Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.02.2021, Az.: 13 ME 580/20

Beschwerde; Gesundheitsschädlichkeit; Lebensmittel; Nikotinbeutel; Nikotin-Pouches; Untersagung des Inverkehrbringens; vorläufiger Rechtsschutz

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.02.2021
Aktenzeichen
13 ME 580/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71236
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 14.12.2020 - AZ: 15 B 5597/20

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Nikotin-Pouches, die in einer durchlässigen Hülle neben einem Trägerstoff Nikotin und Aromen zur Freisetzung im Mundraum und zur Aufnahme über die Mundschleimhaut enthalten, sind Lebensmittel im Sinne des Art. 2 der Lebensmittel-Basis-Verordnung, die in Abhängigkeit von der Nikotinmenge gesundheitsschädlich im Sinne des Art. 14 Abs. 2 Buchst. a der Lebensmittel-Basis-Verordnung sein können.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 15. Kammer - vom 14. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.775 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Der Antragsteller, ein Kioskbetreiber, wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine von der Antragsgegnerin verfügte Untersagung des Inverkehrbringens von „Nicotine Pouches“, kleinen tabakfreien Nikotinbeuteln, welche zwischen Oberlippe und Zahnfleisch geklemmt werden und Nikotin überwiegend in den Mundraum abgeben. Das Verwaltungsgericht hat die Untersagung als rechtmäßig angesehen und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagt.

II. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Untersagungsverfügung wiederherzustellen (1.) und gegen die Zwangsgeldandrohung anzuordnen (2.).

1. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Ist die sofortige Vollziehung von der Behörde den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügend angeordnet worden, so setzt die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das vorrangig öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 16.3.2004 - 8 ME 164/03 -, NJW 2004, 1750 - juris Rn. 16 m.w.N.). Dem öffentlichen Vollzugsinteresse kann dabei überhaupt nur dann Vorrang eingeräumt werden, wenn der angefochtene Verwaltungsakt voraussichtlich auch im Hauptsacheverfahren Bestand haben, mithin sich als rechtmäßig erweisen wird. Darüber hinaus muss das von der Behörde geltend gemachte besondere, also über das allgemeine Interesse am Vollzug eines Verwaltungsaktes hinausgehende Vollzugsinteresse tatsächlich vorliegen. Schließlich sind in einer Folgenabwägung gegenüberzustellen die konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter bei einem Aufschub des Vollzugs, wenn sich die angefochtene Verfügung nachträglich als rechtmäßig erweist, den konkreten Folgen des Sofortvollzugs für den Antragsteller, wenn sich die angefochtene Verfügung nachträglich als rechtswidrig erweisen sollte (vgl. Senatsbeschl. v. 17.10.2018 - 13 ME 107/18 -, GewArch 2019, 45 - juris Rn. 9; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 964 ff. m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben fällt die Abwägung zu Lasten des Antragstellers aus. Die durch Bescheid vom 25. September 2020 bestätigte (§ 37 Abs. 2 Satz 2 VwVfG) Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin ist voraussichtlich rechtmäßig (a.). Ein besonderes Vollzugsinteresse ist tatsächlich gegeben (b.), und die bei einem Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter überwiegen die die Antragstellerin treffenden Folgen der sofortigen Vollziehung (c.).

a. Die von der Antragsgegnerin angeordnete Untersagung ist voraussichtlich rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Verbotsverfügung ist Art. 138 der Verordnung (EU) 2017/625 - KontrollVO - in Verbindung mit Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 - BasisVO -. Der Senat sieht die KontrollVO als eigenständig tragende Ermächtigungsgrundlage für ein lebensmittelrechtliches Einschreiten der zuständigen Behörden an (vgl. Senatsbeschl. v. 11.11.2020 - 13 ME 400/20 -, juris Rn. 11). Dass sich die Antragsgegnerin zudem auf § 39 LFGB stützen will (vgl. Bescheid, GA, Bl. 35), ist unbeachtlich.

Gemäß Art. 138 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. d) sowie Art. 1 Abs. 2 Buchst. a) der KontrollVO können die zuständigen Behörden das Inverkehrbringen von Waren verbieten, wenn dies geeignet ist, erneute Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich der Lebensmittel zu verhindern. Nach Art. 14 Abs. 1 der BasisVO dürfen nicht sichere Lebensmittel nicht in Verkehr gebracht werden. Lebensmittel gelten als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie gesundheitsschädlich sind (Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) der BasisVO).

Tabakfreie Nikotinbeutel, insbesondere deren aufnahmefähige Inhaltsstoffe Nikotin und Aroma, sind nach der im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nur möglichen summarischen Prüfung durch den Senat Lebensmittel, auch wenn nur Teile zur Aufnahme bestimmt sind (aa.). Sie sind gesundheitsschädlich (bb.), so dass ihr Inverkehrbringen verboten werden durfte (cc.).

aa. Tabakfreie Nikotinbeutel sind Lebensmittel im Sinne der BasisVO.

Art. 2 der BasisVO enthält die folgende Begriffsbestimmung:

[1] „Im Sinne dieser Verordnung sind ‘Lebensmittel‘ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden.“

[2] „Zu ‘Lebensmitteln‘ zählen auch Getränke, Kaugummi sowie alle Stoffe - einschließlich Wasser -, die dem Lebensmittel bei seiner Herstellung oder Ver- oder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden. Wasser zählt hierzu unbeschadet der Anforderungen der Richtlinien 80/778/EWG und 98/83/EG ab der Stelle der Einhaltung im Sinne des Artikels 6 der Richtlinie 98/83/EG.“

[3] „Nicht zu ‘Lebensmitteln‘ gehören:

a) Futtermittel,

b) lebende Tiere, soweit sie nicht für das Inverkehrbringen zum menschlichen Verzehr hergerichtet worden sind,

c) Pflanzen vor dem Ernten,

d) Arzneimittel im Sinne der Richtlinien 65/65/EWG(21) und 92/73/EWG(22) des Rates,

e) kosmetische Mittel im Sinne der Richtlinie 76/768/EWG(23) des Rates,

f) Tabak und Tabakerzeugnisse im Sinne der Richtlinie 89/622/EWG(24) des Rates,

g) Betäubungsmittel und psychotrope Stoffe im Sinne des Einheitsübereinkommens der Vereinten Nationen über Suchtstoffe, 1961, und des Übereinkommens der Vereinten Nationen über psychotrope Stoffe, 1971,

h) Rückstände und Kontaminanten.“

Der Senat nimmt die umfangreichen Ausführungen des Antragstellers zur Auslegung des Begriffs “Lebensmittel“ zur Kenntnis und sieht auch die hierzu vertretene Auffassung in der Literatur (Teufer, ZLR 2020, 602), ist jedoch nicht davon überzeugt.

Dem Wortlaut „Lebensmittel“ kommt dabei nur eine geringe Bedeutung zu, da die deutsche Fassung der BasisVO nur eine von vielen ist.

Die Definition des Lebensmittels in Art. 2 Abs. 1 der BasisVO zeigt aber, dass eine sehr weite Begriffsbestimmung beabsichtigt ist. Umfasst sein soll jeder Stoff, bei dem es nicht fernliegt, dass er vom menschlichen Körper aufgenommen wird. Hierzu zählen auch die streitgegenständlichen Nikotinbeutel. Dies wird sowohl durch die Klarstellungen in Abs. 2 als auch durch die abdrängenden Sonderzuweisungen in Abs. 3 deutlich.

Art. 2 Abs. 2 der BasisVO enthält die erläuternde Klarstellung, dass auch Kaugummi umfasst ist (vgl. Meyer/Streinz, BasisVO, 2. Aufl., Art. 2 Rn. 8; die Funktion des Abs. 2 offenlassend Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Art. 2 BasisVO Rn. 34, Stand: Nov. 2019). Dass eine Klarstellung notwendig ist, ergibt sich bereits aus der Vielzahl der Sprachfassungen der BasisVO. So ist die Nennung von Getränken allein der englischen Sprachfassung geschuldet, nach der Lebensmittel als „Food“, d.h. Essen, bezeichnet werden.

Die Nennung von Kaugummi macht deutlich, dass es nicht darauf ankommt, ob das Lebensmittel seiner Bestimmung nach vollständig in den Körper gelangt oder ob es nur Stoffe abgibt, die in den Körper gelangen. Auf das Kauen und Anregen des Speichelflusses für die Abgrenzung zwischen Kaugummi und Nikotinbeuteln abzustellen (so Teufer, ZLR 2020, 609), ist nicht tragfähig, da Kauen und Speichelflussanregung hinsichtlich des Gesundheitsschutzes und zur sonstigen Abgrenzung von Lebensmitteln erkennbar kein Kriterium sein können. Essen, Kauen oder Trinken sind nicht notwendig für die Aufnahme eines Lebensmittels, selbst parenterale Ernährung, d.h. Infusionen, sind umfasst (vgl. Zipfel/Rathke, a.a.O. Rn. 33). Bereits aus dieser Klarstellung ergibt sich für den Senat, dass auch die tabakfreien Nikotinbeutel, die wie Kaugummi durch ihren Aufenthalt im Mundraum Stoffe in den menschlichen Körper abgeben, vom Lebensmittelbegriff umfasst sein sollen. Wenn der Antragsteller demgegenüber ausführt, es gehe nur um die Regelung von Stoffen, die bestimmungsgemäß in den Verdauungstrakt gelangen (Beschwerdebegründung, S. 37), übersieht er diese Wertung des Normgebers. Der Begriff Verdauung kommt weder in den Erwägungsgründen noch im Normtext der BasisVO vor.

Während in Art. 2 Abs. 2 der BasisVO Getränke, Kaugummi und Wasser klarstellend aufgeführt werden, sind in Art. 2 Abs. 3 der BasisVO Bereichsausnahmen für meist gesondert regulierte Lebensmittel aufgeführt. Diese für notwendig erachteten Bereichsausnahmen belegen, dass vom Lebensmittelbegriff grundsätzlich die dortigen Regelungsgegenstände, etwa Arzneimittel, umfasst sein sollen (vgl. Zipfel/Rathke, a.a.O., Rn. 33), die BasisVO jedoch hinter zumeist spezielleren Regelungen zurücktreten soll (so im Ergebnis auch der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung, S. 36). Ein solches Verständnis von Art. 2 Abs. 3 der BasisVO ist auch geboten, um den bezweckten Gesundheitsschutz sicherzustellen (vgl. die Erwägungsgründe 1, 2, 8ff. und Art. 1 der BasisVO).

Mit diesem Verständnis besteht ein weiteres Argument dafür, dass die streitgegenständlichen Nikotinbeutel als Lebensmittel angesehen werden müssen. Würden sie tabakhaltig sein, dann wären sie fraglos von der aktuellen Tabakrichtlinie 2014/40/EU, auf die der Verweis in Art. 2 Abs. 3 Buchst. f) der BasisVO gilt (vgl. hierzu Zipfel/Rathke, a.a.O., Rn. 220), eindeutig erfasst und je nachdem, ob sie an sich nur gekaut konsumiert werden können, untersagt (Art. 1 Buchst. c), 2 Nr. 6 und 8 der RL 2014/40/EU; EuGH, Urt. v. 17.10.2018 - C-425/17 -, juris). Dass sie es mangels Tabak nicht sind, führt nicht dazu, dass sie weder der Tabakrichtlinie noch der BasisVO unterliegen. Gerade weil sie nur wegen eines fehlenden Inhaltsstoffs nicht der Tabakrichtlinie unterliegen, besteht für sie keine Bereichsausnahme und unterliegen sie somit der BasisVO.

bb. Tabakfreie Nikotinbeutel dürften gesundheitsschädlich i.S.v. Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) der BasisVO sein.

Der Ausgangsbescheid stützt sich auf eine lebensmitteltechnische Analyse, und zwar die toxikologische Risikobewertung von tabakfreien Nikotinbeuteln durch das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittel - LGL - vom 23. April 2020. Danach wird bei der oralen Aufnahme eines Nikotinbeutels der von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA bekanntgegebene Grenzwert um den Faktor 36 bis 175 überschritten und der geprüfte Nikotinbeutel als gesundheitsschädlich und damit als nicht sicher gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) der BasisVO beurteilt (VV, Bl. 11).

Im Rahmen der in einem Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung hat diese Risikobewertung Bestand. Schwerwiegende Mängel der Risikobewertung, wie sie der Antragsteller geltend macht, sind nicht erkennbar. Dass das LGL nicht jedes im Markt existierende Produkt, sondern nur stichprobenartig tabakfreie Nikotinbeutel überprüft hat, ist für eine Risikobewertung ausreichend. Auch der Antragsteller zeigt nicht auf, weshalb die ausgewählten Produkte nicht repräsentativ für tabakfreie Nikotinbeutel sein sollen. Dass die herangezogenen Grenzwerte nur auf ein nicht rechtsverbindliches EFSA Statement zurückzuführen sind (so der Antragsteller, GA, Bl. 154, 177R; https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.2903/j.efsa.2009.286r), führt nicht dazu, dass sie in keiner Weise zu berücksichtigen wären. Jedenfalls bei einer - wie hier - massiven Überschreitung der Werte spricht vieles dafür, dass eine Gesundheitsschädigung droht. Dabei führt ein Vergleich der Gesundheitsrisiken von tabakfreien Nikotinbeuteln und gebräuchlichen Tabakerzeugnissen nicht weiter. Tabakprodukte werden insgesamt als gesundheitsschädlich angesehen und unterliegen einem strengen Regelungsregime aus Verboten, zulässigen Höchstwerten, Abgaberestriktionen sowie Warn- und Informationspflichten. Selbst wenn tabakfreie Nikotinbeutel weniger schädlich sein sollten als einige Tabakerzeugnisse, so würde dies nichts daran ändern, dass sie weiterhin als gesundheitsschädlich einzustufen sind.

Nach summarischer Prüfung bedürfte methodologisch einzig die von der EFSA vorgenommene Festlegung des ARfD-Grenzwertes von 0,8 µg/kg (Substanzmenge, die mit der Nahrung ohne merkliches Gesundheitsrisiko aufgenommen werden kann) anhand eines LOAEL-Wertes von 8 µg/kg (niedrigste Dosis eines verabreichten chemischen Stoffes, bei der im Tierexperiment noch Schädigungen beobachtet wurden) einer kritischen Überprüfung. Da jedoch vorliegend auch der LOAEL-Wert um ein Vielfaches überschritten wurde, bedarf es hierzu in diesem Verfahren keiner näheren Auseinandersetzung.

cc. Die Antragsgegnerin durfte das Inverkehrbringen des danach gesundheitsschädlichen Lebensmittels untersagen.

Art. 138 Abs. 1 Buchst. b), Abs. 2 Buchst. d) der KontrollVO ermächtigt die zuständigen Behörden, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Verstöße zu beenden, insbesondere das Inverkehrbringen von Waren zu untersagen.

Im vorliegenden Fall dürfte dieses Vorgehen auch verhältnismäßig sein. Grundsätzlich ist es als verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei anzusehen, wenn die zuständige Behörde das Inverkehrbringen eines gesundheitsschädlichen Lebensmittels untersagt.

Ein vom Antragsteller gefordertes milderes Mittel, die Verpflichtung zur Verbraucherinformation, wäre nicht gleich geeignet und würde auch nicht dazu führen, dass der Grenzwert einer Gesundheitsschädigung beim Konsum eingehalten wird. Die Antragsgegnerin musste auch nicht sofort gegen alle Verkäufer von Nikotinbeuteln gleichmäßig vorgehen. Nach Angaben des Antragstellers (GA, Bl. 3) gibt es 6.000 vergleichbare Verkaufsstellen, so dass zur Klärung der rechtlichen Situation zunächst nur gegen Einzelne, wie den Antragsteller, vorgegangen werden durfte.

Die Rechtmäßigkeit des Bescheides wird auch nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass die Antragsgegnerin die Untersagung zunächst damit begründet hat, Nikotin sei ein unzulässiger Lebensmittelzusatzstoff im Sinne des Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 - ZusatzstoffVO - (GA, Bl. 35R). Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig oder rechtswidrig ist, richtet sich nach dem Recht, das geeignet ist, die getroffene Regelung zu rechtfertigen. Erweist sie sich aus anderen als in dem Bescheid angegebenen Gründen als rechtmäßig, ohne dass sie durch den Austausch der Begründung in ihrem Wesen geändert würde, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (BVerwG, Urt. v. 19.8.1988 - BVerwG 8 C 29.87 -, juris Rn. 13; v. 31.3.2010 - BVerwG 8 C 12.09 -, juris Rn. 16). Die Antragsgegnerin hat im Verwaltungsverfahren mit Schriftsatz vom 6. November 2020 ergänzt, dass auch ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 der BasisVO vorläge, da es sich bei den Nikotinbeuteln um gesundheitsschädliche und damit nicht sichere Lebensmittel nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) der BasisVO handele (GA, Bl. 107, dort fälschlich mit „Art. 14 Abs. 2 b“ bezeichnet). Grundlage des Einschreitens bleibt dabei dem Wesen nach, dass die tabakfreien Nikotinbeutel aus Sicht der Antragstellerin eine Gesundheitsgefahr darstellen.

Ohne dass es in der Sache darauf ankommt, weist der Senat darauf hin, dass die Annahme, Nikotin sei ein unzulässiger Lebensmittelzusatzstoff, nach summarischer Prüfung nicht überzeugt. Nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) der ZusatzstoffVO ist ein Lebensmittelzusatzstoff ein Stoff, der in der Regel weder selbst als Lebensmittel verzehrt noch als charakteristische Lebensmittelzutat verwendet wird. Nikotin wird im Falle der vorliegenden „Nicotine Pouches“ bzw. tabakfreien Nikotinbeutel jedoch als die namensgebende und damit charakteristische Lebensmittelzutat verwendet.

Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei den Nikotinbeuteln um ein für den Verzehr durch den Menschen ungeeignetes Lebensmittel i.S.v. Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) der BasisVO handelt, bedürfte vertiefender Prüfung. Es ist dem Verwaltungsgericht zuzugestehen, dass jedes gesundheitsschädliche Lebensmittel auch nicht zum Verzehr geeignet ist. Allerdings werden tabakfreie Nikotinbeutel als solche nicht erwartbar verzehrt. Inwieweit die sich herauslösenden Bestandteile wie Nikotin und Aroma über die Schleimhäute in den Körper oder durch den Speichelfluss in den Magen gelangen und inwieweit dieser Vorgang als „Verzehr“ anzusehen ist, wäre eingehender zu prüfen. Gleiches gilt für die Frage, ob Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) der BasisVO nur den - hier nicht vorliegenden - Fall erfassen will, dass Lebensmittel unabhängig von ihrer Gesundheitsschädlichkeit nicht in den Verkehr gelangen sollen, weil sie Kontaminationen enthalten, faul oder verdorben sind (vgl. Art. 14 Abs. 5 der BasisVO; Meyer/Streinz, a.a.O., Art. 14 Rn. 38).

b. Es besteht auch tatsächlich ein besonderes Interesse am sofortigen Vollzug der Unterlassungsverfügung.

Die Antragsgegnerin hat zu Recht darauf verwiesen, dass es zur Gewährleistung des Verbraucherschutzes unabdingbar ist, mit sofortiger Wirkung zu unterbinden, dass der Antragsteller ein gesundheitsschädliches Lebensmittel in Verkehr bringt. Dass diese Interessen am sofortigen Vollzug mit den öffentlichen Interessen am Erlass und der Durchsetzung der Verfügung als solcher übereinstimmen, steht der Annahme eines besonderen Vollzugsinteresses nicht entgegen. Die Sicherstellung dient der Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und ist auf den Schutz wichtiger Gemeinwohlbelange gerichtet. Das öffentliche Interesse an einer effektiven Gefahrenabwehr begründet für sich ein hinreichendes besonderes Interesse an einer sofortigen Vollziehung (vgl. Senatsbeschl. v. 12.12.2019 - 13 ME 320/19 -, juris Rn. 59 m.w.N.).

c. Die bei einem Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter überwiegen auch die den Antragsteller treffenden Folgen der sofortigen Vollziehung.

Bei einem Aufschub des Vollzugs bis zur Entscheidung in der Hauptsache dürfte der Antragsteller die Nikotinbeutel weiter vertreiben. Die hiermit verbundenen Verstöße gegen das Lebensmittelrecht und Beeinträchtigungen der Lebensmittelsicherheit würden irreparabel realisiert. Der Verbraucherschutz potenzieller Konsumenten wäre gefährdet, und zwar unabhängig vom Vorliegen abstrakter oder konkreter Gesundheitsgefahren beim Konsum der streitgegenständlichen Nikotinbeutel.

Diesen erheblichen konkreten Nachteilen auch für überragend wichtige Rechtsgüter stehen schwerwiegende Folgen für den Antragsteller bei einer sofortigen Vollziehung nicht gegenüber. Zwar besteht die Gefahr, dass er durch die Untersagung des Inverkehrbringens einen wirtschaftlichen Schaden erleidet. Diese nachteilige Folge weist aber ein sehr geringes und daher im konkreten Fall hinzunehmendes Ausmaß auf, zumal der Verkauf von Nikotinbeuteln für ihn als Kioskbetreiber nur ein Viertel zu seinem Umsatzerlös beitragen dürfte.

2. Soweit das Verwaltungsgericht ohne weitere Begründung auch die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid enthaltene, gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 70 Abs. 1 NVwVG, § 64 Abs. 4 NPOG sofort vollziehbare Zwangsgeldandrohung abgelehnt hat, ist dies nach den obigen Ausführungen nicht zu beanstanden.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

IV. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 25.2 und 1.5 Satz 1 Halbsatz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).