt sind. Darin läge eine durch Sachgründe nicht gerechtfertigte Erschwerung des Zugangs zum Gericht, denn damit würden die Nachbarn gezwungen, von sich aus laufend nachzuforschen, ob die Bedingungen eingetreten sind, und liefen das Risiko, dessen nicht rechtzeitig gewahr zu werden."

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Für die Frage, ob ein Privatgutachten einzuholen ist, dessen Ausarbeitung - anders als die bloße Stellung eines Eilantrags - in der Regel auch noch einige Zeit in Anspruch nimmt, gilt dies umso mehr.