Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.10.2020, Az.: 16 Sa 53/20
Weiter Gestaltungsspielraum und Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien bei der tariflichen Normsetzung; Zulässige Differenzierung zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit in einem Tarifvertrag; Praktische Konkordanz zwischen Grundrechtsausübung der Tarifparteien und Gleichheitsrechten der Normunterworfenen
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 08.10.2020
- Aktenzeichen
- 16 Sa 53/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 41957
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2020:1008.16Sa53.20.00
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BAG - 22.03.2023 - AZ: 10 AZR 553/20
Rechtsgrundlagen
- Art. 1 Abs. 3 GG
- für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie Niedersachsen/Bremen v. 23.08.2005 § 5 Nr. 2 Buchst. c) MTV
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Differenzierung zwischen Nachtarbeit (50 %) und Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr (25 %) bei der Zuschlagshöhe im Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie, Fruchtsaftindustrie, Mineralbrunnenindustrie Niedersachsen/Bremen vom 23.08.2005 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sie hält sich im Rahmen der den Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG zustehenden Einschätzungsprärogative.
- 2.
Praktische Konkordanz zwischen der Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG und den Gleichheitsrechten der Normunterworfenen (Art. 3 Abs. 1 GG) ist für jede tarifvertragliche Regelung, die unterschiedliche Zuschläge für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit vorsieht, gesondert herzustellen.
Redaktioneller Leitsatz
Den Tarifvertragsparteien als selbstständigen Grundrechtsträgern kommt aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie haben eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen. Bei der Lösung tarifpolitischer Konflikte sind sie nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zu treffen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht.
Tenor:
- 1.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 05.12.19 - 2 Ca 286/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- 2.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über tarifliche Nachtzuschläge für Schichtarbeit.
Der Kläger ist bei der Beklagten beschäftigt. Für das Arbeitsverhältnis gilt kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit ua. der Manteltarifvertrag für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie, Fruchtsaftindustrie, Mineralbrunnenindustrie Niedersachsen/B-Stadt vom 23.08.2005 (im Folgenden: MTV).
Der MTV, in Kraft getreten am 01.09.2005 (§ 15 Abs. 1 MTV), lautet auszugsweise - soweit für den vorliegenden Rechtsstreit von Interesse - wie folgt:
"§ 4
Alters- und Schichtfreizeit
...
2. Schichtfreizeit (Geltung nur für Arbeitnehmer in Unternehmen gem. § 1 Ziff. 2a)
Arbeitnehmer, die ständig im Drei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten für je 25 geleistete Nachtschichten in diesem System eine Freischicht.
...
§ 5
Mehrarbeit, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit
1. Begriffsbestimmung
...
c) Nachtarbeit
Nachtarbeit ist die in der Zeit von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit, soweit es sich nicht um Schichtarbeit handelt.
...
2. Zuschläge
Für Mehrarbeit, Nachtarbeit, Schichtarbeit in der Nacht, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:
a) Für Mehrarbeit
25%
ab der 3. Mehrarbeitsstunde am Tage
30%
...
b) für Nachtarbeit
50 %
c) für Schichtarbeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr
25 %
...
3. Berechnung der Zuschläge
...
b) Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist nur der jeweils höhere zu zahlen.
Hiervon ausgenommen ist der Zuschlag für Schichtarbeit (§ 5 Abs. 2 c). Dieser Zuschlag ist auch bei Zusammentreffen mit anderen Zuschlägen zu zahlen.
...
§ 14
Ausschlussfrist
Gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Beschäftigungsverhältnis sind innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten ab Entstehen des Anspruches geltend zu machen. (...)
..."
Der Kläger ist bei der Beklagten in Wechselschichtarbeit eingesetzt. Soweit er Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr leistet, zahlt ihm die Beklagte den Zuschlag in Höhe von 25 % gemäß § 5 Ziff. 2 c) MTV. Daneben zahlt die Beklagte an Arbeitnehmer, die im 4-Schichtsystem arbeiten eine übertarifliche Zulage.
Mit Schreiben vom 26.04.2019 machte der Kläger Differenzansprüche zu dem 50%igen Zuschlag für Nachtarbeit nach § 5 Ziff. 2 b) MTV geltend.
Der Kläger hat - zusammengefasst - die Auffassung vertreten, die Differenzierung bei der Zuschlagshöhe zwischen Nachtarbeit und Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr sei gleichheitswidrig. Nachtarbeit sei nach den arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen in jeder Form für Arbeitnehmer belastend und führe zu einer biologischen und sozialen Desynchronisation. Es sei kein Grund ersichtlich, warum die Arbeitnehmer in Schichtarbeit nur die Hälfte des Zuschlags erhalten als die Arbeitnehmer, die zwar auch Nachtarbeit, aber ohne Schichtarbeit verrichten. Da eine Anpassung "nach oben" zu erfolgen habe, könne er für Nachtschichtarbeit den tariflichen Zuschlag von 50 % verlangen.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Abrechnungszeitraum 01.01.2019 bis 31.01.2019 einen Betrag in Höhe von 227,67 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2019 zu zahlen.
2. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Abrechnungszeitraum 01.02.2019 bis 28.02.2019 einen Betrag in Höhe von 142,49 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2019 zu zahlen.
3. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Abrechnungszeitraum 01.03.2019 bis 31.03.2019 einen Betrag in Höhe von 135,60 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2019 zu zahlen.
4. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Abrechnungszeitraum 01.04.2019 bis 30.04.2019 einen Betrag in Höhe von 121,16 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2019 zu zahlen.
5. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Abrechnungszeitraum 01.05.2019 bis 31.05.2019 einen Betrag in Höhe von 151,38 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2019 zu zahlen.
6. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Abrechnungszeitraum 01.06.2019 bis 30.06.2019 einen Betrag in Höhe von 151,50 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2019 zu zahlen.
7. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm ab dem 01.07.2019 Nachtarbeitszuschläge des Manteltarifvertrags der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie, Fruchtsaftindustrie, Mineralbrunnenindustrie Niedersachsen/B-Stadt in der Fassung vom 23.08.2005 für zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr geleistete "Schichtarbeit" im Sinne des § 5 Ziffer 2 c) des Manteltarifvertrags in gleicher Höhe zu gewähren, wie für "Nachtarbeit" im Sinne des § 5 Ziffer 2 b) des Manteltarifvertrags.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat - zusammengefasst - die Auffassung vertreten, die Differenzierung zwischen den Zuschlägen für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit sei nicht gleichheitswidrig. Der Zuschlag für Nachtarbeit im Tarifsinne setze sich tatsächlich aus einem Zuschlag für Nachtarbeit in Höhe von 25 % und einem Zuschlag für Mehrarbeit in Höhe von 25 % zusammen, da sonstige ungeplante Nachtarbeit im Regelfall nur nach der üblichen Arbeitszeit anfalle, weil beispielsweise nach Schichtende verderbliche Rohstoffe noch verarbeitet werden müssten oder einer Havarie vorliege. Zudem würde die Erhöhung der Zuschläge für Nachtschichtarbeit auf 50% einen unzulässigen Eingriff der Gerichtsbarkeit in den tariflichen Gesamtzusammenhang darstellen.
Mit Urteil vom 05.12.2019 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, im Wesentlichen mit folgender Begründung: Dem Kläger stehe gegen die Beklagte kein Zuschlag in Höhe von 50% aufgrund eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu. Die Tarifvertragsparteien hätten mit der für Nachtarbeitszuschläge vorgenommenen Gruppenbildung den ihnen zustehenden weiten Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Neben dem Gesichtspunkt der Gesundheitsgefährdung hätten die Tarifvertragsparteien bei der Höhe des Zuschlags ersichtlich auch darauf abgestellt, ob die Nachtarbeit für die Arbeitnehmer planbar ist und sich diese darauf einstellen können. Dem Ergebnis stehe auch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - nicht entgegen. Die in diesem Verfahren zu bewertende Tariflage unterscheidet sich deutlich von der vorliegenden.
Gegen das dem Kläger am 20.12.2019 zugestellte Urteil richtet sich die am 20.01.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die am 27.03.2020, innerhalb der bis zum 31.03.2020 verlängerten Berufungsbegründungsfrist, unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen wie folgt begründet wurde:
Nach Auffassung des Klägers habe das Arbeitsgericht unzutreffend und entgegen der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - den Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG auf einen Zuschlag in Höhe von 50% abgelehnt. Neben der unterschiedlichen Bemessung der Höhe des Nachtzuschlags bestehe die Ungleichbehandlung der Nachtschichtarbeitnehmer im Weiteren darin, dass der Zuschlagzeitraum nach der tariflichen Regelung für Nachtschichtarbeit gegenüber der Nachtarbeit um eine Stunde gekürzt ist. Nachtarbeit sei nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen grundsätzlich für jeden Menschen und in jeder Form schädlich und führe zu einer biologischen und sozialen Desynchronisation. Eine Regelung, die Arbeitnehmer, die in einem besonders hohen Umfang Nachtarbeit leisten, erheblich schlechter stelle als Arbeitnehmer, die weniger Nachtarbeit leisten, diene nicht dem Gesundheitsschutz, sondern wirke sich wie ein Mengenrabatt für den Arbeitgeber aus, der Nachtarbeit in großem Umfang anordne. Die möglicherweise vorhandene Planbarkeit regelmäßiger Nachtarbeit bedeute keine geringere Belastung. Anhaltspunkte dafür, dass unregelmäßige Nachtarbeit im Tarifsinn nur kurzfristig und für den Arbeitnehmer überraschend vorkomme, ergeben sich aus dem Tarifvertrag nicht. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts hätten die Tarifvertragsparteien mit der für die Nachtarbeitszuschläge vorgenommenen Gruppenbildung den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten. Dem Gleichheitsgrundsatz könne auf der Rechtsfolgenseite nur dadurch Rechnung getragen werden, dass Nachtschichtarbeitnehmer ebenso behandelt werden wie Arbeitnehmer, die im gleichen Zeitraum Nachtarbeit außerhalb eines Schichtsystems erbracht haben. Der Feststellungsantrag sei zulässig. Mit dem Geltendmachungsschreiben und der Klage habe er hinreichend deutlich zu erkennen gegeben, dass er auch für die Zukunft den Zuschlag in Höhe von 50 % begehre. Ein wiederholter Hinweis würde keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 05.12.2019 - 2 Ca 286/19 - abzuändern und
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Abrechnungszeitraum 01.01.2019 bis 31.01.2019 einen Betrag in Höhe von 227,67 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2019 zu zahlen.
2. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Abrechnungszeitraum 01.02.2019 bis 28.02.2019 einen Betrag in Höhe von 142,49 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2019 zu zahlen.
3. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Abrechnungszeitraum 01.03.2019 bis 31.03.2019 einen Betrag in Höhe von 135,60 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2019 zu zahlen.
4. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Abrechnungszeitraum 01.04.2019 bis 30.04.2019 einen Betrag in Höhe von 121,16 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2019 zu zahlen.
5. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Abrechnungszeitraum 01.05.2019 bis 31.05.2019 einen Betrag in Höhe von 151,38 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2019 zu zahlen.
6. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Abrechnungszeitraum 01.06.2019 bis 30.06.2019 einen Betrag in Höhe von 151,50 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2019 zu zahlen.
7. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm ab dem 01.07.2019 Nachtarbeitszuschläge des Manteltarifvertrags der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie, Fruchtsaftindustrie, Mineralbrunnenindustrie Niedersachsen/B-Stadt in der Fassung vom 23.08.2005 für zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr geleistete "Schichtarbeit" in gleicher Höhe zu gewähren, wie für "Nachtarbeit" im Sinne des § 5 Ziffer 2 b) des Manteltarifvertrags.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung der erstinstanzlichen Ausführungen das arbeitsgerichtliche Urteil. Die Berufung genüge nicht den Anforderungen an die Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO. Sie sei jedenfalls unbegründet. Der Zuschlag für Nachtarbeit und für Nachtschichtarbeit sei das Ergebnis tarifautonomer Verhandlungen, die auf Augenhöhe zwischen den Tarifvertragsparteien geführt worden seien. Die Differenzierung bei der Zuschlagshöhe halte sich in dem den Tarifvertragsparteien eingeräumten weiten Gestaltungsspielraum. Ungeachtet dessen, dass den Kläger die Darlegungs- und Beweislast dafür treffe, dass kein Sachgrund für die Differenzierung zwischen Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit gegeben sei, sei ua. zu berücksichtigen, dass der Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit nicht nur die Erschwernisse für die Arbeit in der Nacht ausgleiche, sondern auch einen Ausgleich für die kurzfristige Einbuße der Dispositionsmöglichkeiten über die Freizeit schaffe. Hierin sei ein gravierender Unterschied zwischen der Nachtschichtarbeit und der Nachtarbeit zu sehen. Die planbare Nachtschichtarbeit sei im MTV als Regelfall und die sonstige Nachtarbeit als Ausnahmefall ausgestaltet. Zudem erhielten nur die Nachtschichtarbeitnehmer die Freischicht nach § 4 Ziff. 2 Abs. 1 MTV. Die unregelmäßige Nachtarbeit stelle fast immer auch Mehrarbeit dar, so dass sich der Zuschlag für Nachtarbeit tatsächlich aus einem Zuschlag für Nachtarbeit und einem Mehrarbeitszuschlag zusammensetze. Auch führe ein Verstoß der Zuschlagsregelungen gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht dazu, dass eine Anpassung nach oben zu erfolgen habe. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Der Feststellungsantrag sei unzulässig.
Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung ist gemäß § 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und entgegen der Auffassung der Beklagten auch ordnungsgemäß nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO begründet worden.
Eine Berufungsbegründung muss gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben. Die Berufungsbegründung des Klägers genügt diesen Anforderungen. Das Arbeitsgericht hat ua. angenommen, dass die Tarifvertragsparteien mit der für Nachtarbeitszuschläge vorgenommenen Gruppenbildung den ihnen zustehenden weiten Gestaltungsspielraum nicht überschritten haben. Dem tritt der Kläger entgegen und trägt ua. vor, dass die Tarifvertragsparteien ihren Gestaltungsspielraum vor allem deshalb überschritten hätten, weil sie gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit verkannt hätten. Die Berufungsbegründung befasst sich ua. auch damit, dass und warum nach Anschauung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts nicht mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - in Übereinstimmung zu bringen ist. Da nur eine Auseinandersetzung mit der Begründung des Arbeitsgerichts verlangt wird, ist der von der Beklagten vorgebrachte Einwand, der Kläger habe zur Zuschlagshöhe nichts Substantielles vorgetragen, für die Zulässigkeit der Berufung nicht wesentlich.
II.
Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.
1.
Die Klage ist zulässig.
a)
Die bezifferten Zahlungsanträge sind für die streitgegenständlichen Monate als abschließende Gesamtklage zu verstehen. Mit diesem Verständnis sind sie hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
b)
Auch der Feststellungsantrag ist zulässig.
aa)
Er ist hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger begehrt - zukunftsgerichtet ab dem Monat Juli 2019 und ohne zeitliche Einschränkung - für Nachtschichtarbeit einen Zuschlag in Höhe von 50%, wie er nach der Regelung in § 5 Ziff. 2 b) MTV für Nachtarbeit "soweit es sich nicht um Schichtarbeit handelt" beansprucht werden kann. Der Feststellungsantrag reicht, wie der Klägervertreter in der Verhandlung am 08.10.2020 klargestellt hat, noch weiter. Neben der Anpassung der Höhe der Zuschläge für (Nacht)Schichtarbeit an Nachtarbeit begehrt der Kläger auch eine Anpassung in zeitlicher Hinsicht für die gesamte Zeit, die in § 5 Abs. 1 c) MTV als Nachtarbeit definiert ist und damit nicht nur für die (Nacht)Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr, sondern bereits ab 21:00 Uhr bis 6:00 Uhr.
Der Antrag ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht deshalb unbestimmt, weil sie unabhängig von dem Bestehen eines Arbeitsverhältnisses bzw. der Anwendbarkeit des MTV zur Zahlung des höheren Zuschlags verpflichtet wäre. Wie oben ausgeführt, ist der Antrag - hinreichend bestimmt - dahingehend zu verstehen, dass der Anspruch auf die höheren Zuschläge ohne zeitliche Einschränkung geltend gemacht wird. Die Beklagte spricht mit ihrem Einwand nicht die hinreichende Bestimmtheit des Klageantrags an, sondern die materielle Rechtskraft eines derartigen Feststellungstitels. Die Beendigung der Rechtskraft kommt aber jedenfalls bei Entscheidungen mit Dauerwirkung dann in Betracht, wenn sich die maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse wesentlich ändern (vgl. BAG 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - Rn. 31). Sowohl die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als auch Umstände, die zum Wegfall der Anwendbarkeit des MTV "in der Fassung vom 23.08.2005" führen könnten, stellen eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse dar, so dass die Gefahr der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung des höheren Zuschlags bei in tatsächlicher Hinsicht geänderten Umständen nicht besteht.
bb)
Für den Feststellungsantrag besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Der angestrebte feststellende Ausspruch ist trotz seiner nicht vollstreckbaren Wirkung geeignet, den Streit der Parteien über die Höhe des Nachtzuschlags unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung beizulegen und weitere Prozesse zwischen ihnen zu vermeiden (vgl. BAG 15. Dezember 2016 - 6 AZR 603/15 - Rn. 19).
Der Feststellungsantrag wahrt die Ausschlussfrist auch für erst zukünftig entstehende Ansprüche, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt das Feststellungsinteresse nicht in Abrede gestellt werden kann. Soll ein Anspruch zur Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist geltend gemacht werden, so muss der Schuldner zur Erfüllung des Anspruchs aufgefordert werden (BAG 5. April 1995 - 5 AZR 961/93 - zu 2 b der Gründe). Dies ist mit der Zustellung der Klageschrift geschehen. Die Geltendmachung von Ansprüchen setzt zudem grundsätzlich voraus, dass die rechtserzeugenden Anspruchsvoraussetzungen bei der Geltendmachung erfüllt sind, dh. der Anspruch entstanden ist. Bei erst in der Zukunft entstehenden Ansprüchen ist diese Voraussetzung nicht gegeben. Eine Besonderheit liegt aber vor, wenn bei unveränderter rechtlicher und tatsächlicher Lage ein Anspruch aus einem bestimmten Sachverhalt hergeleitet werden kann. Dies ist der Fall, wenn ein bestimmter Anspruch jeweils aus einem ständig gleichen Grundtatbestand entsteht (vgl. BAG 16. Januar 2013 - 10 AZR 863/11 - Rn. 31). So liegt der Fall hier. Die Anzahl der zuschlagspflichtigen Nachtschichtstunden ist in den Entgeltabrechnungen ausgewiesen bzw. lässt sich ohne weiteres bestimmen. Die Parteien streiten dem Grunde nach nur darum, ob für Nachtschichtarbeit ein Zuschlag wie für Nachtarbeit nach § 5 Ziff. 2 b) iVm. § 5 Ziff. 1 c) MTV zu zahlen ist. Damit ist dem Zweck der Ausschlussfrist, dem Schuldner zeitnah Gewissheit zu verschaffen, mit welchen Ansprüchen er zu rechnen hat (vgl. BAG 16. Januar 2013 - 10 AZR 863/11 - Rn. 31), auch für die Zukunft genüge getan.
2.
Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein weiterer Zuschlag für geleistete Nachtschichtarbeit unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung zu. Dementsprechend hat der Kläger auch keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, für Nachtschichtarbeit Zuschläge in gleicher Höhe zu gewähren wie für Nachtarbeit.
a)
Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 5 Ziff. 2 b) MTV. Der Kläger leistet regelmäßig (Nacht)Schichtarbeit, so dass ihm nach der Regelung in § 5 Ziff. 2 c) MTV lediglich ein Zuschlag von 25 % zusteht. Dies steht zwischen den Parteien auch nicht im Streit.
b)
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, mit Arbeitnehmern, die Nachtarbeit iSd. § 5 Ziff. 2 b) MTV leisten, gleich behandelt zu werden. Die von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Differenzierung zwischen Nachtarbeit von 21:00 Uhr bis 6:00 Uhr, soweit es sich nicht um Schichtarbeit handelt, und Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr bei der Höhe der Zuschläge verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sie bewegt sich im Rahmen der den Tarifvertragsparteien zustehenden Einschätzungsprärogative.
aa)
Nach der Rechtsprechung des BAG kommt den Tarifvertragsparteien als selbständigen Grundrechtsträgern aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie haben eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen. Bei der Lösung tarifpolitischer Konflikte sind sie nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zu treffen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht (BAG 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 43).
Der Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 3 GG verpflichtet die staatlichen Arbeitsgerichte dazu, die Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien zu beschränken, wenn diese mit den Freiheits- oder Gleichheitsrechten oder anderen Rechten mit Verfassungsrang der Normunterworfenen kollidiert. Sie müssen insoweit praktische Konkordanz herstellen (BAG 19. Dezember 2019 - 6 AZR 563/18 - Rn. 21) und gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen unterbinden (BAG 19. Dezember 2019 - 6 AZR 653/18 - Rn. 25). Dabei haben die Gerichte bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrags in den Blick zu nehmen, dass eine besondere Form der Grundrechtskollision bewältigt und die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit mit den betroffenen Individualgrundrechten in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden muss. Bei der Prüfung, ob Tarifnormen Grundrechte oder andere Rechte der Arbeitnehmer mit Verfassungsrang verletzen, müssen die Gerichte nicht nur die besondere Sachnähe der Tarifvertragsparteien, sondern außerdem beachten, dass sich die Arbeitnehmer im Regelfall durch den Beitritt zu ihrer Koalition oder durch die vertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag, die die Tarifnormen zum Vertragsinhalt macht, bewusst und freiwillig der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien auch für die Zukunft unterworfen haben. Die Gerichte dürfen mithin nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Koalitionen setzen (vgl. BAG 19. Dezember 2019 - 6 AZR 563/18 - Rn. 26).
bb)
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Differenzierung bei der Höhe des Zuschlags in § 5 Ziff. 2 b) und c) MTV zwischen Nachtarbeit und Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr weiterhin Bestand. Sie verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
(1)
Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Der MTV unterscheidet zwischen Nachtarbeit von 21:00 Uhr bis 6:00 Uhr, soweit es sich nicht um Schichtarbeit handelt (§ 5 Ziff. 2 b) iVm. Ziff. 1 c) MTV) und Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr (§ 5 Ziff. 2 c) MTV). Die Gruppe der Arbeitnehmer, die Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr leistet, ist mit der Gruppe, die Nachtarbeit leistet, vergleichbar. Dies ergibt sich daraus, dass beide Arbeitnehmergruppen ihre Arbeitsleistung innerhalb des in § 5 Ziff. 1 c) MTV tarifvertraglich als Nachtarbeit definierten Zeitraums von 21:00 Uhr bis 6:00 Uhr erbringen. Auch wenn der Wortlaut zunächst darauf hindeutet, dass mit der Zuschlagsregelung in § 5 Ziff. 2 c) MTV Erschwernisse in Zusammenhang mit zu leistender Schichtarbeit ausgeglichen werden sollen, spricht der Umstand, dass der Zuschlag lediglich für die Nachtschicht beansprucht werden kann, dafür, dass die Tarifvertragsparteien mit dem Zuschlag für Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr die mit der Leistung von Nachtarbeit (in Schichtarbeit) verbundenen Erschwernissen ausgleichen wollten. Demselben Zweck dient der Zuschlag für Nachtarbeit nach § 5 Ziff. 2 b) MTV. Der Auffassung der Beklagten, der Zuschlag für Nachtarbeit setze sich tatsächlich aus einem Nachtarbeitszuschlag und einem Mehrarbeitszuschlag zusammen, steht der eindeutige Wortlaut des § 5 Ziff. 2 b) MTV entgegen. Mag es in der Praxis auch nicht selten vorkommen, dass unregelmäßige Nachtarbeit gleichzeitig Mehrarbeit darstellt, weil über die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit zur Nachtzeit im tariflichen Sinne gearbeitet wird, ändert sich der Charakter des Zuschlags für Nachtarbeit nicht.
(2)
Ein sachlich vertretbarer Grund für die Differenzierung bei der Zuschlagshöhe für Nachtarbeit und Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr ist gegeben.
Hierbei legt die Kammer - wie auch schon das Arbeitsgericht - neue arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde, die der Kläger in der Berufungsschrift vom 23.03.2020 (insbesondere unter Punkt 6.2) umfassend darstellt und worauf Bezug genommen wird. Danach ist Nachtarbeit für die Gesundheit umso schädlicher, in je größerem Umfang sie geleistet wird. Allerdings führt der Umstand, dass der nicht im Rahmen eines Schichtsystems und damit im Ergebnis idR. weniger Nachtarbeit leistende Arbeitnehmer einen höheren Zuschlag erhält als der (Nacht)Schichtarbeitnehmer, für sich genommen noch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar kann angenommen werden, dass die Gesundheit des Arbeitnehmers, der regelmäßig Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit leistet, grundsätzlich in höherem Maße gefährdet ist als die Gesundheit desjenigen, der Nachtarbeit außerhalb eines Schichtsystems und damit im Regelfall in einem geringeren Umfang leistet. Der Normzweck des Zuschlags für Nachtarbeit in § 5 Ziff. 2 b) MTV beschränkt sich allerdings nicht ausschließlich auf den Gesundheitsschutz. Dies kann ua. auch daraus geschlussfolgert werden, dass im Mittel tarifliche Nachtarbeitszuschläge etwa 25% betragen. Bei Nachtarbeitszuschlägen, die diese Marge überschreiten, ist nicht auszuschließen, dass deren Höhe (auch) auf anderen Gründen beruht (vgl. BAG 5. September 2002 - 9 AZR 202/01 - Rn. 49).
(a)
Der Zuschlag für Nachtarbeit nach § 5 Ziff. 2 b) MTV verfolgt neben dem Gesundheitsschutz auch den Zweck, die sozialen Folgen ("soziale Desynchronisation"), die mit jeder Arbeit außerhalb der üblichen Arbeitszeiten der Mehrheit der Arbeitnehmer und damit außerhalb des üblichen Tagesablaufs verbunden sind, zu mindern (BAG 11. Dezember 2013 - 10 AZR 736/12 - Rn. 22). Soweit die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen sind, dass derjenige Arbeitnehmer, der keiner solchen Regelmäßigkeit unterliegt, durch die Heranziehung zur Nachtarbeit höher belastet wird als der Arbeitnehmer, der sich auf einen vorgegebenen Rhythmus einstellt und seine Freizeitaktivitäten daran anpasst, hält sich dies in ihrem Beurteilungsspielraum. Auch wenn das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 52 ausführt, dass die Teilhabe am sozialen Leben durch unregelmäßige Nachtarbeit außerhalb von Schichtsystemen nicht in einem höheren Maße gefährdet werde als bei Nachtarbeit innerhalb von regelmäßigen Schichten, ist doch zu berücksichtigen, dass jede Abweichung von der regulären Arbeitszeit innerhalb - meist lange im Voraus - feststehender Schichten für die davon betroffenen Arbeitnehmer eine erneute Abstimmung der Lebensbereiche Arbeit und Familie, Freunde sowie Freizeit erforderlich macht. Die Balance zwischen (Nacht-)Arbeit und Freizeit sowie Familienverpflichtungen herzustellen, ist umso schwieriger, je unregelmäßiger die Nachtarbeit anfällt (Landesarbeitsgericht Niedersachsen 6. August 2020 - 6 Sa 64/20 - Rn. 75, juris). Entgegen der Auffassung des Klägers kann dieser Aspekt als sachlicher Grund Anerkennung finden. Dabei ist dies nicht "die exklusive Meinung des Arbeitsgerichts", sondern die Einschätzung der Tarifvertragsparteien, die unter Berücksichtigung der in Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie und der damit einhergehenden geringeren Kontrolldichte durch die Arbeitsgerichte weitestgehend zu akzeptieren ist.
(b)
Die Höhe des Zuschlags für Nachtarbeit spricht zudem dafür, dass die Tarifvertragsparteien die sporadische Nachtarbeit außerhalb eines Schichtsystems als einen Ausnahmetatbestand verstanden wissen wollten, welcher die Nachtarbeit außerhalb eines Schichtsystems für Arbeitgeber verteuern und gleichzeitig Arbeitnehmern als Anreiz für die (ausnahmsweise) Tätigkeit zur tariflichen Nachtzeit dienen sollte. Auch dieser Aspekt stellt einen sachlich vertretbaren Grund für die Differenzierung dar. Wie der Kläger unter Verweis auf die Entscheidung vom 11. Dezember 2013 - 10 AZR 736/12 - (Rn. 15) zutreffend ausführt, ist bei der Überprüfung von Tarifverträgen anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht auf die Einzelfallgerechtigkeit abzustellen, sondern auf die generellen Auswirkungen der Regelung. Durch die Verteuerung der Nachtarbeit für Arbeitgeber einerseits und die Schaffung eines Anreizes durch eine lukrative Ausgestaltung der Zuschläge für Arbeitnehmer andererseits, besteht die generelle Auswirkung der Regelung auch in einer Steuerungsfunktion durch die Tarifvertragsparteien, die Nachtarbeit außerhalb der Schichtarbeit auf Ausnahmefälle in Ausnahmesituationen zu beschränken. Hierbei muss es hingenommen werden, dass, insbesondere unter Berücksichtigung der Anreizfunktion, die Einzelfallgerechtigkeit nicht in jedem Fall gegeben ist.
Dem Kläger ist zuzugestehen, dass der Aspekt, die Nachtarbeit möglichst teuer und damit für den Arbeitgeber unattraktiv zu machen, beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge durch die Regelung in § 5 Ziff. 3 b) MTV unter Umständen relativiert wird. Dennoch verbleibt es bei dem Ausnahmecharakter, den die Tarifvertragsparteien der Nachtarbeit außerhalb eines Schichtsystems beigemessen haben. Die Nachtarbeit außerhalb eines Schichtsystems bleibt für den Arbeitgeber teuer, auch wenn nach § 5 Ziff. 3 b) MTV in dem Falle, dass bspw. die Nachtarbeit zusätzlich auch Mehrarbeit darstellt, der Mehrarbeitszuschlag nach § 5 Ziff. 2 a) MTV nicht zusätzlich neben dem Zuschlag für Nachtarbeit in Höhe von 50% zu zahlen ist.
(c)
Dass die Differenzierung in der Höhe der Zuschläge uU. nicht mehr zeitangemessen und nicht die gerechteste Lösung ist, ist unter Berücksichtigung der den Gerichten zustehenden geringen Kontrolldichte hinzunehmen. Ausreichend ist ein sachlich vertretbarer Grund für die Differenzierung. Dieser liegt vor, auch wenn - wie der Kläger vorträgt - die Tarifvertragsparteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Manteltarifvertrags mangels Vorliegens anderer arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse von einem biologischen Gewöhnungseffekt bei in Nachtarbeit tätigen Arbeitnehmern ausgegangen sind.
(3)
Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Verpflichtung, den Gesundheitsschutz vor den Belastungen der Nachtschichtarbeit nach den gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnissen sicherzustellen, ein Eingriff in den den Tarifparteien eingeräumten Regelungsspielraum nicht erforderlich.
(a)
Der für Nachtschichtarbeit zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbarte Zuschlag steht insbesondere § 6 Abs. 5 ArbZG nicht entgegen.
§ 6 Abs. 5 ArbZG überlässt die Ausgestaltung des Ausgleichs für Nachtarbeit wegen der größeren Sachnähe den Tarifvertragsparteien und schafft nur subsidiär einen gesetzlichen Anspruch (BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 369/10 - Rn. 18). Nur wenn eine tarifvertragliche Regelung nicht besteht, besteht hiernach ein gesetzlicher Anspruch auf eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag zum Bruttoarbeitsentgelt. Ist eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung nicht einschlägig, entspricht es ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass ein Zuschlag iHv. 25 % auf den jeweiligen Brutto(stunden)lohn einen angemessenen Ausgleich darstellt (BAG 13. Dezember 2018 - 6 AZR 549/17 - Rn. 28, BAG 9. Dezember 2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 16, BAG 16. April 2014 - 4 AZR 802/11 - Rn, 59 mwN). Von dieser Zuschlagshöhe kann abzuweichen sein, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit unter qualitativen oder quantitativen Aspekten vom Regelfall abweicht (vgl. BAG 9. Dezember 2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 27 ff.). Bei der Erbringung der regulären Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der damit einhergehenden erhöhten gesundheitlichen Belastung regelmäßig ein Nachtarbeitszuschlag iHv. 30 % als angemessen anzusehen (BAG 9. Dezember 2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 28).
Im vorliegenden Fall haben sich die Tarifvertragsparteien für Nachtschichtarbeit auf einen Zuschlag verständigt, der den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Angemessenheit von Nachtzuschlägen - wohlgemerkt im Falle des Nichtbestehens einer tarifvertraglichen Regelung - entspricht. Ohne besondere Umstände ist damit auch der tarifvertraglich vereinbarte Nachtschichtzuschlag iSd. § 5 Ziff. 2 c) MTV unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes als angemessen anzusehen. Eines staatlichen Eingriffs bedarf es nicht. Dem Gesundheitsschutz der Nachtschichtarbeitnehmer ist zudem durch die Regelung in § 5 Ziffer 3 b) MTV nochmals gesondert Rechnung getragen worden. Hiernach ist der Zuschlag für (Nacht)Schichtarbeit auch beim Zusammentreffen mit anderen Zuschlägen zu zahlen.
(b)
Auch aus einer europarechtlichen Verpflichtung des Staates, den Gesundheitsschutz der Nachtschichtarbeiter nach gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnissen sicherzustellen, ergibt sich kein Anspruch auf den erhöhten Zuschlag von 50%. Die Regelungen in § 6 ArbZG resultieren ua. aus der Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG (vgl. BAG 9. Dezember 2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 18). Anhaltspunkte für eine nicht richtlinienkonforme Umsetzung trägt der Kläger nicht vor und sind auch nicht ersichtlich.
(4)
Nach § 4 Ziff. 2 Abs. 1 MTV erhalten Arbeitnehmer, die ständig im 3-Schicht-Wechsel arbeiten, für je 25 geleistete Nachtschichten in diesem System eine Freischicht. Da es sich bei der Beklagten um ein obst- und gemüseverarbeitendes Unternehmen iSd. § 1 Ziff. 2 a) MTV handelt, findet die Regelung Anwendung. Die Regelung dient - gleichermaßen wie der nach § 5 Ziff. 2 c) MTV gewährte Zuschlag - dem Ausgleich von den mit der Nachtarbeit einhergehenden Erschwernissen und Belastungen und damit ua. dem Gesundheitsschutz. Die in § 4 Ziff. 2 Abs. 1 MTV geregelte zusätzliche Kompensation ist bei dem Maß der Differenzierung zwischen Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit zu berücksichtigen. Dies ergibt sich bereits aus § 6 Abs. 5 ArbZG, wonach der Ausgleich für Tätigkeit während der Nachtzeit auch in der Gewährung einer angemessenen Zahl bezahlter freier Tage bestehen kann. Diese Form der Kompensation entspricht dem in § 1 Nr. 1 ArbZG verfolgten Ziel des Gesundheitsschutzes sogar in höherem Maße als die Zahlung von Zuschlägen (vgl. BAG 26. August 1997 - 1 ABR 16/97 - zu B II 2 a der Gründe).
(5)
Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - mit der vorliegenden Entscheidung in Einklang zu bringen. In dem Urteil vom 21. März 2018 hatte der 10. Senat - wie die Kammer im vorliegenden Fall auch - praktische Konkordanz zwischen der Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien und den Gleichheitsrechten der Normunterworfenen herzustellen und die Grundrechtsausübung der Tarifvertragsparteien überwiegend deshalb hinter den Gleichheitsrechten der Normunterworfenen zurücktreten lassen, weil der Zuschlag für Nachtarbeit (50%) im Verhältnis zum Zuschlag für Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit (15%) ua. "um mehr als das Dreifache höher" war (BAG 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 47) und damit eine deutliche Schlechterstellung der Nachtarbeit leistenden Schichtarbeitnehmer bei der Bezahlung der Nachtarbeit im Vergleich zu den Arbeitnehmern, die Nachtarbeit außerhalb von Schichtsystemen leisten, bestehe (BAG 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 48). Gegenüber dem Sachverhalt, der dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21. März 2018 zugrunde lag, unterscheidet sich der hier zur Entscheidung stehende Fall vor allem darin, dass Unterschiede in der Zuschlagshöhe hier nur im Umfang von 25 % zu 50 %, unter Berücksichtigung der Freischichten sogar im Umfang von weniger als 25 % bestehen und von den Tarifvertragsparteien auch für Nachtschichtarbeit ein der Gesundheitsgefährdung jedenfalls angemessener Zuschlag von 25% vereinbart wurde.
Dafür, dass das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - jegliche tarifvertragliche Differenzierung zwischen Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit als unzulässig erachtet, bestehen keine Anhaltspunkte. Die Entscheidung vom 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - lässt insbesondere nicht erkennen, dass der Senat von der früheren Entscheidung vom 11. Dezember 2013 - 10 AZR 736/12 -, in welcher über eine Differenzierung von Nachtarbeit (50%) und Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit (20%) im Manteltarifvertrag für den Berliner Einzelhandel zu entscheiden war, abrücken wollte (vgl. BAG 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 54).
cc)
Da ein sachlicher Grund für die Differenzierung zwischen Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit in der Zuschlagshöhe gegeben ist, kann dahingestellt bleiben, ob eine "Angleichung nach oben" in jedem Fall zu erfolgen hat, insbesondere auch dann, wenn die Nachtarbeit nach der Auslegung des Tarifvertrags und der gelebten Praxis die Ausnahme, die Nachtschichtarbeit die Regel ist. Gegen eine Anpassung nach oben spricht, dass eine Lückenschließung im Wege der ergänzenden Tarifauslegung zu unterbleiben hat, wenn unter Berücksichtigung von Treu und Glauben den Tarifvertragsparteien ein Spielraum zur Lückenschließung verbleibt und es ihnen wegen der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie überlassen bleiben muss, die von ihnen für angemessen gehaltene Regelung selbst zu finden (BAG 12. Dezember 2013 - 8 AZR 942/12 - Rn. 19 mwN).
dd)
Sowohl die Zahlungsanträge als auch der Feststellungsantrag sind unbegründet. Die Berufung unterliegt damit insgesamt der Zurückweisung.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 97 Abs.1 ZPO.
Die Kammer hat der entscheidungserheblichen Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beigemessen, weshalb gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen wurde.