Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.03.2002, Az.: 16 Sa 1799/01
Anspruch des Erben; Auflösungsvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer; Eintritt des Erben in Auflösungsvertrag; Entstehen der Forderung aus Auflösungsvertrag
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 22.03.2002
- Aktenzeichen
- 16 Sa 1799/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 10777
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2002:0322.16SA1799.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Osnabrück 4 Ca 783/01 07. 11. 2001
- nachfolgend
- BAG - 22.05.2003 - AZ: 2 AZR 250/02
Rechtsgrundlagen
- § 1922 BGB
- § 9 KSchG
- § 10 KSchG
Fundstelle
- LAGReport 2003, 96
Amtlicher Leitsatz
Ob eine Erbin auch in die Rechte ihres verstorbenen Ehemannes, der eine Auflösungsvereinbarung seines Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung vereinbart hatte, eintritt, richtet sich nach dem Willen der Vertragsschließenden. Die Forderung ist jedenfalls dann mit Abschluss des Vergleichs entstanden, wenn eine Gegenleistung des Erblassers durch das Ausscheiden erbracht wurde, wodurch die Arbeitgeberin wirtschaftliche Vorteile erlangte.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 07. 11. 2001, Az. 4 Ca 783/01, abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt in Wege der Vollstreckungsgegenklage, die Zwangsvollstreckung eines vor dem Arbeitsgericht Osnabrück geschlossenen Vergleiches für unzulässig zu erklären.
Die Klägerin war Arbeitgeberin des am 23. 11. 2000 verstorbenen Angestellten, des Ehemannes der Beklagten. Die Beklagte als Witwe ist die Alleinerbin des Erblassers.
Der Erblasser wurde von der Klägerin am 01. 10. 1999 zum 31. 12. 2000 gekündigt. Die Klägerin und der Erblasser führten unter dem Aktenzeichen 1 Ca 582/99 einen Kündigungsrechtsstreit, der am 11. 01. 2001 mit Vergleich endete. Dieser Vergleich lautet wie folgt:
"Vergleich:
1.
Es besteht Einigkeit zwischen den Parteien, dass auf Grund arbeitgeberseitiger Kündigung im Einvernehmen mit dem Kläger das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis mit dem 30. April 2002 enden wird.
Der Kläger stellt die Beklagte von etwaigen Regressansprüchen der Bundesanstalt für Arbeit frei.
2.
Die Beklagte stellt den Kläger unwiderruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung frei. Insoweit verbleibt es beim bereits bisherigen Zustand. Mit der Freistellung des Klägers sind die Urlaubsansprüche des Klägers, auch für die folgenden Beschäftigungsjahre, tatsächlich erfüllt.
3.
Die Beklagte zahlt an den Kläger für den Zeitraum ab dem 01. 01. 2000 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses monatlich 9. 000, 00 DM brutto. Die Parteien sind sich einig, dass künftig das zu zahlende Bruttoentgelt entsprechend der Entwicklung der Beitragsbemessungsgrenze für die Zahlung an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und das Versorgungswerk der Presse angepasst wird. Die Parteien sind sich ferner einig, dass pro Kalenderjahr 12 Bruttomonatsentgelte zu zahlen sind, wobei etwaiger anderweitiger tatsächlicher Arbeitsverdienst des Klägers in Höhe von 50 % des Bruttobetrags auf das Bruttoarbeitsentgelt des Klägers bei der Beklagten anzurechnen wären. Der anzurechnende Betrag wäre im Falle des Erwerbs des Klägers im Rahmen freiberuflicher Tätigkeit auf 40 % des Umsatzes zu beschränken.
4.
Die Beklagte zahlt an den Kläger als Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes entsprechend den §§ 9, 10 KSchG in Verbindung mit § 3 Ziff. 9 Einkommensteuergesetz 24. 000, 00 DM; Einigkeit besteht darüber, dass der Zahlbetrag erst zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird.
5.
Die Parteien sind sich einig, dass Rechte des Klägers auf betriebliche Altersversorgung von diesem Vergleich unberührt bleiben. Ferner besteht Einigkeit, dass der Kläger darüber hinaus Ansprüche gegen das Versorgungswerk der Presse hat.
6.
Etwaige Zahlungsansprüche des Klägers betreffend das Kalenderjahr 1999 sind mit Abschluss dieses Vergleichs erledigt.
7.
Die Parteien sind sich schließlich darüber einig, dass das zwischen dem Kläger und der O N V mbH bestehende Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet ist und hieraus wechselseitig keine Ansprüche der Parteien mehr bestehen. Insoweit erklärt hier auch der anwesende Rechtsanwalt Dr. G das Einverständnis der ON GmbH mit dieser Ziffer des Vergleichs ausdrücklich.
8.
Damit sind der vorliegende Rechtsstreit sowie die Rechtsstreite zu den Aktenzeichen 1 Ca 510/99 und 1 Ga 16/99 erledigt und ausgeglichen.
9.
Die Kosten der Rechtsstreite 1 Ca 582/99, 1 Ca 510/99 und 1 Ga 16/99 werden gegeneinander aufgehoben. "
Der Erblasser ist am 16. 04. 1939 geboren worden und war seit dem 01. 02. 1961 bei der Klägerin beschäftigt, zuletzt als Chef vom Dienst. Das letzte monatliche Bruttogehalt betrug 11. 370, -- DM.
Der Erblasser ist damit vor dem für das Arbeitsverhältnis vorgesehenen Enddatum des 30. 04. 2002 im Alter von 61 Jahren verstorben.
Die Beklagte als Alleinerbin betreibt nunmehr die Zwangsvollstreckung hinsichtlich der Abfindung von 24. 000, -- DM.
Mit der Vollstreckungsgegenklage vom 15. 10. 2001 macht die Klägerin geltend, dass der Beklagten die Abfindung nicht zustehe, weil der Anspruch auf Abfindung wegen des vorzeitigen Todes des Erblassers nicht entstanden sei.
Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, die Abfindung habe den Sinn, einen Ausgleich für wirtschaftliche Nachteile nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu geben. Dieser Zweck entfalle, wenn der Arbeitnehmer vor der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses versterbe. Das Arbeitsverhältnis ende sodann durch den Tod, nicht auf Grund der Kündigung oder den Vergleich. Eine Auslegung dieser Vereinbarung ergebe deshalb, dass die vereinbarte Abfindung entfalle, wenn der ehemalige Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses versterbe.
In Wirklichkeit habe es sich auch um eine vorzeitige Pensionierung gehandelt, denn der Erblasser wäre bei Ausscheiden zum 30. 04. 2002 bereits 63 Jahre alt gewesen, weshalb er Anspruch auf Rente und betriebliche Altersversorgung gehabt habe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Zwangsvollstreckung aus Ziffer 4) des vor dem Arbeitsgericht Osnabrück am 11. 01. 2000 unter dem Aktenzeichen 1 Ca 582/99 abgeschlossenen gerichtlichen Vergleichs (hilfsweise aus der hierzu erteilten Vollstreckungsklausel) für unzulässig zu erklären.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Abfindungsanspruch sei mit Abschluss des Vergleichs entstanden. Eine anderweitige Auslegung des Vergleichs sei nicht möglich.
Durch Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 07. 11. 2001 wurde die Zwangsvollstreckung aus der Ziffer 4) des vor dem Arbeitsgericht Osnabrück am 11. 01. 2000 unter dem Aktenzeichen 1 Ca 582/99 abgeschlossenen gerichtlichen Vergleichs für unzulässig erklärt, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und der Streitwert auf 24. 000, -- DM festgesetzt.
Wegen des Inhalts des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses (Blatt 17 bis 23 d. A. ) verwiesen.
Dieses Urteil wurde der Beklagten am 14. 11. 2001 zugestellt. Hiergegen legte diese am 05. 12. 2001 Berufung ein und begründete diese mit einem am 10. 12. 2001 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz.
Zur Begründung der Berufung trägt die Klägerin vor, es bestehe anderweitige Rechtshängigkeit auf Grund des weiter zwischen den Parteien laufenden Rechtsstreites 1 Ca 582/99.
In der Sache sei die Klage nicht begründet, da keine Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Erblasser geschlossen sei, dass das Erleben des vereinbarten Beendigungstermins erforderlich sei. Vielmehr beinhalte der Vergleich, dass der Zahlbetrag mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werde. Es sei eine reine Fälligkeitsregelung getroffen worden. Da das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Erblassers beendet worden sei, sei nunmehr der vereinbarte Abfindungsbetrag fällig.
Der Anspruch sei damit bei Abschluss des Vergleichs entstanden, so dass er auch vererbbar sei, da er zum Vermögen des Erblassers gehört habe. Im Übrigen wird auf die Berufungsschrift vom 07. 12. 2001 (Blatt 35 bis 39 d. A. ) verwiesen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das am 07. 11. 2001 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück, Az. 4 Ca 783/01, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 14. 01. 2002. Hierauf wird verwiesen (Blatt 44 bis 50 d. A. ).
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Beschwerdewert übersteigt 1. 200, -- DM. Die Berufung ist damit insgesamt zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO).
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet.
Die Beklagte ist als Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemannes in die Rechte und Pflichten ihres Ehemannes gemäß § 1922 BGB eingetreten. Zu den Rechten des Erblassers gehörte auch die Forderung gegenüber der Klägerin in Höhe von 24. 000, -- DM aus dem Vergleich vom 11. 01. 2000.
Schuldrechtliche Ansprüche entstehen regelmäßig mit Abschluss des Rechtsgeschäftes, durch das die Rechtsbeziehungen der Vertragschließenden geregelt werden (so auch BAG, Urteil vom 13. 11. 1986, Az. 2 AZR 771/85, in NZA 87, 458).
Vorliegend geht es jedoch um eine vertragliche Vereinbarung einer Abfindung, weswegen entscheidend der Wille der Vertragschließenden ist. Der Anspruch auf Abfindung wäre deshalb nicht entstanden, wenn der Entstehenszeitpunkt nach der im Vertrag verlautbaren Interessenlage der Parteien auf einen späteren Termin festgelegt worden ist (so BAG, Urteil vom 26. 08. 1997, Az. 9 AZR 227/96, in NZA 98, 643, 5644).
Nach der Regelung des Vergleichs sollte die Abfindung einerseits für den Verlust des Arbeitsplatzes entsprechend den §§ 9, 10 KSchG gezahlt werden, andererseits ist ausdrücklich vereinbart, dass Einigkeit darüber besteht, dass der Zahlbetrag erst zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird.
Aus der Wortwahl "fällig" ist zu schließen, dass die Parteien von der Existenz einer bereits mit Abschluss des Vergleichs bestehenden Forderung ausgegangen sind, lediglich die Fälligkeit herausgeschoben haben, weil die Nachteile für den Erblasser erst zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden.
Dem steht auch nicht entgegen, dass die Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt werden sollte und damit Nachteile ausgeglichen werden sollten, die der Erblasser auch tatsächlich haben würde und die nun nicht mehr entstehen können, weil der Erblasser verstorben ist.
Aus der Formulierung der Ziffer 4 des Vergleiches ist ersichtlich, dass die Abfindung vorrangig auf die Vorschriften des § 9, 10 KSchG abgestellt sein sollte i. V. m. insbesondere § 3 Ziff. 9 EStG und diese Formulierung nur deswegen gewählt worden ist, um die Steuerfreiheit tatsächlich zu gewährleisten. Der Erblasser wollte damit eine Gegenleistung der Klägerin erhalten für seine Einwilligung, das Arbeitsverhältnis zu beenden.
Eine weitergehende Bedeutung kann dieser Formulierung nicht entnommen werden. Anders als in den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 26. 08. 1997 (a. a. O. ) sowie vom 16. 05. 2000 (Az. 9 AZR 277/99 in NZA 2000, 1236) kann diesem Vergleich nicht entnommen werden, dass eine zusätzliche Einkommenssicherung des Erblassers bis zum Eintritt des Rentenalters der Abfindungszahlung als Voraussetzung beigegeben war. Im Gegenteil hat die Klägerin vorgetragen, dass der Erblasser vorzeitige Rente hätte beantragen können und zusätzlich Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung hatte. Damit ist der Vereinbarung eine Bestimmung nicht beigegeben worden, dass der Erblasser das vereinbarte Ausscheiden aus dem Betrieb tatsächlich erlebt. Es ging vielmehr nur um eine Gegenleistung des Erblassers, dass die Klägerin, die den Kläger nicht mehr beschäftigen wollte, weil der Erblasser ihrer Meinung nach den grundlegend gewandelten Anforderungen an die Position eines Chefs vom Dienst nicht mehr gewachsen sei, nachdem sich die Zeitungstechnik in einem revolutionären Wandel befunden habe und die Computerisierung und Digitalisierung die Aufgaben eines Chefs vom Dienst grundlegend verändert habe, von dieser Verpflichtung entbunden wurde. Die Klägerin, die mit dem Vergleich gleichzeitig eine Freistellung des Erblassers erreicht hatte, konnte auf diese Weise ihre Personalplanung ohne den Erblasser vornehmen. Der Erblasser hat im Gegenzug auf die weitere Beschäftigung bis zu dem Zeitpunkt, zu dem er eine Rente beziehen konnte, verzichtet. Diese im Kündigungsschreiben der Klägerin zum Ausdruck gekommene Interessenlage führt dazu, dass im Vordergrund für die Zahlung der Abfindung die Einwilligung des Erblassers zu dieser Gesamtregelung gestanden hat und er damit der Interessenlage der Klägerin entgegengekommen ist. Es ist deshalb nicht ersichtlich, dass weitere Voraussetzungen das Entstehen des Anspruchs erst begründen sollten, vielmehr der Anspruch bei Vergleichsabschluss entstehen sollte.
Bestätigt wird dieses durch die relativ geringe Höhe der Abfindung angesichts der Beschäftigungsdauer des Erblassers sowie seines monatlichen Einkommens. Hieraus wird nämlich ersichtlich, dass nicht im Vordergrund eine spätere Absicherung des Erblassers gestanden hat, vielmehr das Entgegenkommen des Erblassers, einerseits sofort aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden, andererseits das Arbeitsverhältnis auch tatsächlich zu einem späteren Zeitpunkt zu beenden.
Da die Abfindung grundsätzlich auch dazu bestimmt ist, Nachteile wegen des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis auszugleichen, profitieren von einer solchen Abfindung regelmäßig auch die gegenüber dem Arbeitnehmer unterhaltsberechtigten Personen. Wird deshalb die Beklagte als Erbin nunmehr begünstigt, so liegt dieses durchaus im Wesen einer solchen Abfindungszahlung.
Da der Beklagten die Abfindung zusteht, ist die Vollstreckungsgegenklage nicht begründet (vgl. hierzu auch Urteil des LAG Hamburg vom 16. 07. 1986, Az. 8 Sa 45/86, in DB 86, 2679 sowie BAG, Urteil vom 16. 10. 1969, Az. 2 AZR 373/68, in AP Nr. 20 zu § 794 ZPO sowie Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 13. 11. 1987, Az. 6 Sa 704/87, in DB 88, 140).
Soweit eine anderweitige Rechtshängigkeit eingewandt wird, so kann sich dieses nicht auf das Verfahren 1 Ca 582/99 (Kündigungsschutzverfahren) beziehen, sondern nur auf das Verfahren 4 Ca 714/01. Dieses Verfahren ist jedoch ausweislich der Akte beendet.
Der Hilfsantrag der Klägerin ist aus denselben Gründen nicht begründet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.
Die Zulassung der Berufung folgt aus § 72 Abs. 2 ArbGG.