Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.05.2019, Az.: 9 LA 167/18

beachtliche Wahrscheinlichkeit; Dunkelziffer; Gefahrendichte; Gefahrengrad; Individualisierung; innerstaatlicher Konflikt; Kabul; Niveau; Opferzahlen; Reisewarnung; subsidiärer Schutz; UNAMA; willkürliche Gewalt

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.05.2019
Aktenzeichen
9 LA 167/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69942
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 18.10.2018 - AZ: 7 A 5359/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Berichte der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) sind für die zur Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Nr. 3 AsylG erforderliche annäherungsweise quantitative Ermittlung der Akte willkürlicher Gewalt, die in der Stadt Kabul von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen verübt werden, nicht generell ungeeignet.

Tenor:

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 18. Oktober 2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover – Einzelrichterin der 7. Kammer – wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover zuzulassen, bleibt ohne Erfolg.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht das Verfahren eingestellt, soweit die Kläger zunächst begehrt hatten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und ihre Klage insoweit zurückgenommen hatten. Im Übrigen – hinsichtlich der von den Klägern begehrten Gewährung subsidiären Schutzes und der hilfsweise begehrten Feststellung nationaler Abschiebungsverbote – hat es die Klage abgewiesen.

Der Senat legt den von den Klägern dem Wortlaut nach uneingeschränkt gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung dahingehend aus, dass die Kläger die Zulassung der Berufung beantragen, soweit das Verwaltungsgericht ihre Klage abgewiesen hat.

Der von den Klägern allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt insoweit nicht vor.

Eine Rechtssache ist grundsätzlich bedeutsam i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG, wenn sie eine höchstrichterlich oder – soweit es eine Tatsachenfrage betrifft – obergerichtlich noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsfähig wäre und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.3.2018 – 1 B 7.18 – juris Rn. 2 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Die Kläger haben die Fragen aufgeworfen,

1. ob in Kabul ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gem. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG besteht,

2. ob in Afghanistan landesweit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gem. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG besteht,

3. ob bei der Prüfung eines ernsthaften Schadens gem. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG eine quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, gestützt auf die Statistiken der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) zu zivilen Opfern, zur Bestimmung des erforderlichen Grades der willkürlichen Gewalt geeignet erscheint, und

4. ob der von der Rechtsprechung entwickelte Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit den Anforderungen der Art. 2 lit. d, 4 ff. Qualifikations-RL entspricht.

Diese Fragen sind nicht grundsätzlich bedeutsam i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG.

Die ersten drei Fragen betreffen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, es lägen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vor, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Kabul einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt wären.

Die ersten beiden Fragen sind nicht entscheidungserheblich. Denn die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 AsylG setzt kumulativ stichhaltige Gründe für (1) einen internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt und (2) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen dieses Konflikts voraus. Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist dabei der tatsächliche Zielort bei einer Rückkehr (vgl. EuGH, Urteil vom 17.2.2009 – C-465/07, Elgafaji – juris Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 13 f. zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F.). Da das Verwaltungsgericht im Fall der Kläger von der Stadt Kabul als tatsächlichem Zielort bei einer Rückkehr ausgegangen ist, kommt es weder darauf an, ob in Afghanistan landesweit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegt, noch darauf, ob dies für die gesamte Provinz Kabul anzunehmen ist. Unerheblich ist aber auch, ob in der Stadt Kabul ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG herrscht. Denn das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 AsylG selbständig tragend auf die Annahme gestützt, dass die Kläger nicht allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Stadt Kabul einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit ausgesetzt seien. Diese Annahme haben die Kläger nicht erfolgreich mit Zulassungsrügen angegriffen:

Die sich darauf beziehende dritte Frage ist nicht grundsätzlich bedeutsam i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG. Denn sie lässt sich ohne Weiteres auf der Grundlage der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten.

§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG setzt Art. 15 Buchstabe c der Richtlinie 2011/95/EU in nationales Recht um und ist dementsprechend richtlinienkonform auszulegen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 15 Buchstabe c der Richtlinie 2011/95/EU wie folgt auszulegen: Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person, die die Gewährung des subsidiären Schutzes beantragt, kann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre dortige Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH, Urteile vom 30.1.2014 – C-285/12, Diakité – juris Rn. 30; vom 17.2.2009, a. a. O., Rn. 43). Dabei wird der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit ein Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 30.1.2014, a. a. O., Rn. 31; vom 17.2.2009, a. a. O., Rn. 39).

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist im Einklang damit geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine ernsthafte individuelle Bedrohung i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG anzunehmen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8.3.2018 – 1 B 7.18 – juris Rn. 3 m. w. N.; vom 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris Rn. 7; Urteile vom 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24; vom 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24; vom 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 17 ff.; vom 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 32 ff.; vom 24.6.2008 – 10 C 43.07 – juris Rn. 34 ff.). Danach genügt es nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung und zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt (BVerwG, Urteil vom 13.2.2014, a. a. O., Rn. 24). Allerdings kann sich eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erfüllen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2008, a. a. O., Rn. 34 zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F.). Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind ferner solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2010, a. a. O., Rn. 18 m. w. N.). Fehlen – wie das Verwaltungsgericht es im Fall der Kläger angenommen hat – individuelle gefahrerhöhende Umstände, so kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Erforderlich ist insoweit ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011, a. a. O., Rn. 18 m. w. N.).

Das Bundesverwaltungsgericht geht insoweit in ständiger Rechtsprechung weiter davon aus, dass es Feststellungen zur Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet bedarf, die jedenfalls auch eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, zu umfassen hat, sowie einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung unter Berücksichtigung der medizinischen Versorgungslage (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.3.2018, a. a. O., Rn. 3; Urteile vom 17.11.2011, a. a. O., Rn. 23; vom 13.2.2014, a. a. O., Rn. 24). Allerdings sieht es jedenfalls ein Risiko von 1:800 (0,125 %), in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, als so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt an, dass auch eine wertende Gesamtbetrachtung am Fehlen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nichts zu ändern vermag (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2011, a. a. O., Rn. 23 zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F.). Dem folgt der Senat in ständiger Rechtsprechung (siehe nur Senatsbeschluss vom 4.1.2018 – 9 LA 160/17 – juris Rn. 17; Senatsurteile vom 19.9.2016 – 9 LB 100/15 – juris Rn. 69 ff.; vom 7.9.2015 – 9 LB 98/13 – juris Rn. 44 ff.).

Das Verlangen einer annäherungsweisen quantitativen Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, widerspricht entgegen der Ansicht der Kläger weder dem Unionsrecht noch der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Dass Art. 15 Buchstabe c der Richtlinie 2011/95/EU keine näheren Ausführungen dazu enthält, wie zu ermitteln ist, ob stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass der betreffenden Zivilperson in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Form einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht, steht der genannten Auslegung nicht entgegen. Wenngleich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht wörtlich von einer „annäherungsweisen quantitativen Ermittlung“ die Rede ist, muss danach der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein „so hohes“ Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe die Annahme rechtfertigen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr, einer Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt zu sein (s. o.). Die Bestimmung der Höhe dieses Niveaus setzt der Sache nach ebenfalls eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Anzahl der im betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und der gegen sie dort gerichteten Akte willkürlicher Gewalt voraus.

Dass das Verwaltungsgericht zur allgemeinen Gefahrenlage für Zivilpersonen in der Stadt Kabul einen Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen von Mai 2018 ausgewertet hat, in dem auf Zahlen ziviler Opfer in dem Annual Report 2017 der United Nation Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) von Februar 2018 Bezug genommen wird, unterliegt nicht mit einer solchen gewissen Wahrscheinlichkeit Bedenken, dass es die Zulassung der Berufung wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gebieten würde.

Nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob die tatsächliche Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, die allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers. Zu diesem Zweck stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, z. B. Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, eingeholt werden.

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seinem von den Klägern in Bezug genommenen Beschluss vom 25. April 2018 (– 2 BvR 2435/17 – juris) ausgeführt, dass der Annahme einer eindeutigen und gesicherten Auskunftslage, die eine Abweisung einer u. a. auf die Gewährung subsidiären Schutzes gerichteten Klage eines afghanischen Staatsangehörigen als offensichtlich unbegründet tragen könnte, der Umstand entgegen stehe, dass im Hinblick auf die Belastbarkeit und Validität des Datenmaterials, das für die Feststellung der Gefahrendichte i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG erforderlich sei, grundlegende allgemeine Bedenken erhoben würden. Es hat insoweit auf eine Entscheidung des Schweizerischen Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Oktober 2017 (– D-5800/2016 –, dort insbesondere die Abschnitte E 7.4.3. und E 6.3.1.) zur Unzulänglichkeit eines nur auf Opferzahlen abstellenden Ansatzes hingewiesen.

Abschnitt E 7.4.3. dieser Entscheidung lautet:

„Aufgrund der strikten Erhebungsstandards der UN, wonach jedes Opfer, um in der Statistik aufgeführt zu werden, von drei unabhängigen Quellen verifiziert werden muss, können Opferzahlen kaum realitätsgetreu erfasst werden, da sie insbesondere in ländlichen Gebieten nicht registriert werden. Zudem könnten diese aufgrund der fehlenden Statistiken kaum in Relation zur Gesamtbevölkerung gesetzt werden. So ist lediglich festzustellen, dass gemäss verschiedenen Berichten die Opferzahlen in den letzten Jahren kontinuierlich stiegen und noch nie so hoch gewesen sind. Seit dem Jahr 2009 hat es noch nie so viele zivile Opfer gegeben wie im Jahr 2016. Verschiedentlich werden zivile Opferzahlen (getötet und verletzt) zwischen 8000 und 9000 genannt, wobei wie gesagt aufgrund der strengen Statistikanforderungen und der eingeschränkten gesundheitlichen Versorgungsmöglichkeiten von Verletzten von einer deutlich höheren Opferzahl ausgegangen werden muss. Auf die blosse Anzahl ist daher kein besonderer Fokus zu legen (vgl. UNAMA/OHCHR, Annual Report 2016, S. 10 ff., 17; UNAMA, Chief; AIHRC, Report, S. 12 f.).“

In Abschnitt E 6.3.1. heißt es:

„Mit vorliegendem Urteil nimmt das Bundesverwaltungsgericht eine ausführliche Lageanalyse vor, wobei es eine Vielzahl von Länder- und Themenberichten staatlicher und nichtstaatlicher Körperschaften aus dem In- und Ausland und internationaler Organisationen sowie zahlreiche ausländische und inländische Presseberichte konsultiert hat. Es ist jedoch zu beachten, dass die Informationen bezüglich der Sicherheitslage in Afghanistan aufgrund der Dynamik des Konflikts schnell ihre Gültigkeit verlieren können. Zudem werden kritische Medienschaffende eher zum direkten Ziel von Anschlägen und geraten gleichzeitig unter Druck der afghanischen Sicherheitskräfte. Weiter beeinflusst die Quellenlage auch, dass durch die Geheimhaltung der nationalen und internationalen Sicherheitskräfte die diesbezüglichen Informationen limitiert werden, weshalb unter anderem keine gesicherten Angaben zu Opferzahlen bestehen (vgl. dazu E. 7.4.3). Zahlreiche Berichte stützen sich ferner auf wenige, respektive eine einzige – wie beim Bericht des European Asylum Support Office (EASO) von 2016 der Fall – anonymisierte Quelle, was an der generellen Aussagekraft dieser Berichte zweifeln lässt (vgl. u.a. Human Rights Watch [HRW], Afghanistan: Security Forces Assault Reporters, 01.09.2016, < www.hrw.org/news/ 2016/09/01/afghanistan-security-forces-assault-reporters > abgerufen am 10.03.2017).“

Hieraus ist nicht zu folgern, dass der UNAMA Annual Report 2017 von Februar 2018 für die erforderliche annäherungsweise quantitative Ermittlung der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in der Stadt Kabul verübt werden, generell ungeeignet ist. Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Beschluss vom 25. April 2018 vielmehr nur entschieden, dass die Bedenken im Hinblick auf die Belastbarkeit und Validität des Datenmaterials der Annahme einer „eindeutigen und gesicherten Auskunftslage“, die eine Abweisung einer u. a. auf die Gewährung subsidiären Schutzes gerichteten Klage als „offensichtlich unbegründet“ tragen könnte, entgegenstehe. Wenngleich UNAMA zur Verifizierung eines jeden sicherheitsrelevanten Vorfalls mit zivilen Opfern mindestens drei unterschiedliche und unabhängige Quellen verlangt und nicht in dieser Form verifizierte Opferzahlen im UNAMA Annual Report 2017 nicht berücksichtigt sind, hat der Kläger keine konkreten Erkenntnismittel benannt, aus denen sich deutlich höhere Zahlen ziviler Opfer in der Stadt Kabul ergeben. Solche liegen auch nicht vor. Dementsprechend hat der Senat in einem aktuellen Urteil vom 29. Januar 2019 ausgehend von den von UNAMA angegebenen Opferzahlen selbst unter Berücksichtigung einer etwaigen Dunkelziffer nicht die Überzeugung gewinnen können, dass speziell im Abschiebungsort Kabul, wo in Afghanistan die meisten Menschen leben, eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür bestünde, eine Zivilperson werde infolge des bloßen Umstands der Anwesenheit einer realen Gefahr eine Fehlbehandlung ausgesetzt sein (vgl. Senatsurteil vom 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 70 ff.). Im Übrigen ist das schweizerische Bundesverwaltungsgericht unter Punkt 8.4.2 der vom Bundesverfassungsgericht in Bezug genommenen Entscheidung zu dem Ergebnis gelangt, dass „eine Wegweisung nach Kabul lediglich bei Vorliegen besonders günstiger Voraussetzungen – so insbesondere gesunde Männer mit einem tragfähigen Beziehungsnetz, einer Möglichkeit zur Sicherung des Existenzminimums und einer gesicherten Wohnsituation – als zumutbar zu qualifizieren ist.“ Mithin ist es trotz seiner Bedenken im Hinblick auf die Belastbarkeit und Validität des Datenmaterials nicht davon ausgegangen, dass in Kabul eine außergewöhnliche Situation vorliegt, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer dortigen Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist.

Ohne Erfolg berufen sich die Kläger des Weiteren auf die Reise- und Sicherheitswarnungen des Auswärtigen Amts. Diese richten sich an deutsche Staatsangehörige, die nach Afghanistan reisen wollen und stellen auf deren spezifische Gefährdungssituation ab. Hingegen treffen sie keine Aussage zur Gefährdung zurückkehrender afghanischer Staatsangehöriger, deren Asylverfahren erfolglos geblieben ist. Aus der Reisewarnung können daher keine Rückschlüsse auf einen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes oder auf das Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbots gezogen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris Rn. 6 und das Senatsurteil vom 29.1.2019, a. a. O., Rn. 64, jeweils zu nationalen Abschiebungsverboten).

Die vierte von den Klägern aufgeworfenen Frage ist ebenfalls nicht grundsätzlich bedeutsam. Sie ist in der gestellten Form nicht entscheidungserheblich. Denn der in der Frage angesprochene Art. 2 lit. d der Richtlinie 2011/95/EU betrifft den Begriff „Flüchtling“. Die Darlegungen zur vierten Frage beziehen sich auf die Auslegung des zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führenden Begriffs der „begründeten Furcht vor Verfolgung“. Das Verwaltungsgericht hat aber mit dem angefochtenen Urteil das Verfahren eingestellt, soweit die Kläger zunächst begehrt hatten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und ihre Klage insoweit zurückgenommen hatten; dementsprechend ist die Frage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht mehr streitgegenständlich.

Dass der in der vierten Frage angesprochene Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit bei der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Prüfung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 AsylG und nationalen Abschiebungsschutzes gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK Anwendung findet, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 6 m. w. N.). Entsprechendes gilt bei der hier erfolgten Prüfung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 AsylG (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 20 zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F.). Die Darlegungen der Kläger zum Prognosemaßstab bei der Flüchtlingsanerkennung lassen nicht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass bei der Prüfung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nrn. 2 und 3 AsylG und nationalen Abschiebungsschutzes gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein anderer Prognosemaßstab als derjenige der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen sein könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO und § 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).