Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.02.2021, Az.: 4 LA 73/20
Festsetzungsverjährung; Obliegenheit; Rundfunkbeitrag; Rundfunkgebühren; Verjährung; Wohnungswechsel
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 15.02.2021
- Aktenzeichen
- 4 LA 73/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 71133
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 05.03.2020 - AZ: 7 A 6541/18
Rechtsgrundlagen
- § 199 Abs 1 BGB
- § 199 Abs 1 Nr 2 BGB
- § 242 BGB
- § 7 Abs 4 RdFunkBeitrStVtr ND
- § 8 Abs 4 Nr 4 RdFunkBeitrStVtr ND
- § 4 Abs 4 RdFunkGebStVtr ND
- § 3 Abs 1 S 1 RdFunkGebStVtr ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Berufung auf die Verjährung gegen rückwirkend geforderte Rundfunkgebühren und -beiträge stellt eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn der Rundfunkteilnehmer es entgegen § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 RGebStV bzw. § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. Abs. 4 Nr. 4 RBStV unterlassen hat, der zuständigen Landesrundfunkanstalt seinen Wohnungswechsel mitzuteilen, und die Landesrundfunkanstalt aufgrund dieser Pflichtverletzung außerstande gewesen ist, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gebühren- bzw. Beitragspflicht zu überprüfen und die Gebühren bzw. Beiträge vor Ablauf der Verjährungsfrist festzusetzen.
Es besteht keine Obliegenheit der Landesrundfunkanstalt, nach der Anschrift umgezogener Rundfunkteilnehmer zu forschen. Auch wenn die aktuelle Anschrift des Rundfunkteilnehmers eher hätte ermittelt werden können, trägt das Risiko einer späteren Kenntnis der Landesrundfunkanstalt nach der Systematik des Rundfunkgebühren- bzw. -beitragsstaatsvertrags der Rundfunkteilnehmer, der seiner Mitteilungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist.
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 7. Kammer - vom 5. März 2020 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.645,38 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vorliegt.
Der Kläger hat das erstinstanzliche Urteil mit der Erwägung angegriffen, dass die angegriffenen Festsetzungsbescheide vom 3. September 2018 über Rundfunkgebühren für den Zeitraum Juli bis September 2006 und vom 4. Juni 2019 über Rundfunkgebühren und -beiträge für den Zeitraum August 2007 bis Dezember 2014 wegen des Eintritts der dreijährigen Festsetzungsverjährung nach § 4 Abs. 4 RGebStV bzw. § 7 Abs. 4 RBStV i.V.m. §§ 195, 199 Abs. 1 BGB rechtswidrig seien. Dieser Einwand begründet jedoch keine ernstlichen Richtigkeitszweifel am verwaltungsgerichtlichen Urteil. Das Verwaltungsgericht ist vielmehr im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass Festsetzungsverjährung nicht eingetreten ist.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Berufung auf die Verjährung gegen rückwirkend geforderte Rundfunkgebühren bzw. -beiträge eine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) darstellt, wenn der Rundfunkteilnehmer es entgegen § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 RGebStV bzw. § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. Abs. 4 Nr. 4 RBStV unterlassen hat, der zuständigen Landesrundfunkanstalt seinen Wohnungswechsel bzw. eine Änderung der Wohnungsanschrift mitzuteilen, und die Landesrundfunkanstalt aufgrund dieser Pflichtverletzung außerstande gewesen ist, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gebühren- bzw. Beitragspflicht zu überprüfen und die Gebühren bzw. Beiträge vor Ablauf der Verjährungsfrist festzusetzen (Senatsbeschl. v. 29.1.2015 - 4 LA 91/14 -; v. 24.6.2011 - 4 LA 133/11 -; v. 27.10.2009 - 4 LB 184/09 - u. v. 21.4.2008 - 4 ME 122/08 -).
So liegt der Fall hier.
Der Kläger hatte seit seinem Auszug aus der Wohnung mit der Anschrift „C., D.“, der im März 2006 erfolgt sein dürfte, dem Beklagten gegenüber seine Wohnungswechsel nicht mehr angezeigt und seine neuen Anschriften nicht mehr mitgeteilt. Dies ziehen die Beteiligten auch nicht in Zweifel.
Der Beklagte war auch aufgrund dieser Pflichtverletzung des Klägers außerstande, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gebühren- bzw. Beitragspflicht zu überprüfen und die Gebühren bzw. Beiträge vor Ablauf der Verjährungsfrist festzusetzen. Dem Einwand des Klägers, dass nicht in erster Linie seine Verletzung der Anzeigepflicht aus § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 RGebStV bzw. § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. Abs. 4 Nr. 4 RBStV ursächlich für die verzögerte Festsetzung gewesen sei, sondern vielmehr der Umstand, dass der Beklagte es grob fahrlässig unterlassen habe, ausreichende Ermittlungen in Bezug auf seine aktuelle Wohnanschrift anzustellen, kann nicht gefolgt werden.
Der Kläger hat ausgeführt, dass er tatsächlich vom 2. Mai 2006 bis zum 29. April 2013 durchgehend in der Wohnung „E., A-Stadt“ gelebt und sich am 7. Mai 2013 in die Wohnung „F., A-Stadt“ umgemeldet habe. Dass dem Beklagten vom Einwohnermeldeamt im Jahr 2014 fehlerhaft seine alte Adresse mitgeteilt worden sei, dürfe nicht zu seinen Lasten gehen. Vielmehr wäre es dem Beklagten über den gesamten Zeitraum ab 2006 durch entsprechende Anfragen bei den Meldebehörden möglich gewesen, seine jeweils aktuelle Anschrift zu ermitteln; ggf. hätte der Beklagte ein zweites Mal nachfragen müssen. Dass er dies unterlassen habe, begründe grobe Fahrlässigkeit. Es sei im Übrigen unbillig, wenn die Verjährung von der Kenntnis der neuen Anschrift des Rundfunkbeitrags- bzw. -gebührenschuldners durch den Beklagten abhänge, weil dann der Beklagte es in der Hand habe, den Zeitpunkt des Verjährungsbeginns zu bestimmen.
Die vom Kläger geschilderten Geschehensabläufe sind nicht geeignet, eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Bezug auf die Ermittlung der aktuellen Anschrift des Klägers zu begründen. Daher kann dahinstehen, ob durch eine grobe Fahrlässigkeit der Landesrundfunkanstalt die Kausalität einer Pflichtverletzung des Rundfunkteilnehmers für die verspätete Festsetzung der gegen ihn bestehenden Forderungen überhaupt ausgeschlossen bzw. überlagert werden könnte. Der Senat hat bereits entschieden, dass angesichts der Pflicht zur Anzeige eines Wohnungswechsels keine Obliegenheit der Landesrundfunkanstalt besteht, nach der Adresse umgezogener Rundfunkteilnehmer zu forschen; allenfalls eine Anfrage bei dem Einwohnermeldeamt kann erwartet werden (Senatsbeschl. v. 27.10.2009 - 4 LB 184/09 - u. v. 21.4.2008 - 4 ME 122/08 -). Vorliegend hat der Beklagte, ohne dass ihn eine entsprechende Obliegenheit getroffen hätte, nach jeder denkbaren Betrachtungsweise ausreichende Maßnahmen ergriffen, um die Anschrift des Klägers zu ermitteln. Nachdem ein Mahnschreiben des Beklagten vom 2. September 2006 an die zuletzt von ihm ermittelte Anschrift „G., A-Stadt“ den Kläger nicht erreicht hatte, versuchte der Beklagte im Verlauf des Jahres 2007 mehrfach erfolglos bei der Einwohnermeldebehörde und anderen Adressanbietern die aktuelle Anschrift des Klägers zu ermitteln. Erst auf eine weitere Nachfrage des Beklagten wurde am 15. Juli 2014 von der Meldebehörde die Anschrift „E., A-Stadt“ als aktuelle Anschrift des Klägers mitgeteilt. Eine umgehend am selben Tag an den Kläger versendete Mitteilung über die Höhe seiner aktuellen Gebühren- bzw. Beitragsrückstände erreichte den Kläger wiederum nicht; weitere Nachfragen des Beklagten erbrachten keine aktuelle Anschrift. Erst am 28. August 2018 erfuhr der Beklagte, dass der Kläger nunmehr in der „F., A-Stadt“ wohne und konnte an diese Adresse die streitgegenständlichen Bescheide erfolgreich übersenden. Dieser Geschehensablauf lässt keinen Zweifel an ausreichenden Ermittlungsbemühungen des Beklagten aufkommen.
Dem steht nicht entgegen, dass den Mitteilungen des Einwohnermeldeamtes vom 15. Juli 2014 und vom 28. August 2018 als Datum des Einzugs in die jeweils neue Wohnung der 2. Mai 2006 (Einzug in die E.) bzw. der 29. April 2013 (Einzug in die F.) zu entnehmen sind. Abgesehen davon, dass auch eine fehlerhafte Mitteilung des Einwohnermeldeamtes an die Rundfunkanstalt sich bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur Anzeige eines Wohnungswechsels nicht zu Gunsten des Rundfunkteilnehmers auswirken könnte, geht aus den Mitteilungen des Einwohnermeldeamts nicht hervor, wann das Einwohnermeldeamt Kenntnis von den Einzugsdaten erhalten hat. Daher kann aus den angegebenen Einzugszeitpunkten nicht geschlossen werden, dass eine Nachfrage des Beklagten zu einem vor den Mitteilungen liegenden Zeitpunkt eine zutreffende Antwort erbracht hätte. Im Übrigen bestand kein Anlass des Beklagten zu weiteren zeitnäheren Nachfragen beim Einwohnermeldeamt, weil er bereits in den Jahren 2007 und 2014 mehrere erfolglose Versuche zur Ermittlung der aktuellen Anschrift des Klägers unternommen hatte.
Es ist entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht unbillig, wenn die Verjährung davon abhängt, dass die Landesrundfunkanstalt sichere Kenntnis von allen Umständen hat, die sie in die Lage versetzen, noch ausstehende Forderungen gegenüber dem Rundfunkteilnehmer geltend zu machen. Auch wenn noch fehlende Tatsachen wie die aktuelle Anschrift des Rundfunkteilnehmers möglicherweise eher hätten ermittelt werden können, trägt das Risiko einer späteren Kenntnis der Landesrundfunkanstalt nach der Systematik des Rundfunkgebühren- bzw. -beitragsstaatsvertrags der Rundfunkteilnehmer, der – wie vorliegend der Kläger – seiner Mitteilungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist (vgl. VG Oldenburg, Beschl. v. 28.12.2018 - 15 B 4052/18 - m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).