Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.09.2020, Az.: 17 Sa 211/20
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 02.09.2020
- Aktenzeichen
- 17 Sa 211/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 66701
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BAG - 22.03.2023 - AZ: 10 AZR 482/20
In dem Rechtsstreit
pp.
hat die 17. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 2020 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Knauß sowie die ehrenamtliche Richterin Frau Brockmann und die ehrenamtliche Richterin Frau Birkholz als Beisitzer für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 11. Dezember 2019 teilweise - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
- 1.
539,48 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Juni 2019 sowie
- 2.
669,54 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 2. August 2019 sowie
- 3.
244,05 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. November 2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren im Wege der Zahlungsklage über Ansprüche des Klägers auf Zahlung höherer Nachtarbeitszuschläge für die Monate Februar, März, April, Mai und Juli 2019. Bei dem vorliegenden Verfahren handelt es sich um eines von insgesamt drei Musterverfahren. Weitere 8 zweitinstanzlich durch Vergleich erledigte Verfahren sollen entsprechend diesen Musterverfahren behandelt werden.
Der am00.00.1964 geborene Kläger ist seit dem 00.00.1991 am Standort Bramsche bei der Beklagten, einem Unternehmen der Tierernährung, zu einem Stundenlohn von 18,35 € brutto beschäftigt. Er wird im 3-Schicht-System mit regelmäßiger Nachtarbeit eingesetzt. Die Beklagte zahlt ihm für die in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr gearbeiteten Stunden einen Zuschlag in Höhe von 25% pro Stunde. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet aufgrund beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag Futtermittelindustrie Niedersachsen/Bremen vom 03. Juli 1980, gültig ab 1. Januar 1989 (im Folgenden: MTV) Anwendung.
In § 4 MTV heißt es auszugsweise wörtlich:
"§ 4 Mehr-, Nacht-, Schicht-, Sonn- und Feiertagsarbeit
I. Begriffsbestimmungen
1. Mehrarbeit ist die über die festgelegte regelmäßige tägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeit.
...
2. Nachtarbeit ist die in der Zeit von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr geleistete Arbeit. Bei Schichtarbeit beginnt die Nachtarbeit um 22:00 Uhr.
...
5. Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit ist ebenso wie Mehrarbeit nach Möglichkeit zu vermeiden. Sie ist - außer bei regelmäßiger Schichtarbeit - im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen nur vorübergehend in Fällen einer dringenden betrieblichen Notwendigkeit im Einvernehmen mit dem Betriebsrat zulässig.
Die im Rahmen dieser Bestimmungen festgelegte Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit ist zu leisten.
II. Vergütung
1. Für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie für Schichtarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:
a) für Mehrarbeit | 25 v.H. |
---|---|
b) für Mehrarbeit ab der dritten Stunde täglich im inneren Betrieb | 40 v.H. |
c) für Arbeit am sonst arbeitsfreien Werktag, soweit es sich um Mehrarbeit handelt | 50 v.H |
d) für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist | 60 v.H. |
e) für regelmäßige Schichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22 Uhr bis 6 Uhr fällt | 25 v.H. |
Regelmäßige Schichtarbeit im Sinne dieser Bestimmung liegt nicht vor, wenn die Schichtarbeit weniger als eine Woche dauert. | |
f) für Arbeiten an Sonntagen | 75 v.H. |
g) für Arbeiten an gesetzlichen Feiertagen, auch wenn diese auf einen Sonntag fallen | 25 v.H. |
...
4. Die Zuschläge werden von dem tatsächlichen Stundenverdienst oder dem tatsächlichen Monatsverdienst berechnet. Bei Angestellten und Monatslöhnern ist zur Berechnung des Entgelts je Arbeitsstunde, bei Stundenlöhnern zur Berechnung des Monatslohnes von einem Divisor bzw. Multiplikator
von | 173 |
---|---|
ab 1.10.1989 | 169 |
ab 1.10.1990 | 165 |
auszugehen.
Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge gemäß Ziffer 1 ist nur der höchste, bei gleicher Höhe nur ein Zuschlag zu zahlen, außer dem Zuschlag für Nachtschichtarbeit. Dieser Zuschlag bleibt ohne Anrechnung.
...
III. Schichtfreizeit
Arbeitnehmer, die in 3schichtigem Wechsel arbeiten und deshalb nach ihrem Schichtplan regelmäßig Nachtarbeit leisten, erhalten für je 60 geleistete Nachtschichten
1 Tag bezahlte Schichtfreizeit. Das Entgelt bemisst sich nach § 10, III. Ziff. 1 (Urlaubsentgelt).
..."
Zur Geltendmachung von Ansprüchen bestimmt § 14 MTV - soweit vorliegend von Interesse - wörtlich:
"Gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis sind innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten seit Entstehung des Anspruchs geltend zu machen. ..."
Zur Fälligkeit der Vergütungsansprüche heißt es in § 7 Ziff. 8. auszugsweise wörtlich:
"Der Lohn - bzw. Gehaltszahlungstag sowie ggf. der Tag der Abschlagszahlungen wird von der Geschäftsleitung im Einvernehmen mit dem Betriebsrat festgelegt. Fällt der Zahltag auf einen Feiertag, so erfolgt die Zahlung von Lohn bzw. Gehalt am vorhergehenden Werktag. ..."
Ergänzend wird auf die einzelnen Regelungen des streitbefangenen MTV (Bl. 211 bis 222 dA des ebenfalls als Musterverfahren geführten Parallelverfahrens 17 Sa 208/20) verwiesen.
Die Parteien streiten darüber, ob die tarifliche unterschiedliche Zuschlagsregelung für Nachtarbeit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt und den im 3-Schichtsystem mit regelmäßiger Nachtarbeit eingesetzten Arbeitnehmern - wie dem Kläger - für die in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr gearbeiteten Stunden ein Zuschlag in Höhe von 60 %, wie es der MTV für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, vorsieht, zusteht. Wegen des streitigen Vorbringens der Parteien in erster Instanz sowie ihrer vor dem Arbeitsgericht gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 11. Dezember 2019 zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und den Streitwert auf 2.034,70 € festgesetzt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe jedenfalls derzeit keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Anpassung des Nachtarbeitszuschlags "nach oben", also auf Zahlung eines weiteren Nachtarbeitszuschlags in Höhe von 35 % für die von ihm geleisteten Nachtarbeitszeiten im streitbefangenen Zeitraum. Es könne dahinstehen, ob ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliege, denn eine der Klage stattgebende Entscheidung würde einen unzulässigen Eingriff in die Tarifautonomie darstellen. Zwar verpflichte die Schutzfunktion des Art. 3 GG Gesetzgebung und Rechtsprechung, die Regelungskompetenz der Tarifpartner so zu begrenzen, dass sachwidrige oder gar diskriminierende Gruppenbildungen nicht wirksam werden könnten. Dabei sei allerdings die Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien zu respektieren. Die Gerichte dürften nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen unter Berufung auf Art. 3 GG an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Verbände setzen. Besondere Zurückhaltung sei geboten, wenn bei einer gleichheitswidrigen tariflichen Regelung die Anpassung nach oben eine nachhaltige Erweiterung des Dotierungs- oder Kostenrahmens bewirke. Bei Anwendung dieser Grundsätze könne zu Gunsten des Klägers unterstellt werden, dass aufgrund der unterschiedlichen Höhe der Nachtarbeitszuschläge für Schichtarbeitnehmer einerseits und für Nachtarbeiter andererseits ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliege. Dies bedürfe aber keiner abschließenden Entscheidung, weil es nicht Aufgabe der Fachgerichte sei, anstelle der Tarifvertragsparteien eine Anpassung "nach oben" vorzunehmen. Wegen der Erwägungen im Einzelnen, die das Arbeitsgericht zu seinem Urteil haben gelangen lassen, wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 11. Dezember 2019 Bezug genommen.
Gegen dieses ihm am 23. Januar 2020 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 18. Februar 2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und das Rechtsmittel am 08. Juni 2020 begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 23. Juni 2020 verlängert worden war. Die Kammer nimmt auf den Berufungsbegründungsschriftsatz des Klägers sowie seinen weiteren Schriftsatz vom 17. August 2020 Bezug.
Der Kläger rügt an dem angegriffenen Urteil unter Verweis auf die Entscheidung des BAG vom 21. März 2018 - 10 AZR 34/17, das Arbeitsgericht habe einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG erkannt, der entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts jedoch nur durch eine "Anpassung nach oben" zu beseitigen sei. Er wiederholt und vertieft im Übrigen seine bereits erstinstanzlich vertretene Auffassung, dass die tarifvertragliche Differenzierung in § 4 MTV zwischen Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit die in die Nachtzeit von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr falle, mit der Abstufung der Zuschlagshöhe zwischen 60 % und 25 % gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Es bestünden zwischen Nachtschichtarbeitern und Nachtarbeitnehmern keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, die eine derart unterschiedliche Vergütung rechtfertigen würden. Es gehe nicht um die Angemessenheit der Zuschläge für Nachtarbeit, sondern um die Unzulässigkeit der Differenzierung. Die Planbarkeit der Nachtarbeit bei Schichtarbeit führe nicht zu geringeren Belastungen der Arbeitnehmer, die eine Ungleichbehandlung bei der Zuschlagshöhe rechtfertigen würden. Dies gelte sowohl für die gesundheitlich schädlichen Folgen der Nachtarbeit wie auch für die Gefahr sozialer Desynchronisation. Die Tarifvertragsparteien seien bei der Normsetzung offensichtlich von einem biologischen Gewöhnungseffekt von Nachtschichtarbeitnehmern an Nachtarbeit ausgegangen. Sie hätten damit einem Fehlverständnis über die gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnisse unterlegen und die Grenze ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumten Einschätzungsprärogative überschritten. Hierdurch sei die streitgegenständliche Tarifnorm einer Rechtskontrolle durch die Arbeitsgerichte zugänglich. Im Rahmen dieser Rechtsprüfung sei keine Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung von Nachtschichtbeschäftigten festzustellen. Als Rechtsfolge sei eine Anpassung nach oben vorzunehmen. Es sei ausschließlich die Höhe der Nachtzuschläge miteinander zu vergleichen und nicht darauf abzustellen, ob und wie zusätzliche Erschwernisse ausgeglichen würden. Der Ausgleich durch Schichtfreizeiten genüge außerdem nicht den arbeitsmedizinischen Erkenntnissen, da er erst nach der 60. Nachtschicht erworben werde. Nachtarbeit außerhalb von Schichtsystemen sei im Übrigen nicht zwangsläufig Mehrarbeit. Da es vorliegend um Normenkontrolle gehe und entscheidend sei, ob tarifliche Normen unzulässig differenzierten, müsse auch keine konkrete Vergleichsgruppe vorhanden sein, so dass es nicht darauf ankomme, ob im Betrieb der Beklagten keine oder nur sehr wenig Beschäftigte tätig seien, die Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit leisteten. Zur Untermauerung seiner Position bezieht sich der Kläger auf ein Gutachten des Zentrums für Sozialforschung Halle e.V, wegen dessen Inhalt auf die Anlage zum Berufungsbegründungsschriftsatz (Bl. 87 ff. dA) Bezug genommen wird.
Der Kläger beantragt zuletzt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 11. Dezember 2019 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger
1. 539,48 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.06.2019,
2. 669,54 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.08.2019,
3. 244,05 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 28. November 2019
zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 13. August 2020, auf die die Kammer Bezug nimmt, sowie des Rechtsgutachtens der Richter am Bundesarbeitsgericht a. D. Eylert und Creutzfeldt (Anlage zum Schriftsatz vom 27. Juli 2020, Bl. 229 bis 268 d. A.).
Die Beklagte meint, die Berufung sei bereits unzulässig, weil der schlichte Verweis des Klägers auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. März 2018 und ihre Behauptung, der einschlägige MTV verletze - zumindest in Teilen - den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, weshalb ein anderer im MTV bezeichneter (höherer) Zuschlag zu zahlen sei, den Anforderungen des BAG an eine zulässige Berufungsbegründung nicht genüge. Im Übrigen sei die Berufung unbegründet. Es liege keine "erheblich weniger günstigen Zuschlagsregelung" wie in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall vom 21. März 2018 vor. Wie sich aus der Tarifgeschichte ergebe, hätten die Tarifvertragsparteien des MTV das System des Ausgleichs der Belastungen in ausführlichen Tarifverhandlungen geregelt und mit den unterschiedlichen Regelungen der Nachtarbeitszuschläge unterschiedliche Zwecke verfolgt. Sie hätten sich nicht auf den Ausgleich gesundheitlicher Nachteile der Nachtarbeit beschränkt, sondern im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative als sachlichen Grund für die Differenzierung bei der Höhe des Zuschlags für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit im Tarifsinn ersichtlich auch darauf abgestellt, ob die Nachtarbeit für die Arbeitnehmer - wie bei der Schichtarbeit - planbar sei und sich diese darauf einstellen könnten. Damit würden die Folgen sozialer Desynchronisation, die mit jeder Arbeit außerhalb der üblichen Arbeitszeiten der Mehrheit der Arbeitnehmer und damit außerhalb des üblichen Tagesablaufs verbunden seien, gemindert. Gleichzeitig verringere und begrenze der Einsatz in Wechselschichtsystemen die Anzahl der Arbeitsstunden in der tariflichen oder gesetzlichen Nachtzeit. Ein unregelmäßiger und ungeplanter Einsatz in Nachtarbeit außerhalb eines Schichtsystems greife dagegen in sehr viel höherem Maße in das Familienleben und Freizeitverhalten der betroffenen Arbeitnehmer ein. Ein höherer Zuschlag für einen solchen Einsatz belohne die im Vergleich zu planbarer Nachtarbeit innerhalb eines Schichtsystems größere Einbuße der Dispositionsmöglichkeit der Arbeitnehmer über deren Freizeit und halte Arbeitgeber von kurzfristigen Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer ab. Die Tarifvertragsparteien hätten diese stark verteuert und damit die Schwelle für ihre Anordnung möglichst weit erhöht, um dem tarifvertraglichen Gebot, Nachtarbeit grundsätzlich zu vermeiden, Nachdruck zu verleihen. Bei den üblichen Fallkonstellationen seien zudem die Arbeitszeiten der selten und sporadisch anfallenden ungeplanten Nachtarbeit (zu der im Betrieb der Beklagten in den letzten 12 Monaten lediglich etwa 0,8 % aller beschäftigten Arbeitnehmer in der Zeit von 22:00 bis 06:00 Uhr herangezogen worden seien) im Regelfall Mehrarbeit, die über die regelmäßige tägliche Arbeitszeit hinausgehe, was entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung der Zuschläge gehabt habe. Da nach dem MTV Zuschläge nicht kumuliert würden, sondern nur der höhere bzw. bei gleicher Höhe nur ein Zuschlag zu zahlen sei (§ 4 II. Ziff. 4.2. Abs. MTV), hätten die Tarifvertragsparteien der Futtermittelindustrie den Zuschlag für die Nachtarbeit aus den Zuschlägen für Nachtarbeit und Mehrarbeit zusammengesetzt und seien so auf Zuschlagssätze von 60 % gekommen. Tarifzweck sei mithin die Vermeidung von "sonstiger Nachtmehrarbeit". Das Gesamtgefüge des Tarifvertrags könne zudem hinsichtlich der jeweiligen Zweckverfolgung nicht auf einzelne Vorschriften begrenzt werden. Ziel der Gewerkschaft NGG sei es gewesen, besondere Belastungen nicht durch Geld, sondern durch freie Zeiten auszugleichen. Da die Verteuerung der Nachtarbeit sich nur mittelbar auf die Gesundheit der Nachtarbeitnehmer auswirke, hätten die Tarifvertragsparteien des MTV einen unmittelbaren Ausgleich geschaffen, indem sie Schichtfreizeiten gewährten. Die zusätzliche Gewährung von Schichtfreizeit gem. § 4 III. MTV sei rechnerisch mindestens mit einem Faktor von 1 (1/60 = 1,67%) zu berücksichtigen. Würde man der Rechtsauffassung des Klägers folgen, hätte er zusätzlich zu dem erhöhten Zuschlag Anspruch auf Gewährung von Freischichten und würde dann wieder bessergestellt als Beschäftigte, die nur unregelmäßige Nachtarbeit leisteten und diese Vergünstigung nicht bekämen.
Entscheidungsgründe
A.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und 519, 520 ZPO). Die Berufung ist auch unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung gem. §§ 520 Abs. 3 ZPO zulässig. Sie erschöpft sich nicht in einer schlichten Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens oder in formelhaften Wendungen. Das erstinstanzliche Gericht hat zugunsten des Klägers unterstellt, dass ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliege, dies aber letztlich dahinstehen lassen. Es hat die Klage letztlich abgewiesen, weil seiner Auffassung nach eine Anpassung "nach oben" nicht in Betracht komme. Mit diesem Argument setzt sich der Kläger hinreichend auseinander, indem er auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.03.2018 und die seiner Meinung nach allein mögliche Anpassung "nach oben" verweist. Das Berufungsgericht kann daher erkennen, aus welchen Gründen der Kläger die angefochtene Entscheidung für unzutreffend hält. Auf die Schlüssigkeit der Erwägungen des Klägers kommt es für die Frage der Zulässigkeit der Berufung nicht an.
B.
Die Berufung ist begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf weitere Nachtzuschläge für die in den Monaten Februar, März, April, Mai und Juli 2019 geleisteten Nachtstunden zu. Das Urteil des Arbeitsgerichts war daher abzuändern und wie tenoriert zu erkennen.
I.
Der Kläger hat Anspruch auf Vergütung eines Zuschlags für geleistete regelmäßige Nachtarbeit iSd. § 4 Ziff. II. 1. Buchst. d) MTV in Höhe von 60 %. Die tarifvertragliche Differenzierung bei den Zuschlägen für "regelmäßige Schichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22 Uhr bis 6 Uhr fällt" einerseits (§ 4 Ziff. II. 1. Buchst. e) MTV und für "Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist" (§ 4 Ziff. II. 1. Buchst. d) MTV) andererseits verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Arbeitnehmer, die regelmäßige Nachtarbeit leisten, werden gegenüber Arbeitnehmern, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, gleichheitswidrig schlechter gestellt. Dem Gleichheitssatz kann nur dadurch Rechnung getragen werden, dass der Kläger für die im Streitzeitraum geleistete regelmäßige Nachtarbeit ebenso behandelt wird wie ein Arbeitnehmer, der im gleichen Zeitraum unregelmäßige Nachtarbeit erbracht hat. Da die Beklagte bereits einen Nachtarbeits-zuschlag von 25 % gezahlt hat, steht dem Kläger ein weiterer Anspruch in Höhe von 35 % zu seinem jeweiligen Stundenlohn zu.
1.
Der MTV gilt kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit im Arbeitsverhältnis der Parteien normativ, § 4 Abs. 1 TVG.
2.
Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dabei ist es grundsätzlich dem Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln. Die aus dem Gleichheitssatz folgenden Grenzen sind überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können (BAG 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 43). Die Tarifvertragsparteien als Normgeber sind bei der tariflichen Normsetzung zwar nicht unmittelbar, aber mittelbar grundrechtsgebunden (BAG 19. Dezember 2019 - 6 AZR 563/18 - Rn. 19 ff. mzwN). Der Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 3 GG verpflichtet die staatlichen Arbeitsgerichte dazu, die Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien zu beschränken, wenn diese mit den Freiheits- oder Gleichheitsrechten oder anderen Rechten mit Verfassungsrang der Normunterworfenen kollidiert. Dabei haben die Gerichte bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrags allerdings in den Blick zu nehmen, dass eine besondere Form der Grundrechtskollision bewältigt und die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit mit den betroffenen Individualgrundrechten in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden muss. Bei der Prüfung, ob Tarifnormen Grundrechte oder andere Rechte der Arbeitnehmer mit Verfassungsrang verletzen, müssen die Gerichte nicht nur die besondere Sachnähe der Tarifvertragsparteien, sondern außerdem beachten, dass sich die Arbeitnehmer im Regelfall durch den Beitritt zu ihrer Koalition oder durch die vertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag, die die Tarifnormen zum Vertragsinhalt macht, bewusst und freiwillig der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien auch für die Zukunft unterworfen haben. Tarifvertragsparteien steht bei ihrer Normsetzung deshalb ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind. Darüber hinaus verfügen sie über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung. Die Gerichte dürfen nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Koalitionen setzen. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt. Dies bedingt im Ergebnis eine deutlich zurückgenommene Prüfungsdichte durch die Gerichte (BAG 19. Dezember 2019 - 6 AZR 563/18 - Rn. 26 mzwN.). In Bezug auf den Gleichheitsgrundsatz sind die Arbeitsgerichte deshalb dazu berechtigt, aber auch verpflichtet, nur solchen Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu einer Gruppenbildung führen, mit der Art. 3 Abs. 1 GG verletzt wird. Der auch insoweit bestehende Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien ist überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen den Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung in der normierten Art und Weise rechtfertigen könnten (BAG 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 44). Dabei ist nicht auf Einzelgerechtigkeit, sondern auf die generellen Auswirkungen einer tarifvertraglichen Regelung abzustellen (BAG 11. Dezember 2013 - 10 AZR 736/12 - Rn 15 mwN).
3.
Gemessen daran haben die Tarifvertragsparteien des MTV mit der für die Nachtarbeitszuschläge vorgenommen Gruppenbildung den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten, indem sie für eine Gruppe von Normadressaten ohne sachlichen Grund eine erheblich weniger günstige Zuschlagsregelung geschaffen haben als für eine vergleichbare Gruppe. Zwischen Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist (§ 4 Ziff. II. 1. Buchst. d) MTV) und regelmäßiger Schichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22 Uhr bis 6 Uhr fällt (§ 4 Ziff. II. 1. Buchst. e) MTV), bestehen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, die eine derart unterschiedliche Nachtarbeitsvergütung rechtfertigen. Die Zuschlagsregelung für regelmäßige Nachtarbeit verringert sach- und gleichheitswidrig das Entgelt für die mit der Erschwernis Nachtarbeit verbundene Arbeitsleistung im Vergleich zu den Arbeitnehmern, die Nachtarbeit verrichten, die keine regelmäßige Schichtarbeit im Tarifsinne ist.
a)
Die Gruppe der Arbeitnehmer, die - wie der Kläger - Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit leistet, ist mit der Gruppe der Arbeitnehmer vergleichbar, die Nachtarbeit außerhalb von Schichtsystemen leisten. Beide Arbeitnehmergruppen erbringen Leistung innerhalb eines Zeitraums, der in § 4 Ziff. II. 1. MTV als Nachtarbeit definiert ist und sich dadurch von Arbeit zu anderen Zeiten unterscheidet. In § 4 Ziff. II. 1. Buchst. d) und Buchst. e) MTV haben die Tarifparteien zum Ausdruck gebracht, dass sie die Arbeitsleistung in dem von § 4 Ziff. I. 2. MTV definierten Zeitraum als Erschwernis betrachten, die durch einen Lohnzuschlag zu kompensieren ist (BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 46).
b)
In § 4 Ziff. I. 5. MTV heißt es, "Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit ist ebenso wie Mehrarbeit nach Möglichkeit zu vermeiden." Der Wortlaut des Tarifvertrags geht damit zunächst von einer generellen Pflicht zur Vermeidung von Nachtarbeit aus. In Satz 2 der Tarifnorm wird diese Pflicht sodann nach der Art der Arbeitszeitgestaltung differenziert. Außer bei regelmäßiger Schichtarbeit ist sie (im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen und im Einvernehmen mit dem Betriebsrat) nur vorübergehend in Fällen einer dringenden betrieblichen Notwendigkeit zulässig. Nachtarbeit außerhalb von regelmäßigen Schichten ist mithin nur ausnahmsweise zulässig. Dies spricht dafür, dass die Tarifvertragsparteien die Nachtarbeit außerhalb regelmäßiger Schichtarbeit, die nach Satz 2 des § 4 Ziff. II. Buchst. e) MTV nur vorliegt, wenn die Schichtarbeit weniger als eine Woche dauert, als belastender angesehen und sie deshalb stärkeren Einschränkungen unterworfen haben. Dem entsprechen die abgestuften Zuschlagsregelungen in § 4 Ziff. II. Buchst. d) und Buchst. e) MTV, die die Nachtarbeit außerhalb regelmäßiger Schichtarbeit erheblich verteuern. Nach § 4 Ziff. II. 1. Buchst. d) und Buchst. e) MTV sind unterschiedlich hohe Zuschläge je nach dem zu zahlen, ob die Nachtarbeit im Rahmen regelmäßiger Schichtarbeit geleistet wird oder nicht. Der Zuschlag für Nachtarbeit außerhalb von regelmäßiger Schichtarbeit ist mehr als doppelt so hoch wie der in § 4 Ziff. II. 1. e) MTV für Schichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr fällt. Zudem beginnt für die Gruppe die Nachtarbeit leistet, ohne dass regelmäßige Schichtarbeit vorliegt, die Nachtzeit gemäß § 4 Ziff. I. 2. MTV bereits um 20:00 Uhr. Nach Wortlaut und Systematik haben die Tarifvertragsparteien damit erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass sie die Nachtarbeit außerhalb regelmäßiger Schichtarbeit als belastender ansehen, als Nachtarbeit im Rahmen regelmäßiger Schichtarbeit und sie deshalb nicht nur unter eingeschränkte Zulässigkeitsbedingungen gestellt, sondern auch verteuert haben. Für diese Auslegung spricht schließlich zusätzlich die Tarifhistorie, denn bereits der Manteltarifvertrag vom 06. Januar 1972 (Anl. zum Schriftsatz der Beklagten vom 27. Juli 2020, Bl. 257 - 262 dA) sah sowohl für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schicht- und keine Mehrarbeit ist § 4 Ziff. II Buchst. d), als auch für Mehrarbeit, die in der Nacht von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr geleistet wird (§ 4 Ziff. II. Buchst. e)), jeweils 50 % Zuschlag, für regelmäßige Schichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr fällt hingegen nur 25 % Zuschlag (§ 4 Ziff. II. Buchst. f)) vor.
c)
Die Differenzierung bei der Zuschlagshöhe zwischen Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist und Schichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr fällt, kann nicht mit gesundheitlichen Belastungen und der sozialen Desynchronisation gerechtfertigt werden. Auch wenn der Zuschlag für Nachtschichtarbeit mit 25 % pro Stunde den Mindestsatz entspricht, der nach der Rechtsprechung im Rahmen des § 6 Abs. 5 ArbZG bei normaler Belastung einzuhalten ist (BAG 25. April 2018 - 5 AZR 25/17 - Rn. 44; 09. Dezember 2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 21 ff.), besteht vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschengerechte Gestaltung kein Unterschied zwischen den gesundheitlichen Belastungen für Arbeitnehmer, die Nachtarbeit innerhalb von Schichten leisten, und Arbeitnehmern, die Nachtarbeit außerhalb von Schichten verrichten (BAG 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 48). Nachtarbeit ist nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen grundsätzlich für jeden Menschen schädlich und hat negative gesundheitliche Auswirkungen (BVerfG, Urteil vom 28.01.1992 - 1 BvR 1025/92 - NZA 1992, 270; BAG 18.10.2017 - 10 AZR 47/17 - Rn. 39). Die Belastung erhöht sich mit dem Umfang der geleisteten Nachtarbeit. Hiervon geht erkennbar auch das ArbZG aus, da der Schutz für Nachtarbeitnehmer nach § 2 Abs. 5 bereits einsetzt, wenn diese "nur" an 48 Tagen im Kalenderjahr Nachtarbeit leisten oder normalerweise Nachtarbeit in Wechselschicht leisten (BAG 09. Dezember 2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 28). Indem Nachtarbeit verteuert wird, wirkt sich der Nachtarbeitszuschlag mittelbar auf die Gesundheit aus. Außerdem soll der Nachtarbeitszuschlag iSd. § 6 Abs. 5 ArbZG in einem gewissen Umfang den Arbeitnehmer für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen. Der Gesetzgeber hat die Ausgleichspflicht für Nachtarbeit als so bedeutend angesehen, dass er den entsprechenden Zuschlag - als einzigen Zuschlag - gesetzlich geregelt hat. (BAG 23. August 2017 - 10 AZR 859/16 - Rn. 43 mwN). Nicht nur die mit Nachtarbeit einhergehenden Gesundheitsgefährdungen, sondern auch die erschwerte Teilnahme am sozialen Leben sind Aspekte, die alle Nachtarbeitnehmer unabhängig davon betreffen, ob sie Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit leisten oder nicht (BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 52). Mit gesundheitlichen Aspekten und der alle Nachtarbeiter betreffenden sozialen Desynchronisation ist die unterschiedliche Zuschlagshöhe mithin sachlich nicht zu rechtfertigen.
d)
Die erhebliche Differenzierung der Zuschlagshöhe für Nachtarbeit ist vorliegend nicht durch sachliche Gründe neben dem Gesundheitsschutz und der alle betreffenden sozialen Desynchronisation sachlich gerechtfertigt. Auch wird sie nicht durch andere, zB auf bezahlte Freizeit gerichtete, tarifliche Regelungen - ausreichend - "kompensiert".
(1)
Die Differenzierung der Zuschlagshöhe für die hier streitbefangenen unterschiedlichen Nachtarbeitsformen ist nicht durch den "weiteren Zweck" der Vermeidung ungeplanter Nachtarbeit gerechtfertigt, um einen Anreiz zu setzen, auf diese zu verzichten bzw. sie weiter zurückzudrängen, weil die "ungeplante" Nachtarbeit die Arbeitnehmer zusätzlich belastet.
Die Teilhalbe am sozialen Leben wird durch unregelmäßige Nachtarbeit außerhalb von Schichtsystemen nicht in einem höheren Maß gefährdet, als bei Nachtarbeit innerhalb von regelmäßigen Schichten (vgl. BAG 21.03.2018 - BAG - 10 AZR 34/17 - Rn. 52). Zwar macht jede Abweichung von der regulären Arbeitszeit innerhalb - lange im Voraus - feststehender Schichten für die davon betroffenen Arbeitnehmer eine erneute Abstimmung der Lebensbereiche Arbeit und Familie, Freunde sowie Freizeit erforderlich. Von daher ist es nicht zu beanstanden, wenn Tarifvertragsparteien bei der Bestimmung der Zuschlagshöhe berücksichtigen, dass die schichtplanmäßige regelmäßige Arbeitszeit im geringeren Maße in das Familienleben und Freizeitverhalten eingreift, als die nur ausnahmsweise unregelmäßige und außerhalb von Schichten geleistete Nachtarbeit (vgl. BAG 11.12.2013 - 10 AZR 736/12 - Rn. 23). Allerdings ist objektiv die mit jeder Nachtarbeit einhergehende biologische Desynchronisation die maßgebliche Gefährdung und soll nach dem Gesetzeszweck des § 6 Abs. 5 ArbZG der Nacharbeitszuschlag vor allem die gesundheitlichen Gefahren und Belastungen eingrenzen. Selbst wenn daher ein erhöhter Zuschlag für ungeplante Nachtarbeit sachlich gerechtfertigt sein kann, rechtfertigen die hier streitbefangenen verschiedenen Formen der Nachtarbeit keinen Unterschied der Zuschlagshöhe von mehr als dem Doppelten (60 % statt 25 %).
(2)
Der große Unterschied zwischen 25 % oder - unter Einbeziehung der Freischicht - maximal 26 % zu 60 % Zuschlag kann auch nicht durch Anrechnung von Mehrarbeitszuschlägen in bestimmten Fällen sachlich gerechtfertigt werden, wie dies die Beklagte meint. Zwar sprechen die Tarifhistorie und die Anrechnungsregelung in § 4 Ziff. II. 4. Satz 3 MTV dafür, dass mit dem Zuschlag von 60% auch Mehrarbeit in der Nacht abgegolten werden soll. Die Zuschlagsregelung ist aber nicht auf Fälle von Nachtmehrarbeit beschränkt. Dies würde voraussetzen, dass die unregelmäßige Nachtarbeit sich regelmäßig auch als Mehrarbeit darstellt. Das behauptet letztlich auch die Beklagte nicht. Zwar wird es die Konstellation geben, dass sich die Mehrarbeit an eine 8 Stunden Spätschicht anschließt, allerdings kann nach § 6 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz nur eine Mehrarbeit von 2 Stunden realisiert werden, da eine tarifdispositive Regelung nach § 7 Abs. 1 Nummer 4 ArbZG in dem MTV fehlt. Von einem so engen Anwendungsbereich für die im MTV als zuschlagspflichtig qualifizierte Nachtarbeit ist nicht auszugehen, denn Nachtarbeit kann auch im Rahmen von Freischichten und Samstagsarbeit erfolgen. Zudem können in der Tagschicht Beschäftigte auch in der Nachtschicht eingesetzt werden oder sich an eine Nachtschichtwoche weitere Nachtschichten anschließen. Schließlich liegt unregelmäßige Nachtarbeit nach des § 4 II. 1. Buchst. e) MTV auch vor, wenn die Schichtarbeit weniger als eine Woche dauert. Unregelmäßige Nachtarbeit ist daher nach den tariflichen Regelungen nicht nur in kurzfristigen und nicht planbaren Ausnahmefällen möglich. Unregelmäßige Nachtarbeit kann vielmehr im Wechsel mit Früh- und Spätschicht auch weit im Voraus geplant werden.
Demgegenüber dürfte der Anwendungsbereich der die Nachtschichtarbeitnehmer begünstigenden Zuschlagsregelung des § 4 Ziff. II. 4. MTV sich auf Ausnahmefälle beschränken. Bei regelmäßigen Nachtschichten von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr kann insbesondere ein zusätzlicher Mehrarbeitszuschlag von 25% kaum anfallen. Geht es um zusätzliche Nachtschichten, wird - auch bei Arbeitnehmern, die unter die Regelung des § 4 Ziff. II. Buchst. e) fallen - im Zweifel ungeplante Nachtarbeit vorliegen.
(3)
Der MTV enthält keine Ausgleichsregelungen für regelmäßige Schichtarbeit in der Nacht, die die aus der Nachtschichtarbeit resultierenden gesundheitlichen Belastungen ausreichend ausgleichen und damit die unterschiedliche Zuschlagshöhe kompensieren könnten.
Zwar erhalten Arbeitnehmer die regelmäßige Nachtarbeit als Schichtarbeit leisten nach 60 Nachtschichten eine Freischicht (§ 4 III. MTV). Diese können jedoch nur einen geringen Ausgleich schaffen, da sie nicht von der ersten Schicht an berechnet, sondern nur realisiert werden, wenn 60 Nachtschichten geleistet worden sind. Damit liegt ihr Wert auf das gesamte Jahr bezogen in der Regel unter 1,67 % (1/60) und wird von der Beklagten selbst nur mit dem Faktor 1 bewertet.
(4)
Selbst wenn bei der unregelmäßigen Nachtarbeit teilweise Mehrarbeitszuschläge entfallen, verbleibt damit ein Unterschied zwischen den beiden Zuschlagsregelungen, der auch unter Berücksichtigung einer zusätzlichen Freischicht und der Nichtanrechnung sonstiger Zuschläge bei Nachtschichtarbeit dazu führt, dass die Nachtschichtarbeitnehmer idR nicht einmal die Hälfte der Zuschläge der sonstigen Nachtarbeitnehmer erhalten. Es bestehen aber - wie ausgeführt - zwischen beiden Gruppen nach Maßgabe des Gesundheitsschutzes und des Kompensationszwecks keine Differenzen von solchem Gewicht, dass dies einen mehr als doppelt so hohen Zuschlag sachlich legitimieren könnte. Insgesamt haben daher die Tarifvertragsparteien des MTV den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten, in dem sie Nachtarbeit außerhalb von Schichten pro Stunde mit 60% und Arbeit im Rahmen von Nachtschichten mit 25 % pro Stunde bezuschlagt haben. Sie haben damit für Nachtschichtarbeitnehmer eine erheblich weniger günstige Regelung geschaffen, ohne dass sachliche Gründe hierfür oder tarifliche Kompensationsmechanismen vorliegen, die diesen erheblichen Unterschied sachlich rechtfertigen könnten. Der tariflichen Regelung muss daher unter dem Aspekt der Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG seitens der Gerichte die Durchsetzung verweigert werden. Es liegt ein Verstoß der Tarifvertragsparteien gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vor.
4.
Die gleichheitswidrige Ungleichbehandlung des Klägers, der regelmäßig Nachtarbeit geleistet hat, kann nur durch eine Anpassung "nach oben" beseitigt werden (BAG 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 58). Eine Anrechnung des tariflich vorgesehenen Freischichttags kommt nicht in Betracht. Dieser Ausgleich wird erst nach 60 Nachtschichten gewährt, gleicht mithin erst die Belastung ab der 61. Schicht aus und dient damit erkennbar dem Ausgleich der besonderen Belastung für Arbeitnehmer, die nach ihrem Schichtplan regelmäßig Nachtarbeit leisten.
II.
Da der Kläger - wie dargelegt - für geleistete regelmäßige Nachtarbeit Anspruch auf einen Zuschlag in Höhe von 60 % des brutto Stundenlohns hat, erweisen sich seine Klageanträge als begründet.
1.
Für die Monate Februar und März 2019 hat die Beklagte nach dem von ihr nicht bestrittenen Vortrag des Klägers (§ 138 Abs. 3 ZPO) 25 % Nachtzuschlag für 84 Stunden abgerechnet und ausbezahlt. Da die Beklagte 25 % bereits gezahlt hat, stehen der Klägerin weitere 35% seines jeweiligen Stundenlohns als Zuschlag, mithin 539,48 € brutto zu (35 % von 18,35 € brutto = 6,4225 € brutto x 84 Stunden). Diesen Anspruch hat der Kläger - von der Beklagten nicht bestritten (§ 138 Abs. 3 ZPO) mit Schreiben seiner Gewerkschaft vom 24. Mai 2019 und damit innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist des 14 MTV geltend gemacht.
2.
Für die Monate April und Mai 2019 hat der Kläger unstreitig für 104,25 Stunden 25 % Nachtzuschlag erhalten. Dem Kläger stehen daher für 104,25 Stunden weitere 35 % auf seinen Stundenlohn von 18,35 €, mithin 669,54 € brutto zu. Seine Ansprüche hat der Kläger mit Schreiben seiner Gewerkschaft vom 19. Juli 2019 unter Fristsetzung bis zum 01. August 2019 rechtzeitig iSd. tariflichen Ausschlussfrist des § 14 MTV geltend gemacht.
3.
Für den Monat Juli 2019 stehen dem Kläger zusätzliche 244,05 € brutto (6,4225 € br. x 38 Stunden) für die 38 in diesem Monat unstreitig von der Beklagten mit 25% bezuschlagten Nachtarbeitsstunden zu. Diese Ansprüche hat er mit Schreiben seiner Gewerkschaft vom 14. November 2019 unter Fristsetzung bis zum 28. November 2019 geltend gemacht. Da die Nachtzuschläge für insgesamt 38 Nachtarbeitsstunden im Monat Juli 2019 unstreitig erst im August 2019 abgerechnet wurden, erfolgte die Geltendmachung auch für den Monat Juli 2019 rechtzeitig iSd. tariflichen Ausschlussfrist des § 14 MTV.
III.
Der zuerkannte Zinsanspruch ist gem. §§ 286 Abs.1 Satz 1, 288 BGB begründet. Darüber hinaus ist die Klage hinsichtlich des begehrten Beginns der Zinszahlungspflicht unbegründet und unterlag der Abweisung. Die Beklagte geriet erst nach Ablauf der durch die Geltendmachungsschreiben gesetzten Frist in Verzug.
C
Die Kostenentscheidung folgt für die erste Instanz aus § 92 Abs. 1 Satz 1, für das Berufungsverfahren aus 97 Abs. 1 ZPO iVm. § 92 Abs. 2 ZPO.