Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.05.2019, Az.: 7 KS 78/17

Deponie; Neuntöter; Standarddatenbogen; Verträglichkeitsprüfung; Vogelschutzgebiet; faktisches Vogelschutzgebiet; wertbestimmende Art

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.05.2019
Aktenzeichen
7 KS 78/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 70002
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Aus der Meldung einer Fläche als Vogelschutzgebiet an die EU-Kommission folgt, dass das meldende Land (hier: Niedersachsen) unter Beachtung seines fachlichen Beurteilungsspielraums das Gebiet nach ornithologischen Kriterien für die Erhaltung der in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie aufgeführten Vogelarten zahlen- und flächenmäßig am geeignetsten angesehen hat. Mit dem Abschluss des mitgliedstaatlichen Auswahl- und Meldeverfahrens spricht nicht nur eine Vermutung dafür, dass ein faktisches Vogelschutzgebiet außerhalb des gemeldeten Vogelschutzgebietes nicht existiert, sondern im Umkehrschluss auch eine Vermutung dafür, dass eine Fläche, die der EU-Kommission gemeldet wurde, auch als solches anzusehen ist.

2. Der Wechsel des Schutzregimes von der Vogelschutzrichtlinie zur FFH-Richtlinie setzt voraus, dass der Mitgliedstaat das besondere Schutzgebiet vollständig und endgültig ausgewiesen und es Dritten gegenüber rechtswirksam abgegrenzt hat.

3. Für welche Arten ein Vogelschutzgebiet ausgewiesen wurde, ergibt sich grundsätzlich aus dem Standarddatenbogen, der der Kommission von dem Mitgliedstaat bei der Meldung übermittelt wird, falls nicht andere Dokumente, z. B. Regelungen über das Schutzgebiet, weitergehende Erhaltungsziele dokumentieren.

4. Die Vogelschutzrichtlinie ist ihrem Zweck nach auf einen dynamischen Schutz wildlebender Vogelarten gerichtet. Stellt sich nachträglich heraus, dass eine Vogelart in einem EU-Vogelschutzgebiet irrtümlich nicht als wertgebende Art benannt wurde, und würde ein Vorhaben oder eine sonstige Maßnahme eine Beeinträchtigung dieser Art zur Folge haben, führte dies zu einer Verletzung der Schutzpflicht aus Art. 4 Abs. 1 Satz 1 VRL. Gleiches würde gelten, wenn eine Vogelart bei Meldung an die Kommission noch nicht als wertgebend einzuschätzen war, deren Population dann aber im weiteren Zeitverlauf so zugenommen hat, dass eine Änderung der ursprünglichen Bewertung geboten erscheint. Die Mitgliedstaaten sind nicht an die ursprüngliche Einschätzung einer Vogelart als nicht-wertbestimmend gebunden, sondern im Interesse eines dynamischen Naturschutzes gehalten, signifikante Bestandserhöhungen zu berücksichtigen.

5. Als Folge des dynamischen Schutzes wildlebender Vogelarten ist auch der Standarddatenbogen dynamischer Natur.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1-fachen des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des 1,1-fachen des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Zulassung der Erweiterung der Abfallentsorgungsanlage E. über die in dem Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 08. August 2017 zugelassene Fläche hinaus.

Die Abfallentsorgungsanlage E. ist eine Deponie der Deponieklasse 1 im Landkreis Northeim, auf der insbesondere Aschen und Rückstände aus mit Steinkohle betriebenen Industriekraftwerken in Wolfsburg, Braunschweig und A-Stadt abgelagert werden. Die Klägerin betreibt die Deponie seit 1988. Die Deponiefläche von derzeit rund 10 ha ist im Regionalen Raumordnungsprogramm des Landkreises Northeim als Vorrangstandort für sonstige Abfallanlagen - Deponie (Gewerbeabfall) - ausgewiesen.

Unter dem 31. Oktober 2014 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Planfeststellung nach § 35 Abs. 2 KrWG für die Erweiterung der Deponie E.. Das Vorhaben zielt auf eine Erweiterung der Deponiefläche um ca. 7,1 ha und eine Änderung der Kubatur des bestehenden Deponiekörpers ab. Es soll ein zusätzliches Deponievolumen von 2.400.000 m³ geschaffen werden. Außerdem soll eine Laufzeitverlängerung der Deponie von rund 20 Jahren ermöglicht werden. Rund 4,5 ha der für die Erweiterung vorgesehenen Fläche befinden sich in dem insgesamt 16.885 ha umfassenden EU-Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ DE4022-431 (V 68). Das Vogelschutzgebiet wurde der EU-Kommission im Jahr 2007 auf dem dafür vorgesehenen Standarddatenbogen gemeldet. Für die Vogelart Neuntöter (Lanius collurio) wurden in der Meldung vier Exemplare angegeben. Zudem wurde ausgeführt, dass das Gebiet eine hohe Bedeutung für Brutvogelarten der strukturreichen Kulturlandschaft des Berglandes (Rotmilan, Uhu) habe. Eine Unterschutzstellung des gemeldeten EU-Vogelschutzgebiets nach nationalem Naturschutzrecht ist für die rund 4,5 ha vorgesehene Erweiterungsfläche der Deponie E. nicht erfolgt. Insbesondere erfasst das durch den Landkreis Holzminden ausgewiesene Landschaftsschutzgebiet „Sollingvorland-Wesertal" (Kennzeichen: LSG HOL 016) die angestrebte Erweiterungsfläche nicht.

Die von der Klägerin eingereichten Planunterlagen lagen nach entsprechender ortsüblicher Bekanntmachung in der Zeit vom 26. Januar bis 25. Februar 2015 öffentlich aus.

Mit Schreiben vom 05. März 2015 äußerte sich der Landkreis Northeim als Untere Naturschutzbehörde dahin, dass nach dem artenschutzrechtlichen Fachbeitrag der Antragsunterlagen innerhalb des Vorhabengebietes zwei Reviere des Neuntöters lägen. Deren Verlust infolge der Deponieerweiterung werde vom Gutachter nicht als Konflikt im Sinne des § 44 BNatSchG angesehen, weil im Umfeld des Vorhabengebietes geeignetes Nahrungs- und Bruthabitat vorhanden sei. Diese gutachterliche Einschätzung werde seitens der Unteren Naturschutzbehörde nur unter folgender Bedingung mitgetragen: Für die Art seien deutlich vor Beginn der Deponieerweiterung im Umfeld der Deponie vorgezogene Kompensationsmaßnahmen, d. h. CEF-Maßnahmen (Continuous Ecological Functionality-Measures) durchzuführen. Diese müssten geeignet sein, zeitnah entsprechende Ersatzhabitate für die Art bereitzustellen. Denn durch die Deponieerweiterung sei eine signifikante Verschlechterung der für den Neuntöter wichtigen Habitatstrukturen zu erwarten.

Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) stellte mit Schreiben vom 19. August 2015 die Zulassung des Vorhabens wegen der Betroffenheit des Neuntöters in Frage. Es handele sich um ein faktisches Vogelschutzgebiet, da die von der Erweiterung betroffene Fläche nicht hinreichend gesichert sei. In faktischen Vogelschutzgebieten sei eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes der für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck des Gebiets maßgeblichen Bestandteile nicht zulässig. In dem Gebiet seien derzeit 223 Neuntöter-Paare dokumentiert. Der für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung empfohlene Orientierungswert liege bei Vogelschutzgebieten mit mehr als 100 Neuntöter-Paaren bei einem Flächenverlust von 4.000 m², der mit der Deponieerweiterung verbundene Flächenverlust liege hier bei dem mehr als Zwölffachen.

Aufgrund der erhobenen Einwendungen legte die Klägerin mit Schreiben vom 28. August 2015 ergänzende Unterlagen vor. In der „Stellungnahme zu Einwendungen bezüglich naturschutzrechtlicher Fragen zum Vorhaben „Erweiterung Entsorgungsanlage E.““ des Büros F. vom 21. August 2015 heißt es:

„Im artenschutzrechtlichen Fachbeitrag (…) ist beschrieben, dass durch das Vorhaben ein bis zwei Reviere des Neuntöters betroffen sein könnten. Eines der Reviere liegt am östlichen Rand der Erweiterungsfläche und war nur 2012 besetzt. Die als Bruthabitat einzustufenden Gehölze dieses Reviers sind nicht vom Vorhaben betroffen. Das andere betroffene Revier liegt am östlichen Rand des bestehenden Betriebsgeländes innerhalb der Erweiterungsfläche. Dieses 2012 und 2014 besetzte Revier wurde wegen eines weiten Nahrungsfluges an den Rand des Waldes im Norden der Deponie relativ großräumig abgegrenzt. Es umfasst Gehölze, die als Ansitzwarten genutzt werden. Der Neststandort liegt eher im Süden außerhalb der Eingriffsfläche, da die dortigen Gehölze dichter sind.

(…)

Die im Umfeld geplanten Maßnahmen und ihre Wirkungen auf den Neuntöter sind nachfolgend näher ausgeführt:

- Bereits 2015/2016 werden im Westen der Entsorgungsanlage Gehölze angelegt, die zukünftig als Ansitzwarten und Bruthabitat des Neuntöters fungieren können. Die Oberfläche des Deponiekörpers ist, wie aus den Ergebnissen der Kartierungen 2012 und 2014 hervorgeht, als Nahrungsraum des Neuntöters geeignet.

- Die (…) Extensivierung von Grünland wird das Nahrungsangebot des Neuntöters in diesem Bereich vergrößern und verbessern.

- Durch die (…) Gehölzanlage wird sichergestellt, dass die im Bereich der Neuntötervorkommen verlorengehenden Gehölze (Ansitzwarten) in größerem Umfang innerhalb von potenziellen, (…) aufgewerteten Nahrungshabitaten des Neuntöters ersetzt werden. Hier wurden auch 2015 im Ergebnis von Nachkartierungen keine Neuntöter festgestellt.

- Durch die Anlage von Gehölzgruppen aus Dornsträuchern werden zusätzliche Bruthabitate des Neuntöters geschaffen. (...)

- Die (…) Gehölzpflegemaßnahmen werden den Lebensraum weiter aufwerten.

All diese Maßnahmen werden (…) vor der Wegnahme der insgesamt 350 m langen Gehölzstruktur innerhalb der Erweiterungsflächen wirksam werden. Außerdem verbleiben in den vorhandenen Neuntöterrevieren immer noch entsprechende Strukturen (…)“

Die ergänzenden Unterlagen lagen mit den ursprünglichen Planunterlagen nach entsprechender ortsüblicher Bekanntmachung in der Zeit vom 26. Oktober bis 25. November 2015 öffentlich aus.

Über die Einwendungen und die behördlichen und weiteren Stellungnahmen wurde am 19. Januar 2016 in einem Erörterungstermin verhandelt. Ausweislich des Wortprotokolls wurde dabei eingehend über die Frage des Schutzes des Neuntöters diskutiert.

Unter dem 19. Januar 2017 teilte der NLWKN mit, dass sich 2014 innerhalb der Grenzen des EU-Vogelschutzgebiets „Sollingvorland“ zwei Neuntöter-Reviere am südlichen Rand der Deponie befunden hätten, jedoch keines in den übrigen Randbereichen des Deponiegeländes. Die für eine Aufschüttung im Norden vorgesehene Fläche beherberge weder Revier- noch Nahrungshabitatflächen des Neuntöters.

Der Landkreis Northeim als Untere Naturschutzbehörde gab mit Schreiben vom 24. Mai 2017 eine weitere Stellungnahme ab. Es sei nicht hinreichend belegt, dass - unter Berücksichtigung der Art Neuntöter - eine erhebliche Beeinträchtigung oder Störung des Vogelschutzgebietes „Sollingvorland“ ausgeschlossen werden könne. Die hiesige überschlägige Risikobewertung im Hinblick auf den fortdauernden Bestand der Neuntöter-Reviere im Umfeld der Deponie lasse die naturschutzfachliche Einschätzung der Unbedenklichkeit im Hinblick auf Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2009/147/EG vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (Vogelschutzrichtlinie - VRL -) nicht mehr zu.

Nachdem im Frühjahr 2017 noch keine abschließende Entscheidung des Beklagten ergangen war, erhob die Klägerin am 09. Mai 2017 bei dem Verwaltungsgericht Braunschweig eine Untätigkeitsklage (Az. 2 A 257/17) und stellte zugleich einen entsprechenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Az. 2 B 252/17). Diese Verfahren wurden durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 08. Juni 2017 an den erkennenden Senat verwiesen (Az. 7 KS 47/17 und 7 MS 47/17). Der Senat stellte die Verfahren nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses und übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten durch Beschlüsse vom 22. September 2017 ein.

Mit Beschluss vom 08. August 2017 stellte der Beklagte den Plan der Klägerin für die Erweiterung der Deponie E. mit Ausnahme des im EU-Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ liegenden Teils des Flurstücks G. der Flur H. in der Gemarkung E. fest. Sie genehmigte damit die beantragte Erweiterung für eine Fläche von rund 2,6 ha. Zugleich lehnte der Beklagte den Antrag auf Planfeststellung hinsichtlich des im EU-Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ liegenden Teils des Flurstückes G. der Flur H. in der Gemarkung E. zur Größe von rund 4,5 ha ab. Die teilweise Ablehnung wurde mit naturschutzrechtlichen Anforderungen („Schutzgut Tiere“) begründet. Neben der artenschutzrechtlichen Betrachtung sei zu prüfen gewesen, ob das Beeinträchtigungs- und Störungsverbot nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL gewahrt bleibe. Für den Bereich des Landkreises Northeim handele es sich bei dem EU-Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ um ein faktisches Vogelschutzgebiet. Zwar komme nach Art. 7 der Richtlinie 92/43/EWG vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie) die FFH-Verträglichkeitsprüfung für faktische Vogelschutzgebiete nicht zum Tragen, dennoch sei für die Beurteilung, ob Projekte mit Beeinträchtigungen eines faktischen Vogelschutzgebietes verbunden sein könnten, in der Praxis ein dem § 34 Abs. 1 und 2 BNatSchG entsprechendes Verfahren anzuwenden.

Die Landesnaturschutzbehörde habe Rotmilan (Milvus milvus) und Uhu (Bubo bubo) als wertbestimmende Arten für das Vogelschutzgebiet bezeichnet, wobei die beiden im Umfeld der Deponie bekannten Horste des Rotmilans durch das Erweiterungsvorhaben nicht beansprucht würden. Dies gelte auch für einen Brutplatz des Uhus in ca. 1 km Entfernung zur Deponie. Durch die Inanspruchnahme von 3,6 ha Grünlandfläche würden die potentiellen Nahrungsflächen für Vögel nur unwesentlich verringert. Die Entsorgungsanlage werde unverändert betrieben, so dass sich auch an den Lärmemissionen, an die sich die Vögel gewöhnt hätten, nichts ändern werde. Die Verträglichkeitsstudie komme daher zu dem Ergebnis, dass keine Wirkfaktoren identifiziert worden seien, die auf die wertbestimmenden Arten Rotmilan und Uhu erhebliche Beeinträchtigungen haben könnten.

Anders verhalte es sich in Bezug auf den Neuntöter (Lanius collurio). Im Randbereich der Deponie seien in 2012 und 2014 jeweils vier zum Teil wechselnde Neuntöterreviere nachgewiesen worden. Davon habe jeweils ein Brutrevier im Erweiterungsbereich der Deponie gelegen. Zwar sei der Neuntöter bei der Meldung des Vogelschutzgebiets „Sollingvorland“ im Jahr 2007 nicht als wertgebende Art aufgeführt worden. Jedoch habe die zwischen 2010 und 2014 kartierte Populationsgröße des Neuntöters von mindestens 223 Exemplaren in dem EU-Vogelschutzgebiet schon bei Meldung des Vogelschutzgebietes bestanden. Schon damals sei eine Einstufung als wertgebende Art gerechtfertigt gewesen, so dass diese Art auch im Planfeststellungsverfahren als wertgebend zu berücksichtigen sei. Der Landkreis Northeim sei als Untere Naturschutzbehörde mit Schreiben vom 16. Februar 2017 um Stellungnahme gebeten worden, ob das Beeinträchtigungs- und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL hinsichtlich der Art Neuntöter in tatsächlicher Hinsicht gewahrt bleibe. In der Stellungnahme vom 24. Mai 2017 habe die Untere Naturschutzbehörde ausgeführt, dass nicht hinreichend belegt sei, dass eine erhebliche Beeinträchtigung oder Störung des Vogelschutzgebietes „Sollingvorland“ ausgeschlossen werden könne. Damit widerspreche das Vorhaben, soweit es das in der Gemarkung E. gelegene Flurstück G. der Flur H. innerhalb des faktischen Vogelschutzgebietes betreffe, den Schutzanforderungen des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL.

Am 05. September 2017 hat die Klägerin gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 08. August 2017 Klage erhoben.

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor:

Zunächst sei zweifelhaft, ob hier tatsächlich ein faktisches Vogelschutzgebiet bestehe. Die Eigenschaft als faktisches Vogelschutzgebiet ende grundsätzlich mit der Erklärung zum besonderen Schutzgebiet nach Art. 4 Abs. 1 VRL, die nach Art. 7 FFH-Richtlinie den Wechsel des Schutzregimes auslöse. Für das Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ sei aufgrund der Säumnis des Landkreises Northeim lediglich ein Flächenanteil von 3,88 %., d. h. ca. 655 ha von insgesamt 16.871,9 ha, noch nicht förmlich unter Schutz gestellt. Bei dieser verbleibenden Restfläche handele es sich nicht mehr um ein faktisches Vogelschutzgebiet, denn die Nicht-Unterschutzstellung dieser geringen Fläche führe nicht zu einem Verstoß gegen Unionsrecht.

Unabhängig davon handele es sich bei dem Neuntöter nicht um eine wertbestimmende Art in dem faktischen Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“. Es komme nicht darauf an, ob der Neuntöter in erheblichem Umfang im Gebiet des für andere Vogelarten gemeldeten Vogelschutzgebiets vorkomme, sondern darauf, ob und inwieweit diese Fläche gerade mit Blick auf den Neuntöter zu den geeignetsten gehöre und der Neuntöter deshalb (nachträglich) als wertbestimmend einzuordnen sei. Es seien nur die Arten, aufgrund derer das Gebiet ausgewählt worden sei, zum Gegenstand der Verträglichkeitsprüfung zu machen. Art. 4 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 VRL verpflichte nicht dazu, sämtliche Landschaftsräume mit vom Aussterben oder sonst bedrohten Vogelarten unter Schutz zu stellen. Entscheidend sei, ob die in dem betreffenden Gebiet als wertbestimmend eingeordneten und geschützten Vogelarten durch die Erweiterung beeinträchtigt würden. Der Planfeststellungsbeschluss liefere keine hinreichende Begründung dafür, dass der Neuntöter für das faktische Vogelschutzgebiet wertbestimmend sei. Dass dies in Bezug auf die Erweiterungsfläche nicht der Fall sei, ergebe sich schon aus dem Vergleich zwischen deren Fläche von rund 4,5 ha und dem Gesamtgebiet von rund 17.000 ha. Auch aus dem Bericht des Brutvogelmonitorings 2014 ergebe sich nicht, dass es sich bei dem Neuntöter in dem betreffenden Gebiet um eine wertbestimmende Art handele. Der Bericht enthalte lediglich einen Vorschlag, den Neuntöter insoweit noch aufzunehmen. Dies würde eine entsprechende Auswahlentscheidung und Nachmeldung voraussetzen, die nicht stattgefunden habe. Nach den Vollzugshinweisen des NLWKN von 2011 sei der Neuntöter eine in Niedersachsen flächendeckend auftretende Vogelart, werde aber für das Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ nicht als wertbestimmend genannt. Innerhalb der 35 Vogelschutzgebiete rangiere das Sollingvorland für den Neuntöter erst auf Platz 21. Des Weiteren habe berücksichtigt werden müssen, dass sich die 2011 angenommenen Bestandszahlen von 4.000 Revieren in Niedersachsen im Jahr 2014 auf eine Annahme von 6.500 - 13.500 Reviere erhöht hätten. Eine solche Bestandserhöhung ergebe sich auch für den Neuntöterbestand im Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“. Der Beklagte gehe insoweit von einer falschen Datengrundlage aus.

Der veröffentlichte Standarddatenbogen nenne für das Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ nach wie vor nur den Uhu und den Rotmilan als Begründung für die Gebietsmeldung. Soweit weitere Vogelarten wie der Neuntöter schutzbedürftig seien, müsse dies bei einer entsprechenden Schutzgebietsausweisung durch den Landkreis Northeim berücksichtigt werden. Auch die Planfeststellungsbehörde habe bei der Prüfung der natur- und artenschutzrechtlichen Vorgaben solche nicht wertbestimmenden Vogelarten zu berücksichtigen. Sie nähmen aber an der ausnahmslosen Schutzwirkung des faktischen Vogelschutzgebiets nicht teil. Die Behauptung, es gebe über die bestehenden noch weitere zur Schließung eines umfassenden Netzes erforderliche faktische Vogelschutzgebiete, bedürfe einer besonderen Darlegung. Die EU-Kommission habe ein Vertragsverletzungsverfahren wegen vermeintlich unzureichender Gebietsmeldungen in Niedersachsen eingestellt, was darauf schließen lasse, dass die Gebietsmeldungen nicht zu beanstanden seien. Im Stadium eines abgeschlossenen mitgliedstaatlichen Auswahl- und Meldeverfahrens greife die Vermutung, dass ein Vogelschutzgebiet außerhalb der Gebietsmeldung nicht existiere. Dies könne nur durch den Nachweis sachwidriger Erwägungen bei der Gebietsabgrenzung widerlegt werden. Auch wenn unterstellt würde, dass der heutige Bestand im Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ von mindestens 223 Exemplaren des Neuntöters bereits bei der Gebietsmeldung 2007 vorhanden gewesen sein sollte, bedeute dies nicht, dass die damalige Meldung ohne den Neuntöter als wertbestimmende Art rechtswidrig gewesen sei. § 32 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG sehe für die Meldung ein formalisiertes Verfahren vor, das nicht durch spätere Erkenntnisse zu einem bestimmten Gebiet wieder in Frage gestellt werden könne. Spätere Bestandserhöhungen seien daher kein Grund für eine Ausdehnung des Schutzstatus.

Es seien zudem die eigentumsrechtlichen Konsequenzen zu beachten. Die nachträgliche Erstreckung des Schutzes des faktischen Vogelschutzgebiets auf die vermeintlich wertbestimmende Art Neuntöter führe dazu, dass sie, die Klägerin, ihre Grundstücke nicht mehr bestimmungsgemäß nutzen könne, so dass sich deren Kauf als Fehlinvestition erweise. Es reiche insoweit nicht aus, dass der NLWKN in einer unmittelbar vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses neu erstellten Liste den Neuntöter nachträglich als wertbestimmende Art für das Vogelschutzgebiet eingetragen habe. Insoweit müsse auch zum Schutz des Grundeigentums differenziert gehandelt werden.

Die Gebietsabgrenzung mit Blick auf den Neuntöter könne sich allenfalls auf bestimmte Teile des Vogelschutzgebiets erstrecken. Die vorgesehene Erweiterungsfläche der Deponie falle für den Neuntöter nicht erheblich ins Gewicht. So seien im Monitoringbericht von 2014 keine Reviere des Neuntöters in diesem Erweiterungsbereich kartiert worden. Auch das Sachverständigenbüro F. sei im Juni 2017 aufgrund einer Erfassung des Neuntöters zu dem Schluss gelangt, dass keine Hinweise auf eine Betroffenheit der Brutplätze des Neuntöters im Vorfeld der Deponie vorlägen. Möglich sei nur die Jagd einzelner Tiere in diesem Bereich.

Durch die vorgesehene Deponieerweiterung ergebe sich jedenfalls keine erhebliche Beeinträchtigung oder Störung des Vogelschutzgebiets. Die entgegengesetzte Auffassung des Beklagten, es sei nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht belegt, dass eine erhebliche Beeinträchtigung oder Störung nicht ausgeschlossen werden könne, sei unzutreffend. Um erhebliche Beeinträchtigungen im Sinne des § 34 Abs. 1 BNatSchG zu verneinen, müsse ein günstiger Erhaltungszustand trotz Durchführung des Verfahrens stabil bleiben, jedenfalls dürfe keine Verschlechterung eintreten. Erheblich seien Beeinträchtigungen, die sich nicht nur unwesentlich auf die Funktionen des Vogelschutzgebiets auswirkten. Hier seien Störungen wie Stressfaktoren für den Neuntöter auszuschließen. Nach den Antragsunterlagen seien innerhalb des Erweiterungsbereichs der Deponie ein bis zwei Reviere des Neuntöters betroffen. Hierdurch werde aber die Erheblichkeitsschwelle nicht überschritten. Schon während des bisherigen 25-jährigen Betriebes hätten sich Neuntöter Jahr für Jahr direkt an der Grenze der Entsorgungsanlage angesiedelt. Im direkten nördlichen Umfeld der Erweiterungsfläche seien auch bei Nachkartierungen im Jahr 2017 keine Neuntöter festgestellt worden. Das 2014 festgestellte Revier sei großräumig abgegrenzt worden, wobei der Nestbereich eher im mit dichteren Gehölzen bewachsenen Grenzbereich des Vogelschutzgebiets zu erwarten sei. Das zweite Revier sei nur einmal im Jahr 2012 besetzt gewesen. Hier werde nur eine geringe Eignung für den Neuntöter angenommen, weil die Gehölze mittlerweile zu alt und zu hoch geworden seien. Letztlich seien geringfügige Lebensraumverlagerungen bei den beiden Revieren im Umfeld der Entsorgungsanlage E. möglich, ohne dass eine Verringerung der Revieranzahl zu erwarten sei.

Darüber hinaus seien Bagatellgrenzen eines Flächenverlustes zu berücksichtigen. Der Umfang tolerabler Flächenverluste richte sich danach, welche Anteile einer für eine Teilpopulation bzw. eindeutig für eine Fortpflanzungseinheit benötigten Fläche unter Berücksichtigung von deren funktionaler Bedeutung verloren gehen könnten, ohne dass dies als kritisch eingestuft werden müsse. In diesem Sinne handele es sich bei der nur zum Teil im faktischen Vogelschutzgebiet liegenden Erweiterungsfläche um einen tolerablen Flächenverlust. Der Anteil der im Vogelschutzgebiet liegenden Teilfläche von 4,5 ha sei angesichts der Gesamtfläche von rund 17.000 ha verschwindend gering. Schon deshalb könne eine erhebliche Beeinträchtigung des Neuntöters ausgeschlossen werden. Das Kriterium in Art. 1 i Satz 2 2. Spiegelstrich der FFH-Richtlinie, dass das natürliche Verbreitungsgebiet der betreffenden Art weder abnehme noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen werde, bedeute nicht, dass jede Flächenbeeinträchtigung notwendig mit einer Abnahme des Verbreitungsgebiets gleichzusetzen sei. Der gute Populationszustand der Art führe dazu, dass Beeinträchtigungen am Rande des Vogelschutzgebiets keinen negativen Einfluss auf den günstigen Erhaltungszustand haben werden. Bei der Erweiterungsfläche handele es sich zudem zum großen Teil um intensiv genutztes und insektenarmes und aufgrund der fetten Ausprägung der Vegetation als Nahrungshabitat für den Neuntöter wenig geeignetes Grünland.

Die Teilversagung der Planfeststellung sei schließlich auch deshalb rechtswidrig, weil sie, die Klägerin, zur Vermeidung einer Beeinträchtigung des günstigen Erhaltungszustands des Neuntöters Schutzmaßnahmen vorgesehen habe. Die Entsorgungsanlage selbst solle im Rahmen einer Rekultivierung mit einem Wechsel aus Gehölzen und offenen Flächen ausgestaltet werden, so dass nach Betriebsende weitere nutzbare Habitate entstünden. Außerhalb der Entsorgungsanlage würden mageres Grünland und neue Gehölzgruppen geschaffen sowie alte Gehölzgruppen gepflegt. All diese Maßnahmen führten dazu, dass sich Beeinträchtigungen des Neuntöters unterhalb der Erheblichkeitsschwelle bewegten.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihr Vorbringen dahingehend ergänzt, dass insbesondere der südliche Deponiebereich der vorhandenen Deponie als Brutrevier für den Neuntöter geeignet sei. Die Erweiterung der Deponie werde das Vorkommen nicht beeinträchtigen. Soweit ein Brutplatz am östlichen Rand der Deponie verloren gehe, sei dies bereits durch den genehmigten Betrieb bedingt, wobei es insoweit Ausweichmöglichkeiten gebe. Es verwundere nicht, dass auf den vorgesehenen Erweiterungsflächen zuletzt keine Brutplätze des Neuntöters erfasst worden seien, denn die Grünlandfläche sei so entwertet worden, dass sie als Nahrungsfläche für den Neuntöter uninteressant sei.

Die Klägerin beantragt,

den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 08. August 2017 aufzuheben, soweit der Planfeststellungsantrag der Klägerin vom 31. Oktober 2014 für die Erweiterung ihrer bestehenden Entsorgungsanlage E. hinsichtlich des im EU-Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ DE 4022-431 (V 68) liegenden Teils des Flurstücks G., Flur H. der Gemarkung E. abgelehnt worden ist,

sowie den Beklagten zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts insoweit erneut über den Planfeststellungsantrag zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er erwidert:

Der Neuntöter sei als wertbestimmende Art für das Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ zu berücksichtigen und er werde - anders als die wertbestimmenden Arten Rotmilan und Uhu - durch das Vorhaben erheblich beeinträchtigt.

Der Standarddatenbogen mit dem Stand Juni 2007 weise in dem betreffenden Vogelschutzgebiet mindestens vier Brutpaare des Neuntöters auf. Nach den Erfassungen von 2010 bis 2014 seien dort nach Auskunft des NLWKN aber 223 Brutpaare dokumentiert worden. Dieser hohe Bestand sei als stetig anzusehen, so dass davon auszugehen sei, dass er bereits zum Zeitpunkt der Auswahl des Vogelschutzgebiets bestanden habe. Das Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ liege damit auf dem dritten Platz der für den Neuntöter bedeutsamen niedersächsischen Gebiete. Der derzeitige wissenschaftliche Irrtum bezüglich der Bestandszahlen sei nachträglich korrigiert worden. Es habe sich damit bereits damals um eines der bestgeeigneten Gebiete für den Neuntöter gehandelt, so dass dieser schon bei Meldung an die EU-Kommission als wertgebende Art anzusehen gewesen sei. Daher sei eine entsprechende Ergänzung der für das Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ wertbestimmenden Arten vorgenommen worden. Die Bestimmung des Neuntöters zur wertbestimmenden Art erfordere nicht per se eine neue landesweite Auswahlentscheidung, Gebietsabgrenzung und Nachmeldung. Dies sei nur bei einer Nachmeldung von FFH- oder Vogelschutzgebieten erforderlich. Darum gehe es hier aber nicht. Das Vogelschutzgebiet sei mit einer Abgrenzung gemeldet worden, die die bestehende Deponie räumlich umschließe und damit ausnehme. Es sei hier über das Inventar zu befinden, das bei dem nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL zu wahrenden Beeinträchtigungs- und Störungsverbot zu betrachten sei. Dieses Inventar sei naturgemäß nicht statisch. Hier sei der Neuntöter bereits bei der Meldung des Vogelschutzgebiets als signifikante Art im Standarddatenbogen benannt worden. Der Standarddatenbogen sei nicht statischer, sondern dynamischer Natur. Neuere Erkenntnisse hätten sich erst durch das Monitoring der Jahre 2010 bis 2014 ergeben. Dass weitaus mehr Brutpaare des Neuntöters vorkämen als bisher angenommen, sei seit der schriftlichen Stellungnahme des NLWKN vom 19. August 2015 bekannt. Angesichts von 223 gezählten Neuntöter-Paaren sei die Betroffenheit dieser Vogelart von großer Relevanz.

Die Auffassung der Klägerin, dass es mit Blick auf verschiedene wertgebende Arten eines EU-Vogelschutzgebiets unterschiedliche Grenzen geben müsse, sei falsch. Die Außengrenzen würden so gesetzt, dass der Bestand einer wertgebenden Art einbezogen und nicht aufgrund sachfremder Erwägungen durchschnitten werde. Ob im Randbereich des Vogelschutzgebiets dann auch andere wertgebende Arten vorkämen, sei unerheblich. Es sei dann zu prüfen, ob und inwieweit die jeweilige wertgebende Art durch ein Vorhaben beeinträchtigt werden könne.

Entgegen der Annahme der Klägerin liege eine erhebliche Beeinträchtigung des Neuntöters vor. Es handele sich hier um ein faktisches Vogelschutzgebiet, d. h. ein Gebiet, das zwar der EU-Kommission gemeldet, aber bisher nicht EU-konform als Schutzgebiet ausgewiesen worden sei. Das Gebiet unterliege daher dem vorläufigen Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL. Danach sei der Mitgliedstaat bzw. das Bundesland dauerhaft verpflichtet, die Lebensräume der geschützten Populationen zu erhalten, Störungen der wildlebenden Vogelarten zu vermeiden bzw. zu unterlassen und Schutzmaßnahmen zu treffen. Diese Maßstäbe gälten auch für die Realisierung geplanter Projekte. Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL erfülle auch die Funktion eines Zulassungstatbestands, wie er in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie bzw. § 34 BNatSchG vollständig ausgebildet sei. Dabei sei die Erheblichkeitsschwelle für Vorhaben in faktischen Vogelschutzgebieten deutlich abgesenkt. Ausnahmen von dem Beeinträchtigungs- und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL seien nur unter engsten Voraussetzungen zulässig, etwa zum Schutz überragender Gemeinwohlbelange wie dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen oder der öffentlichen Sicherheit, nicht aber aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten.

Soweit die Klägerin anführe, dass für den Neuntöter vorgezogene Kompensationsmaßnahmen im Rahmen von sog. CEF-Maßnahmen durchgeführt würden, könne dies nicht als Argument dienen, um im Rückschluss mit Verweis auf diese Maßnahmen eine Störung ausschließen zu wollen. Letztlich sei mit der beantragten Erweiterung der Deponie eine erhebliche Beeinträchtigung des Neuntöters verbunden. Im Zuge des Planfeststellungsverfahrens seien der Status des Gebiets selbst wie auch die Lage der Erweiterungsfläche und die Populationsdichte und Artrelevanz des Neuntöters zu klären gewesen. Die seinerzeit prinzipiell gutgeheißenen vorgezogenen artenschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen kämen aufgrund der neueren Erkenntnisse für die Bewertung der Wahrung des Beeinträchtigungs- und Störungsverbots nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL nicht mehr in Betracht. Die Neuntöter am Rande der Altdeponie und in den Gehölzstrukturen des geplanten Erweiterungsbereichs würden durch Lärm- und Staubimmissionen sowie Verdrängung durch Überschüttung bzw. Anschüttung von Teillebensräumen nachhaltig beeinträchtigt. Ferner sei zu berücksichtigen, dass ein seit 2014 nicht mehr bestehendes Revier zwischenzeitlich wiederbesetzt werden könne. Auch seien die durch das Erweiterungsvorhaben beanspruchten Grünlandflächen nicht als für den Neuntöter ungünstiges Nahrungshabitat zu bewerten, denn es handele sich um sog. mesophiles Grünland, das als relevantes Nahrungsbiotop des Neuntöters anzusprechen sei.

In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte - anhand von Bildaufnahmen über den Zustand der Erweiterungsfläche - ergänzend ausgeführt, dass die geplante Erweiterungsfläche der Deponie eine für den Neuntöter geeignete Struktur aus Buschwerk und Grünland aufweise. Trotz landwirtschaftlicher Nutzung sei die Grünlandfläche für die Jagd des Neuntöters relevant, auch wenn dies im Vergleich zu anderen Grünlandflächen einzuschränken sei. Das Deponievorhaben führe zu einem nicht hinnehmbaren Flächenverlust für das Vogelschutzgebiet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die Klage ist zulässig.

1.

Das Oberverwaltungsgericht ist gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 5 VwGO in erster Instanz für den Rechtsstreit zuständig. Die Zuständigkeit ist danach gegeben, wenn die Streitigkeit Verfahren für die Errichtung, den Betrieb und die wesentliche Änderung von ortsfesten Anlagen betrifft, in denen ganz oder teilweise Abfälle im Sinne des § 48 KrWG gelagert oder abgelagert werden. Auf der beantragten Erweiterung der Deponie sollen unter anderem Abfälle mit den Abfallschlüsseln gemäß der Anlage zu § 2 Abs. 1 Abfallverzeichnis-Verordnung (AVV) 10 01 14* (Rost- und Kesselasche, Schlacken und Kesselstaub aus der Abfallmitverbrennung, die gefährliche Stoffe enthalten) sowie 10 01 16* (Filterstäube aus der Abfallmitverbrennung, die gefährliche Stoffe enthalten) deponiert werden. Hierbei handelt es sich um gefährliche Abfälle im Sinne des § 48 KrWG.

2.

Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss ist, soweit der Antrag auf Planfeststellung abgelehnt worden ist, ein die Klägerin belastender Verwaltungsakt, gegen den gemäß § 42 Abs. 2 VwGO die Verpflichtungsklage - hier in Form der Versagungsgegenklage - zulässig ist. Die Klägerin kann geltend machen, durch die teilweise Ablehnung des beantragten Verwaltungsakts in ihren Rechten verletzt zu sein (vgl. Frenz in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Auflage 2016, § 32 Rn. 32).

II.

Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

Der Planfeststellungsbeschluss vom 08. August 2017, mit dem der Antrag der Klägerin auf Erweiterung der Deponie hinsichtlich des im EU-Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ DE4022-431 (V 68) liegenden Teils des Flurstückes G. der Flur H. in der Gemarkung E. abgelehnt wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses kommt es maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seines Erlasses an (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.05.2005 - 9 B 41.04 -, juris, m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 23.04.1997 - 11 A 7.97 -, juris), d. h. hier auf die Rechtslage am 08. August 2017. Der Zeitpunkt des Ergehens der Planungsentscheidung ist für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit regelmäßig auch dann maßgeblich, wenn es sich - wie hier - um eine negative Entscheidung handelt, d. h. der begehrte Planfeststellungsbeschluss abgelehnt wird (vgl. Urteil des Senats vom 31.01.2017 - 7 KS 97/16 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.2011 - 5 S 2436/10 -, juris). Seinen Grund hat dies darin, dass Kern der - positiven oder negativen - Planungsentscheidung die fachplanerische Abwägung durch die Planfeststellungsbehörde ist. Das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Abwägungsgebot richtet sich - allein - an die verantwortlich entscheidende Planfeststellungsbehörde. Ihr obliegt es, den Ausgleich zwischen den widerstreitenden Belangen vorzunehmen. Die gerichtliche Überprüfung kann sich dementsprechend ausschließlich darauf beziehen, ob im Zeitpunkt des Ergehens der Entscheidung dem Abwägungsgebot genüge getan wurde, d. h. keine Abwägungsfehler zu erkennen sind. Wesentliche Ergänzungen der planerischen Erwägungen sind im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässig. Es ist nicht die Aufgabe der Verwaltungsgerichte, durch eigene Ermittlungen ersatzweise zu planen (vgl. Urteil des Senats vom 31.01.2017 - 7 KS 97/16 -, juris, m. w. N.).

Dies vorausgeschickt, erweist sich die teilweise Ablehnung der beantragten Erweiterung der Deponie E. als rechtmäßig. Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines - positiven - Planfeststellungsbeschlusses nicht erfüllt sind.

Rechtsgrundlage für den begehrten Planfeststellungsbeschluss ist § 35 Abs. 2 Satz 1 KrWG. Danach bedürfen die Errichtung und der Betrieb von Deponien sowie die wesentliche Änderung einer solchen Anlage oder ihres Betriebes der Planfeststellung durch die zuständige Behörde. Vorliegend handelt es sich um die wesentliche Änderung einer Deponie. Diese ist unter anderem gegeben, wenn die Anlage durch zusätzliche Einrichtungen erweitert wird, bei der eine Beeinträchtigung der Zulassungsvoraussetzungen nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. Mann in: Versteyl/Mann/Schomerus, KrWG, 4. Auflage 2019, § 35 Rn. 20 f.). Maßgeblich ist, ob eine rechtserhebliche Beeinträchtigung der im Planfeststellungsverfahren zu berücksichtigenden Schutzgüter zu erwarten ist. Eine Änderung ist auch immer dann wesentlich, wenn hierfür eine UVP-Pflicht gegeben ist (vgl. Fellenberg/Schiller in: Jarass/Petersen, KrWG, § 35 Rn. 90). Hier besteht schon angesichts der Größe der beantragten Erweiterung von über 7 ha gegenüber der bisherigen Deponiefläche von ca. 10 ha im Hinblick auf die Wesentlichkeit der Änderung kein Zweifel.

Gemäß § 36 Abs. 1 KrWG darf der Planfeststellungsbeschluss nach § 35 Abs. 2 nur erlassen werden, wenn 1. sichergestellt ist, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird, insbesondere a) keine Gefahren für die in § 15 Abs. 2 Satz 2 genannten Schutzgüter hervorgerufen werden können, b) Vorsorge gegen die Beeinträchtigungen der in § 15 Abs. 2 Satz 2 genannten Schutzgüter in erster Linie durch bauliche, betriebliche oder organisatorische Maßnahmen entsprechend dem Stand der Technik getroffen wird und c) Energie sparsam und effizient verwendet wird, 2. keine Tatsachen bekannt sind, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Betreibers oder der für die Errichtung, Leitung oder Beauftragung des Betriebes oder für die Nachsorge der Deponie verantwortlichen Personen ergeben, 3. diese Personen im Sinne der Nr. 2 und das sonstige Personal über die für ihre Tätigkeit erforderliche Fach- und Sachkunde verfügen, 4. keine nachteiligen Wirkungen auf das Recht eines anderen zu erwarten sind und 5. die für verbindlich erklärten Feststellungen eines Abfallwirtschaftsplans dem Vorhaben nicht entgegenstehen. Eine Beeinträchtigung im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 2 KrWG liegt insbesondere dann vor, wenn 1. die Gesundheit der Menschen beeinträchtigt wird, 2. Tiere oder Pflanzen gefährdet werden, 3. Gewässer oder Böden schädlich beeinflusst werden, 4. schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen oder Lärm herbeigeführt werden, 5. die Ziele oder Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung nicht beachtet oder die Belange des Naturschutzes, der Landschaftspflege sowie des Städtebaus nicht berücksichtigt werden oder 6. die öffentliche Sicherheit oder Ordnung in sonstiger Weise gefährdet oder gestört wird.

Vorliegend ist nicht im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 1 a) KrWG sichergestellt, dass durch die beantragte Erweiterung der Deponie E. keine Gefahren für die in § 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 (Belange der Tiere) und Nr. 5 (Belange des Naturschutzes) KrWG genannten Schutzgüter hervorgerufen werden. Der von der Klägerin begehrte Planfeststellungsbeschluss wäre mit Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL unvereinbar. Die Vogelschutzrichtlinie setzt der abfallrechtlichen Fachplanung rechtliche Schranken, die im Wege der fachplanerischen Abwägung nicht überwunden werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.06.2006 - 9 A 28.05 -, juris; BVerwG, Urteil vom 14.11.2002 - 4 A 15.02 -, juris).

Die Vogelschutzrichtlinie bezweckt den Schutz, die Pflege und Wiederherstellung einer ausreichenden Vielfalt und einer ausreichenden Flächengröße (Lebensräume) für die Erhaltung aller im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten wild lebenden Vogelarten (Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 VRL). Für die in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Arten sind nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 VRL besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um ihr Überleben und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen. Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL erklären die Mitgliedstaaten insbesondere die für die Erhaltung der im Anhang I aufgeführten Vogelarten „zahlen- und flächenmäßig geeignetsten“ Gebiete zu Schutzgebieten, wobei die Erfordernisse des Schutzes dieser Arten in dem geografischen Meeres- und Landgebiet, in dem die Richtlinie Anwendung findet, zu berücksichtigen sind. Gemäß Art. 4 Abs. 2 VRL haben die Mitgliedstaaten entsprechende Maßnahmen für die in Anhang I der Richtlinie aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren Wanderungsgebieten zu treffen. Nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL treffen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzungen dieses Artikels erheblich auswirken, in den genannten Schutzgebieten zu vermeiden. Nur überragende Gemeinwohlbelange wie etwa der Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen oder der Schutz der öffentlichen Sicherheit sind geeignet, das Beeinträchtigungs- und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL zu überwinden (vgl. EuGH, Urteil vom 28.02.1991 - C-57/89 -, juris; BVerwG, Urteil vom 27.03.2014 - 4 CN 3.13 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 26.03.2003 - 4 VR 6.02, 4 A 11.02 -, juris; BVerwG, Urteil vom 14.11.2002 - 4 A
15.02 -, juris; BVerwG, Urteil vom 19.05.1998 - 4 C 11.96 -, juris).

Hinsichtlich der nach Art. 4 Abs. 1 VRL zu besonderen Schutzgebieten erklärten Gebiete bestimmt Art. 7 der FFH-Richtlinie, dass ab dem Datum der Schutzgebietsausweisung an die Stelle der Pflichten, die sich aus Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL ergeben, die Verpflichtungen nach Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-Richtlinie treten. Auf ausgewiesene Vogelschutzgebiete ist deshalb das System habitatschutzrechtlicher Prüf- und Verfahrensschritte anzuwenden, das der Bundesgesetzgeber in Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-Richtlinie in § 34 BNatSchG normiert hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.01.2016 - 4 A 5.14 -, juris, m. w. N.). In Gebieten, die der Mitgliedstaat nicht nach Art. 4 Abs. 1 VRL zum Vogelschutzgebiet erklärt hat, die jedoch die besonderen Anforderungen an ein Schutzgebiet im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL erfüllen, erlangt das Beeinträchtigungs- und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL unmittelbar Anwendung. Andernfalls könnten die Schutzziele nicht erreicht werden. Kommt ein Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur Ausweisung von Vogelschutzgebieten nicht nach, erfahren solche Gebiete daher als sog. faktische Vogelschutzgebiete bis zu ihrer ordnungsgemäßen Unterschutzstellung den strengen Schutz des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL und unterliegen nicht dem milderen Rechtsregime des Art. 6 Abs. 2 bis 4 der FFH-Richtlinie (vgl. EuGH, Urteil vom 07.12.2000 - C-374/98 -, juris; EuGH, Urteil vom 18.03.1999 - C-166/97 -, juris; EuGH, Urteil vom 02.08.1993 - C-355/90 -, juris; BVerwG, Urteil vom 27.03.2014 - 4 CN 3.13 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 13.03.2008 - 9 VR 9.07 -, juris; BVerwG, Urteil vom 21.06.2006 - 9 A 28.05 -, juris; BVerwG, Urteil vom 15.01.2004 - 4 A 11.02 -, juris; BVerwG, Urteil vom 14.11.2002 - 4 A 15.02 -, juris; BVerwG, Urteil vom 31.01.2002 - 4 A 15.01 -, juris; BVerwG, Urteil vom 19.05.1998 - 4 C 11.96 -, juris; BVerwG, Urteil vom 19.05.1998 - 4 A 9.97 -, juris). Das strenge Schutzregemine des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass bis zu einem Regimewechsel nach Art. 7 FFH-Richtlinie das Spektrum der Gründe, die eine Einschränkung des Vogelschutzes zugunsten eines Infrastrukturvorhabens rechtfertigen können, sehr eingeschränkt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.03.2008 - 9 VR 9.07 -, juris).

Die Anforderungen an die Zulässigkeit eines Vorhabens, das sich auf ein dem Schutz der Vogelschutzrichtlinie unterfallendes Gebiet auswirken kann, hängen damit davon ab, ob das Schutzgebiet gemäß § 32 Abs. 2 BNatSchG zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft im Sinne des § 20 Abs. 2 BNatSchG erklärt worden ist. Mit der Schutzgebietserklärung geht das Gebiet nach Art. 7 FFH-Richtlinie in das Schutzregime dieser Richtlinie über. Ohne wirksame Schutzgebietsausweisung verbleibt es bei dem strengeren Schutzregime der Vogelschutzrichtlinie. Die erforderliche Prüfung einer Beeinträchtigung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL und die Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 und 2 BNatSchG/Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie erfolgen hingegen nach gleichgerichteten Maßstäben; es geht jeweils um den Ausschluss von - im Hinblick auf die jeweiligen Schutzzwecke und Erhaltungsziele - erheblichen Gebietsbeeinträchtigungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.04.2017 - 4 A 16.16 -, juris).

Vorliegend besitzt die von der Klägerin für die Deponieerweiterung vorgesehene - und hier streitbefangene - Fläche des Flurstücks G. der Flur H. der Gemarkung E. zur Größe von ca. 4,5 ha die Qualität eines sog. faktischen Vogelschutzgebiets mit der Folge, dass das strenge Schutzregime der Vogelschutzrichtlinie anzuwenden ist (dazu unter 1.). Der Neuntöter ist als wertbestimmende Art dieses faktischen Vogelschutzgebiets zu berücksichtigen (dazu unter 2.). Der von der Klägerin begehrte Planfeststellungsbeschluss würde gegen das Beeinträchtigungs- und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL verstoßen; es käme zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Neuntöters (dazu unter 3.).

1.

Die von der Klägerin für die Deponieerweiterung vorgesehene Fläche zur Größe von 4,5 ha besitzt die Qualität eines sog. faktischen Vogelschutzgebiets mit der Folge, dass das strenge Schutzregime der Vogelschutzrichtlinie anzuwenden ist. Die Fläche erfüllt die besonderen Anforderungen an ein Schutzgebiet im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL (dazu unter a)), ist jedoch bislang mitgliedstaatlich nicht zu einem besonderen Schutzgebiet erklärt worden (dazu unter b)).

a)

Die in Art. 4 Abs. 1 VRL geregelten Voraussetzungen, unter denen die Mitgliedstaaten zur Ausweisung von Vogelschutzgebieten verpflichtet sind, sind hier erfüllt. Die für die Deponieerweiterung vorgesehene Fläche erfüllt die besonderen Anforderungen an ein Schutzgebiet.

Art. 4 Abs. 1 VRL eröffnet den Mitgliedsstaaten einen fachlichen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage, welche Gebiete nach ornithologischen Kriterien für die Erhaltung der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Vogelarten zahlen- und flächenmäßig am geeignetsten sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.11.2016 - 9 A 18.15 -, juris). Es müssen nicht sämtliche Landschaftsräume unter Schutz gestellt werden, in denen vom Aussterben oder sonst bedrohte Vogelarten vorkommen. Vielmehr haben die Mitgliedstaaten die Gebiete auszuwählen, die im Verhältnis zu anderen Landschaftsteilen am besten die Gewähr für die Verwirklichung der Richtlinienziele bieten. Die Richtung gibt insbesondere Art. 4 Abs. 1 Satz 1 VRL vor. Schutzmaßnahmen sind danach zu ergreifen, soweit sie erforderlich sind, um das Überleben und die Vermehrung der im Anhang I aufgeführten Vogelarten und der in Art. 4 Abs. 2 VRL angesprochenen Zugvogelarten sicherzustellen. Maßgeblich sind insoweit ausschließlich ornithologische Kriterien wie Seltenheit, Empfindlichkeit und Gefährdung einer Vogelart, Populationsdichte und Artendiversität eines Gebiets, sein Entwicklungspotenzial und seine Netzverknüpfung sowie die Erhaltungsperspektiven der bedrohten Arten. Je bedrohter, seltener oder empfindlicher die Arten sind, desto größere Bedeutung ist dem Gebiet beizumessen, das die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physikalischen und biologischen Elemente aufweist. Eine Abwägung mit anderen Belangen findet nicht statt (vgl. EuGH, Urteil vom 19.05.1998 - C-3/96 -, juris; EuGH, Urteil vom 11.07.1996 - C-44/95 -, juris; EuGH, Urteil vom 02.08.1993 - C-355/90 -, juris; BVerwG, Urteil vom 09.02.2017 - 7 A 2.15 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 12.06.2003 - 4 B 37.03 -, juris; BVerwG, Urteil vom 14.11.2002 - 4 A 15.02 -, juris; BVerwG, Urteil vom 31.01.2002 - 4 A 15.01 -, juris). Faktische Vogelschutzgebiete umfassen daher Lebensräume und Habitate, die für sich betrachtet in signifikanter Weise zur Arterhaltung in dem betreffenden Mitgliedstaat beitragen und damit zum Kreis der im Sinne des Art. 4 VRL geeignetsten Gebiete gehören (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.03.2014 - 4 CN 3.13 -, juris; BVerwG, Urteil vom 21.06.2006 - 9 A 28.05 -, juris; BVerwG, Urteil vom 22.01.2004 - 4 A 32.02 -, juris).

Der Umstand, dass ein Land die Auswahl seiner Natura 2000-Gebiete abgeschlossen hat, steht der rechtlichen Existenz faktischer Vogelschutzgebiete grundsätzlich nicht entgegen. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, alle Landschaftsräume zu besonderen Schutzgebieten zu erklären, die für die Erhaltung der betreffenden Vogelarten am geeignetsten erscheinen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.03.2014 - 4 CN 3.13 -, juris; BVerwG, Urteil vom 14.11.2002 - 4 A 15.02 -, juris). Mit dem Fortschreiten des mitgliedstaatlichen Auswahl- und Meldeverfahrens steigen jedoch die prozessualen Darlegungsanforderungen für die Behauptung, es gebe ein (nicht erklärtes) faktisches Vogelschutzgebiet, das eine Lücke im Netz schließen soll. Entsprechendes gilt auch für die zutreffende Gebietsabgrenzung. Die gerichtliche Anerkennung eines faktischen Vogelschutzgebiets kommt im Falle eines abgeschlossenen Gebietsauswahl- und -meldeverfahrens deshalb nur in Betracht, wenn der Nachweis geführt werden kann, dass die Nichteinbeziehung bestimmter Gebiete in ein gemeldetes Vogelschutzgebiet auf sachwidrigen Erwägungen beruht. Das gilt selbst dann, wenn die betreffenden Gebiete im sogenannten IBA-Verzeichnis (Important Bird Areas) aufgeführt sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.11.2016 - 9 A 18.15 -, juris; BVerwG, Urteil vom 27.03.2014 - 4 CN 3.13 -, juris).

Vorliegend ist das mitgliedstaatliche Auswahl- und Meldeverfahrens abgeschlossen. Die von der Klägerin für die Deponieerweiterung vorgesehene Fläche des Flurstückes G. der Flur H. in der Gemarkung E. liegt mit einem Anteil von rund 4,5 ha im EU-Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ DE4022-431 (V 68). Das Vogelschutzgebiet wurde der EU-Kommission im Jahr 2007 auf dem dafür vorgesehenen Standarddatenbogen gemeldet. Aus der Meldung dieser Fläche als Vogelschutzgebiet an die EU-Kommission folgt, dass das meldende Land Niedersachsen unter Beachtung seines fachlichen Beurteilungsspielraums das Gebiet nach ornithologischen Kriterien für die Erhaltung der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Vogelarten zahlen- und flächenmäßig am geeignetsten angesehen hat. Vor dem Hintergrund der erfolgten Meldung dieses Gebiets an die EU-Kommission hat die Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt, dass die Fläche die besonderen Anforderungen an ein Schutzgebiet im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL erfüllt. Mit dem Abschluss des mitgliedstaatlichen Auswahl- und Meldeverfahrens spricht nicht nur eine Vermutung dafür, dass ein faktisches Vogelschutzgebiet außerhalb des gemeldeten Vogelschutzgebietes nicht existiert, sondern im Umkehrschluss auch eine Vermutung dafür, dass eine Fläche, die der EU-Kommission gemeldet wurde, auch als solches anzusehen ist.

b)

Die von der Klägerin für die Deponieerweiterung vorgesehene Fläche zur Größe von 4,5 ha ist mitgliedstaatlich bislang noch nicht zu einem besonderen Schutzgebiet erklärt worden. Sie ist demgemäß nicht Teil eines Europäischen Vogelschutzgebiets im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 7 BNatschG.

Die „Erklärung" zum besonderen Schutzgebiet im Sinne von Art. 7 FFH-Richtlinie erfordert einen „förmlichen Akt" (vgl. EuGH, Urteil vom 07.12.2000 - C-374/98 -, juris). Der Mitgliedstaat muss das besondere Schutzgebiet „vollständig und endgültig" ausweisen und es Dritten gegenüber rechtswirksam abgrenzen. Die Erklärung muss „automatisch und unmittelbar" die Anwendung einer mit dem Unionsrecht in Einklang stehenden Schutz- und Erhaltungsregelung nach sich ziehen (vgl. EuGH, Urteil vom 06.03.2003 - C-240/00 -, juris; EuGH, Urteil vom 27.02.2003 - C-415/01 -, juris; BVerwG, Urteil vom 01.04.2004 - 4 C 2.03 -, juris). Das Gebiet muss mit einem rechtlichen Schutzstatus ausgestattet werden, der geeignet ist, u. a. das Überleben und die Vermehrung der Vogelarten zu sichern und im Sinne des Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und Habitate der Vogelarten sowie erhebliche Störungen derselben zu vermeiden. Dazu ist jedenfalls erforderlich, dass die Erhaltungsziele bezogen auf das jeweilige Gebiet verbindlich festgelegt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 14.10.2010 - C-535/07 -, juris; BVerwG, Urteil vom 08.01.2014 - 9 A 4.13 -, juris). Für den Wechsel des Schutzregimes von der Vogelschutzrichtlinie zur FFH-Richtlinie reicht es weiter aus, dass das Vogelschutzgebiet räumlich bestimmt ist und der Schutzzweck benannt wird. Ob eine Schutzgebietsausweisung die materiell-rechtlichen Anforderungen nach Art. 4 Abs. 1 und 2 VRL oder nach Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie an die zu treffenden Schutzmaßnahmen erfüllt, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.06.2015 - 4 B 59.14 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 14.04.2011 - 4 B 77.09 -, juris). Die für einen Regimewechsel notwendige Schutzerklärung erfolgt nach nationalem Recht regelmäßig in Form einer Verordnung, die den Schutzzweck entsprechend den Erhaltungszielen bestimmt, die Gebietsbegrenzung festlegt und durch geeignete Ge- und Verbote sowie Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen die Einhaltung des Art. 6 FFH-Richtlinie sicherstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.01.2014 - 9 A 4.13 -, juris).

Das Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ wurde in der Vergangenheit zwar zu einem großen Teil durch Schutzgebietserklärungen im Sinne des § 32 Abs. 2 BNatSchG hoheitlich gesichert, namentlich durch die Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet „Sollingvorland-Wesertal“ im Landkreis Holzminden vom 20. April 2015. Dabei handelt es sich um eine Erklärung zum besonderen Schutzgebiet im Sinne von Art. 7 FFH-Richtlinie. Allerdings hat der 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts die Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet „Sollingvorland-Wesertal“ im Landkreis Holzminden vom 20. April 2015 durch Urteil vom 04. Dezember 2018 (Az. 4 KN 77/16, juris) für unwirksam erklärt. Das Urteil ist rechtskräftig. Die Erklärung zum besonderen Schutzgebiet im Sinne von Art. 7 FFH-Richtlinie ist damit nachträglich wieder entfallen.

Unabhängig davon ist der die beantragte Deponieerweiterung betreffende Teil des Vogelschutzgebiets zu keinem Zeitpunkt unter einen entsprechenden nationalen Schutz gestellt worden. Die - mittlerweile für unwirksam erklärte - Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet „Sollingvorland-Wesertal“ im Landkreis Holzminden vom 20. April 2015 erstreckt sich nicht auf die Fläche der beantragten Deponieerweiterung. Die Erweiterungsfläche liegt vielmehr außerhalb des Landkreises Holzminden auf dem Gebiet des Landkreises Northeim. Bei dieser Fläche handelt es sich daher unabhängig von der Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit der Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet „Sollingvorland-Wesertal“ um ein faktisches Vogelschutzgebiet. An der Einstufung als faktisches Vogelschutzgebiet ändert auch nichts, dass der nicht nach nationalem Naturschutzrecht unter Schutz gestellte Anteil des Vogelschutzgebiets „Sollingvorland“ mit weniger als 4 % der Gesamtfläche nur einen geringen Anteil ausmacht. Es besteht insofern keine „Mengenschwelle“. Die unionsrechtliche Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL, die für die Erhaltung der betreffenden Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten zu erklären, muss für das gesamte der EU-Kommission nach § 32 Abs. 1 BNatSchG gemeldete Gebiet gelten. § 32 Abs. 2 BNatSchG enthält die Verpflichtung, die in Art. 4 Abs. 1 und 2 VRL benannten Gebiete entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft im Sinne des § 20 Abs. 2 BNatSchG zu erklären. Dem Mitgliedstaat steht insoweit kein Ermessen zu, bestimmte Teile von der Unterschutzstellung auszunehmen. Ein Ausnahmefall nach § 32 Abs. 4 BNatSchG ist hier nicht gegeben. Danach kann die Unterschutzstellung nach § 32 Abs. 2 und 3 BNatSchG unterbleiben, soweit nach anderen Rechtsvorschriften des BNatSchG und gebietsbezogener Bestimmungen des Landesrechts, nach Verwaltungsvorschriften, durch die Verfügungsbefugnis eines öffentlichen oder gemeinnützigen Trägers oder durch vertragliche Vereinbarungen ein gleichwertiger Schutz gewährleistet ist. Diese Voraussetzungen liegen für die geplante Erweiterungsfläche nicht vor.

2.

Der Neuntöter ist als wertbestimmende Art dieses faktischen Vogelschutzgebiets zu berücksichtigen.

Für welche Arten ein Gebiet ausgewiesen wurde, ergibt sich grundsätzlich aus dem Standarddatenbogen, der der Kommission von dem Mitgliedstaat bei der Meldung übermittelt wird, falls nicht andere Dokumente, z. B. Regelungen über das Schutzgebiet, weitergehende Erhaltungsziele dokumentieren (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 19.04.2007 - C-304/05 -, juris). Der Standarddatenbogen beruht auf dem Durchführungsbeschluss Nr. 2011//484/EU der Kommission vom 11. Juli 2011 über den Datenbogen für die Übermittlung von Informationen zu Natura 2000-Gebieten bzw. auf der zuvor geltenden Entscheidung Nr. 97/266/EG der Kommission vom 18. Dezember 1996 über das Formular für die Übermittlung von Informationen zu den im Rahmen von Natura 2000 vorgeschlagenen Gebieten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Mitgliedstaat jedoch nicht verpflichtet, alle im Standarddatenbogen aufgeführten Vogelarten in die Festlegung der Erhaltungsziele für das entsprechende Gebiet einzubeziehen. Vielmehr kommt es darauf an, inwieweit den Auflistungen im Standarddatenbogen die Erklärung zu entnehmen ist, dass das Gebiet gerade aufgrund bestimmter Vogelarten ausgewählt wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.04.2017 - 4 A 16.16 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 17.07.2008 - 9 B 15.08 -, juris). Die Erhaltungsziele eines Vogelschutzgebietes müssen daher nicht notwendig alle im Gebiet vorkommenden Arten nach Anhang I der VRL umfassen, sondern nur solche, deren Schutz die Ausweisung des Gebietes letztlich gerechtfertigt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.04.2017 - 4 A 16.16 -, juris; BVerwG, Urteil vom 10.11.2016 - 9 A 18.15 -, juris). Dabei kann es sich aber schon mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 VRL nur um die für das Gebiet charakteristischen Vogelarten handeln (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.04.2017 - 4 A 16.16 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 17.07.2008 - 9 B 15.08 -, juris).

Der NLWKN definiert in seiner Aufstellung „Wertbestimmende Vogelarten der EU-Vogelschutzgebiete in Niedersachsen“ mit dem Stand 01. August 2017 (vgl. https://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/downloads_zu_natura_2000/downloads-zu-natura-2000-46104.html#wertArtVS) wertbestimmende Arten wie folgt: „Wertbestimmende Vogelarten sind jene Arten, die für die Identifizierung von EU-Vogelschutzgebieten (EU-VSG) in Niedersachsen von hervorgehobener Bedeutung sind. Bei wertbestimmenden Arten kann es sich sowohl um Arten des Anhanges I gem. Art. 4 Abs. 1 EU-Vogelschutzrichtlinie (VSchRl) als auch um sogenannte „Zugvogelarten“ gem. Art. 4 Abs. 2 VSchRl handeln. Sie verleihen einem bestimmten Gebiet durch ihr Vorkommen einen besonderen, in der landesweiten Gesamtschau herausragenden „Wert“ (z. B. in dem sie das Gebiet zu einem der fünf wichtigsten Brutgebiete für die Art in Niedersachsen machen bzw. ihre Gastvogelbestände hier internationale Bedeutung erreichen). Die darüber hinaus im Standarddatenbogen (SDB) aufgeführten Vogelarten sind ebenfalls maßgebliche avifaunistische Bestandteile eines EU-VSG. Sie sind durch eine besondere Verantwortung Niedersachsens für ihren Schutz oder durch ihre Gefährdungssituation gekennzeichnet. Die EU-VSG sind auch für den Erhalt dieser Arten von hoher Bedeutung. Dies gilt nicht für Arten, deren Population im SDB mit „D“ (nicht signifikant) eingestuft wurde.“

Dies zugrunde gelegt, zählt der Neuntöter zu den wertbestimmenden Arten des EU-Vogelschutzgebiets „Sollingvorland“ (dazu unter a)). Für die - nachträgliche - Berücksichtigung des Neuntöters als wertbestimmende Art war kein erneutes Meldeverfahren nach der Vogelschutzrichtlinie mit einer Ergänzung des Standarddatenbogens erforderlich (dazu unter b)). Insbesondere bedurfte es keiner speziellen Gebietsabgrenzung für den Neuntöter (dazu unter c)).

a)

Der Neuntöter zählt nach den vorliegenden Erkenntnissen, insbesondere des Standarddatenbogens und den Bestandserfassungen, zu den wertbestimmenden Arten des EU-Vogelschutzgebiets „Sollingvorland“.

Zu den in Anhang I der VRL aufgeführten und im Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ vorkommenden Arten gehört nach der Auflistung des Arteninventars in dem Standarddatenbogen, der der EU-Kommission im Jahr 2007 übermittelt wurde, neben dem Uhu (Bubo bubo) und dem Rotmilan (Milvus milvus) auch der Neuntöter (Lanius collurio). Er ist im Standarddatenbogen mit vier Exemplaren angegeben. Seine Population wurde mit „C“ eingestuft. Der Neuntöter ist damit bereits nach dem Standarddatenbogen maßgeblicher avifaunistischer Bestandteil des EU-Vogelschutzgebiets „Sollingvorland“, auch wenn er nicht explizit als wertbestimmende Art aufgeführt wird. Insoweit wird unter dem Gliederungspunkt 4.2 „Quality and importance“ des Standarddatenbogens festgehalten: „Hohe Bedeutung für Brutvogelarten der strukturreichen Kulturlandschaft des Berglandes (Rotmilan, Uhu)“. Auch wenn bei der Meldung des Vogelschutzgebiets „Sollingvorland“ damit nur die Arten Uhu und Rotmilan als wertbestimmende Arten genannt wurden, schließt dies nicht aus, dass - etwa aufgrund späterer Erkenntnisse - eine weitere Vogelart zu den wertbestimmenden Arten hinzugerechnet werden kann. Vorliegend rechtfertigt auch der Schutz des Neuntöters die Ausweisung des Gebiets. Er wurde im Standarddatenbogen bereits aufgeführt, aufgrund der dort genannten geringen Population von vier Brutpaaren jedoch nicht als wertbestimmende Art hervorgehoben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Neuntöter hierdurch schutzlos gestellt würde. Vielmehr kann der Eintrag im Standarddatenbogen als Indiz dafür genommen werden, dass der Neuntöter bereits im Gebiet vorkam und dieses Vorkommen grundsätzlich auch eine Ausweisung als besonderes Schutzgebiet für die Erhaltung des Neuntöters erforderte (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 19.04.2007 - C-304/05 -, juris).

Vorliegend spricht überwiegendes dafür, dass die in den Kartierungen zwischen 2010 bis 2014 festgestellte Populationsgröße des Neuntöters von mindestens 223 Exemplaren bereits bei der Meldung des Vogelschutzgebiets im Jahr 2007 vorhanden war, es sich also um einen stetigen Bestand handelt. An der Richtigkeit dieser Kartierung wurden keine substantiierten Zweifel geäußert, so dass grundsätzlich von diesen Zahlen auszugehen ist. Nach Aussage des Beklagten handelte es um einen „wissenschaftlichen Irrtum über die Bestandszahlen und die Bedeutung des Neuntötervorkommens“, der nachträglich korrigiert worden sei. Diese absolute Zahl von mindestens 223 Exemplaren rechtfertigt schon für sich genommen die Annahme des Neuntöters als wertgebende Art in dem Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“. Auch der Vergleich mit anderen Vogelschutzgebieten mit Neuntötervorkommen, nach dem das Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ eine der wichtigsten Populationen des Neuntöters in Niedersachsen aufweist, lassen die Einschätzung als wertbestimmende Art als plausibel erscheinen. Nach den nicht substantiiert bestrittenen Angaben, wonach das Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ auf dem dritten Platz der niedersächsischen Gebiete liegt, handelt es sich um eines der am besten geeigneten Gebiete für den Neuntöter.

Der Neuntöter ist aufgrund der soeben genannten Umstände mittlerweile auch in der Aufstellung des NLWKN „Wertbestimmende Vogelarten der EU-Vogelschutzgebiete in Niedersachsen“ des NLWKN mit dem Stand 01. August 2017 neben dem Rotmilan und dem Uhu als wertbestimmende Vogelart nach Art. 4 Abs. 1 VRL für das EU-Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ gelistet.

b)

Für die - nachträgliche - Berücksichtigung des Neuntöters als wertbestimmende Art war kein erneutes Meldeverfahren nach der Vogelschutzrichtlinie mit einer Ergänzung des Standarddatenbogens erforderlich.

Das EU-Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ wurde der EU-Kommission ordnungsgemäß gemeldet. Die Auswahl des Gebiets gemäß § 32 Abs. 1 BNatSchG ist erfolgt. Die Vogelschutzrichtlinie ist ihrem Zweck nach auf einen dynamischen Schutz wildlebender Vogelarten gerichtet. Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL verpflichtet die Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel in den betreffenden Schutzgebieten zu vermeiden. Stellt sich nachträglich heraus, dass eine Vogelart in einem EU-Vogelschutzgebiet irrtümlich nicht als wertgebende Art benannt wurde, und würde ein Vorhaben oder eine sonstige Maßnahme eine Beeinträchtigung dieser Art zur Folge haben, führte dies zu einer Verletzung der Schutzpflicht aus Art. 4 Abs. 1 Satz 1 VRL. Auch Art. 1 Abs. 1 Satz 2 VRL stellt auf den Schutz der Vogelarten als Ziel der Richtlinie ab. Gleiches würde im Übrigen gelten, wenn eine Vogelart bei Meldung an die Kommission noch nicht als wertgebend einzuschätzen war, deren Population dann aber im weiteren Zeitverlauf so zugenommen hat, dass eine Änderung der ursprünglichen Bewertung geboten erscheint. Die Mitgliedstaaten sind nicht an die ursprüngliche Einschätzung einer Vogelart als nicht-wertbestimmend gebunden, sondern sind im Interesse eines dynamischen Naturschutzes gehalten, signifikante Bestandserhöhungen zu berücksichtigen.

Dafür sprechen auch die Regelungen des BNatSchG. Nach § 32 Abs. 2 BNatSchG sind die nach Art. 4 Abs. 1 und 2 VRL benannten Gebiete entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft im Sinne des § 20 Abs. 2 BNatSchG zu erklären. Die jeweiligen Erhaltungsziele können sich nach Meldung des Gebiets an die Kommission ändern oder es kann - wie hier - die ursprüngliche Meldung unvollständig sein. Die Unterschutzstellung gemäß § 32 Abs. 2 BNatSchG muss gemäß den aktuellen Erkenntnissen erfolgen, die von der ursprünglichen Meldung abweichen können.

Als Folge des dynamischen Schutzes wildlebender Vogelarten ist auch der Standarddatenbogen dynamischer Natur. Nach dem 5. Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses Nr. 2011//484/EU sollte der Inhalt des Standarddatenbogens für Natura 2000 „in regelmäßigen Abständen anhand der besten verfügbaren Informationen zu jedem Gebiet des Netzes aktualisiert werden (...)“. Diese Formulierung macht deutlich, dass es im Laufe der Zeit zu Veränderungen der tatsächlichen Gegebenheiten - und insbesondere des Arteninventars - kommen kann, die eine Anpassung des Standarddatenbogens erforderlich machen. Insoweit wäre es auch vorliegend angezeigt, dass der Standarddatenbogen zu gegebener Zeit durch die nachträgliche Aufnahme des Neuntöters als wertbestimmende Art aktualisiert wird. Der Standarddatenbogen vollzieht insoweit aber lediglich die tatsächliche Sachlage nach. Seine fehlende Aktualisierung ist für einen wirksamen Schutz des Neuntöters unschädlich. Eine nachträgliche Korrektur des Standarddatenbogens durch Nachmeldung an die EU-Kommission ist für die Beurteilung des Neuntöters als wertbestimmende Art nicht konstitutiv. Nach dem 4. Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses Nr. 2011//484/EU dient der Datenbogen als Dokumentation für das Natura 2000-Netz. Der Standarddatenbogen ist daher ein Hilfsmittel bei der Meldung eines EU-Vogelschutzgebiets, aber nicht das ausschließliche, die wertbestimmenden Arten eines Vogelschutzgebiets festlegende Dokument. Er dient dazu, dass die Kommission „ihre koordinierende Funktion wahrnehmen und gemäß Artikel 9 der Richtlinie 92/43/EWG in regelmäßigen Zeitabständen den Beitrag von Natura 2000 zur Verwirklichung der in den Artikeln 2 und 3 der Richtlinie genannten Ziele beurteilen“ kann.

Eine Nachmeldung an die EU-Kommission mit einer Ergänzung des Standarddaten-bogens um den Neuntöter als wertbestimmende Art war damit für einen wirksamen Schutz des Neuntöters nicht geboten. Es war insoweit ausreichend, den Neuntöter in die Aufstellung des NLWKN „Wertbestimmende Vogelarten der EU-Vogelschutzgebiete in Niedersachsen“ aufzunehmen und so die tatsächlichen Verhältnisse außenwirksam zu dokumentieren.

c)

Schließlich hat die Gebietsabgrenzung mit Blick auf den Neuntöter nicht unabhängig von den Grenzen des EU-Vogelschutzgebiets „Sollingvorland“ zu erfolgen. Der Auffassung der Klägerin, die Gebietsabgrenzung für den Neuntöter könne sich allenfalls auf bestimmte Teile des Vogelschutzgebiets erstrecken und es müsse mit Blick auf verschiedene wertgebende Arten eines EU-Vogelschutzgebiets unterschiedliche Grenzen geben, kann nicht gefolgt werden. Es ist ersichtlich nicht Sinn und Zweck des Art. 4 Abs. 1 VRL, für einzelne Vogelarten unterschiedliche Gebietsabgrenzungen vorzunehmen und damit im Ergebnis mehrere sich überlappende Gebiete zu verschiedenen Schutzgebieten zu erklären, die jeweils nur den Schutz einer einzelnen Vogelart im Blick haben. Vielmehr sind die Außengrenzen eines EU-Vogelschutzgebietes so zu setzen, dass die Bestände der wertgebenden Arten einbezogen und nicht aufgrund sachfremder Erwägungen durchschnitten werden.

3.

Die von der Klägerin begehrte Planfeststellung würde gegen das Beeinträchtigungs- und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL verstoßen.

Nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL treffen die Mitgliedstaaten - wie bereits dargelegt - geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel in den Schutzgebieten zu vermeiden, sofern sich diese auf die Zielsetzungen des Art. 4 VRL erheblich auswirken. Verschmutzungen und (sonstige) Beeinträchtigungen der Lebensräume können genauso wie auf die Vögel einwirkende Belästigungen nach Art und Maß so geringfügig sein, dass sie im Hinblick auf den Schutzzweck und die Erhaltungsziele des jeweiligen Gebiets nicht ins Gewicht fallen (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.04.2004 - 4 C 2.03 -, juris). Bei einem faktischen (noch nicht erklärten) Vogelschutzgebiet ist die Abgrenzung zwischen erheblichen und unerheblichen Beeinträchtigungen gemäß Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL nach den Zielsetzungen dieses Artikels, das Überleben und die Vermehrung der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Vogelarten in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen, vorzunehmen. Mangels konkretisierender Festlegungen gebietsspezifischer Erhaltungsziele ist ergänzend auf die allgemeinen Zielsetzungen in Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 VRL zurückzugreifen, nach denen die Vogelschutzrichtlinie dem Zweck dient, durch die Einrichtung von Schutzgebieten eine ausreichende Artenvielfalt und eine ausreichende Flächengröße ihrer Lebensräume zu erhalten und wiederherzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.08.2016 - 7 A 1.15 -, juris; BVerwG, Urteil vom 08.01.2014 - 9 A 4.13 -, juris). Mit diesen Anforderungen erschöpft sich Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL nicht in der Normierung einer Dauerpflicht, sondern bildet zugleich den Maßstab für die Zulässigkeit von Infrastrukturvorhaben im Einzelfall vergleichbar dem Zulassungstatbestand des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie. Vorhaben dürfen nur zugelassen werden, wenn sie nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen und Störungen führen. Die Schwelle der Erheblichkeit ist dabei nicht erst dann erreicht, wenn die Verwirklichung von Erhaltungszielen unmöglich oder unwahrscheinlich gemacht wird. Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Art. 3 und 4 VRL bestehen bereits, bevor eine Verringerung der Anzahl von Vögeln oder die konkrete Gefahr des Aussterbens einer geschützten Art nachgewiesen wird (vgl. EuGH, Urteil vom 02.08.1993 - C-355/90 -, juris; BVerwG, Urteil vom 03.05.2013 - 9 A 16.12 -, juris; BVerwG, Urteil vom 01.04.2004 - 4 C 2.03 -, juris).

Wie bereits ausgeführt, folgt die Prüfung des Ausschlusses erheblicher Belästigungen im Sinne von Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL in einem faktischen Vogelschutzgebiet den Maßstäben von § 34 Abs. 1 BNatSchG; es geht jeweils um den Ausschluss von - im Hinblick auf die jeweiligen Schutzzwecke und Erhaltungsziele - erheblichen Gebietsbeeinträchtigungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.04.2017 - 4 A 16.16 -, juris; BVerwG, Urteil vom 11.08.2016 - 7 A 1.15 -, juris). Ob ein Projekt ein Vogelschutzgebiet in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen erheblich beeinträchtigen kann, ist danach anhand seiner Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der maßgeblichen Gebietsbestandteile zu beurteilen. Maßgebliches Kriterium ist der günstige Erhaltungszustand der geschützten Arten im Sinne der Legaldefinitionen des Art. 1 Buchst. i FFH-Richtlinie. Der „Erhaltungszustand einer Art" ist definiert als die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Art auswirken können; als „günstig" wird der Erhaltungszustand angesehen, wenn aufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Art anzunehmen ist, dass die Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraums, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird, das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen wird und ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Populationen dieser Art zu sichern. Um erhebliche Beeinträchtigungen nach § 34 Abs. 1 BNatSchG zu verneinen, muss ein günstiger Erhaltungszustand trotz Durchführung des Vorhabens stabil bleiben, ein bestehender schlechter Erhaltungszustand darf jedenfalls nicht weiter verschlechtert werden. Für die Verträglichkeitsprüfung gilt ein strenger Prüfungsmaßstab. Ein Projekt ist nur dann zulässig, wenn nach Abschluss der Verträglichkeitsprüfung aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel verbleibt, dass erhebliche Beeinträchtigungen vermieden werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.04.2017 - 4 A 16.16 -, juris). Es kommt daher nicht auf den Nachweis der Erheblichkeit an, sondern darauf, dass das Ausbleiben einer erheblichen Beeinträchtigung positiv festgestellt werden kann. Bestehen Bewertungsunsicherheiten in Bezug auf die Erheblichkeit der Beeinträchtigung, geht dies zu Lasten des Vorhabenträgers (vgl. Gellermann in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 89. EL Februar 2019, § 34 BNatSchG Rn. 26). Als unerheblich sind nur Beeinträchtigungen anzusehen, die kein Erhaltungsziel nachteilig berühren (BVerwG, Urteil vom 17.01.2007 - 9 A 20.05 -, juris).

Dies zugrunde gelegt, würde der von der Klägerin begehrte Planfeststellungsbeschluss gegen das Beeinträchtigungs- und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL verstoßen. Durch die von der Klägerin beantragte Erweiterung der Deponie E. hinsichtlich des im EU-Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ liegenden Teils des Flurstückes G. der Flur H. in der Gemarkung E. zur Größe von rund 4,5 ha käme es zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Neuntöters als wertbestimmender Art des faktischen Vogelschutzgebiets (dazu unter a)). Die wirtschaftlichen Interessen der Klägerin sind nicht geeignet, das Beeinträchtigungs- und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL zu überwinden (dazu unter b)).

a)

Die geplante Erweiterung der Deponie E. würde sich im Sinne des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL auf die Zielsetzung des Art. 4 Abs. 1 VRL in Bezug auf den Neuntöter in dem EU-Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ erheblich auswirken.

Ausweislich der Stellungnahme des Landkreises Northeim als Untere Naturschutzbehörde vom 24. Mai 2017 verbleiben aus wissenschaftlicher Sicht jedenfalls Zweifel, dass erhebliche Beeinträchtigungen des Neuntöters vermieden werden. In der Stellungnahme heißt es, dass die Risikobewertung im Hinblick auf den fortdauernden Bestand der Neuntöter-Reviere im Umfeld der Deponie die naturschutzfachliche Einschätzung der Unbedenklichkeit im Hinblick auf Art. 4 Abs. 4 VRL nicht mehr zulasse. Dem kann gefolgt werden.

Nach den Kartierungen von 2012 und 2014 wurden jeweils vier zum Teil wechselnde Neuntöterreviere im Randbereich der Deponie nachgewiesen, wobei jeweils ein Brutrevier im Erweiterungsbereich der Deponie lag. Diese Angaben sind von der Klägerin nicht widerlegt worden, so dass von deren Richtigkeit auszugehen ist. Auch ist nicht auszuschließen, dass ein nicht mehr besetztes Revier zwischenzeitlich wieder besetzt werden kann. Der Neuntöter wechselt nach den unbestrittenen Angaben des Beklagten seine Reviere, je nach verfügbarem Nahrungsangebot in Form von Insekten und vorhandenen dornigen Laubsträuchern o. ä. Das zwischenzeitliche Nicht-Auftreten des Neuntöters in bzw. nahe der Fläche der geplanten Deponieerweiterung hat daher keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Erheblichkeit der Beeinträchtigung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL. Erst wenn nachgewiesen würde, dass der Neuntöter sich dauerhaft aus dem betreffenden Teilgebiet zurückziehen würde, könnte an der Erheblichkeit gezweifelt werden. Dieser Nachweis ist jedoch nicht erfolgt.

Beeinträchtigungen der Neuntöterreviere sind vorliegend insbesondere durch Lärm- und Staubimmissionen möglich, aber auch durch Verdrängung des Neuntöters durch den schlichten Verlust von Teillebensräumen, wie hier die von der Deponieerweiterung beanspruchten Grünlandflächen. Die Verkleinerung eines Schutzgebiets, die zum Verlust von Rast-, Ruhe- und Nistgebieten der zu schützenden Vogelvorkommen führt, ist - regelmäßig - als erhebliche Beeinträchtigung der Richtlinienziele zu werten. Etwas anders kann etwa dann angenommen werden, wenn die beanspruchte Fläche unbedeutend ist (vgl. EuGH, Urteil vom 02.08.1993 - 02.08.1993 - C-355/90 -, juris). Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Die von der begehrten Deponieerweiterung beanspruchte Fläche hat eine Größe von rund 4,5 ha. Sie liegt damit deutlich über dem Orientierungswert des FuE-Vorhabens von Lambrecht und Trautner „Fachinformationssystem und Fachkonventionen zur Bestimmung der Erheblichkeit im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung, Endbericht zum Teil Fachkonventionen, Juni 2007 (im Folgenden: Lambrecht & Trautner (2007)).

Dem Fachkonventionsvorschlag von Lambrecht & Trautner (2007) liegt die gesetzeskonforme Annahme zugrunde, vorhabenbedingte Verluste von Flächen eines Lebensraumtyps der FFH-Richtlinie bzw. von Habitaten der in Natura 2000-Gebieten geschützten Tierarten stellten in der Regel eine erhebliche Beeinträchtigung dar. Ausnahmen von der Grundannahme knüpft der Konventionsvorschlag an sehr enge Voraussetzungen und stellt dabei kumulativ neben anderen Kriterien auf Orientierungswerte absoluten und relativen Flächenverlustes ab. Die Orientierungswerte von Lambrecht & Trautner (2007)) beruhen auf der Annahme, dass vorhabenbedingte Verluste von Flächen eines Lebensraumtyps der FFH-Richtlinie bzw. von Habitaten der in Natura 2000-Gebieten geschützten Tierarten dann keine erheblichen Beeinträchtigungen darstellen, wenn sie lediglich Bagatellcharakter haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Orientierungswerte, wenngleich sie keine normative Geltung beanspruchen können, mangels besserer Erkenntnisse im Regelfall anzuwenden (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.04.2014 - 9 A 25.12 -, juris; BVerwG, Urteil vom 06.11.2012 - 9 A 17.11 -, juris; BVerwG, Urteil vom 13.05.2009 - 9 A 73.07 -, juris; BVerwG, Urteil vom 12.03.2008 - 9 A 3.06 -, juris; Urteil des Senats vom 22.04.2016 - 7 KS 27/15 -, juris).

Der Fachkonventionsvorschlag von Lambrecht & Trautner (2007) enthält in Kapitel E. (vgl. Seite 43 ff.) einen Vorschlag zur Bewertung der Erheblichkeit von Beeinträchtigungen bei direktem Flächenentzug in Habitaten der Tierarten nach Anhang II der FFH-Richtlinie in FFH-Gebieten und Habitaten der in Europäischen Vogelschutzgebieten zu schützenden Vogelarten. Nach der Grundannahme ist die direkte und dauerhafte Inanspruchnahme eines (Teil-)Habitats einer Art des Anhangs II der FFH-Richtlinie oder einer Art nach Anhang I bzw. Art. 4 Abs. 2 VRL, das in einem FFH-Gebiet bzw. in einem Europäischen Vogelschutzgebiet nach den gebietsspezifischen Erhaltungszielen zu bewahren oder zu entwickeln ist, im Regelfall eine erhebliche Beeinträchtigung. Im Einzelfall kann die Beeinträchtigung als nicht erheblich eingestuft werden, wenn kumulativ folgende Bedingungen erfüllt werden: 1. Die in Anspruch genommene Fläche ist kein für die Art essenzieller bzw. obligater Bestandteil des Habitats (Qualitativ-funktionale Besonderheiten); 2. Der Umfang der direkten Flächeninanspruchnahme überschreitet die in Tabelle 3 für die jeweilige Art dargestellten Orientierungswerte, soweit diese für das betroffene Teilhabitat anwendbar sind, nicht (Orientierungswert „quantitativ-absoluter Flächenverlust“); 3. Der Umfang der direkten Flächeninanspruchnahme ist nicht größer als 1 % der Gesamtfläche des jeweiligen Lebensraums bzw. Habitats der Art im Gebiet bzw. in einem definierten Teilgebiet (Orientierungswert „quantitativ-relativer Flächenverlust“); 4. Auch nach Einbeziehung etwaiger Flächenverluste durch kumulativ zu berücksichtigende Pläne und Projekte werden die Orientierungswerte nicht überschritten (Kumulation „Flächenentzug durch andere Pläne/Projekte“); 5. Auch durch andere Wirkfaktoren des Projekts oder Plans werden keine erheblichen Beeinträchtigungen verursacht (Kumulation mit „anderen Wirkfaktoren“).

Vorliegend verbleibt es bei der Grundannahme, dass der Flächenentzug zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Habitats des Neuntöters im EU-Vogelschutzgebiet „Sollingvorland“ und damit eines Erhaltungszieles des Schutzgebietes führt. Wie dargelegt, wurde das Schutzgebiet auch für die Erhaltung dieser Vogelart ausgewiesen. Von den kumulativ zu erfüllenden fünf Bedingungen, unter denen im Einzelfall eine Beeinträchtigung als nicht erheblich eingestuft werden kann, ist bereits der Orientierungswert für den „quantitativ-absoluten Flächenverlust“ überschritten, d. h. die Bedingung nicht erfüllt. In Tabelle 3 des Konventionsvorschlags von Lambrecht & Trautner (2007) werden die je Art abgeleiteten Orientierungswerte eines gegebenenfalls noch tolerablen Flächenverlustes bei direktem Flächenentzug in Habitaten der Tierarten nach Anhang II der FFH-Richtlinie in einem FFH-Gebiet und Habitaten ausgewählter Vogelarten nach Anhang I VRL in einem Europäischen Vogelschutzgebiet dargestellt. Für den Neuntöter wird auf der dort genannten Stufe III (d. h. bei einem Gebiet mit mehr als 100 Revieren bzw. Paaren bei Vögeln) ein Orientierungswert von 4.000 m² zugrunde gelegt. Die von der begehrten Deponieerweiterung beanspruchte Fläche hat eine Größe von rund 4,5 ha und liegt damit um ein Vielfaches über dem Orientierungswert.

Die von der Klägerin vertretene relative Sichtweise unter Hinweis auf die im Vergleich zur Gesamtfläche des Vogelschutzgebiets „Sollingvorland“ kleine betroffene Fläche vermag die Bewertung der Beeinträchtigung des Neuntöters als erheblich nicht zu ändern. Die Klägerin spricht damit den Orientierungswert „quantitativ-relativer Flächenverlust“ (1 %-Kriterium) an. Zwar macht die durch die Deponieerweiterung beanspruchte Fläche zur Größe von 4,5 ha tatsächlich nur 0,03 % des insgesamt rund 16.885 ha großen EU-Vogelschutzgebiets „Sollingvorland“ aus und liegt damit deutlich unter dem Orientierungswert „quantitativ-relativer Flächenverlust“. Wie bereits dargelegt, sind die Orientierungswerte für den absoluten und den relativen Flächenverlust jedoch kumulativ einzuhalten, um zu einer Ausnahme von der Grundannahme einer erheblichen Beeinträchtigung zu gelangen. Der Orientierungswert für den absoluten Flächenverlust wird vorliegend - wie bereits dargelegt - jedoch deutlich überschritten.

Zwar können besondere Gründe des Einzelfalls eine Abweichung von den Orientierungswerten rechtfertigen. Die Beantwortung der Frage tolerabler Flächenverluste richtet sich danach, welche Anteile einer für eine Teilpopulation bzw. eindeutig für eine Fortpflanzungseinheit benötigte Fläche unter Berücksichtigung der funktionalen Bedeutung dieser Flächen als obligater und/oder fakultativer Habitatbestandteil bzw. vor dem Hintergrund des jeweiligen vorhandenen oder zu entwickelnden günstigen Erhaltungszustandes gegebenenfalls verloren gehen können, ohne dass dies als kritisch eingestuft werden muss. Die Frage, ob eine erhebliche Gebietsbeeinträchtigung vorliegt, ist stets daran zu messen, wie sie sich auf den Zustand der Erhaltungsziele auswirkt, insbesondere, ob sie ihn verschlechtert oder eine Verbesserung für die Zukunft verhindert (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.11.2012 - 9 A 17.11 -, juris). Vorliegend spricht bereits die deutliche Überschreitung des Orientierungswerts für den „quantitativ-absoluten Flächenverlust“ um mehr als das Zehnfache gegen eine Abweichung von dem Orientierungswert, so dass von einer erheblichen Beeinträchtigung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL auszugehen ist. Aber auch die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort rechtfertigen im Einzelfall keine Abweichung von dem Orientierungswert. Insbesondere stellt sich die Fläche des geplanten Erweiterungsbereichs der Deponie zur Größe von 4,5 ha nicht als für den Neuntöter gänzlich ungeeignet und damit entbehrlich dar. Die Vertreter des Beklagten sowie seine Sachbeistände von der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Northeim und vom NLWKN haben in der mündlichen Verhandlung anhand von Bildaufnahmen über den Zustand der Erweiterungsfläche zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass diese eine für den Neuntöter geeignete Struktur aus Buschwerk und Grünland aufweist, auch wenn dies im Vergleich zu anderen Grünlandflächen einzuschränken sein mag. Jedenfalls erscheint es nachvollziehbar, dass das Grünland einen vorteilhafteren Lebensraum darstellt als eine Abfalldeponie.

Die damit festzustellende erhebliche Beeinträchtigung des Neuntöters durch die direkte Flächeninanspruchnahme im Umfang von 4,5 ha entfällt auch nicht durch die von den Klägern avisierten Maßnahmen für den Neuntöter (vgl. dazu Ziffer 4 der „Stellungnahme zu Einwendungen bezüglich naturschutzrechtlicher Fragen zum Vorhaben „Erweiterung Entsorgungsanlage E.““ des Büros F. vom 21. August 2015). Unabhängig davon, ob vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen (sog. CEF-Maßnahmen) im Rahmen der anzustellenden Verträglichkeitsprüfung überhaupt berücksichtigt werden können, ist durch die von der Klägerin beabsichtigten Maßnahmen für den Neuntöter jedenfalls nicht sichergestellt, dass erhebliche Beeinträchtigungen verhindert werden. Es müsste sichergestellt sein, dass die vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen eine ökologisch-funktionale Kontinuität ohne zeitliche Lücke gewährleisten. Vorliegend ist nicht sichergestellt, dass der gesamte Flächenverlust von 4,5 ha ohne zeitliche Lücke innerhalb des EU-Vogelschutzgebiets „Sollingvorland“ durch eine entsprechende Aufwertung von Habitatstrukturen für den Neuntöter ausgeglichen wird. Ausweislich der Stellungnahme des Büros F. vom 21. August 2015 dienen die vorgesehen Maßnahmen offensichtlich nur dem Ausgleich der Wegnahme der insgesamt 350 m langen Gehölzstruktur innerhalb der Erweiterungsfläche und damit nicht dem Ausgleich des Flächenverlusts von 4,5 ha.

b)

Auf eine Ausnahme von den Regelungen der Vogelschutzrichtlinie, insbesondere von dem Beeinträchtigungs- und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL, kann vorliegend nicht erkannt werden.

Wirtschaftliche Erwägungen, wie etwa das Interesse der Klägerin an der Erweiterung der Deponie, begründen keine Ausnahme von den Regelungen der Vogelschutzrichtlinie. Nur überragende Gemeinwohlbelange wie etwa der Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen oder der Schutz der öffentlichen Sicherheit sind geeignet, das Beeinträchtigungs- und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL zu überwinden (vgl. EuGH, Urteil vom 28.02.1991 - C-57/89 -, juris; BVerwG, Urteil vom 27.03.2014 - 4 CN 3.13 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 26.03.2003 - 4 VR 6.02, 4 A 11.02 -, juris; BVerwG, Urteil vom 14.11.2002 - 4 A 15.02 -, juris; BVerwG, Urteil vom 19.05.1998 - 4 C 11.96 -, juris).

Derartige überragende Gemeinwohlbelange sind hier nicht ersichtlich und werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht. Das private wirtschaftliche Interesse an der Erweiterung der Deponie ist zwar in jeder Hinsicht nachvollziehbar. Es ist auch nicht zu verkennen, dass generell ein öffentliches Interesse daran besteht, insbesondere die in den Kohlekraftwerken entstehenden Ascherückstände fachgerecht und umweltverträglich zu deponieren. Diese Argumente mögen im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie bzw. § 34 BNatSchG eine Rolle spielen. Für das strengere Schutzregime eines faktischen EU-Vogelschutzgebiets gilt dies jedoch wie beschrieben nicht. Überragende Gründe des Gemeinwohls sind in diesen privaten und öffentlichen Interessen nicht zu sehen, zumal ein wie auch immer gearteter „Entsorgungsnotstand“ nicht behauptet wurde und auch nicht erkennbar ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.