Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.08.2011, Az.: 10 LA 139/10
Verhältnis des Kriteriums der Gutgläubigkeit zur Redlichkeit bei Antragstellung; Voraussetzungen der Redlichkeit bei Antragstellung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 01.08.2011
- Aktenzeichen
- 10 LA 139/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 22502
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:0801.10LA139.10.0A
Rechtsgrundlage
- Art. 49 Abs. 5 UAbs. 2 VO 2419/2001/EG
Fundstellen
- AUR 2012, 66-67
- NVwZ-RR 2011, 895
Amtlicher Leitsatz
Das Kriterium der Gutgläubigkeit i.S.d. Art. 49 Abs. 5 UAbs. 2 VO (EG) Nr. 2419/2001 ist an die Redlichkeit bei der Antragstellung geknüpft. Redlichkeit erfordert die innere Bereitschaft, sich im Zuge der Antragstellung (vollständig) pflichtgemäß zu verhalten. Wer für die Ausfüllung seines Antrags eine Vorgehensweise wählt, mit der er wissentlich ein merklich erhöhtes Risiko eingeht, dass es zu Fehlern kommt, negiert innerhlich das nicht unbillige Verlangen des europäischen Rechts nach einem sorgfältig ausgefüllten Antrag.
Gründe
Der u.a. auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat Erfolg.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne der genannten Vorschrift sind schon dann gegeben, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, NJW 2010, 1062) und sich das Urteil im Ergebnis nicht aus anderen Gründen als offensichtlich richtig erweist (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 33 = NVwZ-RR 2004, 542 = DVBl 2004, 838).
Mit Bewilligungsbescheid vom 20. November 2002 gewährte das Amt für Agrarstruktur Bremerhaven der Klägerin für den Verpflichtungszeitraum vom 23. November 2002 bis zum 22. November 2007 im Rahmen der Niedersächsischen Agrar-Umweltprogramme 2002 (NAU) - Maßnahme C - für eine Dauerkulturfläche von 16,8079 ha eine Zuwendung von jährlich maximal 13.472,08 EUR. Mit entsprechenden Auszahlungsmitteilungen wurden der Klägerin jährliche Zuwendungen für die Jahre 2003 bis 2005 bewilligt. Im Rahmen der Verwaltungskontrolle 2006 ergab sich eine negative Flächenabweichung von 0,02 ha. Mit entsprechender Auszahlungsmitteilung gewährte die Beklagte der Klägerin für das Jahr 2006 eine Zuwendung auf der Basis einer Fläche von 16,79 ha; eine Teilrückforderung unterblieb wegen der Bagatellregelung. Im Gesamtflächen- und Nutzungsnachweis und der Anlage 2 zum Sammelantrag Agrarförderung und Agrarumweltmaßnahmen 2007 gab die Klägerin eine um 0,64 ha geringere Dauerkulturfläche an als in den Vorjahren. Die Beklagte teilte der Klägerin die Auszahlung einer entsprechend geringeren Zuwendung für das Jahr 2007 mit. Unter dem 12. August 2008 hörte sie die Klägerin zur beabsichtigten teilweisen Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 20. November 2002 und Teilrückforderung der Zuwendungen für die Jahre 2003 bis 2006 an. Mit dem Sammelantrag 2007 seien Flächenkürzungen von 0,64 ha mitgeteilt worden. Für die Jahre 2003 und 2004 komme eine negative Flächenabweichung von 0,02 ha hinzu. Die Klägerin teilte daraufhin mit, die Teilflächen von 0,64 ha seien bis zum Ablauf des Verpflichtungszeitraums entsprechend den Verpflichtungen genutzt worden. Es hätten für den Folgezeitraum Angaben gemacht werden müssen, die nicht anders hätten eingetragen werden können. Mit Bescheid vom 28. August 2008 änderte die Beklagte den Bewilligungsbescheid auf eine förderfähige Dauerkulturfläche von 16,15 ha ab und reduzierte den jährlichen maximalen Zuwendungsbetrag auf 12.965,50 EUR. Sie nahm die Auszahlungsmitteilungen für die Jahre 2003 bis 2006 insoweit zurück, als sie diesen Betrag übersteigen. Für die Jahre 2003 bis 2006 forderte sie 2.015,78 EUR nebst Zinsen zurück. Zudem erhob sie Verwaltungsgebühren von 200,- EUR.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage hat die Klägerin ergänzend geltend gemacht, die Angaben im Sammelantrag 2007 bezögen sich auf das Jahr 2008, für das sie eine Anschlussförderung mit veränderten Flächen habe erhalten wollen. Der Mitarbeiter Dr. B. der Beklagten habe zu dieser Vorgehensweise geraten. Er habe bei der Antragstellung "die Feder geführt", den Antrag geprüft und "abgesegnet".
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 19. Juli 2010 die Rückforderungssumme um 3,24 EUR ermäßigt. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren eingestellt, soweit die Beteiligten daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Es hat den Bescheid der Beklagten vom 28. August 2008 in der Fassung vom 19. Juli 2010 aufgehoben, soweit von der Klägerin mehr als 1.505,96 EUR nebst Zinsen zurückgefordert und Kosten von mehr als 150,- EUR festgesetzt wurden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der (Teil-) Widerruf des Bewilligungsbescheids und der (Teil-) Widerruf der Auszahlungsmitteilungen seien nicht zu beanstanden, da die Klägerin in den Anlagen zum Sammelantrag 2007 nur eine Dauerkulturfläche von 16,15 ha angegeben habe. Daran müsse sie sich festhalten lassen. Der Verwendungszweck der Zuwendung liege in der Förderung ökologischer Anbauverfahren für die Dauer von fünf Jahren. Da die Fläche von 0,66 ha für ökologische Anbauverfahren nicht während der gesamten Verpflichtungszeit zur Verfügung gestanden habe bzw. diese Verfügbarkeit wegen fehlender Angabe nicht überprüfbar gewesen sei, habe dieser Zweck insoweit nicht erreicht werden können. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte der Klägerin zu der vorgelegten Erklärung geraten bzw. von der richtigen Erklärung abgeraten habe. Zwar habe Dr. B. eingeräumt, die Eintragungen in Anlage 2 zum Sammelantrag 2007 vorgenommen zu haben. Diese beruhten jedoch auf den Eintragungen in der Anlage 1a. Diese enthalte anders als die Anlage 2 keine Möglichkeit der Erklärung, dass bestimmte Angaben nur/auch für das Folgejahr gelten sollten. Dr. B. habe die Schlaggrößen aus der Anlage 1a in die Anlage 2 übernommen, ohne dass für ihn habe erkennbar sein müssen, dass diese Größen nicht für das Jahr 2007 gelten sollten. Dass ein Mitarbeiter der Beklagten der Klägerin beim Ausfüllen des Antragsformulars geholfen habe, entbinde die Klägerin nicht von ihren Sorgfaltspflichten im Umgang mit dem Antrag. Auch die (Teil-) Rückforderung für die Jahre 2004 bis 2006 sei nicht zu beanstanden. Die Rückforderung von 506,58 EUR für das Jahr 2003 sei hingegen rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Ihre Rückzahlungsverpflichtung entfalle insoweit gemäß Art. 49 Abs. 5 UAbs. 2 VO (EG) Nr. 2419/2001 i.V.m. Art. 62a Abs. 2 VO (EG) Nr. 445/2002. Hiernach gelte die Verpflichtung zur Rückzahlung nicht, wenn zwischen dem Tag der Zahlung der Beihilfe und dem Tag, an dem der Begünstigte von der zuständigen Behörde erfahren habe, dass die Beihilfe zu Unrecht gewährt worden sei, mehr als vier Jahre vergangen seien und der Begünstigte in gutem Glauben gehandelt habe. Zwischen der Auszahlung der Zuwendung für das Jahr 2003 und dem Anhörungsschreiben lägen mehr als vier Jahre. Die Gesellschafter der Klägerin hätten in gutem Glauben gehandelt. Sie seien ersichtlich bemüht gewesen, die Flächenänderungen für die Neuverpflichtung im Verfahren NAU 2007 ordnungsgemäß anzugeben. Zwar sei objektiv nicht erkennbar gewesen, dass die Flächenverringerung nicht für das Jahr 2007 habe gelten sollen. Jedoch habe die Kammer keine Zweifel daran, dass die handelnden Personen subjektiv von der Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen ausgegangen seien. Ein unlauteres Handeln sei nicht erkennbar. Da die Rückforderung nur in Höhe von 1.505,96 EUR rechtmäßig sei, sei auch die Festsetzung einer Verwaltungsgebühr von mehr als 150,- EUR rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten.
Mit ihrem gegen den stattgebenden Teil des Urteils gerichteten Zulassungsantrag wendet die Beklagte u.a. ein, das Verwaltungsgericht habe nicht beachtet, dass in den Ausfüllhinweisen zur Anlage 2 des Sammelantrags 2007 detailliert erläutert werde, wie die Eintragungen zu erfolgen hätten. Die Klägerin habe mit ihrer Unterschrift erklärt, die Ausfüllhinweise als verbindlich anzuerkennen. Ihr hätte aufgrund der gesamten Antragsunterlagen bekannt sein müssen, dass sie in jedem der fünf Jahre des Verpflichtungszeitraums einen Auszahlungsantrag mit allen bewirtschafteten Flächen hätte stellen müssen. Ein Handeln des Begünstigten in gutem Glauben setze voraus, dass er sich selbst redlich verhalten habe, d.h. die ihm bekannten Prämienbindungen eingehalten habe, insbesondere seine Angaben vollständig und korrekt gewesen seien. Wer nicht vollständige und korrekte Angaben gemacht habe oder seinen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Beihilfegewährung nicht nachgekommen sei, habe nicht gutgläubig annehmen können, dass er die Beihilfe zu Recht erhalten habe und es zu einer Rückforderung nicht kommen werde.
Mit diesem Vorbringen hat die Beklagte in hinreichender Weise dargelegt, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils hinsichtlich der Annahme bestehen, die Klägerin habe gutgläubig i.S.d. Art. 49 Abs. 5 UAbs. 2 VO (EG) Nr. 2419/2001 i.V.m. Art. 62a Abs. 2 VO (EG) Nr. 445/2002 gehandelt. Insbesondere trifft es zu, dass das Kriterium der Gutgläubigkeit i.S.d. Art. 49 Abs. 5 UAbs. 2 VO (EG) Nr. 2419/2001 an die Redlichkeit bei der Antragstellung geknüpft ist (Senatsurteile vom 5. Juli 2011 - 10 LB 229/07, 10 LB 162/10 und 10 LB 172/10 -, jeweils veröffentlicht in [...]; BayVGH, Urteil vom 2. Mai 2005 - 19 B 03.1726 -, RdL 2006, 25 zur Vorgängervorschrift des Art. 14 Abs. 4 UAbs. 1 VO (EWG) Nr. 3887/92). Redlichkeit erfordert die innere Bereitschaft, sich im Zuge der Antragstellung (vollständig) pflichtgemäß zu verhalten. Wer für die Ausfüllung seines Antrags eine Vorgehensweise wählt, mit der er wissentlich ein merklich erhöhtes Risiko eingeht, dass es zu Fehlern kommt, negiert innerlich das nicht unbillige Verlangen des europäischen Rechts nach einem sorgfältig ausgefüllten Antrag (Senatsurteile vom 5. Juli 2011, a.a.O.). Vor diesem Hintergrund sprechen hier mindestens ebenso beachtliche Gründe gegen die Annahme einer Gutgläubigkeit der Klägerin wie dafür. Dass sich die Klägerin beim Ausfüllen der Anlage 2 der Hilfe eines Mitarbeiters der Beklagten bedient hat, führt nicht ohne Weiteres dazu, dass sich der stattgebende Teil des Urteils im Ergebnis als offensichtlich richtig erweist.
Das Zulassungsverfahren wird unter dem Aktenzeichen 10 LB 128/11 als Berufungsverfahren fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO).
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, einzureichen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124a Abs. 3 Sätze 4 und 5, Abs. 6 VwGO).