Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.05.2019, Az.: 12 ME 68/19
Abschnittskontrolle; einstweilige Anordnung; Anordnungsgrund; Auseinandersetzung; Darlegung; Datenschutz; Interessenabwägung; Nichttreffer; Section Control; informationelle Selbstbestimmung; Übergangszeit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 10.05.2019
- Aktenzeichen
- 12 ME 68/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 70105
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 12.03.2019 - AZ: 7 B 850/19
Rechtsgrundlagen
- § 11 SOG ND
- § 32 SOG ND
- § 123 VwGO
- § 146 Abs 4 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur uneingeschränkten Erforderlichkeit einer gesetzlichen Grundlage für die Geschwindigkeitsüberwachung durch eine Abschnittskontrolle und zu den Anforderungen an eine solche Rechtsgrundlage
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 7. Kammer - vom 12. März 2019 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die – auf der Bundesstraße 6 in Fahrtrichtung Norden zwischen den Anschlussstellen Gleidingen und Rethen – von der Antragsgegnerin vorübergehend in Betrieb genommene neuartige, abschnittsbezogene Verkehrsüberwachung (= Abschnittskontrolle).
Bei dieser auch als „Streckenradar“ bezeichneten Art der Verkehrsüberwachung werden die Kennzeichen sämtlicher Kraftfahrzeuge sowohl beim Ein- als auch beim Ausfahren aus dem überwachten Streckenabschnitt erfasst. Das bei der Einfahrt in den überwachten Bereich aufgenommene (erste) Foto vom Fahrzeugheck wird automatisiert ausgelesen und in einen sog. Hashwert verwandelt, der als individuelle „Fahrzeug-Identifizierung“ (Fahrzeug-ID) dient. Bei der Ausfahrt des Fahrzeugs aus dem überwachten Bereich wiederholt sich dieser Prozess, d. h. es wird grundsätzlich ein zweites Foto erstellt. Danach wird durch den Abgleich der erzeugten Hashwerte und Zeitstempel die Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt und diese mit den normativen Geschwindigkeitsgrenzen der jeweiligen Fahrzeugklasse abgeglichen. Wenn sich dabei eine Geschwindigkeitsüberschreitung ergibt (sog. Trefferfall), löst die zentrale Anlagensteuerung die „Verstosskamera“ aus. Dann werden zwei weitere Fotos gefertigt, nämlich ein hochaufgelöstes Frontbild zur Fahrererkennung und eine Heckaufnahme, die zum Nachweis ggf. verwendeter unterschiedlicher Kennzeichen an Fahrzeugfront und -heck dient. Der von der Anlagensteuerung aus den verschlüsselten Daten gewonnene Vorfallsdatensatz kann anschließend über einen gesicherten Zugang abgerufen werden. Wenn kein Abgleich möglich oder die berechnete Durchschnittsgeschwindigkeit niedriger als die an der Anlage eingestellte Auslösegeschwindigkeit ist (sog. Nichttrefferfall), werden die erfassten Kontrolldatensätze automatisch gelöscht. Der Zeitraum bis zu dieser automatischen Löschung beträgt nach den Angaben der Antragsgegnerin maximal drei Minuten.
Das Verwaltungsgericht hat der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 12. März 2019 nach § 123 VwGO antragsgemäß vorläufig untersagt, mit der umstrittenen Abschnittskontrolle Kennzeichen eines von Antragsteller geführten Fahrzeugs zu erfassen. Zur Begründung hat es darauf verwiesen, dass im Rahmen der Entscheidung über eine solche einstweilige Anordnung zwischen dem Anordnungsgrund, der insbesondere die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründe, und dem Anordnungsanspruch zu unterscheiden sei, d. h. dem materiellen Anspruch, für den der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachsuche. Vorliegend habe der Antragsteller das Vorliegen eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht.
Der Anordnungsgrund liege vor, weil der Antragsteller die maßgebliche Strecke nahezu täglich befahre und eine rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache daher zu spät käme, um die geltend gemachten Nachteile abzuwenden. Gleiches gelte bei dem von der Antragsgegnerin befürworteten Abwarten auf das Inkrafttreten des § 32 Abs. 8 NPOG-E als zukünftig (aus Sicht der Antragsgegnerin) geeignete Rechtsgrundlage für die Abschnittskontrolle.
Aus den Entscheidungsgründen des Urteils der Kammer vom heutigen Tage ergebe sich der Anordnungsanspruch. In den Urteilsgründen wiederum hat das Verwaltungsgericht u. a. ausgeführt, dass dem Antragsteller – zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das Verwaltungsgericht maßgeblichen Zeitpunkt am Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz – ein Unterlassungsanspruch zustehe. Denn die von der Antragsgegnerin durchgeführte Abschnittskontrolle greife in das Grundrecht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung ein, und hierfür fehle die erforderliche Ermächtigungsgrundlage.
Das Bundesverfassungsgericht habe sich mit der hier einschlägigen Abschnittskontrolle zwar bisher nicht befasst. In seinem aktuellen Beschluss zur Zulässigkeit von automatisierten Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen zum Fahndungsabgleich (Beschl. v. 18.12.2018 - 1 BvR 142/15 -, juris, Rn. 45 ff.), an den das Verwaltungsgericht gemäß § 31 BVerfGG gebunden sei, habe es jedoch entschieden, dass in der Erfassung und dem Abgleich des Kraftfahrzeugkennzeichens eines Betroffenen auch dann Eingriffe in sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung liegen würden, wenn die Kontrolle nur zu einem sog. Nichttreffer führe. Die insoweit tragenden Erwägungen für die Bejahung eines Eingriffs würden auch für die Abschnittskontrolle gelten. Nicht zu folgen sei hingegen der Argumentation der Antragsgegnerin, in den Nichttrefferfällen würden die Daten ungezielt und allein technikbedingt zunächst miterfasst, aber unmittelbar nach der Erfassung technisch wieder anonym, spurenlos und ohne Erkenntnisinteresse für die Behörden ausgesondert. Erstens sei die Einbeziehung der Daten von Personen, bei denen nach Auswertung keine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit festgestellt werden könne, wie bei der Kraftfahrzeugkennzeichenerfassung zum Fahndungsabgleich, notwendiger und gewollter Teil der Kontrolle. Diese Daten würden „zwangsläufig benötigt“, sodass es an dem Merkmal „ungezielt“ fehle. An die Stelle des „spezifischen Fahndungsinteresses“ trete das behördliche Ziel, die Einhaltung der Verkehrsvorschriften zu überwachen und damit die Häufung schwerer, geschwindigkeitsbedingter Verkehrsunfälle zu reduzieren. Wie die automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle zum Fahndungsabgleich und andere Überwachungsmaßnahmen sei auch die Abschnittskontrolle einheitlich und unabhängig davon zu beurteilen, zu welchem Ergebnis sie im Einzelfall führe. Zweitens würden die erfassten Kennzeichendaten gerade nicht direkt nach dem ersten Erfassen umgehend ausgesondert, sondern zunächst gespeichert und am Ende des überwachten Abschnitts nochmals abgeglichen, nämlich bezogen auf die ermittelte Durchschnittsgeschwindigkeit.
Der damit zu bejahende Eingriff in das Recht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Nicht für alle Bestandteile der Abschnittskontrolle bestehe die erforderliche Rechtsgrundlage. Es fehle an einer solchen für die Anfertigung der o. a. beiden ersten Fotos und der entsprechenden Datensätze. § 32 Abs. 5 Satz 1 NdsSOG sei nicht einschlägig. Wie sich insbesondere aus § 32 Abs. 5 Satz 3 NdsSOG ergebe, diene diese Ermächtigung dazu, Straftaten zu verhüten, indem Kennzeichen erfasst und mit denen von gestohlenen oder aus anderen Gründen zur Fahndung ausgeschriebenen Fahrzeugen abgeglichen würden. Darum gehe es bei der Abschnittskontrolle aber nicht. Die Voraussetzungen für Maßnahmen zur Geschwindigkeitsüberwachung würden in § 32 Abs. 5 NdsSOG auch nicht bereichsspezifisch, präzise und normenklar beschrieben, sodass es der Norm insoweit auch an der für die Geschwindigkeitsüberwachung erforderlichen Bestimmtheit fehle. Voraussetzung für den allenfalls noch in Betracht kommenden Tatbestand des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 NdsSOG wäre zudem das Vorliegen einer konkreten Gefahr im Sinne von § 2 Nr. 1 Buchst. a) NdsSOG. Eine solche Gefahr sei hier ebenfalls nicht gegeben.
Einem Rückgriff auf die datenschutzrechtliche Generalklausel des § 31 Abs. 1 NdsSOG stehe bei systematischer Auslegung entgegen, dass § 32 Abs. 5 NdsSOG die Frage der Kennzeichenerfassung jedenfalls für den Fahndungsabgleich besonders regele. Die allgemeine Generalklausel des § 11 NdsSOG trete nach ihrem Wortlaut hinter die besonderen Befugnisnormen des Dritten Teils, und damit auch hinter § 32 Abs. 5 sowie § 31 Abs. 1 NdsSOG, zurück. Im Übrigen würden die zu § 31 Abs. 1 NdsSOG angestellten Erwägungen entsprechend gelten.
Schließlich sei auch nicht der Ansicht der Antragsgegnerin zu folgen, während eines „Pilotbetriebes“ der Anlage sei in einem Übergangszeitraum der Grundrechtseingriff im überwiegenden öffentlichen Interesse ohne Rechtsgrundlage bzw. auf der Grundlage von § 11 NdsSOG hinzunehmen.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen diesen Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
Denn die dargelegten Beschwerdegründe, die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, genügen überwiegend nicht den Anforderungen, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO an ihre Darlegung unter Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung zu stellen sind, und vermögen im Übrigen in der Sache nicht zu überzeugen.
Um sich im Sinne des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO mit der angefochtenen Entscheidung auseinanderzusetzen, muss ein Beschwerdeführer von der Begründungsstruktur dieser Entscheidung ausgehen und das Entscheidungsergebnis in Frage stellen. Die erforderliche Dichte seiner eigenen Ausführungen hat sich dabei an der Dichte der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu orientieren (Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl., § 146 Rn. 22a). Je intensiver diese Entscheidung begründet ist, umso eingehender muss der Beschwerdeführer die sie tragende Argumentation entkräften. Es reicht deshalb grundsätzlich nicht aus, wenn er lediglich eine eigene Würdigung der Sach- und Rechtslage vorträgt, die im Ergebnis von derjenigen des Verwaltungsgerichts abweicht. Vielmehr muss er in der Regel den einzelnen tragenden Begründungselementen der angefochtenen Entscheidung geeignete Gegenargumente konkret gegenüberstellen und – soweit möglich – deren Vorzugswürdigkeit darlegen. Hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, muss ein Beschwerdeführer zudem alle diese Begründungen angreifen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 14.1.2019 - 12 ME 170/19 -, juris, Rn. 10, m. w. N.).
Die Antragsgegnerin differenziert danach in ihrer Beschwerdebegründung im Ausgangspunkt zutreffend zwischen Anordnungsgrund und –anspruch. Nicht gefolgt werden kann ihr aber in der von ihr insoweit vorgenommenen Zuordnung ihrer Beschwerdegründe im Einzelnen.
Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt, ist unter dem Anordnungsanspruch der – mit der Klage geltend gemachte materielle – Anspruch zu verstehen, für den der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachsucht, vorliegend also der Anspruch des Antragstellers, dass es die Antragsgegnerin vorläufig unterlässt, durch die Abschnittskontrolle das Kennzeichen eines von ihm geführten Fahrzeugs zu erfassen und zu verarbeiten.
Jedenfalls die Ausführungen der Antragsgegnerin unter I. 1 bis 3 ihrer Beschwerdebegründung beziehen sich aber inhaltlich auf die Begründung des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen des Unterlassungsanspruchs, d. h. den Anordnungsanspruch, und nicht, wie nach der Gliederung der Antragsgegnerin, auf den Anordnungsgrund.
Unter I. 1 ihrer Beschwerdebegründung stellt die Antragsgegnerin in Abrede, dass im Nichttrefferfall ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vorliege. Sie leitet dies unter Bezugnahme auf die auch vom Verwaltungsgericht tragend herangezogene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 2018 (- 1 BvR 142/15 -, Rn. 43, 48 f.) daraus ab, dass es an einem danach erforderlichen spezifischen Interesse des Staates an den Daten hier mangele. Damit verfehlt die Antragsgegnerin die aufgezeigten Darlegungsanforderungen. Denn das Verwaltungsgericht hat zur Begründung für die Annahme eines Eingriffs ausgeführt, dass bei der Abschnittskontrolle an „die Stelle des spezifischen Fahndungsinteresses das behördliche Ziel trete, die Einhaltung der Verkehrsvorschriften zu überwachen“, und dass dazu die Einbeziehung der Kennzeichen aller die Strecke passierender Fahrzeuge „notwendiger und gewollter Teil der Kontrolle“ sei; diese Daten würden „zwangsläufig benötigt“. Hiermit setzt sich die Antragsgegnerin nicht auseinander.
Gleiches gilt, soweit sie unter I. 2 der Beschwerdebegründung vorträgt, die maßgebliche Strecke sei konkret gefährlich und damit seien (jedenfalls übergangsweise) die Voraussetzungen des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 NdsSOG gegeben. Dabei wird übergangen, dass der Eignung des letztgenannten Eingriffstatbestands als Rechtsgrundlage für die Abschnittskontrolle weitere vom Verwaltungsgericht angeführte Gründe entgegenstehen, die mit den dargelegten Beschwerdegründen nicht angegriffen sind, obwohl sie selbständig tragen. § 32 Abs. 5 NdsSOG diene nämlich – „wie sich insbesondere aus … Satz 3 ergebe – dem Zweck, durch Erfassung von Kennzeichen“ Straftaten zu verhüten; darum gehe es bei der streckenbezogenen Geschwindigkeitskontrolle aber nicht. Gegenteilige hierauf bezogene Argumente enthält die Beschwerdebegründung jedoch nicht. Ob eine konkrete Gefahr vorliegt, wie die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren geltend macht, ist daher unerheblich.
Auf Seite 22 seines Urteils hat das Verwaltungsgericht weiter ausgeführt, dass § 32 Abs. 5 NdsSOG die Frage der Kennzeichenerfassung jedenfalls für den Fahndungsabgleich besonders regele. Damit sei aus systematischen Gründen nicht nur ein Rückgriff auf die datenschutzrechtliche Generalklausel des § 31 Abs. 1 NdsSOG, sondern (erst recht) auch auf die allgemeine Generalklausel des § 11 NdsSOG ausgeschlossen. Dieses Begründungselement tritt selbständig tragend neben die weiteren Argumente des Verwaltungsgerichts, dass es an einer konkreten Gefahr mangele und § 11 NdsSOG insoweit nicht hinreichend bestimmt sei. Die Antragsgegnerin setzt sich jedoch mit dem erstgenannten Begründungstrang jedenfalls nicht ausreichend auseinander. Die von ihr angeführte, anerkannte lückenschließende Funktion der allgemeinen Generalklausel ist nicht unbegrenzt, sondern besteht nach dem schon vom Verwaltungsgericht zitierten § 11 Halbsatz 2 NdsSOG nur, „soweit nicht die Vorschriften des Dritten Teils die Befugnisse … der Polizei besonders regeln“. Unter solchen besonderen Regelungen versteht das Niedersächsische Recht – ebenso wie andere Landespolizeigesetze – die Bestimmungen über die sogenannten Standardbefugnisse. Durch sie werden bestimmte, in der polizeilichen Praxis häufig vorkommende Maßnahmen typisiert. Die Befugnis, eine Maßnahme des jeweiligen Typs zu ergreifen, kann damit nur der entsprechenden Regelung entnommen werden. Der Rückgriff auf die Generalermächtigung ist dann versperrt. Wenn der Gesetzgeber etwa die Verweisung von einem Ort und das Verbot der Rückkehr dorthin nur als kurzfristige Maßnahme ausgestaltet (Platzverweisung), so ist es den Behörden verwehrt, längerfristig angelegte Verbote auf die Generalklausel zu stützen (Rachor/Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2018, Rn. 195). In Abgrenzung hierzu besteht insoweit keine Sperrwirkung, wenn eine neuartige und bislang nicht typisierte Maßnahme angewandt werden soll, wie (nach dem noch geltenden NdsSOG) etwa die sog. Gefährderansprache (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 22.9.2005 - 11 LC 51/04 -, juris, Rn. 36).
Hiernach mangelt es an Ausführungen der Antragsgegnerin dazu, warum nach I. 3 ihrer Beschwerdebegründung entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts in den §§ 31 ff. NdsSOG, insbesondere unter Berücksichtigung von § 32 Abs. 5 NdsSOG, der ausdrücklich den Einsatz von technischen Mitteln im öffentlichen Verkehrsraum zur (gefahrabwehrrechtlichen) Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen regelt, die dort geregelte Standardbefugnis zur Kennzeichenerfassung gegenwärtig nicht abschließend und deshalb der Rückgriff auf die allgemeine Generalklausel des § 11 NdsSOG möglich sein soll.
Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob dem Verwaltungsgericht auch in der Annahme zu folgen ist, dass einem Rückgriff auf § 11 NdsSOG als Rechtsgrundlage für die Abschnittskontrolle zusätzlich eine insoweit fehlende, aber erforderliche Bestimmtheit der Eingriffsermächtigung entgegensteht.
Unter I. 4 ihrer Beschwerdebegründung beruft sich die Antragsgegnerin darauf, dass es dem Antragsteller „in Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen in jedem Fall zuzumuten ist, bis zum bevorstehenden Inkrafttreten einer entsprechenden Norm mögliche Beeinträchtigungen seiner Grundrechte zu dulden“.
Insoweit wird jedoch schon nicht hinreichend deutlich, worauf genau sich die Antragsgegnerin mit diesen und den inhaltlich entsprechenden Ausführungen unter II. der Beschwerdebegründung, wonach dem Antragsteller zugemutet werden könne, die fragliche Strecke vorübergehend zu umfahren, berufen will.
Sollte damit gemeint sein, dass der Antragsteller schon materiell-rechtlich verpflichtet sei, vorübergehend den von ihr, der Antragsgegnerin, als geringfügig gewerteten rechtswidrigen Grundrechtseingriff hinzunehmen, sei es durch kurzfristige Erfassung eines Kennzeichens des jeweils von ihm genutzten Fahrzeugs oder durch Umfahrung des überwachten Abschnitts, so mangelt es gänzlich an der Auseinandersetzung mit der ausführlichen Begründung auf den Seiten 23 ff. des Urteils. Dort hat das Verwaltungsgericht den bereits in erster Instanz erhobenen Einwand der Antragsgegnerin zurückgewiesen, während eines „Pilotbetriebes“ der Anlage sei in einem Übergangszeitraum der Grundrechtseingriff im überwiegenden öffentlichen Interesse ohne Rechtsgrundlage hinzunehmen.
Sollte die Antragsgegnerin mit ihrem Vorbringen hingegen rügen wollen, dass für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO in jedem Falle bzw. zumindest in der vorliegenden Fallgestaltung unabhängig vom materiellen Recht eine Interessenabwägung erforderlich sei – worauf der Eingangssatz ihrer Beschwerdebegründung hindeutet – und diese aus den vorgetragenen Gründen zu ihren Gunsten ausfalle, so dringt sie mit ihrem Vorbringen gleichfalls nicht durch. Denn sie legt nicht dar, warum das sinngemäß gegenteilige Verständnis des Verwaltungsgerichts, das nach seinen Obersätzen auf Seite 4 des Beschlussabdrucks eine solche Interessenabwägung vorliegend gerade nicht für erforderlich erachtet hat, fehlerhaft sein soll. Das Verwaltungsgericht befindet sich zudem insoweit auch in Übereinstimmung mit der überwiegenden Ansicht, wonach für eine Interessenabwägung bei der hier einschlägigen sog. Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO jedenfalls dann kein Raum ist, wenn der Anordnungsanspruch nach materiellem Recht bei der hier durchgeführten „Vollprüfung“ ebenso bejaht worden ist wie die für den Erlass der Sicherungsanordnung zusätzlich erforderliche Eilbedürftigkeit der Regelung (vgl. Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl., Rn. 169; Schoch, in: ders./Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 123, Rn. 79a; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 7. Aufl., § 123, Rn. 24; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl., § 123, Rn. 23).
Dass durch die vorübergehende Hinnahme des rechtswidrigen Eingriffs „die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers“ i. S. d. § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht „vereitelt oder wesentlich erschwert würde“, also schon diese tatbestandlichen Voraussetzungen der Sicherungsanordnung nicht gegeben seien, erschließt sich aus dem Beschwerdevorbringen ebenfalls nicht.
Nur der Vollständigkeit halber sei deshalb darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin bei ihrer Argumentation als selbstverständlich voraussetzt, spätestens Anfang Juni 2019 werde „§ 32 Abs. 8 NPolG“ (vgl. LT-Drs. 18/850, S. 11, 57 f.) oder eine inhaltlich gleichwertige Änderungsnorm des Landesrechts (etwa § 32 Abs. 7 in der Fassung der [aus dem Internet entnommenen] sog. Vorlage 38 vom 25. April 2019 zur LT-Drs. 18/850) durch den Landtag verabschiedet und dann eine taugliche Rechtsgrundlage für die Abschnittskontrolle darstellen. Dabei übergeht sie die Ausführungen auf Seite 17 f. des Urteils. Danach gebe es Stimmen, die von einer Bundeszuständigkeit für die Rechtssetzung ausgingen. Das Verwaltungsgericht selbst hat die „Kompetenzfrage“ mangels Entscheidungserheblichkeit offengelassen (vgl. auch Anm. 2 des GBD zu § 32 Abs. 7 in der o. a. Vorlage 38, S. 39 f.). Ebenso wenig kann mit der Antragsgegnerin bei einer Interessenabwägung ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass sich allein der Antragsteller durch die Abschnittskontrolle in seinen Grundrechten beschränkt sieht, nicht aber auch andere Fahrzeugführer auf der Bundesstraße 6.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und folgt der – von den Beteiligten akzeptierten – Streitwertfestsetzung in erster Instanz. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, § 162 Abs. 3 VwGO. Ob einem Erstattungsanspruch der Beigeladenen zu 2) bereits entgegensteht, dass sie demselben Rechtsträger wie die kostenpflichtige Antragsgegnerin angehört, mag dahinstehen. Jedenfalls ist sie als einfach Beigeladene in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 8. Mai 2019 auf die aufgezeigten Darlegungsmängel der Beschwerdebegründung nicht eingegangen und hat daher das Verfahren insoweit nicht wesentlich gefördert.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).