Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.02.2021, Az.: 13 ME 572/20

Bleiberecht auf Grundlage des Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011; 492/2011; Aufenthaltsrecht; Einreise und Aufenthalt; Freizügigkeit; Kind; Schulpflicht; Wanderarbeitnehmer

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
22.02.2021
Aktenzeichen
13 ME 572/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 12299
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 03.12.2020

Fundstellen

  • AUAS 2021, 62-64
  • DÖV 2021, 503
  • InfAuslR 2021, 180-183

Amtlicher Leitsatz

Die Berufung auf ein Bleiberecht auf der Grundlage des Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 setzt voraus, dass die Kinder eines (ehemaligen) Wanderarbeitnehmers am allgemeinen Unterricht bzw. der Lehrlings- oder Berufsausbildung regelmäßig teilnehmen. Allein das Bestehen der gesetzlichen Schulpflicht reicht dafür nicht aus.

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 3. Dezember 2020 wird mit Ausnahme der Festsetzung des Streitwertes für unwirksam erklärt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des gesamten Verfahrens zu je einem Sechstel.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und über die Verfahrenskosten gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Danach waren die Kosten des gesamten Verfahrens den Antragstellern nach Kopfteilen (§ 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO) aufzuerlegen, da die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 3. Dezember 2020 voraussichtlich Erfolg gehabt hätte.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Ist - wie hier - die sofortige Vollziehung von der Behörde den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügend angeordnet worden, so setzt die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das vorrangig öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 16.3.2004 - 8 ME 164/03 -, NJW 2004, 1750 - juris Rn. 16 m.w.N.). Dem öffentlichen Vollzugsinteresse kann dabei überhaupt nur dann Vorrang eingeräumt werden, wenn der angefochtene Verwaltungsakt voraussichtlich auch im Hauptsacheverfahren Bestand haben, mithin sich als rechtmäßig erweisen wird. Darüber hinaus muss das von der Behörde geltend gemachte besondere, also über das allgemeine Interesse am Vollzug eines Verwaltungsaktes hinausgehende Vollzugsinteresse tatsächlich vorliegen. Schließlich sind in einer Folgenabwägung gegenüberzustellen die konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter bei einem Aufschub des Vollzugs, wenn sich die Untersagungsverfügung nachträglich als rechtmäßig erweist, den konkreten Folgen des Sofortvollzugs für den Antragsteller, wenn sich der Untersagungsverfügung nachträglich als rechtswidrig erweisen sollte (vgl. Senatsbeschl. v. 17.10.2018 - 13 ME 107/18 -, GewArch 2019, 45 - juris Rn. 9; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 964 ff. m.w.N.).

1. Der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. März 2020, mit dem diese den Verlust des Rechts der Antragsteller auf Einreise und Aufenthalt festgestellt und ihnen ihre Abschiebung nach Rumänien angedroht hat, hätte sich nach der in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich als rechtmäßig erwiesen.

a) Gemäß § 5 Abs. 4 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt festgestellt werden, wenn die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen oder diese nicht vorliegen. Die Voraussetzungen eines Rechts auf Einreise und Aufenthalt sind entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bezüglich aller Antragsteller voraussichtlich nicht gegeben.

aa) Bis zum Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstreits befanden sich die Antragsteller zu 1. und zu 2. weder in einem Arbeitsverhältnis, noch waren sie erkennbar arbeitssuchend. Sie haben sich auch nicht mindestens fünf Jahre ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten (vgl. zu dieser Voraussetzung: BVerwG, Urt. v. 16.7.2015 - 1 C 22.14-, juris Rn. 16 f.). Insbesondere waren die Antragsteller zu 1. und zu 2. während dieses Zeitraums nicht ununterbrochen als Arbeitnehmer tätig oder arbeitsuchend. Auf die Ausführungen auf den Seiten 2 bis 7 des angefochtenen Bescheids vom 9. März 2020 kann verwiesen werden. Auch die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen belegen keinen ununterbrochenen fünfjährigen Aufenthaltszeitraum der Antragsteller zu 1. und zu 2. als Arbeitnehmer oder Arbeitssuchende. Andere Freizügigkeitstatbestände des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU sind ebenfalls nicht erfüllt. Damit scheidet auch eine akzessorische Freizügigkeitsberechtigung der Antragsteller zu 3. bis. 6. als Familienangehörige nach § 3 oder § 4 FreizügG/EU aus.

bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011. Zum Charakter dieser Vorschrift hat das Bundesverwaltungsgericht die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH referiert und ausgeführt (Urt. v. 11.9.2019 - 1 C 48.18 -, juris Rn. 19):

"Gemäß Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 können die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Die Norm begründet zuvörderst ein Recht auf Gleichbehandlung (stRspr, vgl. EuGH, Urteil vom 27. September 1988 - C-42/87 [ECLI:EU:C:1988:454], Kommission/Königreich Belgien - Rn. 10). Aus dem Recht zur Teilnahme am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung folgt zugleich ein eigenständiges (EuGH, Urteil vom 13. Juni 2013 - C-45/12 [ECLI:EU:C:2013:390], Hadj Ahmed - Rn. 46), originäres (Franzen, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 45 AEUV Rn. 143) und autonomes (EuGH, Urteil vom 23. Februar 2010 - C-310/08 [ECLI:EU:C:2010:80], Ibrahim - Rn. 41 f.) Recht der Kinder des (vormaligen) Wanderarbeitnehmers auf Einreise, Aufenthalt und Wohnsitznahme. Ein entsprechendes Recht vermittelt Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 zudem dem Elternteil, der die elterliche Sorge für die betreffenden Kinder tatsächlich wahrnimmt, ohne dass dieser die in der Richtlinie 2004/38/EG festgelegten Voraussetzungen erfüllen muss (EuGH, Urteil vom 23. Februar 2010 - C-480/08 [ECLI:EU:C:2010:83], Teixeira - Rn. 61). Dieser Elternteil kann auch der vormalige Wanderarbeitnehmer selbst sein. Das Aufenthaltsrecht ist der Förderung der Inanspruchnahme des Rechts der Kinder auf Teilnahme am allgemeinen Unterricht zu dienen bestimmt und besteht auch nach dem Ende der Erwerbstätigkeit des Wanderarbeitnehmers fort (stRspr, vgl. EuGH, Urteil vom 17. September 2002 - C-413/99 [ECLI:EU:C:2002:493], Baumbast und R - Rn. 73 ff.). Es endet regelmäßig mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes, sofern dieses nicht ausnahmsweise weiterhin der Anwesenheit und Fürsorge dieses Elternteils bedarf, um seine Ausbildung fortsetzen und abschließen zu können (EuGH, Urteil vom 23. Februar 2010 - C-480/08 - Rn. 86 f.). Adressat des den Kindern eines Wanderarbeitnehmers und deren die tatsächliche Sorge ausübenden Elternteile aus Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 erwachsenen Aufenthaltsrechts ist allein der Aufnahmestaat des (vormaligen) Wanderarbeitnehmers, nicht hingegen auch jeder andere Mitgliedstaat der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 27. September 1988 - C-263/86 [ECLI:EU:C:1988:451], Humbel und Edel - Rn. 24 f.)"

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es nach der Rechtsprechung des EuGH zur wortgleichen Vorgängervorschrift des Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1612/68 genügt, dass das Kind mit einem oder beiden Elternteilen im Bundesgebiet wohnte, während ein Elternteil als Unionsbürger eine Arbeitnehmerstellung innehatte. Das Kind muss also zum Zeitpunkt der Beschäftigung noch keine Ausbildung begonnen haben. Der EuGH spricht diesbezüglich von einem Recht des Kindes auf "Zugang zur Ausbildung", das, einmal erworben, erhalten bleibe, auch wenn das betreffende Elternteil seine Eigenschaft als "Wanderarbeitnehmer" wieder verloren habe. Es ist demnach nicht erforderlich, dass Beschäftigung und Schulausbildung in der Vergangenheit gleichzeitig stattgefunden haben. Auch ist es unschädlich, wenn der den Zugang zur Ausbildung vermittelnde Elternteil den Aufnahmemitgliedstaat bereits wieder verlassen hat, bevor sein Kind dort eingeschult wird (vgl. EuGH, Urt. v. 23.02.2010 - C-480/08 -, juris Ls 4 und Rn. 52, 71 - 75; Urt. v. 23.02.2010 - C-310/08 -, Rn. 33 f., Urt. v. 14.06. 2012 - C-542/09 -, juris Ls 2 sowie Rn. 49 und 50; Urt. v. 30.06.2016 - C-115/15 -, juris Ls 2 und Rn. 54 f.). An diesem Aufenthaltsrecht nehmen auch die die elterliche Sorge für das Kind tatsächlich wahrnehmenden Eltern teil. Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 vermittelt den Kindern eines (vormaligen)Wanderarbeitnehmers und deren die elterliche Sorge tatsächlich ausübenden Elternteilen nicht nur ein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Wohnsitznahme, sondern auch auf Freizügigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 FreizügG/EU (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.9.2019, a.a.O. Rn. 26).

Folge dieser Rechtsprechung ist ein Wechsel von Voraussetzungen und Rechtfolgen des Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/201. Während diese Bestimmung dem Kind eines Wanderarbeitnehmers aus Gründen der Gleichbehandlung die Aufnahme und den Abschluss der Ausbildung im Aufnahmemitgliedstaat garantiert, dient die Vorschrift nach der Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf dieses Recht des Kindes nunmehr der Begründung eines Aufenthaltsrechts der Eltern, unabhängig von deren Arbeitnehmereigenschaft oder Arbeitssuche. Soll mithin nach Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 das Kind seine Ausbildung im Aufnahmemitgliedstaat aufnehmen und beenden dürfen, weil ein Elternteil dort als Unionsbürger einer Beschäftigung nachgeht oder nachgegangen ist, so dürfen nach der Rechtsprechung des EuGH die Eltern unabhängig von einer Beschäftigung im Bundesgebiet verbleiben, weil ihr Kind hier eine Ausbildung absolviert. Ein derartiges Bleiberecht ist im Übrigen nach § 3 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 FeizügG/EU nur für Verwandte in gerade aufsteigender Linie vorgesehen, denen von den Freizügigkeitsberechtigten, ihren Ehegatten oder Lebenspartnern Unterhalt gewährt wird. Selbst ein minderjähriger freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger, der sich nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung und damit in Ausübung seiner Grundfreiheit nach Art. 45 AEUV in Deutschland aufhält, kann seine Eltern nur unter diesen Voraussetzungen nachholen. Aus welchem Grunde das Kind eines ehemaligen Wanderarbeitnehmers gegenüber diesem Personenkreis privilegiert werden sollte, ist nicht recht einsichtig.

Selbst wenn man dieser nahezu uferlosen Auslegung des Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 durch den EuGH im Hinblick auf § 267 AEUV folgt, hätten sich die Antragsteller sich im vorliegenden Fall nicht mit Erfolg auf diese Bestimmung berufen können.

Die Berufung auf ein Bleiberecht auf der Grundlage des Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 setzt voraus, dass die Kinder eines (ehemaligen) Wanderarbeiters am allgemeinen Unterricht bzw. der Lehrlings- oder Berufsausbildung regelmäßig teilnehmen. Nur zu diesem Zweck ist den Kindern und ihren die elterliche Sorge tatsächlich ausübenden Elternteilen der Aufenthalt weiter gestattet. Ein Recht auf Aufenthalt zum Zweck der allgemeinen Schulbildung rechtfertigt sich nur bei regelmäßigem Schulbesuch. Diese Voraussetzungen erfüllen jedoch weder die Antragstellerinnen zu 3. und zu 4. noch die Antragsteller zu 5. und zu 6.. In den Verwaltungsakten befindet sich hinsichtlich der Antragstellerin zu 3. ein Gutachten der Grundschule an der M. vom 29. Januar 2016 (Band 2/11, S. 149 f.) in dem der Antragstellerin zu 3. für das Schuljahr 2015/2016 68 versäumte Stunden, davon 66 unentschuldigt, bescheinigt werden. Ausweislich des ebenfalls in den Akten befindlichen Zeugnisses der Grundschule N. vom 21. Juni 2017 (Band 2/11, S. 151) werden der Antragstellerin zu 3. für das Schuljahr 2016/2017 72 Fehlstunden, davon 58 unentschuldigt, bescheinigt. Des weiteren befinden sich in den Verwaltungsakten Schulbescheinigungen hinsichtlich beider Schülerinnen (Band 2/11, S. 152 ff.), die jedoch keine Auskunft über einen ordnungsgemäßen Schulbesuch geben. Zudem hat die Antragsgegnerin Bußgeldbescheide vom 14. Juni 2018, 2. November 2018, 18. Februar 2019, 1. August 2019, 18. Dezember 2019, 21. April 2020, 21. August 2020 und 2. Dezember 2020 hinsichtlich der Antragstellerin zu 3. sowie vom 20. Dezember 2016, 24. Oktober 2018 und 13. Mai 2020 hinsichtlich der Antragstellerin zu 4. wegen jeweils mehrtägiger Verletzungen der Schulpflicht vorgelegt (GA, Bl. 147 ff., vgl. auch die Aufstellung im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 11.1.2021, GA, Bl. 188). Schon diese geahndeten massiven Verletzungen der Schulpflicht stehen der Annahme einer regelmäßigen Teilnahme der Antragsteller zu 3. und zu 4. am Schulunterricht entgegen. Darüber hinaus geht der Senat davon aus, dass nicht alle unentschuldigten Fehlzeiten den Weg in ein Bußgeldverfahren gefunden haben. Allein das Bestehen der gesetzlichen Schulpflicht und die Ausstellung formeller Schulbescheinigungen ohne Aussage zum tatsächlichen Besuch des Unterrichts reichen zur Begründung eines Aufenthaltsrechts nach Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 auch bei Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH nicht aus. Die von dieser Norm Begünstigten müssen von den ihnen eingeräumten Ausbildungsmöglichkeiten auch tatsächlich Gebrauch machen und sie nicht lediglich als Grundlage für einen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen (vgl. die Aufstellung der gegen die Antragstellerin zu 3. wegen seinerzeitiger Strafunmündigkeit eingestellten bzw. nunmehr anhängigen Strafverfahren wegen (gewerbsmäßigen) Diebstahls im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 8.1.2021, GA, Bl. 143).

Auch die Antragsteller zu 5. und zu 6. besitzen und vermitteln kein Aufenthaltsrecht nach Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011. Sie besuchen die Schule noch nicht und eine Einschulung für das Schuljahr 2021/2022 steht auch nicht unmittelbar bevor. Ein Recht auf Aufenthalt bis zu einer möglichen Einschulung vermittelt Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 selbst in der weiten Auslegung durch den EuGH nicht. Dies änderte sich allerdings mit Einschulung der Antragsteller zu 5. und zu 6. und einem regelmäßigen Schulbesuch.

b) Das besondere Vollzugsinteresse, das die Antragsgegnerin formell ordnungsgemäß im Sinne des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet hat, hätte sich in der Sache durch die erhebliche und perspektivisch dauerhafte Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch die Antragsteller gerechtfertigt. Auch die Straffälligkeit der Antragstellerin zu 1. und die von der Antragstellerin zu 3. in erheblichem Umfang - wenn auch bislang im Zustand der Strafunmündigkeit - begangenen Straftaten stehen für eine rasche Aufenthaltsbeendigung. Überwiegende Nachteile für die Antragsteller bei einem sofortigen Vollzug ihrer Ausreisepflicht waren nicht ersichtlich, zumal die Antragsteller bei Wiedereintritt der Voraussetzungen der Freizügigkeit erneut ins Bundesgebiet hätten einreisen können.

2. Die nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 70 Abs. 1 NVwVG und § 64 Abs. 4 NPOG kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung ist offensichtlich rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FreizügG/EU. Die Ausreisepflicht besteht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU. Sie ist im vorliegenden Fall nach § 11 Abs. 2 FreizüG/EU in Verbindung mit § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auch vollziehbar.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und entspricht der für Aufenthaltstitel nach dem AufenthG geschaffenen Nr. 8.1 sowie Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).