Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.04.2002, Az.: 11 Sa 1856/01
Abhängigkeit der Vergütungsgruppe einer Kindergartenleiterin von der tatsächlichen Durchschnittsbelegung oder von der vorhandenen Kapazität eines Kindergartens
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 08.04.2002
- Aktenzeichen
- 11 Sa 1856/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 10758
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2002:0408.11SA1856.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Nienburg - 31.10.2001 - 1 Ca 499/01
Rechtsgrundlage
- § 22 Abs. 3 BAT
Fundstellen
- ZMV 2003, 92-94
- ZTR 2002, 533-534
- ZTR 2003, 137-138 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Die Leiterin eines Kindergartens hat nur dann Anspruch auf die Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 7 BAT kommunal, wenn die Durchschnittsbelegung vom 01.10, bis 31.12. des Jahres mindestens 40 Kinder beträgt. Auf die im Kindergarten vorhandene Kapazität kommt es nicht an.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 31.10.2001 - 1 Ca 499/01 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin aufgrund des am 10.05.1994 abgeschlossenen Arbeitsvertrages weiterhin für die Zeit von April bis August 2001 Vergütung nach der Vergütungsgruppe V b der Anlage 1 a zum BAT anstelle der von der Beklagten gezahlten Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c BAT, die die Reduzierung mit einer irrtümlich erfolgten Eingruppierung der Klägerin begründet hat, zusteht.
Wegen des Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug, sowie der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung, die dieses Vorbringen dort erfahren hat wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Nienburg vom 31.10.2001 (Bl. 38 - 45 d. A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert auf 1.541,35 DM festgesetzt.
Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Klägerin habe keinen tariflichen Anspruch auf Vergütung nach der Vergütungsgruppe V b des BAT, denn aus Ziff. 4 des Arbeitsvertrages sei die Anwendung des Bundesangestelltentarifvertrags und der ihn ergänzenden Tarifverträge vereinbart worden. Maßgeblich für die Eingruppierung der Klägerin als Leiterin einer Kindertagesstätte sei die durchschnittliche Kindergartenbelegung. Bei einer Durchschnittsbelegung bis zum 39 Plätzen bestehe für diese Leiterin nur Anspruch auf die Vergütungsgruppe V c des BAT. In den vergangenen Jahren sei der von der Klägerin geleitete Kindergarten durchschnittlich mit weniger als 30 Kindern belegt worden. Die Beklagte habe deshalb wirksam die Rückgruppierung der Klägerin ab 01.04.2001 vornehmen dürfen. Die Angabe der Vergütungsgruppe V b des BAT im Arbeitsvertrag der Klägerin bedeute nicht, dass damit eine übertarifliche Vergütung vereinbart sei. Vielmehr werde damit nur wiedergegeben, welche Vergütungsgruppe der Arbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrages als richtig angesehen habe. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes mehr zahlen wolle, als dem Arbeitnehmer tariflich zustehen. Die Behauptung der Klägerin, die Beklagte habe bei Abschluss des Arbeitsvertrages bewusst eine höhere Vergütungsgruppe vereinbart, sei nicht schlüssig. Auch die Leitungsfunktion der Klägerin spreche nicht für die Vereinbarung einer übertariflichen Vergütung, da sowohl die Vergütung nach Vergütungsgruppe V b als auch nach Vergütungsgruppe V c des BAT von der Leitung einer Kindertagesstätte abhängig sei. Ein Anspruch auf höhere Vergütung folge auch nicht aus einer Verletzung des Mitbestimmungsrechtes des Personalrats.
Gegen dieses ihre am 15.11.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14.12.2001 Berufung eingelegt und diese am 09.01.2002 begründet.
Sie ist der Auffassung, die tarifvertragliche Regelung, nach der die Vergütungsgruppe von der Durchschnittsbelegung des Kindergartens im Vorjahr abhängig sei, sei unzulässig. Sie würde bedeuten, dass die Eingruppierung von Jahr zu Jahr sich verändern könne. Zu berücksichtigen sei auch, falls überhaupt eine fehlerhaft Eingruppierung bei Abschluss des Arbeitsvertrages stattgefunden habe, dass die Vergütungsgruppe V b des BAT ihr seit dem 01.01.1994 gezahlt worden sei. Schon wegen des langen Zeitraums könne eine Korrektur nur im Wege der Änderungskündigung erfolgen. Es sei auch bewußt eine höhere Vergütungsgruppe bei Abschluss des Arbeitsvertrages vereinbart worden. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Beklagten bei Abschluss des Arbeitsvertrages von den tariflichen Voraussetzungen und insbesondere auch den Protokollerklärungen Kenntnis gehabt habe. Dem stehe nicht entgegen, dass formularmäßig im Arbeitsvertrag auf die Vergütungsgruppe verwiesen werde. Daraus ergebe sich nicht, dass die Vereinbarung einer übertariflichen Vergütung ausgeschlossen sei. Eine Änderung der Vergütungsgruppe sei nur im Wege der Änderungskündigung möglich, die die Beklagte aus dem 30.09.2001 ausgesprochen und die sie auch zu diesem Zeitpunkt akzeptiert habe.
Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 31.10.2001 - 1 Ca 499/01 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.541,35 DM (788,08 €) nebst 5 % Zinsen seit dem 07.08.2001 zu zahlen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 12.02.2002 (Bl. 94 - 97 d. A.), auf den Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch insgesamt zulässige Berufung konnte keinen Erfolg haben.
Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird gemäß § 543 ZPO Bezug genommen.
Das Landesarbeitsgericht schließt sich den Ausführungen an und macht sie sich zu eigen.
Die Klägerin hat für den streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Vergütung nach Vergütungsgruppe V b der Anlage 1 a zum BAT.
Die Anwendung des Bundesangestelltentarifvertrags nebst den ihn ergänzenden Vorschriften ist in § 4 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 10.05.1994 vereinbart worden, denn dort haben die Parteien ausgeführt, dass das Arbeitsverhältnis sich nach dem BAT und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände jeweils geltenden Fassung richtet. Weiter ist vereinbart, dass Nebenabreden nur wirksam sind, wenn sie schriftlich vereinbart werden. Unter § 6 haben die Parteien die Eingruppierung der Klägerin in die Vergütungsgruppe V der Anlage 1 a zum BAT aufgeführt. Dies bedeutet aber nicht, dass die Vergütungsgruppe V b des BATübertariflich vereinbart werden sollte.
Zutreffend hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass die Angabe der Vergütungsgruppe im Arbeitsvertrag jedenfalls dann, wenn zugleich auf den Bundesangestelltentarifvertrag Bezug genommen wird, regelmäßig nicht als konstitutive Vereinbarung über die Vergütungshöhe ausgelegt werden kann, da die Vertragsparteien nur zum Ausdruck bringen wollen, welche Vergütungsgruppe aufgrund der Vereinbarung über die Anwendung des Bundesangestelltentarifvertrags als zutreffend ansehen (vgl. BAG, Urteil vom 25.10.1995 in AP-nr. 21 zu § 22, 23 BAT Sozialarbeiter). Der Arbeitgeber will lediglich der Hinweispflicht aus § 22 Abs. 3 BAT nachkommen, jedoch keine eigenständige Verbindlichkeit begründen (vgl. LAG Köln, Urteil vom 20.04.1994 in ZTR 1994, 374). Gerade der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes zahlt angesichts der Bindung an den Grundsatz der wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung nur in Ausnahmefällen eine übertarifliche Vergütung (vgl. BAG, Urteil vom 04.09.1996 in ZTR 1997, 73).
Die Behauptung der Klägerin, bei Abschluss des Arbeitsvertrages sei deshalb eine übertarifliche Vergütung vereinbart worden, weil der Beklagten als Arbeitgeberin der Bundesangestelltentarifvertrag nebst der zu Vergütungsgruppe V c und V b ergangenen Protokollnotizen bekannt gewesen seien, ist unschlüssig, worauf schon das Arbeitsgericht hingewiesen hat. Von einer bewussten übertariflichen Vergütungsvereinbarung kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Parteien in Kenntnis und im Bewustsein der Tatsache, dass eigentlich eine tiefere Vergütungsgruppe die tarifgerechte ist, dennoch vereinbart hätten, die Tätigkeit der Klägerin nach einer höheren Vergütungsgruppe zu entlohnen. Dafür fehlt jeglicher Anhaltspunkt.
Die Vergütung der Klägern bemisst sich daher, nach der Vergütungsgruppe, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihr nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht (§ 22 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 BAT).
Die Klägerin hat als Leiterin des Kindergarten in L nur Anspruch auf Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 10 der Anlage 1a zum BAT (§ 2 Abschnitt B) vom 24.04.1991.
Da sind eingruppiert Angestellte als Leiter von Kindertagesstätten. Dies ist die Klägerin.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Eingruppierung V b Fallgruppe 7, nach der Leiter von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 40 Plätzen einzugruppieren sind. Der von der Klägerin geleitete Kindergarten hat bei Anstellung der Klägerin zwar eine Kapazität von 40 Plätzen gehabt. Entscheidend ist aber nicht die mögliche Kapazität des Kindergartens sondern die tatsächliche Belegung. Unstreitig ist die Durchschnittsbelegung des Kindergartens am 01.04.1994 mit 30 Kindern und in der Zeit bis zur Rückgruppierung der Klägerin durch die Beklagte im Jahre 2001 höchstens mit 34 Kindern im Durchschitt belegt gewesen.
Das Tatbestandsmerkmal der durchschnittlichen Belegung des Kindergartens mit 40 Kindern hat daher die Klägerin während der gesamten Dauer des Arbeitsvertrages nicht erfüllt.
Die Beklagte konnte die zu hohe Eingruppierung der Klägerin im Arbeitsvertrag auch korrigieren.
Kommt es zu einem Streit, ob dem Arbeitnehmer ein tariflicher Anspruch auf die höhere Vergütung zusteht, so kann sich der Arbeitnehmer zunächst auf die vom Arbeitgeber im Arbeitsvertrag mitgeteilte Eingruppierung berufen. Der Arbeitgeber ist dann gehalten, die objektive Fehlerhaftigkeit der mitgeteilten Vergütungsgruppe, d. h. die fehlerhafte Bewertung der Tätigkeit im tariflichen Vergütungsgefüge und die dieser korrigierten Bewertung zugrunde liegenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen. Dazu genügt es, wenn der Arbeitgeber das Nichtvorliegen auch nur einer Voraussetzung der höheren Vergütungsgruppe nachweist. Insoweit kommt es auf die objektive Fehlerhaftigkeit der Eingruppierungsmitteilung an (vgl. Urteil des BAG vom 18.02.1998 in ZTR 1998, 368). Hat der Arbeitgeber die Fehlerhaftigkeit der Eingruppierung dargelegt, obliegt es dem Arbeitnehmer darzulegen, dass er die Voraussetzungen für die von ihm weiterhin begehrter Eingruppierung erfüllt.
Die Beklagte hat vorgetragen, die Eingruppierung der Klägerin nach Vergütungsgruppe V b sei irrtümlich erfolgt, weil sie damals davon ausgegangen sei, dass es auf die Belegungskapazität von 40 Plätzen des Kindergartens und nicht auf die tatsächliche Belegung angekommen sei. Damit hat die Beklagte die irrtümliche Eingruppierung begründet. Dass dieser fehlerhaft gewesen ist, ergibt sich schon daraus, dass - wie oben bereits dargelegt - die Klägerin zu keinem Zeitpunkt ihres Beschäftigungsverhältnisses die Voraussetzungen der Vergütungsgruppe V b der Anlage 1 a zum BAT erfüllt hat, da die Durchschnittsbelegung nie über 34 Kinder hinaus gegangen ist.
Dementsprechend konnte die Beklagte auch ohne Änderungskündigung die irrtümliche und fehlerhafte Eingruppierung der Klägerin korrigieren.
Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte vorsorglich, wegen der nach ihrer Auffassung ungeklärten Rechtslage, eine Änderungskündigung zum 30.09.2001 ausgesprochen hat, denn die Möglichkeit der Beklagten, eine fehlerhafte Eingruppierung ohne Änderungskündigung korrigieren zu können, hätte allenfalls Bedeutung für einen Kündigungsrechtstreit gehabt, den die Klägerin, weil sie die Kündigung akzeptiert hat, nicht geführt hat. Die Kündigung wäre möglicherweise unverhältnismäßig gewesen, weil die Beklagte auch ohne Kündigung eine Änderung der fehlerhaften Vergütungsgruppe hat vornehmen können.
Die fehlerhafte Vergütungsgruppe im Arbeitsvertrag ist auch nicht deshalb als zum eigenständigen Bestandteil des Arbeitsvertrages geworden, weil zwischen Einstellung der Klägerin und der korrigierenden Rückgruppierung 7 Jahre vergangen sind. Die Zeitdauer allein ist kein hinreichender Grund (vgl. BAG Urteil vom 17.05.2000 in NZA 01, 1316).
Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht deshalb begründet, weil, wie die Klägern meint, die tarifvertragliche Vorschrift gegen höherrangiges Recht verstößt, weil nach der Protokollerklärung Nr. 10 zur Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 7 BAT bei der Ermittlung der Durchschnittbelegung für das jeweilige Kalenderjahr grundsätzlich die Zeit in der vom 01. Oktober bis 31. Dezember des vergangenen Jahres vergebenen Plätze zugrunde zu legen sind. Dies kann zwar dazu führen, dass je nachdem, wie die Durchschnittsbelegung vom 01.10. bis 31.12. des jeweiligen Kindergartens ist, der Anspruch auf Vergütung zwischen der Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 7 und Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 10 BAT schwankt.
Tarifliche Vorschriften, nach denen sich die Vergütung bei Änderung tatsächlicher Umstände ohne weiteres ändert, verstoßen aber nicht gegen höherrangiges Recht. Es gibt keine gesetzliche Bestimmung, die für eine tarifvertraglich vorgesehene tatsächliche Änderung der Arbeitsbedingungen - hier die Anzahl der vergebenen Kindergartenplätze - zwingend den Ausspruch einer Änderungskündigung vorschreibt. Vielmehr können Tarifverträge sogar vorsehen, dass der Arbeitgeber ohne Änderung des Arbeitsvertrages dem Arbeitnehmer andere, auch nach einer niedrigeren Vergütungsgruppe zu vergütende Tätigkeiten zuweist (vgl. Urteil des BAG vom 07.11.2001 - 4 AZR 724/00 -). Unabhängig davon hat hier aber die Klägerin, weil die Durchschnittsbelegung des von ihr geleiteten Kindergartens zu keinem Zeitpunkt mindestens 40 Plätze betragen hat, zu keiner Zeit Anspruch auf Vergütung nach der Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 7 des BAT gehabt.
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Gegen dieses Urteil ist der Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde nach Maßgabe des § 72 a ArbGG statthaft.