Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.05.2019, Az.: 2 LA 431/18

Bestehensgrenze; Eliminierung; Prüfungsfrage; Psychotherapeut; Rechtschreibfehler

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.05.2019
Aktenzeichen
2 LA 431/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69940
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 12.06.2018 - AZ: 7 A 5477/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Durchführung des Eliminierungsverfahrens bei der Prüfung zum Psychologischen Psychotherapeuten.

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 7. Kammer - vom 12. Juni 2018 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu den allein geltend gemachten ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen dann, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, juris, Rn. 96; BVerfG, Beschl. v. 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 -, juris, Rn. 19). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; mithin muss ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens möglich sein (BVerwG, Beschl. v. 14.6.2002 - 7 AV 1.02 -, juris, Rn. 7; Senatsbeschl. v. 12.11.2007 - 2 LA 423/07 -, juris, Rn. 3).

Nach diesen Maßgaben rechtfertigt keine der von der Klägerin vorgebrachten Rügen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils.

1. Das Verwaltungsgericht hat das Nachteilsverbot nach § 16 Abs. 3 Satz 5 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten (PsychTh-AprV) rechtsfehlerfrei angewendet. Danach darf sich die Verminderung der Zahl der Prüfungsaufgaben infolge der Eliminierung nicht zum Nachteil eines Prüflings auswirken. In zutreffender Weise hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass nach dem individuellen Eliminierungsverbot zum einen eine eliminierte Frage für den Prüfling, der diese richtig beantwortet hat, dennoch zu bewerten ist und zum anderen dieses Verfahren dazu führen muss, dass die Zahl der zu berücksichtigenden Prüfungsaufgaben um die Zahl der angerechneten eliminierten Fragen ansteigt. Für die Klägerin bedeutet dies, dass bei zwei von drei richtig beantworteten eliminierten Fragen ein Schnitt von 45 von 79 Fragen (56,96 %) zu errechnen war.

Das individuelle Eliminierungsverbot bezweckt die Vermeidung von individuellen Nachteilen, die ansonsten in Folge des Eliminierungsverfahrens entstehen könnten. Es sollen dem Prüfling zutreffend erbrachte Prüfungsleistungen nicht entzogen werden. Im Übrigen muss es bei den allgemein gültigen Maßstäben verbleiben. Unter Zugrundelegung dieses Regelungszweckes kann die Klägerin nicht die Anrechnung ihrer richtigen Antwort auf eine eliminierte Frage und darüber hinaus zugleich verlangen, dass die Bestehensgrenze allein aufgrund der entsprechend verminderten Zahl der Fragen festgelegt wird. Andernfalls wäre der Grundsatz der Chancengleichheit verletzt, da das von der Klägerin gewünschte Vorgehen dazu führen würde, dass sie auf 79 Fragen antworten konnte, um 77 Fragen (100 Prozent) richtig zu beantworten. Im Ergebnis hätten ihr entgegen der gesetzlichen Regelung zwei „Bonusfragen“ zur Verfügung gestanden. Die Prüflinge, die keine eliminierte Frage richtig beantwortet haben, mussten hingegen alle Fragen (77 von 77) richtig beantworten, um 100 Prozent zu erreichen. Eine solche Verzerrung der Leistungsanforderungen wäre unzulässig.

Richtigerweise ist das Verwaltungsgericht dem Vorbringen der Klägerin nicht gefolgt, wonach eine Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen Prüflingen bestehe, die die eliminierte Frage von vornherein nicht bearbeitet hätten (und hierbei möglicherweise Zeit eingespart hätten). Alle Prüflinge mussten im Zeitpunkt der Bearbeitung der schriftlichen Prüfung von einer Wertung aller Fragen ausgehen und diese folglich auch bearbeiten. Das von der Klägerin gebildete Beispiel ist rein theoretischer Natur.

Auch das von der Klägerin gerügte - nachfolgend dargestellte - Ergebnis der unterschiedlichen prozentualen Bestehensgrenzen steht, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, im Einklang mit dem in § 16 Abs. 4 Satz 1 PsychTh-AprV zum Ausdruck gekommenen Willen des Verordnungsgebers.

Im Grundsatz ohne Eliminierung:

- Gestellte Fragen: 80

- Bestehensgrenze: 48, in Prozent: 60,0 %

Nach der Eliminierung:

- Gestellte Fragen: 77

- Eliminierte Fragen: 3

- Bestehensgrenze 47 (46,2) in Prozent: 61,03 %

Mit Nachteilsausgleich:

- Gestellte Fragen: 79

- Eliminierte Fragen: 1

- Bestehensgrenze: 48 (47,4): 60,75 %

Denn nach § 16 Abs. 4 Satz 1 PsychTh-AprV ist der schriftliche Teil der Prüfung bestanden, wenn der Prüfling mindestens 60 Prozent der gestellten Prüfungsaufgaben zutreffend beantwortet hat. Diese Formulierung indiziert, dass 60 % oder mehr der Fragen richtig zu beantworten sind, um die schriftliche Prüfung zu bestehen. Die unterschiedlichen Bestehensgrenzen sind die konsequente Folge der Anwendung des § 16 Abs. 3 Satz 5 PsychTh-AprV; dies steht nicht im Widerspruch zur gebotenen Bundeseinheitlichkeit der Prüfung für Psychologische Psychotherapeuten (vgl. so zur ärztlichen Vorprüfung und dem insoweit inhaltsgleichen § 14 Abs. 4 Satz 6 ÄAppO: BVerwG, Urt. v. 17.5.1995 - 6 C 8.94 -, juris, Rn. 34). Darüber hinaus führt die Durchführung des Nachteilsausgleichs in keiner Konstellation zu einer Schlechterstellung des Prüflings, da der prozentuale Teil der zutreffend beantworteten Fragen an den insgesamt zu beantwortenden Fragen stets steigt.

Soweit die Klägerin geltend macht, es seien bei den sich aufgrund des Eliminierungsverfahrens ergebenden Zahlen mit Nachkommastellen zu ihren Gunsten Abrundungen vorzunehmen, setzt sie sich schon nicht in der nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gebotenen Weise mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Wortlaut des § 16 Abs. 4 PsychTh-AprV auseinander.

2. Die Rüge der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass sie in der Kurzantwortaufgabe 4 (Englischer Fachbegriff für den Drang, ein Suchtmittel zu konsumieren) zweifelsfrei „Graving“ eingetragen habe, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Auch aus Sicht des Senats hat die Klägerin (nach dem objektiven Empfängerhorizont) zweifelsfrei das Wort „Graving“ notiert. Insofern hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass die Antwort der Klägerin eine falsche Begriffsverwendung für den abgeprüften Fachbegriff darstellt, da den Begriffen „Craving“ und „Graving“ jeweils ein eigenständiger Bedeutungsgehalt zukommt.

Ob es sich hierbei lediglich um einen Rechtsschreibfehler handelt, war vor diesem Hintergrund schon nicht entscheidungserheblich. Denn die Klägerin hat - aus objektiver Sicht - nicht lediglich einen Fachbegriff falsch geschrieben, sondern einen hiervon abweichenden Begriff mit einem eigenem Bedeutungsgehalt genannt. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang die Besonderheit der sogenannten Kurzantwortaufgaben hervorgehoben. Denn bei derartigen Prüfungsaufgaben steht der zu nennende Fachbegriff ohne jeglichen Kontext und muss in dieser Form von dem Prüfer als zutreffend erfasst werden können. Dem Prüfer stehen dabei, anders als bei Aufgaben, in denen nähere Erläuterungen gefordert sind, keine Interpretationshilfen zur Verfügung, was gemeint ist. Abgesehen davon gehört es zum Verantwortungsbereich des Prüflings, so zu schreiben, dass seine Ausführungen für einen Dritten bei zumutbarer Anstrengung auch lesbar sind (BVerwG, Beschl. v. 19.8.1975 - VII B 24.75 -, juris Rn. 5; Hess. VGH, Urt. v. 22.10.2015 - 9 A 1929/13 -, juris Rn. 31). Dies wurde der Klägerin zudem durch den auf dem Prüfungsbogen befindlichen Hinweis verdeutlicht, leserlich und in Druckbuchstaben zu schreiben.

Ungeachtet dessen kann die Klägerin aus der von ihr mehrfach angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass Rechtsschreibmängel im Allgemeinen keine zentrale Bedeutung erlangen, sondern nur zur Abrundung der Bildung eines Gesamteindrucks verhelfen, ohnehin nichts für sich herleiten. Denn diese Grundsätze erfahren dann eine Einschränkung, wenn die zu prüfenden Fähigkeiten durch die fehlerhafte Schreibweise in Frage gestellt werden (BVerwG, Urt. v. 28.11.1980 - 7 C 58.74 -, juris Rn. 17 a.E.). Dies ist bei Heranziehung der maßgeblichen Prüfungsverordnung der Fall. Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 PsychTh-APrV erstreckt sich der schriftliche Teil der Prüfung auf die in Anlage 1 Teil A aufgeführten Grundkenntnisse in den wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren. Ziel der Ausbildung der Psychologischen Psychotherapeuten ist es nach § 1 Abs. 2 PsychTh-APrV, den Ausbildungsteilnehmern insbesondere die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln, die erforderlich sind, um 1. in Diagnostik, Therapie und Rehabilitation von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist, und 2. bei der Therapie psychischer Ursachen, Begleiterscheinungen und Folgen von körperlichen Erkrankungen unter Berücksichtigung der ärztlich erhobenen Befunde zum körperlichen Status und der sozialen Lage des Patienten auf den wissenschaftlichen, geistigen und ethischen Grundlagen der Psychotherapie eigenverantwortlich und selbständig handeln zu können. Vor diesem Hintergrund ist die richtige Schreibweise eines Fachbegriffs wesentlich für die Erreichung des Prüfungszwecks, der Abfrage von „wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren“.

3. Die Ausführungen der Klägerin zur Prüfungsfrage 68 können schon deshalb keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO begründen, weil sie die Ergebnisrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht berühren. Selbst wenn die Frage 68 zu eliminieren wäre, hätte die Klägerin die Bestehensgrenze nicht erreicht. Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Es hat ausgeführt, nachdem die Antwort der Klägerin auf die Prüfungsfrage 4 rechtlich fehlerfrei als unzutreffend gewertet worden sei, komme es rechnerisch nicht mehr darauf an, ob die Fragen 13, 24 und 68 zu eliminieren seien. Unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin, wonach sie nur Frage 24 vertretbar beantwortet habe, ergebe sich lediglich eine Quote von 59,74% (46 richtige von dann 77 gestellten Fragen).

Die Annahme, dass die Antwort der Klägerin auf die Prüfungsfrage 4 nicht als richtig gewertet werden kann, hat die Klägerin - wie zuvor ausgeführt - nicht erschüttert. Gleiches gilt für die (im Übrigen zutreffende) Berechnung des Verwaltungsgerichts, die sie als solche nicht angreift. Geht man davon aus, dass ausschließlich die im Zulassungsverfahren noch thematisierte Frage 68 zu eliminieren gewesen wäre, ergäbe sich eine Quote von 57,69 % (45 bei dann 78 Fragen).

4. Soweit die Klägerin geltend macht, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht offengelassen, wer die Prüfungsfragen erstellt sowie die Bewertung durchgeführt habe und welche Prüfer im Überdenkungsverfahren eingesetzt worden seien, bestehen bereits Zweifel, ob ihr Vorbringen dem Darlegungsgebot nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt. Danach ist es erforderlich, dass unter ausdrücklicher oder jedenfalls konkludenter Bezugnahme auf einen Zulassungsgrund eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung erfolgt, durch die der Streitstoff entsprechend durchdrungen oder aufbereitet wird (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage, § 124a Rn. 59; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Auflage, § 124a Rn. 49). Daran fehlt es. Unabhängig davon treffen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in der Sache zu. Es hat zu Recht angenommen, dass es im Hinblick auf die Auswertung der schriftlichen Prüfung nicht auf die Leistung eines bestimmten Prüfers ankam. Die im Rahmen der Prüfung für Psychologische Psychotherapeuten zu erbringende Prüferleistung findet schon im Vorfeld bei der Erstellung der Fragen und der Festlegung der richtigen und falschen Antworten statt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 - 1 BvR 1529/84 -, juris, Rn. 66). Die Auswertung der Prüfungsleistung besteht nur noch in einem Rechenvorgang, bei dem die richtigen Aufgaben gezählt werden und die Bestehensgrenze ermittelt wird. Dies findet meist sogar in elektronischer Weise statt, ohne dass eine Person beteiligt wäre (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 589). In rechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Verwaltungsgericht Gleiches auch für die Kurzantwortaufgaben angenommen, da auch diese nur noch ausgelesen, d.h. abgetippt und mit der festgesetzten Antwort verglichen werden, ohne dass es hierbei auf eine besondere Sachkunde ankäme. Die eigentliche Prüfertätigkeit findet daher auch hier vorgelagert statt, nämlich bei der Festlegung der richtigen Antwort. Die Besonderheiten der automatisierten Auswertung von Prüfungen des Antwort-Wahl-Verfahrens stehen der von der Klägerin geforderten Identität des Prüfers der Erstbewertung und dem des Überdenkungsverfahrens bereits entgegen. Das Verwaltungsgericht hat insoweit auch nicht - wie gerügt - gegen den Amtsermittlungsgrundsatz gem. § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, da es nach dem Grundsatz der vorgelagerten Prüfertätigkeit gar nicht darauf ankam, von wem die Auswertung der Antworten erfolgte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an der Ziffer 36.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Fassung 2013, NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).