Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.02.2021, Az.: 1 LA 65/19

Außenmaß; Bebauungsplan; Brutto-Grundfläche; Decke; Drittschutz; Fußboden; Gebäude; Geschossigkeit; Grundfläche; Höhe; Innenmaß; lichte Höhe; Loggia; Nachbarschutz; Raumhöhe; Terrasse; Vollgeschoss

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.02.2021
Aktenzeichen
1 LA 65/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71228
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 21.02.2019 - AZ: 4 A 2794/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Soweit zur Bestimmung, ob ein Vollgeschoss gemäß § 2 Abs. 7 Satz 1 und 2 NBauO vorliegt, der Teil der Grundfläche zu bestimmen ist, der eine lichte Höhe von 2,20 m oder mehr aufweist, sind die Innenmaße des Gebäudes und nicht dessen Außenmaße maßgeblich. Die dazu in Bezug zu setzende Gesamtgrundfläche des Geschosses bzw. des darunter liegenden Geschosses bemisst sich demgegenüber nach den Außenmaßen.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer (Einzelrichterin) - vom 21. Februar 2019 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung von zwei Appartementhäusern, weil er sich durch deren Höhe und Nähe zu seinem Grundstück gestört fühlt.

Der Kläger ist (Mit)Eigentümer des Grundstücks A-Straße in A-Stadt, das mit einem Einfamilienhaus bebaut ist. Die Beigeladene war Bauherrin von vier mittlerweile fertiggestellten gleichartigen zweigeschossigen und mit einem zusätzlichen Staffelgeschoss versehenen Wohn- und Geschäftshäusern auf den westlich benachbarten Grundstücken E. 84-90, für die sie unter dem 21. Juni 2016 von der Beklagten Baugenehmigungen erhalten hatte. Alle Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 6/170 „F.“ der Gemeinde A-Stadt, der für das Grundstück des Klägers eine höchstens eingeschossige und für das Grundstück der Beigeladenen eine höchstens zweigeschossige Bauweise festsetzt.

Der Kläger erhob gegen die Baugenehmigungen für die beiden südlich gelegenen Gebäude mit den Hausnummern 84 und 86 Widerspruch im Wesentlichen mit der Begründung, die Staffelgeschosse seien zu großzügig dimensioniert und daher als Vollgeschosse anzusehen. Das Vorhaben verstoße daher gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans, die insoweit drittschützend seien. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2017 zurück.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angegriffenen Urteil vom 21. Februar 2019 abgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt, dass das Vorhaben nicht mehr als die zwei nach dem Bebauungsplan zulässigen Vollgeschosse aufweise. Für das Staffelgeschoss gelte, dass dieses eine lichte Höhe von 2,20 m nur auf zwei Dritteln der anhand der Außenwände zu bestimmenden Grundfläche des darunter liegenden Geschosses aufweisen dürfe. Da auf die lichte Höhe abgestellt werde, seien in Bezug auf das Staffelgeschoss die Innenseiten der Bauteile maßgeblich; danach überschreite das Staffelgeschoss das zulässige Maß nicht. Im Übrigen sei die Maßfestsetzung des Bebauungsplans nicht drittschützend.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, zu dem sich die übrigen Beteiligten nicht geäußert haben.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Solche Zweifel setzen voraus, dass es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des erstinstanzlichen Urteils mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Daran fehlt es hier.

Ohne Erfolg wendet sich der Kläger zunächst gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass das Vorhaben der Beigeladenen nicht mehr als zwei Vollgeschosse aufweise. Die rechtlichen Maßgaben hat das Verwaltungsgericht zutreffend wiedergegeben; der Senat fasst diese wie folgt zusammen:

§ 16 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO gestattet es der planenden Gemeinde, die Zahl der Vollgeschosse festzulegen; dies ist hier mit der Vorgabe einer Zweigeschossigkeit als Höchstmaß erfolgt. Als Vollgeschosse gelten gemäß § 20 Abs. 1 BauNVO Geschosse, die nach landesrechtlichen Vorschriften Vollgeschosse sind oder auf ihre Zahl angerechnet werden. Die Baunutzungsverordnung enthält sich demzufolge einer Begriffsdefinition und überlässt diese dem Landesrecht; einen bundesrechtlichen Vollgeschossbegriff gibt es nicht.

In Niedersachsen ist ein Vollgeschoss gemäß § 2 Abs. 7 Satz 1 NBauO ein oberirdisches Geschoss, das über mindestens der Hälfte seiner Grundfläche eine lichte Höhe von 2,20 m oder mehr hat. Ein oberstes Geschoss ist nach Satz 2 dieser Vorschrift nur dann ein Vollgeschoss, wenn es die vorgenannte lichte Höhe über mehr als zwei Dritteln der Grundfläche des darunter liegenden Geschosses hat. Daraus folgt, dass es zunächst der Bestimmung der Grundfläche des darunter liegenden Geschosses bedarf. Diese ist – wie der Begriff der Grundfläche als der Fläche des von dem Gebäude überdeckten Erdbodens zeigt – nach den Außenwänden des Gebäudes, also dessen Außenmaßen zu ermitteln und bezeichnet daher die Brutto-Grundfläche. Insofern gilt nichts anderes als bei der Ermittlung der Geschossfläche nach § 20 Abs. 3 Satz 1 BauNVO. In diesem Fall beträgt die Grundfläche rund 419 qm.

In Bezug zu setzen ist diese Grundfläche zu dem Anteil der Grundfläche des obersten Geschosses, der eine lichte Höhe von mindestens 2,20 m aufweist. Der Begriff der lichten Höhe beschreibt den freien vertikalen Raum zwischen zwei Bauteilen, hier also die Raumhöhe zwischen Oberkante Fußboden und Unterkante Decke. Da eine solche lichte Höhe nur in Innenräumen (und gegebenenfalls im Inneren von Loggien bzw. nach oben geschlossenen Terrassen, dazu Senatsbeschl. v. 16.7.2019 - 1 LA 144/18 -, juris Rn. 8) bestimmt werden kann, kommt es – dies ist soweit ersichtlich allgemein unbestritten – auf die Innenmaße des obersten Geschosses an (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 11.12.1981 - 6 B 74/81 -, n.v.; Mann, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 2 Rn. 103; vgl. auch die im Grundsatz vergleichbare Neuregelung in § 2 Abs. 6 BauO NRW 2018 und die Erläuterungen dazu in LT-Drs. 17/2166, S. 97; Buntenbroich, BauR 2018, 1967 (1968); Spannowsky, in: BeckOK Bauordnungsrecht NRW, § 2 Rn. 57 (Stand: 01.12.2019)). Auf dieser Grundlage haben die Beklagte und die Beigeladene die maßgebliche Innenraumfläche des Staffelgeschosses unwidersprochen mit rund 265 bzw. 266 qm bemessen, sodass dieses nicht als Vollgeschoss zählt.

Die dagegen gerichteten Einwände des Klägers überzeugen nicht. Soweit der Kläger meint, mit Blick auf das äußere Erscheinungsbild, dessen Regulierung die Festsetzung der Geschossigkeit diene, müsse auf die sichtbaren Außenwände abgestellt werden, mag dies ein rechtspolitisch vertretbares, wenngleich alles andere als zwingendes Anliegen gegenüber dem Gesetzgeber darstellen. De lega lata steht indes schon der Wortlaut des § 2 Abs. 7 Satz 2 NBauO, der auf die lichte Höhe abstellt, einer solchen Interpretation entgegen. Hinzu kommt, dass auch der Sinn und Zweck der Vorschrift keine derart einschränkende Auslegung erfordert. Schon aus wirtschaftlichen Gründen wird jeder Bauherr die Außenwände möglichst dünn ausführen, sodass mit Fallgestaltungen, in denen besonders dicke Außenwände die Umgebung verunstalten, nicht zu rechnen ist. Schließlich zeigt der gerade in Nordrhein-Westfalen durchgeführte Systemwechsel, dass es sinnvoll ist, auf das Innenmaß abzustellen. Insofern heißt es in der Begründung zur Änderung des § 2 Abs. 6 BauO NRW, für das Vollgeschoss solle künftig nicht mehr auf das Maß zwischen den Fußbodenoberkanten (bzw. die Dachhaut) abgestellt werden, sondern auf die lichte Höhe des Geschosses. Dies führe vor allem dazu, dass künftig die nachträgliche Wärmeisolierung von Dachgeschossen möglich werde, ohne dass allein dadurch ein weiteres Vollgeschoss entstehe (LT-Drs. 17/2166, S. 97). Dieses gesetzgeberische Anliegen belegt unter Berücksichtigung des Klimaschutzes die Sinnhaftigkeit der in Niedersachsen seit jeher bestehenden Regelung.

Soweit dem Kläger vorschweben sollte, ein Staffelgeschoss anders als ein sonstiges Dachgeschoss zu behandeln und nur in diesem Fall auf die Außenmaße abzustellen, überzeugte das nicht. § 2 Abs. 7 Satz 2 NBauO ist nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber zwischen verschiedenen Arten oberster Geschosse differenzieren wollte. Ein Grund für eine solche Differenzierung, der in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG und die insofern geltenden Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit ein gewisses Gewicht aufweisen müsste, ist auch nicht erkennbar.

Aus Rechtsprechung und Kommentierungen zur Bemessung der Geschossfläche mit Blick auf die Geschossflächenzahl nach § 20 Abs. 2, 3 BauNVO lassen sich Einwände ebenfalls nicht ableiten. Denn insofern bestimmt § 20 Abs. 3 Satz 1 BauNVO unmissverständlich, dass es auf die Außenmaße ankommt. Ein „System“ dergestalt, dass die Maßgabe des § 20 Abs. 3 Satz 1 BauNVO auch für den nach § 20 Abs. 1 BauNVO landesrechtlich zu bestimmenden Begriff des Vollgeschosses Geltung beansprucht, ist § 20 BauNVO nicht zu entnehmen.

Mit dem Verwaltungsgericht ebenfalls nur ergänzend merkt der Senat schließlich an, dass der Kläger aus einem Verstoß gegen die Festsetzung des Bebauungsplans zur Geschossigkeit ohnehin nichts für sich herleiten könnte; die Festsetzung ist nicht drittschützend. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, lässt die Planbegründung (S. 19) mit den Worten

„Eine städtebauliche Einheit mit den angrenzenden Baugebieten wird durch die Festsetzung der höchstzulässigen Zahl der Vollgeschosse (II) an der „E.“ und der höchstzulässigen Zahl der Vollgeschosse (I) in den übrigen Gebieten erreicht. (…) Mit diesen Festsetzungen wird der städtebaulichen Struktur der östlich und westlich angrenzenden Baugebiete hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung Rechnung getragen und die Entstehung eines einheitlichen Gesamtbildes gewährleistet. Die v. g. Festsetzungen ermöglichen eine ortsübliche Bebauung.“

ausschließlich auf städtebauliche Motive schließen. Es ist nicht ansatzweise erkennbar, dass der Plangeber insoweit das nachbarschaftliche Austauschverhältnis im Blick gehabt haben könnte; auch der Regelungszusammenhang ergibt Derartiges nicht. Festsetzungen eines Bebauungsplans zur Geschosszahl sind auch nicht kraft Bundesrechts nachbarschützend (vgl. zuletzt Senatsbeschl. v. 16.7.2019 - 1 LA 144/18 -, juris Rn. 9).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).