Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.09.2020, Az.: 4 TaBV 45/19

Unterrichtung ausländischer Arbeitnehmer über die Betriebsratswahl gem. § 24 Abs. 5 WO; Vorrang der persönlichen Stimmabgabe vor einer Briefwahl; Anordnung einer generellen Briefwahl durch den Wahlvorstand als Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften; Beeinflussung des Wahlergebnisses durch einen Verstoß gegen die Wahlvorschriften

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
03.09.2020
Aktenzeichen
4 TaBV 45/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 68937
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 16.03.2022 - AZ: 7 ABR 29/20

Redaktioneller Leitsatz

1. Fehlende oder begrenzte Kenntnisse der deutschen Sprache erschweren den ausländischen Arbeitnehmern die Ausübung ihres aktiven und passiven Wahlrechts. § 2 Abs. 5 WO dient der Verwirklichung des elementaren demokratischen Grundsatzes der Gleichheit der Wahl. Eine Missachtung dieser Vorschrift berechtigt daher zur Anfechtung.

2. Der Gesetzgeber geht vom Vorrang der persönlichen Stimmabgabe vor Ort im Wahlraum nach § 12 WO aus. Eine Briefwahl dagegen hat der Gesetzgeber nur beschränkt und bedingt zugelassen (§ 24 WO). Die mit der Briefwahl verbundenen Unsicherheiten sind nach dem Willen des Gesetzgebers nur dann hinzunehmen, wenn räumliche Gegebenheiten dies zwingend erfordern, damit die Arbeitnehmer überhaupt die Möglichkeit zur Wahl haben.

3. Die Anordnung einer generellen Briefwahl zur Erreichung des Ziels einer möglichst umfassenden Wahlbeteiligung liegt nicht im Ermessen des Wahlvorstands. § 24 WO stellt eine Ausnahmevorschrift dar, die eng auszulegen ist. Die Fälle, in denen Briefwahl zulässig ist, sind dort abschließend aufgezählt. Es gibt dabei keinen Ermessensspielraum des Wahlvorstands.

4. Nach § 19 Abs. 1 BetrVG berechtigt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Verfahrensvorschriften zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte.

Tenor:

Die Beschwerden der Beteiligten zu 10) und 11) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover vom 10. Mai 2019 - 7 BV 9/18 - werden zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 11) ist ein Unternehmen der Automobilindustrie, das am Standort A-Stadt unter der Postanschrift S-Straße ein Werk zur Herstellung von Nutzfahrzeugen betreibt. Das mehrere Hektar große Werksgelände wird im Süden von der M-Straße, im Norden von der H-Straße, im Westen von der S-Straße und im Osten durch die S-Landstraße begrenzt. Das Werksgelände ist von einem geschlossenen Werkszaun umgeben. Der Zugang zum Werksgelände wird durch Tore ermöglicht, die durch den Werkschutz kontrolliert werden. Unmittelbar außerhalb des Werkszauns liegen der Originalteileversand (H-Straße 24), die Jahreswagenvermittlung (H-Straße 51) sowie das neue Kundencenter (Halle 42). Daneben betreibt die Arbeitgeberin noch mindestens neun weitere Betriebsstätten, die vom Werksgelände mehrere Kilometer entfernt sind.

Die Antragsteller zu 1) bis 9) sind langjährig beschäftigte Arbeitnehmer der Arbeitgeberin in dem Werk A-Stadt - S. Der damals amtierende Betriebsrat, dem der Antragsteller zu 1) als Mitglied angehörte, setzte durch Beschluss vom 18. Oktober 2017 einen Wahlvorstand für die im Jahr 2018 durchzuführende Betriebsratswahl ein. Der Wahlvorstand beschloss am 4. Dezember 2017 ausweislich seines Sitzungsprotokolls die schriftliche Stimmabgabe für alle Betriebsteile und Betriebe, die außerhalb des umschlossenen Werksgeländes liegen.

Der Wahlvorstand ließ an verschiedenen Stellen im Betrieb und in den auswärtigen Betriebsteilen ein Wahlausschreiben für die Betriebsratswahl aushängen. Danach sollte die Wahl durchgehend in der Zeit von Dienstag, den 17. April 2018, 9:00 Uhr bis Donnerstag, den 19. April 2019, 9:00 Uhr innerhalb des umzäunten Werksgeländes im O-B-Saal in Sektor 9, Hallengeschoss durchgeführt werden. In dem Wahlausschreiben vom 15. Januar 2018 heißt es auszugsweise:

13. Der Wahlvorstand hat für alle Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die außerhalb des geschlossenen Werksgeländes liegen, die schriftliche Stimmabgabe beschlossen. Die Unterlagen zur schriftlichen Stimmabgabe werden den dort beschäftigten ArbeitnehmerInnen ohne Antrag zugesandt.

14. Die Briefwahlunterlagen müssen bis zum 19. April 2018, 09:00 Uhr beim Wahlvorstand eingegangen sein.

Innerhalb der im Wahlausschreiben genannten Frist (29. Januar 2018) wurden mindestens sechs Wahlvorschläge eingereicht, von denen der Wahlvorstand fünf Wahlvorschläge zuließ. Drei Vorschlagslisten, die der Antragsteller zu 1) als Listenvertreter anführte, beanstandete der Wahlvorstand und ließ sie nicht zu, nachdem der Antragsteller zu 1) die beanstandeten Mängel nicht abstellte. Von verschiedenen Antragstellern eingereichte Anträge, gerichtet auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Ziel der nachträglichen Zulassung der von dem Antragsteller zu 1) eingereichten Wahlvorschläge, wurden zurückgewiesen (7 BVGa 1/18; 7 BVGa 2/18; 7 BVGa 3/18 ArbG A-Stadt).

Am 11. April 2018 wies die Arbeitgeberin die verantwortlichen Führungskräfte in den auswärtigen Betriebsstätten und Kleinstbetrieben per E-Mail darauf hin, dass bei der bevorstehenden Betriebsratswahl grundsätzlich die persönliche Stimmabgabe vorgesehen sei. Für MitarbeiterInnen in Betriebsteilen habe der Wahlvorstand entschieden, abweichend vom Grundsatz der persönlichen Stimmabgabe die Stimmabgabe per Briefwahl durchzuführen. Sie bitte, die MitarbeiterInnnen, die sich für eine persönliche Stimmabgabe im Wahllokal entscheiden, zum Wahllokal zu bringen.

Nach dem Vorbringen des Betriebsrats im Beschwerdeverfahren entschieden sich im Neuen Kundencenter bei einer Wahlbeteiligung von 59,3 % von 96 wahlberechtigten Arbeitnehmern 46 Arbeitnehmer für die Brief- und 11 für die Urnenwahl. Von den 24 wahlberechtigten Arbeitnehmern im Originalteileversand nutzten 14 Arbeitnehmer die Brief- und 2 die Urnenwahl. Die Wahlbeteiligung lag bei 70,8 %. Von den drei wahlberechtigten Arbeitnehmern in der Jahreswagenvermittlung entscheiden sich 2 Arbeitnehmer für die Brief- und ein Arbeitnehmer für die Urnenwahl.

Nach dem vom Wahlvorstand am 2. Mai 2018 bekannt gegebenen Wahlergebnis entfielen von 10.495 gültigen Stimmen auf den Wahlvorschlag mit dem Kennwort "IG - Metall" 9.188 Stimmen, auf die "Liste Frischer Wind" 355 Stimmen, auf den Wahlvorschlag mit dem Kennwort "Achtung! Respekt für Metaller, lieber einen Volxbetriebsrat!" 222, auf den Wahlvorschlag mit dem Kennwort "Claudia S." 436 Stimmen sowie auf den Wahlvorschlag mit dem Kennwort "Christliche Gewerkschaft Metall" 294 Stimmen.

Die Sitzverteilung wurde vom Wahlvorstand nach dem in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes vom 11. Dezember 2001 (WO) geregelten d' Hondtschen Höchstzahlverfahren vorgenommen. Danach erhielt die "IG Metall" 38 Sitze und die Listen "Frischer Wind", "Claudia S." und "Christliche Gewerkschaft Metall" jeweils einen Sitz. Aus den bei dieser Betriebsratswahl gewählten Betriebsratsmitgliedern konstituierte sich der Beteiligte zu 10) als Betriebsrat - bestehend aus 41 Mitgliedern.

Am 15. Mai 2019 ging beim Arbeitsgericht ein Schriftsatz der Antragsteller zu 4) bis 6), am 16. Mai 2019 gingen Schriftsätze der Antragsteller zu 1) bis 3) und 7) bis 9) ein mit dem Begehren, die Betriebsratswahl bei der Arbeitgeberin für das Werk A-Stadt-S. für ungültig zu erklären.

Die Antragsteller haben einheitlich gerügt, es gäbe bei der Arbeitgeberin der deutschen Sprache nicht mächtige Arbeitnehmer, die der Wahlvorstand entgegen § 2 Abs. 5 WO vor dem Einleiten der Betriebsratswahl über Wahlverfahren, Aufstellung der Wähler- und Vorschlagslisten, Wahlvorgang und Stimmabgabe nicht in geeigneter Weise unterrichtet habe. Zudem habe der Wahlvorstand die von dem Antragsteller zu 1) eingereichten Wahlvorschläge zu Unrecht nicht zur Wahl zugelassen.

Das Arbeitsgericht hat die Wahl aus dem Monat April 2018 durch Beschluss vom 10. Mai 2019 für unwirksam erklärt.

Gegen den ihm am 5. Juni 2019 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am 12. Juni 2019 Beschwerde eingelegt und sie nach Verlängerung der Begründungsfrist am 2. September 2019 begründet. Die Arbeitgeberin hat gegen den ihr am 5. Juni 2019 zugestellten Beschluss am 21. Juni 2019 Beschwerde eingelegt und sie nach Verlängerung der Begründungsfrist am 2. September 2019 begründet.

Der Betriebsrat meint, der Wahlvorstand habe die Entscheidung, für räumlich weit entfernte Betriebsteile und Kleinstbetriebe die schriftliche Stimmabgabe zu beschließen, nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Der Wahlvorstand habe den Umstand in seine Überlegungen einbezogen, dass Beschäftigte außerhalb des Werksgeländes eine Absperrung mit Identitätsfeststellung und gelegentlicher Taschenkontrolle überwinden müssen, um an der Wahl teilzunehmen. Die fehlerhafte zusätzliche Übersendung von Briefwahlunterlagen an die 123 Beschäftigten in den außerhalb des umzäunten Werksgeländes liegenden Betriebsstätten habe keine Auswirkung auf das Wahlergebnis gehabt.

Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, auch wenn die Jahreswagenvermittlung, der Originalteileversand und das neue Kundencenter als nicht weit vom Hauptbetrieb entfernt einzuordnen seien, könne der Beschluss des Wahlvorstands, auch für diese Betriebsteile die Briefwahl zu beschließen, die Anfechtbarkeit der Wahl nicht begründen. Auch wenn die Wahl an der Urne vom Gesetzgeber - zumindest was das Betriebsverfassungsrecht betreffe - als Regelform ausgestaltet sei, sei die Briefwahl keine in irgendeiner Form "schlechtere" Form der Wahl. An dem immer wieder angeführten Grundsatz des Vorrangs der Urnenwahl lasse sich mit Fug und Recht zweifeln. Es bleibe das Argument des Arbeitsgerichts, der Wahlvorstand habe im Wahlausschreiben darauf hinweisen müssen, dass auch für diejenigen Wahlberechtigten aus den Betriebsteilen, für die Briefwahl beschlossen worden sei, nach wie vor eine Wahl an der Urne möglich sei. Für diese Informationspflicht gäbe es keine Rechtsgrundlage. § 3 Abs. 2 WO schreibe abschließend vor, welche Informationen im Wahlausschreiben enthalten sein müssen.

Die Beteiligten zu 10) und 11) beantragen,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover vom 10. Mai 2019 - 7 BV 9/19 - abzuändern und die Anträge der Antragsteller zu 1) bis 9) zurückzuweisen.

Die Antragsteller zu 1) bis 9) beantragen,

die Beschwerden der Beteiligten zu 10) und 11) zurückzuweisen.

Die Antragsteller zu 1) bis 9) verteidigen den angefochtenen Beschluss als zutreffend nach Maßgabe ihrer Beschwerdeerwiderungen.

B. Die zulässigen Beschwerden des Betriebsrats und der Arbeitgeberin sind nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat dem Wahlanfechtungsantrag zu Recht stattgegeben. Die am 17./18./19. April 2018 im Werk A-Stadt-S. durchgeführte Betriebsratswahl ist nach § 19 Abs. 1 BetrVG unwirksam.

I. Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Zur Anfechtung berechtigt sind nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG mindestens drei Wahlberechtigte, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber. Die Wahlanfechtung ist nach § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG binnen einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses an gerechnet, zulässig.

II. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

1. Die formellen Voraussetzungen der Wahlanfechtung liegen vor.

a) Die Antragsteller sind wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs und damit nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zur Wahlanfechtung berechtigt. Sie haben die Wahl fristgerecht angefochten. Der Wahlvorstand hat das Wahlergebnis am 2. Mai 2018 bekannt gegeben. Die Wahlanfechtungsanträge sind am 15./16. Mai 2018 und damit innerhalb der Anfechtungsfrist von zwei Wochen beim Arbeitsgericht eingegangen.

b) Die Wahlanfechtungsanträge vom 15./16. Mai 2018 entsprechen den gesetzlichen Anforderungen.

aa) Ein Antragsteller im Wahlanfechtungsverfahren nach § 19 BetrVG hat innerhalb der Anfechtungsfrist nicht nur die Erklärung der Unwirksamkeit der Betriebsratswahl zu beantragen, sondern hierzu auch eine Begründung vorzutragen. Das folgt schon aus § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, wonach die Beteiligten an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken haben. Ist innerhalb der Anfechtungsfrist eine hinreichende Begründung erfolgt, können weitere Anfechtungsgründe nachgeschoben werden. Das Gericht ist dann auch gehalten, von Amts wegen allen für eine Wahlanfechtung in Betracht kommenden Wahlverstößen nachzugehen, die sich aus dem Vortrag der Beteiligten ergeben (BAG 18. Juli 2012 - 7 ABR 21/11). Eine innerhalb der Anfechtungsfrist erklärte Anfechtung ohne Begründung genügt nicht. Die Anforderungen an die Begründung dürfen im Hinblick darauf, dass das Gericht im Beschlussverfahren den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge nach § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG von Amts wegen zu erforschen hat, nicht überspannt werden (Kreutz GK-BetrVG 10. Aufl. § 19 Rn. 94). Erforderlich und ausreichend ist es, wenn innerhalb der Anfechtungsfrist ein betriebsverfassungsrechtlich erheblicher Grund vorgetragen wird, der möglicherweise die Anfechtung rechtfertigt (BAG 29. März 1974 - 1 ABR 27/73; 3. Juni 1969 - 1 ABR 3/69; 24. Mai 1965 - 1 ABR 1/65; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, 30. Aufl. 2020, BetrVG § 19 Rn. 39; GK-BetrVG/Kreutz, 10. Aufl. § 19 Rn. 94; Richardi/Thüsing, BetrVG, 16. Aufl. § 19 Rn. 57). Der Antragsteller muss innerhalb der Anfechtungsfrist einen Sachverhalt darlegen, der einen Anlass zu seiner Ansicht geben kann, es sei bei der Wahl gegen Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts verstoßen worden (BAG 3.Juni 1969 - 1 ABR 3/69).

bb) Diesen Anforderungen genügen die Antragsschriften. Die anfechtenden Arbeitnehmer stützen die Anfechtung auf einen Verstoß gegen § 2 Abs. 5 WO. Bei der Regelung in § 2 Abs. 5 WO handelt es sich trotz der Ausgestaltung als Sollvorschrift um eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren i.S.v. § 19 Abs. 1 BetrVG, deren Verletzung zur Anfechtung der Betriebsratswahl berechtigt (BAG 13. Oktober 2004 - 7 ABR 5/04; Fitting, § 2 WO Rn. 12; GK-BetrVG/Jacobs, a.a.O., § 2 WO Rn. 19; § 2 WO Rn. 28; Richardi/Thüsing, § 2 WO Rn. 21). § 2 Abs. 5 WO soll die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts sicherstellen und dient zudem der betrieblichen Integration ausländischer Arbeitnehmer. Fehlende oder begrenzte Kenntnisse der deutschen Sprache erschweren ihnen die Ausübung ihres aktiven und passiven Wahlrechts § 2 Abs. 5 WO dient der Verwirklichung des elementaren demokratischen Grundsatzes der Gleichheit der Wahl. Eine Missachtung dieser Vorschrift berechtigt daher zur Anfechtung der Wahl.

2. Die materiellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 1 BetrVG liegen ebenfalls vor. Bei der Wahl wurde gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Wahlergebnis hierauf beruht.

a) Die Vorschrift des § 24 Abs. 3 WO stellt eine wesentliche Wahlvorschrift i.S. d. § 19 Abs. 1 BetrVG dar.

Wesentliche Wahlvorschriften im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG liegen dann vor, wenn sie elementare Grundprinzipien der Betriebsratswahl enthalten oder tragende Grundsätze des Betriebsverfassungsrechts berühren (BAG 13.10.2004 - 7 ABR 5/04). In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte und in der arbeitsrechtlichen Literatur ist allgemein anerkannt, dass die generelle Zulassung einer Briefwahl ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 WO die Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl begründen kann. Eine Betriebsratswahl ist unwirksam, wenn sie für alle Arbeitnehmer als Briefwahl durchgeführt wird, ohne dass die Voraussetzungen des § 24 WO erfüllt sind (LAG Schleswig-Holstein 18.03.1999 - 4 TaBV 51/98; LAG Hamm 12. Oktober 2007 - 10 TaBV 9/07; 16. November 2007 - 13 TaBV 109/06 -; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, § 19 Rn. 22; GK-BetrVG/Kreutz, a.a.O., § 14 Rn. 22 und § 24 WO Rn. 12; Richardi/Thüsing, a.a.O., § 24 WO Rn. 5; ArbG Krefeld 1. August 2018 - 3 BV 8/18; ArbG Essen 21. August 2014 - 5 BV 45/14; für die Wahl der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat: BAG 27. Januar 1993 - 7 ABR 37/92). Durch die Regelung des § 24 WO, die nur eine eingeschränkte Möglichkeit zur Briefwahl schafft, soll die Gefahr von Wahlmanipulationen möglichst geringgehalten bzw. ausgeschlossen werden. Der Gesetzgeber geht insoweit vom Vorrang der Stimmabgabe vor Ort im Wahlraum nach § 12 WO aus. Dabei ist nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG 06. Februar 1959 - VII P 9.58; BVerwG 14. August 1959 - VII P 15.58) die Einheitlichkeit und Übersehbarkeit des Wahlvorgangs, der sich von der Aushändigung der Wahlunterlagen an den Wähler bis zu dem von ihm selbst vorzunehmenden Einwurf des Wahlumschlags in die Wahlurne erstreckt, gewährleistet. Demgegenüber muss bei der Briefwahl namentlich die Aushändigung des Stimmzettels an den Wähler und die Übergabe des Wahlumschlags durch den Wähler nicht "persönlich" erfolgen. Dem Wahlberechtigten ist es bei der Briefwahl weitgehend selbst überlassen, für das Wahlgeheimnis und die Wahlfreiheit Sorge zu tragen. Der Gesetzgeber ist sich der besonderen Gefahren, die sich daraus ergeben, bewusst gewesen. Er hat die Briefwahl nicht unbeschränkt und unbedingt zugelassen. Die mit der Briefwahl verbundenen Unsicherheiten sind nach dem Willen des Gesetzgebers nur dann hinzunehmen, wenn räumliche Gegebenheiten dies zwingend erfordern, damit die Arbeitnehmer überhaupt die Möglichkeit zur Wahl haben.

b) Für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, kann der Wahlvorstand die schriftliche Stimmabgabe beschließen (24 Abs.3 S. 1 WO). Voraussetzung ist, dass die Kleinstbetriebe oder Betriebsteile keinen eigenen Betriebsrat wählen, sondern betriebsverfassungsrechtlich - sei es auf Grund der gesetzlichen Regelung des § 4 BetrVG, sei es auf Grund einer anderweitigen Zuordnung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1-3, Abs. 2 u. 3 BetrVG - zu dem Betrieb gehören, für den die Betriebsratswahl durchgeführt wird. Für die räumlich weite Entfernung ist allein darauf abzustellen, ob bei ordnungsgemäßer Durchführung der Betriebsratswahl für den Betriebsteil oder Kleinstbetrieb ein eigenes Wahllokal einzurichten ist, um den dort beschäftigten Arbeitnehmern in zumutbarer Weise die Möglichkeit zu geben, ihre Stimme persönlich abzugeben (LAG Hessen 17. April 2008 - 9 TaBV 163/07; LAG Hamm 5. August 2011 - 10 TaBV 13/11). Anders ausgedrückt: Nur dann, wenn es den Arbeitnehmern nicht möglich oder nicht zumutbar wäre, ihre Stimme persönlich im Wahllokal abzugeben, kommt eine schriftliche Stimmabgabe in Betracht. Denn auch nur in diesem Fall erscheint es sachgerecht und geboten, durch die Zulassung der Briefwahl Abstriche hinsichtlich der genannten Wahlgrundsätze in Kauf zu nehmen. Die allgemeine Briefwahl nach § 24 Abs. 3 WO besitzt Ausnahmecharakter; ihr Anwendungsbereich darf nicht ohne weiteres ausgedehnt werden (LAG Hamm 16. November 2007 - 13 TaBV 109/06; GK-BetrVG/Kreutz/Jacobs, § 24 WO Rn. 2).

c) Vorliegend bestand die gesetzliche Möglichkeit einer schriftlichen Stimmabgabe nicht.

Das Arbeitsgericht hat ausgeführt, die Jahreswagenvermittlung, der Originalteileversand A-Stadt und das Neue Kundencenter seien nur wenige Meter bzw. wenige Dutzend Meter vom Zaun des Betriebsgeländes S-Straße entfernt. Für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 WO komme es nicht auf die Entfernung zum Wahllokal innerhalb des Hauptbetriebs an, d.h. auf die von den auswärtigen Wahlberechtigten bis zum O-B-Saal zurückzulegende Wegstrecke, sondern vielmehr auf die Entfernung zum Hauptbetrieb, d.h. zu dessen äußerer Grenze. Selbst wenn man auf die zum O-B-Saal zurückzulegende Wegstrecke abstellte (Halle 1, Sektor 9), so sei ausweislich des Lageplans des Werksgeländes der Weg von der Halle 42 dorthin kürzer als für die in den Hallen 22, 23, 26, 27, 28 beschäftigten Arbeitnehmer.

d) Die von den Beschwerdeführern hiergegen erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.

aa) Der Betriebsrat meint, die Entscheidung über die schriftliche Stimmabgabe liege im Ermessen des Wahlvorstands. Dem ist nicht zuzustimmen. Das Ermessen des Wahlvorstands besteht nur in der Entscheidung, in den Betriebsteilen eigene Wahllokale einzurichten oder für die dort beschäftigten Arbeitnehmer die schriftliche Stimmabgabe zu beschließen. Auf der Tatbestandsseite - Betriebsteile, die räumlich weit entfernt vom Hauptbetrieb liegen - liegt ein unbestimmter Rechtsbegriff vor, der eng auszulegen ist. § 24 stellt eine Ausnahmevorschrift dar, die dem Grundsatz unterliegt, dass Ausnahmevorschriften eng auszulegen sind. Die Fälle, in denen die Briefwahl zulässig ist, sind abschließend aufgezählt. Die Briefwahl steht nicht im Belieben des Wahlvorstands, sondern ist an die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 WO gebunden.

bb) Die Arbeitgeberin wendet ein, der Wahlvorstand habe bei seiner Entscheidung, für alle Betriebsteile außerhalb des eigentlichen Werksgeländes Briefwahl zu beschließen, nicht auf die tatsächliche Entfernung abgestellt. Wahlberechtigte müssten erst das Werksgelände betreten und im Rahmen des Zugangs über Drehkreuze ihre Zutrittsberechtigung durch Vorlage ihres Werksausweises nachweisen und sich gegebenenfalls auch einer Taschenkontrolle unterziehen. § 24 Abs. 3 WO stellt nach seinem Wortlaut nicht auf den Zeitaufwand für die Erreichung des Wahllokals, sondern auf die Entfernung zwischen Hauptbetrieb und Betriebsteil ab. Nach dem eigenen Vortrag der Arbeitgeberin beträgt der Fußweg von den Betriebsteilen zum Wahllokal zudem nur zwischen 15 und 22 Minuten. Schließlich war es den Arbeitnehmern der drei außerhalb des Hauptbetriebes liegenden Betriebsteile und Kleinstbetriebe zumutbar, die von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten Verkehrsmöglichkeiten zu nutzen, um ihre Stimme im Hauptbetrieb abzugeben.

cc) Die Arbeitgeberin macht ferner geltend, die Briefwahl sei keine "schlechtere" Form der Wahl. In dem angezogenen Beschluss vom 24. November 1981 (2 BvC 1/81) habe der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt, die Briefwahl eröffne auch solchen Wahlberechtigten, die sich sonst aus gesundheitlichen oder anderen wichtigen Gründen gehindert sähen, ihre Stimme im Wahllokal abzugeben, die Teilnahme an der Wahl. Sie trage dadurch dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in erhöhtem Maße Rechnung, der besage, dass grundsätzlich alle Staatsbürger die Möglichkeit der Teilnahme an der Wahl haben sollen. Wenn der Gesetzgeber mit der Einführung der Briefwahl dem Ziel, eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen, ein besonderes Gewicht beigemessen und damit zugleich die Wahrung der Freiheit der Wahl und des Wahlgeheimnisses in weiterem Umfang als bei der Stimmabgabe im Wahllokal dem Wähler anvertraut habe, so sei das verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die Arbeitgeberin übersieht mit ihrem Vorbringen, dass Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert sind, ihre Stimme persönlich abzugeben, schon nach § 24 Abs. 1 WO das individuelle Recht zur Briefwahl haben; die Anordnung einer generellen Briefwahl zur Erreichung des Ziels einer möglichst umfassenden Wahlbeteiligung der am Wahltag verhinderten Arbeitnehmer war nicht erforderlich.

dd) Einer über den Wortlaut hinausgehenden Ausdehnung des Anwendungsbereichs der allgemeinen Briefwahl steht zudem die Erwägung entgegen, dass die schriftliche Stimmabgabe zur Einschränkung eines zentralen Wahlgrundsatzes - des Grundsatzes der Wahlgleichheit - führen kann. Die Briefwahlunterlagen werden häufig schon mehrere Wochen vor der Urnenwahl an den Wahlvorstand zurückgesandt. Damit besteht die latente Gefahr, dass das in den Briefwahlunterlagen enthaltene politische Meinungsbild am Tag der Urnenwahl bereits überholt ist und daher eher ein politisches "Stimmungsbild" als eine abschließende politische Meinung darstellt. Der politische Wille des Briefwählers, so wie er in den Wahlunterlagen enthalten ist, ist mit Absendung der Briefwahlunterlagen noch nicht definitiv erklärt. Dieser politische Willensakt erfolgt erst, wenn der Wahlzettel auch vom Wahlvorstand in die Urne geworfen wurde. Genau diesen Akt bezeichnet § 12 Abs. 3 WO für den Bereich der persönlichen Stimmabgabe als den "Wahlvorgang". Erst danach - also mit Einwerfen des Stimmzettels in die Wahlurne - ist die Stimmabgabe abgeschlossen, wie sich aus § 12 Abs. 5 WO ergibt. Dem Urnenwähler ist es hingegen möglich, für die Wahlentscheidung bedeutsame Ereignisse und Vorgänge bis zuletzt in die politische Willensbildung einfließen zu lassen. Eine Wahl hat aber die Aufgabe, den Wählerwillen möglichst am Stichtag des Wahltags zu ermitteln. Im Hinblick auf die möglichst weitgehende Wahrung der allgemeinen demokratischen Wahlgrundsätze der Unmittelbarkeit, der Freiheit und der Geheimhaltung der Wahl erscheint es daher geboten, die Voraussetzungen der Briefwahl restriktiv zu handhaben (Kohte, jurisPR-ArbR 33/2015 Anm. 5; Sachadaei in: Düwell, BetrVG, § 24 WO Rn. 6; Sachadae, jurisPR-ArbR 8/2018 Anm. 5).

ee) Der von der Arbeitgeberin herangezogene Gesichtspunkt des Vertrauens in die Rechtsprechung greift nicht durch. Die Arbeitgeberin hat schon nicht dargelegt, dass sich die Gerichte in der Vergangenheit konkret mit den drei direkt außerhalb des Werksgeländes liegenden Betriebsteilen befasst haben oder befassen mussten. Rechtsprechung ist darüber hinaus kein Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung.

c) Der Verstoß gegen § 24 Abs. 3 WO konnte das Wahlergebnis beeinflussen.

aa) Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbs. BetrVG berechtigt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre (BAG12. Juni 2013 - 7 ABR 77/11; 18. Juli 2012 - 7 ABR 21/11).

bb) Bei der gebotenen hypothetischen Betrachtung (Wahl ohne Verstoß) kann unter Berücksichtigung der konkreten Umstände nicht angenommen werden, dass eine Urnenwahl zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Es kann zum einen nicht ausgeschlossen werden, dass die Wahlbeteiligung bei einer Urnenwahl, die während der Arbeitszeit stattfindet, um 20 Stimmen höher gewesen wäre.

Im Ansatzpunkt zutreffend weisen die Beteiligten zu 10) und 11) zwar darauf hin, dass die wahlberechtigten Arbeitnehmer in den außerhalb des umzäunten Werksgeländes gelegenen Betriebsteilen nach zutreffender Auffassung die persönliche Stimmabgabe wählen konnten (BVerwG 03. März 2003- 6 P 14/02; Richardi/Forst, aaO § 25 WO Rn. 3; GK-BetrVG/Jacobs, § 24 WO Rn. 23) und zum Teil auch gewählt haben. Nicht gefolgt werden kann der Argumentation des Betriebsrats, alle wahlberechtigten Arbeitnehmer hätten Kenntnis von der Möglichkeit der Urnenwahl gehabt. Ein Hinweis auf die Möglichkeit der Urnenwahl ist im Wahlausschreiben vom 15. Januar 2018 nicht enthalten. Der Betriebsrat räumt ein, dass die Lektüre der betriebsverfassungsrechtlichen Kommentarliteratur zu der Schlussfolgerung verleiten könnte, dass für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, für die nach § 26 Abs. 3 WO vom Wahlvorstand eine schriftliche Stimmabgabe beschlossen worden ist, eine Urnenwahl nicht zulässig sei. (Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, 30. Aufl. 2020, § 3 WO Rn. 23; GK-BetrVG, § 3 WO Rn. 21; Düwell, § 24 WO Rn. 21; Richardi/Forst, 16. Aufl. § 3 WO, Rn. 14).

cc) Zum anderen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die wahlberechtigten Arbeitnehmer bei der allein zulässigen persönlichen Stimmabgabe anders votiert hätten. Wie dargelegt, kommt es bei der Zulassung einer schriftlichen Stimmabgabe zu zeitlich versetzten Wahlen. Zwar hält die überwiegende Auffassung die Zulassung zur Urnenwahl auch nach Rücksendung der Briefwahlunterlagen durch den Wähler und ohne gleichzeitige Rückgabe der Briefwahlunterlagen an den Wahlvorstand für möglich (Fitting, § 25 WO mwN). Diese Ansicht wird nachvollziehbar damit begründet, dass der Gefahr der Doppelzählung begegnet werden kann. Es kann aber nicht angenommen werden, dass alle Briefwähler von der Möglichkeit der persönlichen Stimmabgabe auch noch nach Rücksendung der Wahlunterlagen Kenntnis hatten.

dd) Die allein zulässige persönliche Stimmabgabe hätte unter Zugrundelegung des Berechnungsverfahrens nach d'Hondt bereits bei 20 weiteren abgegebenen oder anders abgegebenen Stimmen zu einem anderen Wahlergebnis führen können.

C. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 92 i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Krönig
Blötz
Schendel