Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.02.2021, Az.: 13 MN 46/21

alleinerziehender Vater; Altersgrenze; Änderungsverordnung; Außervollzugsetzung, vorläufige; Belastungswirkung; betreuungsbedürftig; Betreuungsperson; Corona-Virus; Fassung; Hausstand; isoliert; Kinder; Normenkontrolleilantrag; Normenkontrolleilverfahren; Prozesskostenhilfe; Rechtsschutzbedürfnis; Rechtsschutzinteresse; Sohn; unzulässig; Verbotswirkung; verwerfen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.02.2021
Aktenzeichen
13 MN 46/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71117
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag wird verworfen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert des Verfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Der vom Antragsteller gestellte Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO (vgl. Schriftsatz v. 5.2.2021, Bl. 158 f. der GA, der nach „isolierter“ Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten durch Senatsbeschl. v. 11.2.2021 - 13 MN 46/21 - am 22.2.2021 bei Gericht eingegangen ist),

§ 2 Abs. 1 Satz 1 sowie § 6 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 3 und Abs. 2 der (8.) Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 (Nds. GVBl. S. 368), zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 22. Januar 2021 (Nds. GVBl. S. 26), vorläufig außer Vollzug zu setzen,

bleibt ohne Erfolg.

Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.6.2009 - 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

1. Der Normenkontrolleilantrag ist bereits als unzulässig zu verwerfen, da ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers entsprechend § 242 BGB nicht (mehr) besteht.

Wie jedes gerichtliche Verfahren erfordert auch die Zulässigkeit eines Verfahrens vorläufigen Rechtsschutzes nach § 47 Abs. 6 VwGO, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag ein schutzwürdiges Rechtsschutzinteresse besteht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.4.2010 - BVerwG 4 VR 2.09 -, juris Rn. 3; Senatsbeschl. v. 23.4.2020 - 13 MN 92/20 -, juris Rn. 12). Ein Rechtsschutzinteresse ergibt sich bei Gestaltungs- und Leistungsklagen in der Regel schon aus der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes zur Durchsetzung eines behaupteten Gestaltungs- oder Leistungsbegehrens (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.1.1989 - BVerwG 9 C 44.87 -, BVerwGE 81, 164, 165 - juris Rn. 9). Ausnahmsweise fehlt das Rechtsschutzinteresse aber, wenn der Rechtsschutzsuchende seine Rechtsstellung mit der begehrten gerichtlichen Entscheidung derzeit nicht verbessern kann. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Antrag, selbst wenn er ansonsten zulässig und begründet wäre, dem Rechtsschutzsuchenden keinen Nutzen bringen könnte (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 10.6.2020 - 2 BvR 297/20 -, juris Rn. 14; Senatsbeschl. v. 29.6.2020 - 13 MN 244/20 -, juris Rn. 6). Das Rechtsschutzinteresse fehlt ferner dann, wenn es einen anderen, einfacheren Weg zu dem erstrebten Ziel gibt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.8.1987 - BVerwG 4 N 3.86 -, BVerwGE 78, 85, 91 f., insoweit nur unvollkommen in juris Rn. 19; Beschl. v. 23.1.1992 - BVerwG 4 NB 2.90 -, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 61, juris Rn. 12; Senatsurt. v. 20.12.2017 - 13 KN 67/14 -, juris Rn. 68 m.w.N.).

In Anwendung dieses Maßstabes ist das grundsätzlich gegebene Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers für den gestellten Antrag ausnahmsweise entfallen und besteht daher nicht (mehr). Denn dieser bezieht sich sowohl nach der Formulierung des Antrags selbst als auch nach der Argumentation in der Antragsbegründung mit Schriftsatz vom 5. Februar 2021 (Bl. 158 ff. der GA) eindeutig auf §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 3 und Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung in der Fassung der Änderungsverordnung vom 22. Januar 2021 (Nds. GVBl. S. 26) und damit auf Vorschriften, die seit dem Inkrafttreten der jüngsten Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung vom 12. Februar 2021 (Nds. GVBl. S. 55) am 13. Februar 2021 (vgl. Art. 3 Satz 1 dieser jüngsten Änderungsverordnung) in der angegriffenen Fassung nicht mehr in Kraft sind, so dass eine vorläufige Außervollzugsetzung dieser Regelungen dem Antragsteller keinen Vorteil mehr vermitteln könnte. Diese Änderung der prozessualen und materiell-rechtlichen Situation nach „isolierter“ Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten im Verfahren 13 MN 46/21 hätte der Antragsteller vor Stellung des zugehörigen Normenkontrolleilantrags berücksichtigen müssen.

2. Selbst wenn man zugunsten des Antragstellers in verständiger Auslegung (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO) davon ausginge, dass er sich in Wahrheit gegen §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 3 und Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung in der aktuellen Fassung der Änderungsverordnung vom 12. Februar 2021 wenden wolle, so bliebe der Normenkontrolleilantrag ohne Erfolg.

a) Er wäre dann zwar nach § 47 Abs. 6 in Verbindung mit § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 75 NJG als Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung im Range unter dem (förmlichen) Landesgesetz stehender Rechtsvorschriften statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere gemäß § 47 Abs. 2 Satz 2, Abs. 6 VwGO gegen das Land Niedersachsen als zutreffenden Antragsgegner gerichtet. Dem Antragsteller fehlte hinsichtlich der aktuellen Kontaktbeschränkungsregelung aus §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 3, Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung auch nicht die gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1, Abs. 6 VwGO erforderliche Antragsbefugnis, weil er dann geltend machen könnte, durch diese Regelungen möglicherweise in seinen Rechten aus Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz der Familie) oder Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) sowie ggf. Art. 3 Abs. 1 GG (allgemeines Gleichheitsgrundrecht) verletzt zu sein.

Die Möglichkeit einer Rechtsverletzung besteht dabei allerdings nicht mehr insoweit, als der Antragsteller schon im „isolierten“ Prozesskostenhilfeverfahren gerügt hat und im nunmehr geführten Normenkontrolleilverfahren weiter moniert, als alleinerziehender Vater eines vierjährigen Sohnes dürfe er aufgrund der genannten Regelungen nicht mit diesem zusammen einen anderen Hausstand aufsuchen bzw. sich mit dessen Mitgliedern treffen. Eine derartige Verbotswirkung geht von diesen Regelungen für den Antragsteller nicht mehr aus, denn die Altersgrenze für (betreuungsbedürftige) Kinder, die nicht in die Personenzahl einzurechnen sind, wenn ihre Betreuungsperson sich mit Mitgliedern eines anderen Hausstandes trifft bzw. diese aufsucht, ist durch die jüngste Änderungsverordnung vom 12. Februar 2021 (Nds. GVBl. S. 55) mit Wirkung vom 13. Februar 2021 in beiden maßgeblichen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 Satz 1 und § 6 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung) von drei auf sechs Jahre angehoben worden.

b) Indessen wäre der zugunsten des Antragstellers auszulegende, zulässigerweise nur noch gegen die verbliebene Belastungswirkung gerichtete Normenkontrolleilantrag unbegründet.

Der Senat hätte auf einen solchen Antrag hin §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung der aktuellen Fassung nicht gemäß § 47 Abs. 6 VwGO außer Vollzug zu setzen. Zu derartigen Vorschriften, soweit sie in belastender Weise Kontaktbeschränkungen regeln, hat er in jüngster Zeit bereits mit Beschluss vom 18. Januar 2021 - 13 MN 11/21 -, juris, entschieden und eine vorläufige Außervollzugsetzung - angesichts der als offen zu bezeichnenden Rechtmäßigkeit dieser Normen aufgrund einer reinen Folgenabwägung im Rahmen der sog. Doppelhypothese - abgelehnt (vgl. Beschl. v. 18.1.2021, a.a.O., Rn. 25, 55 ff.), weil die Gründe für die vorläufige Außervollzugsetzung die für den weiteren Vollzug der Verordnungsbestimmungen sprechenden Gründe nicht überwögen.

Der Antragsteller des vorliegenden Normenkontrolleilverfahrens macht weder deutlich noch ist dies für den Senat offensichtlich, dass sich an dieser Bewertung etwas zugunsten einer Außervollzugsetzung geändert hätte. Den vom Senat im zitierten Beschluss vom 18. Januar 2021 geäußerten Bedenken im Hinblick auf die (zunächst textlich gänzlich gefehlt habende, später mit der Altersgrenze von drei Jahren erfolgte) Berücksichtigung betreuungsbedürftiger Kinder bei Besuchen bzw. Treffen ihrer Betreuungspersonen bei bzw. mit Angehörigen anderer Hausstände und ggf. deren betreuungsbedürftigen Kindern (vgl. Beschl. v. 18.1.2021, a.a.O., Rn. 54) sowie den ähnlichen Bedenken des Antragstellers ist jedenfalls durch die Änderung der §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung zum 13. Februar 2021 Rechnung getragen worden.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es entspricht der Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, Nds. Rpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).