Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.05.2002, Az.: 3 Sa 1629/01
Fortbestehen eines Arbeitsverhältnisses; Kündigung eines Insolvenzverwalters; Betriebsstilllegung; Freistellungsphase; Altersteilzeitvereinbarung im Blockmodell; Dringende betriebliche Erfordernisse; Kündigungsbefugnis
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 24.05.2002
- Aktenzeichen
- 3 Sa 1629/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 10780
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2002:0524.3SA1629.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Lingen - 3 Ca 311/01 vom 27.09.2001
Rechtsgrundlagen
- § 1 KSchG
- § 113 InsO
Fundstellen
- EzA-SD 21/2002, 15
- LAGReport 2002, 300-301
- NZA-RR 2003, 17-18 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Eine Kündigung des Insolvenzverwalters wegen Betriebsstilllegung während der Freistellungsphase bei einer Altersteilzeitvereinbarung im Blockmodell ist nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 27.09.2001 - 3 Ca 311/01 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 03.07.2001 zum 31.10.2001 beendet worden ist, sondern bis zum 31.01.2002 fortbestanden hat.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Mit seiner am 19.07.2001 beim Arbeitsgericht Lingen eingegangenen Klage setzt sich der Kläger gegen eine Kündigung des Beklagten vom 03.07. zum 31.10.2001 zur Wehr. Er begehrt Feststellung des Fortbestehens seines Arbeitsverhältnisses bis zum 31.01.2002.
Der Kläger ist war seit dem 23.07.1969 bei der Gemeinschuldnerin als Arbeitnehmer tätig. Am 31.01.2001 schloss er mit ihr einen Altersteilzeitvertrag, aufgrund dessen er seine Tätigkeit im sog. Blockmodell weiter ausübte. Die Arbeitsphase dauerte vom 01.02.2000 bis zum 31.01.2001, die Freistellungsphase sollte vom 01.02.2001 bis zum 31.01.2002 andauern. Wegen des genauen Inhalts der Altersteilzeitvereinbarung wird auf die mit der Klageschrift überreichte Kopie (Bl. 3 bis 5 d.A.) Bezug genommen.
Am 01.06.2001 wurde über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Schreiben vom 03.07.2001 kündigte der beklagte Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis gemäß § 113 InsO zum 31.10.2001.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei nicht gerechtfertigt, da es sich um einen zeitlich befristeten Vertrag handele, den er bereits in vollem Umfang erfüllt habe. Auch die Kündigungsbefugnis nach § 113 InsO stehe unter dem Vorbehalt des Grundsatzes von Treu und Glauben. Der Kläger hat behauptet, ihm sei zu einem Zeitpunkt ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis angetragen worden, als sich die Gemeinschuldnerin bereits in ganz erheblichen finanziellen Turbulenzen befunden habe. Hiervon habe man ihm allerdings nichts mitgeteilt, sondern die Gemeinschuldnerin habe ihm zugemutet, in vollem Umfang seine Arbeitsleistung zu erbringen in der Kenntnis, dass überhaupt nicht klar sein konnte, ob sie die Altersteilzeit vollständig werde erfüllen können.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 03.07.2001 zum 31.10.2001 endet, sondern unverändert bis zum 31.01.2002 fortbesteht.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, er sei in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter gemäß § 113 InsO zur Kündigung berechtigt gewesen, unabhängig davon, ob der Kläger einen Altersteilzeitvertrag abgeschlossen habe. § 113 InsO sei insoweit lex speciales.
Durch Urteil vom 27.09.2001 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und den Streitwert auf 9.000,-- DM festgesetzt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 25 bis 27 d.A.) Bezug genommen. Das Urteil ist dem Kläger am 10.10.2001 zugestellt worden. K hat hiergegen am Montag, den 12.11.2001 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14.01.2002 am 14.01.2002 begründet.
Der Kläger ist der Ansicht, es verstoße gegen Treu und Glauben, wenn ein Arbeitgeber sämtliche Nutzungen aus dem Altersteilzeitgesetz ziehe, der Arbeitnehmer zu einem späteren Zeitpunkt dann aber "im Regen stehe". Der Gesetzgeber habe ganz offensichtlich die Kündigungsproblematik bei einer Tätigkeit im Blockmodell nicht gesehen.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den zuletzt im ersten Rechtszuge gestellten Anträgen des Berufungsklägers zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 13.02.2002 (Bl. 46/47 d.A.).
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO).
Die Berufung ist auch begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des Beklagten vom 03.07.2001 nicht wirksam zum 31.10.2001 beendet worden, sondern hat bis zum 31.01.2002 fortbestanden.
Die streitbefangene Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam. Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der Beschäftigungsdauer des Klägers sowie der Betriebsgröße der Gemeinschuldnerin Anwendung. Eine soziale Rechtfertigung der Kündigung könnte sich im vorliegenden Verfahren allein aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG ergeben. Im Fall des Klägers scheiden derartige betriebliche Erfordernisse jedoch von vornherein aus. Diese könnten nämlich nur vorliegen, wenn aufgrund der betrieblichen Situation das Bedürfnis für eine Beschäftigung des Klägers weggefallen ist. Eine tatsächliche Beschäftigung des Klägers konnte zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aber ohnehin nicht mehr erfolgen, weil er sich bereits in der Freistellungsphase aufgrund der Altersteilzeitvereinbarung vom 31.01.2000 befand, also nicht mehr zum Erbringen der Arbeitsleistung verpflichtet war. Zu diesem Zeitpunkt bestand lediglich noch die Verpflichtung des Beklagten zur Erfüllung der Vergütungsansprüche des Klägers, die er aufgrund seiner Tätigkeit in der Arbeitsphase erworben hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob man in diesen Fällen davon ausgeht, dass insoweit lediglich ein Hinausschieben der Fälligkeit des Entgeltanspruchs erfolgt ist (so wohl APS/Preis, § 8 ATG, Rn. 4/5). Jedenfalls hat der Kläger durch seine Tätigkeit alles ihm Obliegende getan, um die Vorausetzungen für das Entstehen eines Entgeltanspruchs in der Freizeitphase zu erfüllen. Er hat also im arbeitsvertraglichen Synallagma für die Vergütungszahlung in der Freistellungsphase die geschuldete Gegenleistung in vollem Umfang erbracht. Eine betriebsbedingte Kündigung könnte in dieses vertragliche Synallagma nur auf der Seite der Vergütungspflicht des Beklagten eingreifen, ohne jedoch gleichzeitig noch bestehende Leistungspflichten des Klägers zum Erlöschen zu bringen. Im Rahmen des Blockmodells kann eine Kündigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses in der Freiphase die bereits verdiente, aber noch nicht ausgezahlte Geldhälfte nicht mehr tangieren (vgl. ErfK/Rolfs, § 8 ATG, Rn. 2; Stück NZA 2000, 749 (751)). Dringende betriebliche Erfordernisse für den Ausspruch einer solchen Kündigung kommen daher von vornherein nicht in Betracht (s. auch LAG Niedersachsen, Urteil vom 11.09.2001 - 13 Sa 635/01 -).
Aus den genannten Gründen kommt es nicht auf die Frage an, ob einer in der Feststellungsphase ausgesprochenen Kündigung die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegenstehen (so: Reichling/Wolf, NZA 97, 422 (426/427); abw. APS/Preis, § 8 ATG Rn. 4/5; ErfK/Rolfs, § 8 ATG, Rn. 2).
Ferner kommt es nicht darauf an, ob aufgrund in der Altersteilzeitvertrag enthaltenen Befristungsabrede von einem konkludenten Ausschluss der ordentlichen Kündigung auszugehen ist, wobei ein derartiger Kündigungsausschluss ohnehin aufgrund der Regelung in § 113 Abs. 1 Satz 1 InsO unbeachtlich sein dürfte.
Die Wirksamkeit der Kündigung ergibt sich ferner nicht aus der Regelung in § 113 Abs. 1 InsO. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Insolvenz stellen weder einen außerordentlichen noch einen ordentlichen Kündigungsgrund dar. Der Insolvenzverwalter hat vielmehr den allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz zu beachten, unabhängig davon, ob der Betrieb in der Insolvenz fortgeführt wird oder nicht (vgl. Kübler/Prütting, § 113 InsO, Rn. 16 m.w.N.)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.