Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 14.10.2022, Az.: 5 B 5824/21

Ausbildung; Berufsausbildung; Existenzmittel; Freizügigkeitsberechtigung; Lebensunterhalt; schulische; schulische Ausbildung; Studium; Unionsbürger; Unterricht; volljährig

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
14.10.2022
Aktenzeichen
5 B 5824/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59690
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die in Art. 10 VO (EU) 492/2011 normierte Gleichbehandlung der Kinder von Unionsbürgern erstreckt sich auf jede Form von Unterricht sowohl berufs- als auch allgemeinbildender Art, hier auf eine selbst finanzierte schulische Berufsausbildung mit staatlich geprüftem Zielberuf.
2. Der Eintritt der Volljährigkeit des Kindes hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf die dem Kind durch Art. 10 VO (EU) 492/2011 gewährten Rechte.
3. Das Recht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ist nicht davon abhängig, dass die Beteiligten über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die 2002 geborene Antragstellerin ist ungarische Staatsangehörige. Sie reiste am 30. August 2012 zusammen mit ihrer Mutter in das Bundesgebiet ein.

Vom 22. Oktober 2012 bis zum 27. Juni 2013 ging die Mutter der Antragstellerin einer geringfügigen Beschäftigung nach. Seit dem 1. Februar 2013 hat sie fortlaufend Leistungen nach dem SGB II bezogen. Die Mutter der Antragstellerin befand sich außerdem vom 1. Dezember 2015 bis zum 21. Januar 2019 in einer Ausbildung bei der D. Akademie. Seit dem 30. Mai 2017 stand auch die Antragstellerin fortlaufend im Leistungsbezug nach dem SGB II.

Mit Schreiben vom 2. Juli 2020 hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zur beabsichtigten Verlustfeststellung an. Die Mutter der Antragstellerin nahm dahingehend Stellung, dass sie nach der Einreise die deutsche Sprache erlernt hätten, die Antragstellerin die Schule besucht habe und sie selbst eine berufliche Weiterbildung begonnen habe. Der Lebensunterhalt solle alsbald selbst finanziert werden. Sie legte verschiedene Schulzeugnisse der Antragstellerin vor, darunter das Zeugnis über die Erlangung des Sekundarabschlusses I („Realschulabschluss“) vom 21. Juni 2019 sowie das Abschlusszeugnis einer Berufsfachschule Wirtschaft vom 10. Juli 2020.

Mit Schreiben vom 6. August 2020 teilte die Antragsgegnerin mit, dass diese Unterlagen nicht ausreichten und gab der Antragstellerin die Gelegenheit, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder eine Berufsausbildung nachzuweisen. Die Antragstellerin legte daraufhin einen Ausbildungsvertrag über einen „Schulplatz für die Ausbildung zum/zur staatlich geprüften Kaufmännische/r Assistent/in – Schwerpunkt Fremdsprachen und Korrespondenz“ vom 1. Oktober 2020 bis zum 30. September 2022 vor.

Mit Schreiben vom 3. Dezember 2020 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass der vorgelegte Ausbildungsvertrag keine Freizügigkeit im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU begründe und gab weitere Gelegenheit, eine Beschäftigung nachzuweisen. Die Antragstellerin legte daraufhin einen „Vertrag für Minijobber“ ab dem 1. März 2021 bei der E. GmbH vor.

Mit Schreiben vom 14. April 2021 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf, ihre Verdienstabrechnung für März 2021 vorzulegen. Die Antragstellerin legte daraufhin die angeforderte Verdienstabrechnung über 4 Arbeitsstunden zu einem Gesamtbrutto von 40,00 Euro vor. Im Übrigen bezog die Bedarfsgemeinschaft weiter Leistungen nach dem SGB II.

Mit Schreiben vom 28. April 2021 gab die Antragsgegnerin der Antragstellerin letztmalig Gelegenheit, eine Beschäftigung nachzuweisen. Die Antragstellerin verwies auf die pandemisch bedingte schwierige Lage im Minjob-Bereich.

Mit Bescheid vom 28. September 2021 stellte die Antragsgegnerin den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU fest und ordnete die sofortige Vollziehung an. Der Antragstellerin wurde unter Androhung der Abschiebung nach Ungarn eine Ausreisefrist von einem Monat nach Zustellung des Bescheides gesetzt. Die Antragstellerin sei nicht unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt. Das Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU als Arbeitnehmerin oder zur Berufsausbildung bestehe nicht, weil der Verdienst der Antragstellerin mit 40,00 Euro Gesamtbrutto im Monat März 2021 auf eine Tätigkeit von so geringem Umfang hinweise, dass diese keine Arbeitnehmerfreizügigkeit begründe. Auch die schulische Ausbildung sei keine Berufsausbildung im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. Denn der Begriff der Berufsausbildung in § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU beziehe sich nach der Systematik dieser Vorschrift nur auf entgeltliche Ausbildungstätigkeiten, die in einem Lohn- oder Gehaltsverhältnis durchgeführt und unionsrechtlich einen Arbeitnehmerstatus begründen würden. Sie habe auch kein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. § 4 FreizügG/EU erworben, da sie seit Jahren fortlaufend auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen sei. Auch von ihrer Mutter könne sie kein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 Nr. 3 c) FreizügG/EU ableiten, da ihre Mutter ihr keinen Unterhalt gewährt habe. Vielmehr habe auch ihre Mutter langjährig Leistungen nach dem SGB II bezogen. Mit separatem Bescheid vom selben Tage sei zudem auch festgestellt worden, dass die Mutter der Antragstellerin nicht freizügigkeitsberechtigt sei. Die Antragstellerin habe auch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU i. V. m. § 4a Abs. 1 FreizügG/EU erworben, weil sie sich nicht ununterbrochen fünf Jahre lang rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Auch ihre Mutter sei lediglich vom 30. August 2012 bis zum 28. Februar 2013 unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt gewesen. Daher könne die Antragstellerin auch nur für diesen Zeitraum eine Freizügigkeitsberechtigung von ihrer Mutter ableiten. Für die Zeit des ordnungsgemäßen Schulbesuchs habe zwar ein Aufenthaltsrecht zum Schulbesuch vorgelegen. Dabei handele es sich jedoch nicht um im Rahmen des § 4a Abs. 1 FreizügG/EU berücksichtigungsfähige Aufenthaltszeiten. Im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigte die Antragsgegnerin, dass die Antragstellerin bereits volljährig sei und auch der Aufenthalt ihrer Mutter beendet werden solle (Art. 6 GG). Aufgrund ihres langjährigen Aufenthaltes sei der Schutzbereich des Art. 8 EMRK zwar eröffnet, es seien jedoch keine besonderen Integrationsleistungen ersichtlich, die intensive persönliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Bindungen an das Bundesgebiet erkennen lassen würden. Die Antragstellerin sei im Alter von zehn Jahren in das Bundesgebiet eingereist und habe somit fast ihre gesamte Kindheit im Heimatland verbracht. Es sei aufgrund des gemeinsamen Haushaltes mit der Mutter davon auszugehen, dass sie mit der Kultur und Sprache ihres Heimatlandes gut vertraut und ihr daher eine Reintegration ohne Weiteres zumutbar sei. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16a Abs. 2 Satz 1 AufenthG komme nicht in Betracht, da die Antragstellerin ihren Lebensunterhalt nicht sichere.

Mit E-Mail vom 12. Oktober 2021 teilte die Mutter der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin mit, dass ihre Tochter nunmehr deutlich mehr verdienen würde. Mit Schreiben vom 14. Oktober 2021 bat die Antragsgegnerin daher außergerichtlich um Übersendung entsprechender Nachweise. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2021 legte der nunmehrige Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin Verdienstnachweise der Antragstellerin für Juni und Juli 2021 zu 580,20 Euro bzw. 505,25 Euro vor.

Gegen den Bescheid vom 28. September 2021 hat die Antragstellerin am 15. Oktober 2021 Klage erhoben und gleichzeitig um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Mit der Antragsschrift legte sie die Verlängerung ihres Arbeitsvertrages bis zum 31. März 2022 vor. Zur Begründung trägt sie vor, als Arbeitnehmerin gelte auch, wer eine Berufsausbildung im dualen System absolviere. Ihre Mutter sei 2021 ausgereist. Im Zeitpunkt des Beginns der Ausbildung der Antragstellerin sei ihre Mutter freizügigkeitsberechtigt gewesen. Es sei irrelevant, dass die Ausbildung nicht vergütet werde. Denn sie übe eine Nebentätigkeit aus, bei der sie mehr als 500 Euro monatlich verdiene. Die Inhalte ihrer Ausbildung kämen auch in ihrem Nebenjob zum Tragen. Sinngemäß macht die Antragstellerin geltend, dass es sich damit um eine Ausbildung entsprechend des dualen Systems handele. Im Laufe des Verfahrens legt die Antragstellerin weitere Verdienstabrechnungen vor. So verdiente sie zwischen dem 1. März 2021 und dem 31. September 2021 insgesamt 1.956,00 Euro brutto. Das Arbeitsverhältnis wurde betriebsbedingt zum 31. Dezember 2021 gekündigt. Ab dem 10. Dezember 2021 nahm die Antragstellerin ein Arbeitsverhältnis bei F. auf. Hierzu legt sie Verdienstnachweise vor, wonach sie im Dezember 2021 520,74 Euro und im Januar 2022 731,48 Euro netto verdient hat. Im Juli 2022 verdiente sie dort 917,84 Euro und im August 2022 936,40 Euro.

Im Hinblick auf die vorgelegten Verdienstbescheinigungen hat die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung mit Schriftsatz vom 28. Juli 2022 aufgehoben.

Die Antragstellerin hat den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und zuvor beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen.

Die Antragsgegnerin hat den Rechtsstreit ebenfalls in der Hauptsache für erledigt erklärt und zuvor beantragt, den Antrag abzulehnen.

Die angefochtene Verlustfeststellung sei im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig gewesen. Erst die Verdienstnachweise von F. ließen ein Freizügigkeitsrecht vermuten. Auf diesen Umstand habe die Antragsgegnerin reagiert und die sofortige Vollziehung aufgehoben.

II.

Nachdem die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen; zugleich entscheidet das Gericht gemäß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten.

Billigem Ermessen entspricht es, wenn die Antragsgegnerin die Kosten trägt. Denn bei summarischer Prüfung war die Antragstellerin bereits während ihrer schulischen Ausbildung zur staatlich geprüften kaufmännischen Assistentin mit Schwerpunkt Fremdsprachen und Korrespondenz unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU i. V. m. Art. 10 VO (EU) 492/2011. Das durch Art. 10 Abs. 1 VO (EU) 492/2011 begründete Freizügigkeitsrecht stand einer Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU während der Zeit ihrer Ausbildung entgegen (BVerwG, Urteil vom 11.9.2019 – 1 C 48/18 – juris Rn. 16). Dass die Antragstellerin ihre schulische Ausbildung nach Aktenlage am 30. September 2022 beendet hat, kann schon deshalb zu keinem anderen Ergebnis hinsichtlich der Kostenentscheidung führen, weil sie ausweislich der für Juli und August 2022 vorgelegten Verdienstbescheinigungen nunmehr nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt ist.

Gemäß Art. 10 VO (EU) 492/2011 können die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen.

Der Europäische Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass die Kinder eines Unionsbürgers, die in einem Mitgliedstaat seit einem Zeitpunkt wohnen, zu dem dieser Bürger dort als Wanderarbeitnehmer ein Aufenthaltsrecht hatte, zum Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat berechtigt sind, um dort weiterhin am allgemeinen Unterricht teilzunehmen (EuGH, Urteil vom 23.2.2010 – C-310/08 –, juris Rn. 29). Dabei genügt es, wenn das Kind mit einem oder beiden Elternteilen im Bundesgebiet wohnte, während ein Elternteil als Unionsbürger eine Arbeitnehmerstellung innehatte. Es ist also nicht erforderlich, dass die Beschäftigung des Elternteils und die Ausbildung des Kindes in der Vergangenheit gleichzeitig stattgefunden haben. Auch ist es unschädlich, wenn der den Zugang zur Ausbildung vermittelnde Elternteil den Aufnahmemitgliedstaat bereits wieder verlassen hat, bevor sein Kind dort eingeschult wird (EuGH, Urteil vom 23.2.2010 - C-480/08 -, juris Rn. 33 f.; krit. dazu Nds. OVG, Beschluss vom 22.2.2021 – 13 ME 572/20 –, juris Rn. 8 f). Dass die Eltern dieser Kinder inzwischen geschieden sind und dass nur einer von ihnen Unionsbürger und nicht mehr Wanderarbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat ist, ist dabei ebenfalls ohne Belang (EuGH, Urteil vom 23.2.2010 – C-310/08 –, juris Rn. 29).

Das Bundesverwaltungsgericht hat zu Art. 10 Abs. 1 VO (EU) 492/2011 ausgeführt, dass die Norm zuvörderst ein Recht auf Gleichbehandlung begründet. Aus dem Recht zur Teilnahme am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung folgt zugleich ein eigenständiges, originäres und autonomes Recht der Kinder des (vormaligen) Wanderarbeitnehmers auf Einreise, Aufenthalt und Wohnsitznahme sowie auf Freizügigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 FreizügG/EU (BVerwG, Urteil vom 11.9.2019 – 1 C 48.18 –, juris Rn. 19, 26). Adressat dieses Rechts ist allein der Aufnahmestaat des (vormaligen) Wanderarbeitnehmers, nicht hingegen auch jeder andere Mitgliedstaat der Europäischen Union (BVerwG, Urteil vom 11.9.2019 – 1 C 48/18 –, juris Rn. 19).

Die in Art. 10 VO (EU) 492/2011 normierte Gleichbehandlung der Kinder von Unionsbürgern erstreckt sich dabei auf jede Form von Unterricht sowohl berufs - als auch allgemeinbildender Art (EuGH, Urteil vom 15.3.1989 – 389/87 –, BeckRS 2004, 71059, beck-online Rn. 29). Voraussetzung für ein Bleiberecht auf der Grundlage des Art. 10 Abs. 1 VO (EU) 492/2011 ist, dass die Kinder eines (ehemaligen) Wanderarbeiters am allgemeinen Unterricht bzw. der Lehrlings- oder Berufsausbildung regelmäßig teilnehmen. Denn nur zu diesem Zweck ist den Kindern und ihren die elterliche Sorge tatsächlich ausübenden Elternteilen der Aufenthalt weiter gestattet (Nds. OVG Lüneburg, Beschluss vom 22.2.2021 – 13 ME 572/20 –, juris Rn. 11).

Der Eintritt der Volljährigkeit des Kindes hat dabei keine unmittelbaren Auswirkungen auf die dem Kind durch Art. 10 VO (EU) 492/2011 gewährten Rechte. Denn dem Sinn und Zweck der Vorschrift entsprechend, gelten die Rechte aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 bis zum Abschluss seiner Ausbildung. So schließt der Anwendungsbereich von Art. 10 VO (EU) 492/2011 nach gefestigter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch ein Hochschulstudium ein (EuGH, Urteil vom 23.2.2010 – C - 480/08 – „Teixeira“, NVwZ 2010, 887 ff. = beck-online Rn. 78ff.; EuGH, Urteil vom 15.3.1989 – 389/87 –, BeckRS 2004, 71059 = beck-online Rn. 29).

Ein entsprechendes Recht vermittelt Art. 10 Abs. 1 VO (EU) 492/2011 zudem dem Elternteil, der die elterliche Sorge für die betreffenden Kinder tatsächlich wahrnimmt (EuGH, Urteil vom 23.2.2010 – C-310/08 –, juris Rn. 59; BVerwG, Urteil vom 11.9.2019 – 1 C 48.18 –, juris Rn. 19). Das Freizügigkeitsrecht des Elternteils endet indes regelmäßig mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes, sofern dieses nicht ausnahmsweise weiterhin der Anwesenheit und Fürsorge dieses Elternteils bedarf, um seine Ausbildung fortsetzen und abschließen zu können (EuGH, Urteil vom 23.2.2010 - C-480/08 -, juris Rn. 86 f.).

Das Recht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ist nicht davon abhängig, dass die Beteiligten über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen (EuGH, Urteil vom 23.2.2010 – C-310/08 –, juris Rn. 59; BVerwG, Urteil vom 11.9.2019 – 1 C 48.18 –, juris Rn. 19).

Nach diesen Maßstäben war die Antragstellerin während ihrer schulischen Ausbildung unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU i. V. m. Art. 10 Abs. 1 VO (EU) 492/2011. Denn die Mutter der Antragstellerin ist Unionsbürgerin und war unstreitig vom 30. August 2012 bis zum 28. Februar 2013 unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt. Zu diesem Zeitpunkt wohnte die Antragstellerin bereits mit ihrer Mutter im Bundesgebiet. Seit dem 1. Oktober 2020 absolvierte die Antragstellerin eine schulische Ausbildung zur staatlich geprüften kaufmännischen Assistentin, die nach Aktenlage am 30. September 2022 endete. Dass ihre Mutter bereits im Jahr 2021 ausgereist ist, ist wie dargestellt rechtlich unerheblich. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes handelt es sich bei der schulischen Ausbildung mit einem staatlich geprüften Zielberuf auch um Unterricht berufsbezogener Art im Sinne des Art. 10 VO (EU) 492/2011 (EuGH, Urteil vom 15.3.1989 – 389/87 –, BeckRS 2004, 71059, beck-online Rn. 29). Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin an ihrer Ausbildung nicht regelmäßig teilgenommen hat, sind nicht ersichtlich. Weder der Leistungsbezug der Antragstellerin noch ihre Volljährigkeit schließen ihr Recht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 aus. Es ist nach dem Sinn und Zweck der Norm auch unschädlich, dass die Antragstellerin vor ihrer weiterführenden schulischen Ausbildung bereits die Regelschule im Bundesgebiet besucht hat (vgl. EuGH, Urteil vom 15.3.1989 – 389/87 –, BeckRS 2004, 71059, beck-online Rn. 17 ff.).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 1 GKG und entspricht Nr. 1.5, 8.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).