Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.02.2021, Az.: 8 ME 2/21

Aufenthaltserlaubnis; Ermessen; Ermessensreduzierung; Fiktionswirkung; Geburt; Geburt eines Kindes im Bundesgebiet; Geburt im Bundesgebiet; Mutter-Kind-Beziehung; Vater-Kind-Beziehung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.02.2021
Aktenzeichen
8 ME 2/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71104
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 18.11.2020 - AZ: 4 B 356/20

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei der Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 Satz 1 AufenthG hat eine umfassende Ermessensabwägung stattzufinden, bei der umfassend die Situation des Kindes in den Blick genommen wird, insbesondere das Kindeswohl, die mit dem Gesetz verfolgte Integrationserleichterung in Deutschland geborener Kinder und die Verwurzelung des Elternteils, von dem der Aufenthalt abgeleitet wird. Die geltende Fassung des § 33 AufenthG sollte eine gleichberechtigte Berücksichtigung der Beziehung des im Bundesgebiet geborenen Kindes zu beiden Elternteilen herbeiführen. Dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage wird es nicht gerecht, wenn die Ermessensabwägung unter der Grundannahme erfolgt, wenn die Mutter ausreise, werde zwingend auch das Kind ausreisen.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 4. Kammer - vom 18. November 2020 geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. September 2020 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.250 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Mutter des Antragstellers reiste am 14. November 2018 ohne Visum in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Die Asylklage ist anhängig, einstweiliger Rechtsschutz wurde abgelehnt. Der Antragsteller wurde am … 2019 im Bundesgebiet geboren. Der Vater des Antragstellers und Ehemann seiner Mutter besitzt eine Aufenthaltserlaubnis und hat zwei 2007 und 2010 geboren Kinder, die deutsche Staatsangehörige sind. Der Antragsgegner lehnte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Antragsteller gemäß § 33 Satz 1 AufenthG durch Bescheid vom 15. September 2020 ab, weil die Mutter das Visumverfahren nachzuholen habe. Da die Mutter des Antragstellers erneut schwanger war, hat das Verwaltungsgericht den Antragsgegner durch Beschluss vom 18. November 2020 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Aufenthalt des Antragstellers bis zum Ende der Mutterschutzfrist zu dulden. Den daneben gestellten Aussetzungsantrag hat es abgelehnt.

II.

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Aus den mit ihr dargelegten Gründen ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Unrecht abgelehnt hat. Dieser Antrag ist zulässig und begründet.

1. Die Begründung des Verwaltungsgerichts, warum das durch § 33 Satz 1 AufenthG eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden sei, ist so nicht tragfähig. Die Beschwerde greift das mit dem sinngemäßen Vortrag, es bestehe eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seinem Vater, deren Trennung unzumutbar sei, noch ausreichend an.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt. In den entschiedenen Fällen waren die Kinder im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung 9 Monate (BVerfG, Beschl. v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 925 [BVerfG 08.03.2006 - 2 BvR 1114/05]), ungefähr eineinhalb Jahre (BVerfG, Beschl. v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -, juris), 26 Monate (BVerfG, Beschl. v. 9.1.2009 - 2 BvR 1064/08 -, NVwZ 2009, 387) und 20 Monate (BVerfG, Beschl. v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 -, NVwZ 2013, 1207) alt.

Das Verwaltungsgericht hat es - einer Entscheidung des VG Freiburg (Beschl. v. 14.9.2009 - 4 K 1283/09 -, juris) folgend, die nur ältere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zitiert - als ermessensfehlerfrei angesehen, eine vorübergehende Trennung des 18 Monate alten Antragstellers von seinem Vater als zumutbar zu betrachten. Auch für Kinder deutscher Eltern gebe es keinen absoluten Schutz gegen eine zumindest vorübergehende Trennung von einem Elternteil, selbst dann nicht, wenn diese Trennung ohne oder gar gegen den Willen des betreffenden Elternteils erfolge. Das Kindeswohl erleide in der Regel keinen nachhaltigen Schaden, wenn es - zumal in dem Alter, in dem sich der Antragsteller befinde - für einige Wochen oder gar für einige wenige Monate von seinem Vater getrennt werde. Soweit es damit als zulässig angesehen wird, einer durch unausweichliche staatliche Maßnahmen herbeigeführten Trennung ein nur geringes Gewicht in der Ermessensausübung beizulegen, steht dies mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht im Einklang.

Bedenken bestehen zudem gegen die Annahme, es könne nicht entgegengehalten werden, die Dauer des Visumverfahrens sei unabsehbar oder werde von der zuständigen deutschen Auslandsvertretung womöglich ungebührlich lang hinausgezögert. Die deutschen Auslandsvertretungen seien gehalten, das Visumverfahren zügig und zu betreiben. Im Übrigen stünde dem Antragsteller gegen Rechtsverstöße der am Visumverfahren beteiligten Behörden der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann eine auch nur vorübergehende Trennung nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 925 [BVerfG 08.03.2006 - 2 BvR 1114/05], juris Rn. 2; v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -, juris Rn. 33; v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 -, NVwZ 2013, 1207, juris Rn. 14).

2. Damit hat das Beschwerdegericht eine eigenständige Prüfung des die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis betreffenden Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmen. Dieser ist zulässig und begründet.

a) Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft.

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO setzt voraus, dass der mit der Klage angefochtene Verwaltungsakt eine den Antragsteller selbstständig belastende und vollziehungsfähige Regelung enthält. Bei der Anfechtung der Ablehnung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels ist dies nur dann der Fall, wenn der abgelehnte Antrag eine gesetzliche Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion ausgelöst hat, die durch die insoweit im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO sofort vollziehbare (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) Ablehnungsentscheidung der Behörde erlischt (vgl. Senatsbeschl. v. 12.12.2013 - 8 ME 162/13 -, InfAuslR 2014, 93, juris Rn. 17).

Der Aufenthalt des Antragstellers galt als erlaubt. Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt sein Aufenthalt nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Der Antragsteller hielt sich von seiner Geburt an ohne Aufenthaltstitel rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Ob dies aus § 81 Abs. 2 Satz 2 AufenthG oder § 33 Satz 3 AufenthG analog abzuleiten ist, kann dahinstehen. Die Antragstellung erfolgte rechtzeitig (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.6.2008 - 11 S 1268/08 -, juris Rn. 4; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 7.10.2008 - 18 B 1154/08 -, InfAuslR 2009, 23, juris Rn. 21 ff.; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 33 AufenthG Rn. 17 ff.).

b) Der Antrag ist begründet. Das Aussetzungsinteresse wiegt schwerer als das Vollzugsinteresse, weil die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig ist, so dass ein öffentliches Interesse an dem Vollzug des Verwaltungsakts derzeit nicht besteht.

aa) Allerdings besteht entgegen dem Beschwerdevorbringen kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Die Voraussetzungen des § 33 Satz 2 AufenthG sind offensichtlich nicht erfüllt. Gemäß § 33 Satz 1 AufenthG kann einem Kind, das im Bundesgebiet geboren wird, abweichend von den §§ 5 und 29 Abs. 1 Nr. 2 von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Der Tatbestand dieser Vorschrift ist ausweislich der Feststellungen des Antragsgegners in dem angefochtenen Bescheid erfüllt.

Das Ermessen ist nicht reduziert. Es verhält sich nicht so, dass jede andere Entscheidung als die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ermessensfehlerhaft wäre. Die für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sprechenden Erwägungen müssen nicht von Rechts wegen als eindeutig überwiegend angesehen werden. Insbesondere ist die Mutter des Antragstellers aus den in der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts ausgeführten Gründen nicht über das Ende der Mutterschutzfrist hinaus reiseunfähig. Eine unzumutbare Gefährdung des Antragstellers durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie wird mit der Beschwerde nicht dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Die Mehrzahl der Kinder zeigt nach bisherigen Studien einen asymptomatischen oder milden Krankheitsverlauf; nur ein sehr kleiner Teil benötigt eine intensivmedizinische Versorgung und wird beatmungspflichtig (Robert-Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand 25.1.2021, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html;jsessionid=8F9604B01F345E50BBBD3AA9D47F3E0E.internet082?nn=13490888 - doc13776792bodyText16). Mögliche gegen die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sprechende Erwägungen sind nicht offensichtlich vernachlässigbar. Ob die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind, wurde im Verwaltungsverfahren bislang nicht ermittelt. Ermessensrelevant ist zudem, dass die Nachholung des Visumverfahrens durch die Mutter des Antragstellers dann nicht zur Trennung der familiären Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und beiden Eltern führen muss, wenn der Vater mitreist. Die damit verbundene vorübergehende Unterbrechung der familiären Lebensgemeinschaft des Vaters mit seinen beiden deutschen Kindern dürfte zumutbar sein. Diese befinden sich in einem Alter, in dem ihnen die vorübergehende Natur der Ausreise und der in dem Rechtsbruch der Ehefrau ihres Vaters liegende Grund dafür vermittelt werden können.

bb) Die Ermessensausübung in dem angefochtenen Bescheid ist jedoch fehlerhaft und begründet dessen Rechtswidrigkeit. Es liegt ein Ermessenfehlgebrauch vor, weil mit der Annahme, der Antragsteller müsse notwendig gemeinsam mit seiner Mutter ausreisen, eine dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage widersprechende Erwägung angestellt wurde.

Grundsätzlich verfolgt § 33 AufenthG das Ziel, ein im Bundesgebiet geborenes Kind am rechtmäßigen Aufenthalt eines Elternteils teilhaben zu lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.10.2005 - 2 BvR 524/01 -, BVerfGE 114, 357, juris Rn. 34; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 7.4.2016 - 17 A 2389/15 -, juris Rn. 45). Die Ermessensregelung in Satz 1 soll den Ausländerbehörden bessere Steuerungsmöglichkeiten geben; bei der Ausübung des Ermessens soll der besonderen Beziehung zwischen den Eltern und dem Kleinkind unmittelbar nach der Geburt im Interesse der Gewährung der Familieneinheit und zur Aufrechterhaltung der nach Art. 6 Abs. 1 GG besonders geschützten familiären Betreuungsgemeinschaft Rechnung getragen werden (BT-Drs. 16/5065, S. 176).

Ermessensrelevant kann daher sein, wie gesichert der Aufenthaltsstatus der Eltern ist. Auch die Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen ist im Hinblick auf die Steuerung von Aufenthalt und Zuzug von Bedeutung, so dass die in § 33 Satz 1 AufenthG vorgesehen Abweichung von § 5, § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht zur Folge hat, dass insoweit keine Ermessensrelevanz bestünde (vgl. VG Freiburg, Beschl. v. 14.9.2009 - 4 K 1283/09 -, juris Rn. 6 f.). Insgesamt hat eine umfassende Ermessensabwägung stattzufinden, bei der umfassend die Situation des Kindes in den Blick genommen wird, insbesondere das Kindeswohl, die mit dem Gesetz verfolgte Integrationserleichterung in Deutschland geborener Kinder und die Verwurzelung des Elternteils, von dem der Aufenthalt abgeleitet wird. Ermessensfehlerhaft ist es, wenn dem öffentlichen Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Kindes allein deshalb höheres Gewicht als seinem Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet beigemessen wird, weil der andere Elternteil über kein Aufenthaltsrecht verfügt und ausreisepflichtig ist (vgl. VG Berlin, Urt. v. 2.8.2013 - 11 K 403.12 -, juris Rn. 23).

Der Zweck der Ermächtigungsgrundlage erschließt sich weiter aus der Entstehungsgeschichte des § 33 Satz 1 AufenthG. Ursprünglich sahen § 21 Abs. 1 AuslG und § 33 Satz 1 AufenthG a.F. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an das Kind nur dann vor, wenn die Mutter einen Aufenthaltstitel besaß. Die darin liegende Bevorzugung wegen des Geschlechts verletzte Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Die Elternteile waren gleichzubehandeln. Der Aufenthaltsstatus des Kindes betrifft Vater und Mutter in gleicher Weise. Weder Aspekte der Familieneinheit noch solche der gerade in der ersten Zeit nach der Geburt des Kindes meist besonders intensiven Gemeinschaft zwischen Mutter und Kind oder etwaiger darüber hinaus gehender, durch Art. 6 Abs. 4 GG geschützter Anliegen der Mutter-Kind-Beziehung lassen sich ausschließlich dadurch verwirklichen, dass die - ihrerseits durch Art. 6 GG geschützten - Interessen des Vaters ausgeklammert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die früheren Fassungen daher für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.10.2005 - 2 BvR 524/01 -, BVerfGE 114, 357). Die geltende Fassung des § 33 AufenthG sollte den Grundrechtsverstoß beheben und eine gleichberechtigte Berücksichtigung der Beziehung des im Bundesgebiet geborenen Kindes zu beiden Elternteilen herbeiführen.

Folglich findet der Grundsatz, dass Kinder das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer Eltern teilen, im Anwendungsbereich des § 33 Satz 1 AufenthG keine Anwendung. Die aufenthaltsrechtliche Rechtsstellung beider Elternteile ist gerade unterschiedlich. Dem ist im Rahmen der Ermessensausübung Rechnung zu tragen und anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, ob die Rechtsstellung des Kindes an die des aufenthaltsberechtigten Teils angeglichen werden kann oder ob dem ein überwiegendes öffentliches Interesse entgegensteht.

Dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage wird es nicht gerecht, wenn die Ermessensabwägung unter der Grundannahme erfolgt, wenn die Mutter ausreise, werde zwingend auch das Kind ausreisen. Damit wird die auf der Ebene der Rechtsvorschrift anerkannte Bedeutung des aufenthaltsrechtlichen Status des Vaters auf der Ebene der Ermessensausübung konterkariert. An diesem Fehler leidet der angefochtene Bescheid. Das Ermessen wird letztlich allein deswegen zuungunsten des Antragstellers ausgeübt, weil seine Mutter vor der Geburt unerlaubt eingereist ist und die Nachholung des Visumverfahrens erforderlich ist. Es wird unterstellt, dass deswegen zwingend auch der Antragsteller auszureisen habe. Damit verstellt sich der Antragsgegner den Blick auf die Beziehung des Antragstellers zu seinem aufenthaltsberechtigten Vater. Zu fragen wäre, ob wegen dieser Beziehung das Interesse an der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis überwiegt. Die alleinige Fragestellung, ob die Trennung von dem Vater für die Dauer des Visumverfahrens zumutbar ist, geht an dem Zweck der Ermessensausübung vorbei. Hinzu kommt, dass im Rahmen der Erwägungen zu dieser Trennung gefragt wird, ob die Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null vorliegen. Die durch eine Trennung ausgelöste Beeinträchtigung wäre aber auch unterhalb der Schwelle einer Ermessensreduzierung für die Ermessensausübung nach § 33 Satz 1 AufenthG von Bedeutung.

Die Kopplung des aufenthaltsrechtlichen Schicksals von Mutter und Kind, die in dem angefochtenen Bescheid vorgenommen wird, führt weiter dazu, dass das Interesse des Antragstellers an der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entgegen dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage nicht hinreichend erfasst wird. Dieses Interesse besteht selbst dann, wenn die Annahme zutrifft, dass er mit seiner Mutter ausreist, wenn diese das Visumverfahren nachholt. Erhält er eine Aufenthaltserlaubnis, muss er selbst kein Visum beantragen. Dies wäre konsequent, da der Antragsteller selbst das Visumverfahren nicht umgangen hat, so dass es keine spezial- oder generalpräventiven Gründe gibt, von ihm die Durchführung dieses Verfahrens zu verlangen. Dasselbe gilt, wenn der Antragsteller mit beiden Elternteilen vorübergehend ausreist. Erst recht ist die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für ihn rechtlich vorteilhaft, wenn die sorgeberechtigten Eltern die Entscheidung treffen sollten, dass der Antragsteller von dem Vater betreut wird, während die Mutter das Visumverfahren nachholt. Dass eine Trennung der Familieneinheit staatlicherseits wohl nicht erzwungen werden kann, bedeutet nämlich nicht, dass die Familie eine solche Gestaltung nicht aus freien Stücken bevorzugen könnte.

3. Die Beschwerde hat auch in Bezug auf die Abschiebungsandrohung Erfolg. Im Rahmen der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Abschiebungsandrohung eine Annexmaßnahme zu der Ablehnung der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist, die deren Schicksal teilt (vgl. Senatsbeschl. v. 12.9. 2019 - 8 ME 66/19 -, InfAuslR 2019, 437, juris Rn. 70). Ebenso geht die Befristungsentscheidung ins Leere. Der Antragsgegner wird darauf hingewiesen, dass er einen Textbaustein verwendet hat, der von der bereits seit über einem Jahr geltenden Fassung des § 11 Abs. 1 AufenthG abweicht, wonach es der behördlichen Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bedarf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens bleibt es im Ergebnis bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, welches die Kosten dem Antragsgegner auferlegt hat. Soweit dies auch den Kostenanteil betrifft, der auf den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens - den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO - entfällt, sind die Kosten nunmehr durch das Beschwerdegericht dem Antragsgegner gemäß § 154 Abs. 1 VwGO aufzuerlegen, was der Sache nach an dem erstinstanzlich auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO gestützten Kostenausspruch nichts ändert.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 VwGO. Der üblicherweise für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis anzusetzende Streitwert von 2.500 Euro war zu halbieren, weil die Bedeutung des Obsiegens im Beschwerdeverfahren für den Antragsteller aufgrund des erstinstanzlichen Teilerfolgs geringer zu bewerten ist als im Regelfall.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).