Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.02.2021, Az.: 1 LA 97/19

Außenbereich; Bebauungszusammenhang; Einzelhaus; Innenbereich; Innenbereich, unbeplanter; Ortsteil; Siedlungsbereich; Verkehrsanschauung; Wohnhaus

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.02.2021
Aktenzeichen
1 LA 97/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71114
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 27.05.2019 - AZ: 4 A 1835/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ist einem klar und gradlinig begrenzten Siedlungsbereich ein einzelnes Wohnhaus in einigem Abstand (hier rund 90 m) vorgelagert, hat dieses nach der Verkehrsanschauung grundsätzlich nicht am Bebauungszusammenhang des Siedlungsbereichs (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) teil, wenn nicht im Einzelfall besondere Gründe dafür streiten.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 27. Mai 2019 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Verfahren in erster Instanz und für das Zulassungsverfahren auf jeweils 45.000 EUR festgesetzt; der Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 27. Mai 2019 wird dementsprechend geändert.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Maschinenhalle mit Wirtschaftsraum sowie ein Einfamilienhaus mit Betriebsleiter- und Einliegerwohnung und Garage; die Beteiligten streiten insbesondere über die Lage des Baugrundstücks im Innen- oder Außenbereich.

Der Kläger ist Eigentümer des Flurstücks C., Flur D., Gemarkung E.. Das gegenwärtig als Wiese genutzte Flurstück liegt nördlich des F. in A-Stadt und weist zur Straße eine Breite von rund 87 m und eine Tiefe von rund 152 m auf. In seiner Südostecke ist es - von der Straße aus gesehen in zweiter Reihe - mit einem Schuppen bebaut, in dem Rinder und Hühner gehalten werden und landwirtschaftliches Gerät untergestellt ist. Zur Straße hin vorgesetzt liegt das mit einem zu Wohnzwecken genutzten Gebäude bebaute und im Eigentum eines Dritten stehende Grundstück F. G.. Westlich angrenzend am F. befinden sich acht Wohngebäude samt einigen Neben- und Wirtschaftsgebäuden, an die wiederum westlich vorrangig gewerblich genutzte Flächen anschließen. Im Norden wird das Flurstück durch eine ausgedehnte Kleingartenanlage begrenzt. Östlich schließt sich eine weitere Wiese an; weiter östlich in einer Entfernung von rund 120 m beginnt die Bebauung der Kernstadt A-Stadt. Sämtliche Flächen in der näheren Umgebung befanden sich - soweit ersichtlich - ursprünglich im Eigentum der Deutschen Bahn und wurden zu Bahnzwecken genutzt; der Kläger erwarb das Flurstück im Jahr H..

Im September 2010 beantragte der Kläger erstmals die Erteilung eines Bauvorbescheids zur Errichtung eines Einfamilienhauses mit Nebengebäuden auf dem Flurstück, und zwar unmittelbar neben dem Wohnhaus F. G.. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. Januar 2011 unter Verweis auf die Lage im Außenbereich ab; ein Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Hannover blieb erfolglos (Urt. v. 6.9.2012 - 4 A 4402/11 -).

Im Mai 2016 - zwischenzeitlich waren westlich zwei weitere Wohngebäude errichtet worden - stellte der Kläger einen erneuten Antrag auf Erteilung eines Bauvorbescheids zur Errichtung einer Maschinenhalle mit Wirtschaftsraum, eines Wohnhauses mit einer Betriebsleiter- und einer Einliegerwohnung sowie einer Garage. Zur Begründung verwies er auf eine nicht näher konkretisierte landwirtschaftliche Nutzung in Gestalt der Haltung und Aufzucht von Rindern, Schafen und Hühnern. Die von der Beklagten beteiligte Landwirtschaftskammer stellte fest, dass der Kläger 2,67 ha Grünland bewirtschafte und über sieben Galloway-Rinder und 16 Hühner verfüge; dieser Umfang begründe nicht die Existenz eines landwirtschaftlichen Betriebs. Die Beklagte lehnte den Bauantrag daraufhin mit Bescheid vom 17. Oktober 2016 unter Verweis auf die Außenbereichslage und die fehlende Privilegierung ab. Den Widerspruch, der unter anderem mit einem angestrebten, aber wiederum nicht konkretisierten Aufbau eines landwirtschaftlichen Betriebs begründet war, wies die Region B-Stadt mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2017 zurück.

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Hannover nach Ortsbesichtigung mit dem angegriffenen Urteil vom 27. Mai 2019 abgewiesen, weil das Vorhaben im Außenbereich errichtet werden solle, nicht privilegiert sei und öffentliche Belange insbesondere aufgrund der Erweiterung einer Splittersiedlung beeinträchtige. Ob die materielle Rechtskraft des Urteils vom 6. September 2012 ebenfalls zur Klageabweisung führen müsse, könne daher offenbleiben.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Beklagte entgegentritt.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die der Kläger mit seinem Zulassungsantrag sinngemäß geltend macht, führen nicht zur Zulassung der Berufung. Solche Zweifel setzen voraus, dass es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des erstinstanzlichen Urteils mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Daran fehlt es hier.

§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB setzt voraus, dass das Vorhaben in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil verwirklicht werden soll. Maßgeblich für das Bestehen des geforderten Bebauungszusammenhangs ist, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört (stRspr.; vgl. zuletzt BVerwG, Beschl. v. 30.8.2019 - 4 B 8.19 -, BauR 2019, 1887 = juris Rn. 8 m.w.N.). Innerhalb eines solchermaßen zu charakterisierenden Bebauungszusammenhangs liegt das Vorhabengrundstück - wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht festgestellt hat - nicht.

Ein wenig missverständlich ist allerdings die Argumentation des Verwaltungsgerichts, dass das Wohnhaus auf dem Grundstück F. G. kein städtebauliches Gewicht besitze und einen „Fremdkörper“ darstelle. Der Kläger macht zu Recht geltend, dass ein „Fremdkörper“ eine Unterbrechung des Bebauungszusammenhangs nicht bewirken kann, sondern vielmehr bei der Bestimmung des Bebauungszusammenhangs zu berücksichtigen ist (stRspr., vgl. zuletzt BVerwG, Beschl. v. 16.7.2018 - 4 B 51.17 -, BauR 2018, 1840 = BRS 86 Nr. 62 = juris Rn. 7 m.w.N.).

Die missverständliche Einleitung stellt jedoch die nachfolgende Argumentation des Verwaltungsgerichts, der Abstand des Wohnhauses zu der westlich und östlich nächstgelegenen Wohnbebauung betrage mindestens 87 Meter und sei damit so groß, dass das das Wohnhaus F. G. nicht als Teil des Bebauungszusammenhangs angesehen werden könne, nicht in Frage. Dabei kommt es - insofern ist dem Verwaltungsgericht zuzustimmen - durchaus auf das städtebauliche Gewicht des Wohnhauses an, das das Verwaltungsgericht zu Recht als gering angesehen hat. Ein Blick auf die Luftbilder bei google maps sowie die bei den Akten befindlichen Karten zeigt nämlich, dass sowohl die Kernstadt A-Stadt im Osten als auch die Ansammlung von Wohngebäuden im Westen eine relativ homogene Bebauung sowie eine gegenüber der angrenzenden Wiese scharf gezogene Kante aufweisen, die den jeweils deutlich verdichteten Siedlungsbereich von den umgebenden Freiflächen trennt. In dem hier demnach vorliegenden Fall einer klaren und gradlinigen Begrenzung des Siedlungsbereichs ist ein einzelnes vorgelagertes Wohnhaus nach der Verkehrsanschauung nicht geeignet, einen Bebauungszusammenhang zu begründen. Vielmehr gilt der Grundsatz, dass der Bebauungszusammenhang mit dem letzten dem Siedlungsbereich zuzuordnenden Baukörper endet. Ein in beachtlicher Entfernung gelegenes Einzelhaus - die möglichen „Baulücken“ könnten in jeder Richtung vier bis fünf ortsübliche Baugrundstücke aufnehmen - führt hier nicht dazu, dass der klar abgegrenzte Siedlungsbereich in den Außenbereich „ausfranst“.

Auf die vom Verwaltungsgericht offen gelassene Frage, ob die Bebauung im Westen einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil darstellt, kommt es angesichts dessen nicht an. Nur ergänzend merkt der Senat daher an, dass die Ortsteileigenschaft ernstlich zweifelhaft ist. Stellt man allein auf die Grundstücke F. I. bis J. mit den aufstehenden acht Wohngebäuden und Nebenanlagen ab, dürfte es aufgrund der geringen Gebäudeanzahl und Ausdehnung an dem erforderlichen Gewicht fehlen. Bezieht man hingegen den weiter westlich gelegenen gewerblich genutzten Bereich bis hin zum Umspannwerk der Bahn mit ein, fehlt es an einer fortschreibungsfähigen organischen Siedlungsstruktur. Die Siedlungsstruktur und der Zweck der Bebauung entlang der Eisenbahn leiten sich aus der ehemaligen Nutzung der Gebäude und umgebenden Freiflächen zu Bahnzwecken ab. Dieser Nutzungszweck ist entfallen, sodass die Struktur nicht fortschreibungsfähig ist (vgl. dazu Senatsurt. v. 31.5.2007 - 1 LB 223/05 -, NdsVBl 2007, 284 = BRS 71 Nr. 87 = juris Rn. 20 ff.).

Dass das Vorhaben des Klägers keinem landwirtschaftlichen Betrieb dient und deshalb nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert ist, hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt; der Senat schließt sich diesen Ausführungen gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO zur Vermeidung von Wiederholungen an. Nur ergänzend ist anzumerken, dass die „Betriebsgröße“ nicht einmal annähernd in den Bereich dessen gelangt, was als Landwirtschaft im Sinne von § 201 BauGB anzusehen ist. Das gilt auch dann, wenn man eine perspektivische Haltung von zusätzlich sechs Schafen - wie gegenüber der Landwirtschaftskammer angegeben - berücksichtigt.

Zur Beeinträchtigung öffentlicher Belange in Gestalt der Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) hat das Verwaltungsgericht ebenfalls das Erforderliche ausgeführt; der Senat nimmt auch insoweit Bezug. Ob weitere Beeinträchtigungen drohen, ist unerheblich.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG. Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert für das Wohnhaus mit Einliegerwohnung zwar im Ausgangspunkt zutreffend mit 20.000,- EUR veranschlagt, dabei aber sowohl die Tatsache, dass es sich um ein Betriebsleiterwohnhaus handelt, als auch die gewerblichen bzw. landwirtschaftlichen Nebengebäude, bestehend aus einer Maschinenhalle und einer Werkstatt mit rund 160 qm Grundfläche, unberücksichtigt gelassen. Der Senat macht daher von seiner Befugnis gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG Gebrauch und erhöht den Streitwert von Amts wegen um 25.000,- EUR (Artzuschlag von 50% für das Betriebsleiterwohnhaus <vgl. Nr. 3a der Streitwertannahmen des Senats vom 1.1.2002, NdsVBl. 2002, 192 und Senatsbeschl. v. 11.11.2013 - 1 OA 191/13 -, NdsRpfl. 2014, 194 = juris Rn. 2> zuzüglich 15.000,- EUR für die Maschinenhalle).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).