Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.01.2020, Az.: 8 Ta 13/20

Werterhöhende Wirkung des Weiterbeschäftigungsantrags im Bestandsschutzverfahren; Auslegung des Weiterbeschäftigungsantrags als unbedingter oder unechter Hilfsantrag im Bestandsschutzverfahren

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
24.01.2020
Aktenzeichen
8 Ta 13/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 10647
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 09.12.2019 - AZ: 6 Ca 384/19

Fundstellen

  • AA 2020, 72
  • ArbR 2020, 128
  • EzA-SD 19/2020, 16
  • FA 2020, 87
  • FA 2020, 156
  • ZAP EN-Nr. 105/2020
  • ZAP 2020, 244

Amtlicher Leitsatz

1) Der vorläufige Antrag auf Weiterbeschäftigung ist, wenn er im Bestandsschutzverfahren gestellt wird, werterhöhend nur dann zu berücksichtigen, wenn über ihn entschieden worden ist, wenn er in einem Vergleich mitgeregelt wurde und dort eine Regelung erhält oder wenn er ausdrücklich als unbedingter Hilfsantrag gestellt wird.

2) Für die Annahme, der Antrag sei ausdrücklich als unbedingter Hilfsantrag gestellt worden, genügt nicht, dass der Antrag nicht eindeutig als unechter Hilfsantrag gestellt wird. Im Zweifel ist ein solcher Antrag als sachlich richtiger und zulässiger unechter Hilfsantrag auszulegen.

Tenor:

1. Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen den Streitwertbeschluss des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 9. Dezember 2019 - 6 Ca 384/19 - wird zurückgewiesen.

2. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben die Gebühren des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der vom Arbeitsgericht festgesetzte Wert der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren und den Vergleich. Die Parteien haben in der Hauptsache über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und um Weiterbeschäftigung gestritten.

Der Kläger hat zunächst beantragt, festzustellen, dass "das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 10.10.2019 nicht beendet wird". Durch Versäumnisurteil vom 5. November 2019 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Nach Einspruch der Beklagten hat der Kläger die Klage erweitert und beantragt, unter Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zur Rechtskraft über den Kündigungsschutzantrag des Klägers zu den bisherigen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses weiter zu beschäftigen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Pflicht zur tatsächlichen Beschäftigung des Arbeitnehmers sei neben der Entgeltzahlungspflicht eine der arbeitgeberseitigen Hauptverpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag. An ihrer Erhaltung habe der Kläger im Interesse der Wahrung seiner Einbindung in den Betrieb der Beklagten und der Erzielung regelmäßiger Arbeitseinkünfte ein rechtliches Interesse. Höherrangige oder auch nur gleichrangige Interessen der Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers seien nicht erkennbar.

Die Parteien haben das Verfahren am 28. November 2019 nach § 278 Abs. 6 ZPO durch Vergleich mit folgendem Wortlaut beendet:

1. "Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis endet aufgrund ordentlicher, fristgemäßer Kündigung vom 13.10.2019 mit Wirkung zum 31.05.2019 aus dringenden betrieblichen Gründen mit Ablauf des 15.11.2019. Bis zum Beschäftigungsende wird das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abgerechnet und die sich ergebenden Nettobeträge an den Kläger ausgezahlt.

2. Für den Verlust des Arbeitsplatzes zahlt die Beklagte an den Kläger analog den §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz eine Abfindung in Höhe von 2.734,70 € brutto. Die Abfindung ist mit dem Abschluss dieses Vergleiches entstanden und vererblich, fällig und zahlbar mit Wirkung zum 31.12.2019.

3. Etwaig bestehende Freizeitausgleichsansprüche sowie Urlaubsansprüche des Klägers werden im Rahmen der letzten Gehaltsabrechnung abgerechnet und ausgezahlt.

4. Die Beklagte erteilt dem Kläger ein wohlwollendes, dem beruflichen Fortkommen dienliches qualifiziertes Arbeitszeugnis, das sich auf Führung und Leistung erstreckt und mit der Gesamtbewertung "gut" schließt.

5. Damit ist der Rechtsstreit erledigt."

Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren auf 7.847,40 Euro und für den Vergleich auf 10.463,20 Euro festgesetzt. Den Antrag auf Weiterbeschäftigung hat es nicht streitwerterhöhend berücksichtigt. Es handele sich um einen unechten Hilfsantrag, der regelmäßig nur für den Fall des Obsiegens gestellt werde, es sei denn der Antrag bringe anderes zum Ausdruck. Gegen diese Bewertung wendet sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit der Beschwerde. Er ist der Auffassung, der Antrag sei werterhöhend mit einem Bruttomonatsentgelt in Ansatz zu bringen. Weder sei er ausdrücklich als Hilfsantrag bezeichnet noch sei vorgetragen worden, ihn als Hilfsantrag zu behandeln. Jedenfalls sei der Antrag in den Regelungen des Vergleichs enthalten. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz des Klägervertreters vom 3. Dezember 2018 und die Beschwerdebegründung vom 18. Dezember 2019 Bezug genommen (Bl. 56, 67, 68 d. A.). Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren und den Vergleich zutreffend festgesetzt. Der im Wege der Klagerweiterung angekündigte Antrag, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum Eintritt der Rechtskraft über den Kündigungsschutzantrag zu den bisherigen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses weiter zu beschäftigen, ist nicht zusätzlich mit einem Bruttomonatsentgelt in Ansatz zu bringen.

Er ist nicht ausdrücklich als unbedingter Antrags gestellt worden, sodass er grundsätzlich als sogenannter unechter Hilfsantrag auszulegen ist. Über ihn ist auch nicht entschieden worden. Das Versäumnisurteil hat den Antrag nicht erfasst, denn er wurde erst danach in den Rechtsstreit eingeführt. Eine Regelung über ihn im Vergleich gibt es ebenfalls nicht. Der Vergleich regelt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

1.

Nach ständiger Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist der vorläufige Antrag auf Weiterbeschäftigung streitwerterhöhend nur dann gemäß § 45 Abs. 4 iVm. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG zu berücksichtigen, wenn über ihn entschieden worden ist, wenn der Antrag in einem Vergleich sachlich mitgeregelt wird und dieser eine Regelung über ihn enthält (§ 45 Abs. 4 GKG i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG) oder wenn der Antrag ausdrücklich als unbedingter Hauptantrag gestellt worden ist (vgl. BAG vom 13. August 2014 - 2 AZR 871/12 - juris Rn. 4; vom 30. August 2011 - 2 AZR 668/10 m. zust. Anm. Ziemann, jurisPR-ArbR 20/2013 Anm. 2; vgl. LAG Schleswig-Holstein vom 24. Januar 2018 - 5 Ta 137/17 - juris Rn. 34; Sächsisches LAG vom 25. Januar 2017 - 4 Ta 213/16 - juris Rn. 14).

2.

Danach wirkt der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung vorliegend nicht werterhöhend.

a)

Auch wenn er nicht eindeutig als unechter Hilfsantrag formuliert worden ist, wird er in aller Regel in diesem Sinne verstanden. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Anwalt seine anwaltlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt und nicht ohne Grund offensichtlich unzulässige Anträge stellt, mit denen er seine Partei einem unnötigen Kostenrisiko aussetzt.

b)

Etwas anderes gilt nur, wenn der Wille, einen unbedingten Antrag stellen zu wollen, ausdrücklich erklärt wurde (vgl. BAG vom 13. August 2019 - 2 AZR 871/12 - aaO; LAG Niedersachsen vom 9. Februar 2017 - juris Rn. 14; LAG Schleswig-Holstein vom 24. Januar 2018 - 5 Ta 137/17 - juris Rn. 34).

aa)

Ob ein Arbeitnehmer danach im Kündigungsrechtsstreit den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch durch einen Hauptantrag geltend machen will, richtet sich entsprechend den Grundsätzen des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs ausschließlich nach dem Wortlaut des Antrags sowie seiner Begründung und nicht nach seinen materiell-rechtlichen Erfolgsaussichten oder Kosteninteressen der klagenden Partei. Eine andere Betrachtung steht nicht im Einklang mit der Parteimaxime, denn es ist Sache der Parteien, welche Anträge sie stellen will. Eine gegen den ausdrücklichen Willen der Partei erklärte Auslegung eines Antrages widerspräche dem zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz (vgl. LAG Schleswig-Holstein vom 24. Januar 2018 - 5 Ta 137/17 - aaO). Ist der Wille des Antragstellers, einen unbedingten Hauptantrag zu stellen, nicht zu erkennen, ergibt die Auslegung indes, dass ein sachdienlicher und zulässiger Antrag gestellt werden soll.

bb)

In Anwendung dieser Grundsätze ist der Antrag des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung als unechter Hilfsvertrag auszulegen. Denn er wurde nicht ausdrücklich unbedingt beantragt. Von der Unbedingtheit des Antrags ist nur auszugehen, wenn gerade der Wille, einen unbedingten Antrag stellen zu wollen, ausdrücklich erklärt wird (BAG vom 30. August 2011 - 2 AZR 668/10 (A) - juris Rn. 3).

(1)

Der Wortlaut des Antrags selbst lässt nicht erkennen, ob dieser als unechter Hilfsantrag oder unbedingt gestellt werden sollte. Die Begründung ergibt ebenfalls keinen Hinweis darauf, es für sachdienlich zu halten, einen unbedingten Antrag zu stellen. Sie verhält sich nur mit allgemeinen Erwägungen zum materiellen Anspruch.

(2)

Der Hinweis des Beschwerdeführers, der Antrag auf Weiterbeschäftigung sei ausdrücklich nicht als Hilfsantrag bezeichnet worden, verhilft nicht zum Erfolg. Denn dieses geht aus der Begründung nicht hervor. Die Antragsformulierung ist auslegungsfähig (vgl. BAG vom 13. August 2014 - 2 AZR 871/12 - aaO).

(3)

Ebenfalls ohne Erfolg beruft sich der Beschwerdeführer auf das am 5. November 2019 verkündete Versäumnisurteil. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung ist erst danach in den Rechtsstreit eingeführt worden. Gegenstand des Versäumnisurteils war er nicht. Auch sonst ist über den Antrag nicht entschieden worden. Der Rechtsstreit ist durch Vergleich erledigt worden. Die Parteien haben sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses verständigt.

(a)

Im Vergleich findet der Weiterbeschäftigungsantrag keinen Niederschlag. Allein seine (Mit-)Erledigung durch den Prozessvergleich rechtfertigt einen Ansatz für ihn nicht (vgl. LAG Stuttgart vom 30. Dezember 2015 - 5 Ta 71/15 - juris Rn. 25; LAG Baden-Württemberg vom 30. Dezember 2015 - 5 Ta 71/15 - juris Rn. 18). Denn eine sachliche Regelung zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrag kommt nur in Betracht, wenn der Prozessvergleich Vereinbarungen über den Zeitraum ab dem ursprünglich gesetzten Beendigungszeitpunkt enthält und der vereinbarte spätere Beendigungszeitpunkt zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch nicht verstrichen ist; eine tatsächliche Beschäftigung ist nur für die Zukunft regelbar. Das ist vorliegend nicht der Fall.

(b)

Bejahte man das Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 4 GKG bereits bei nur verfahrensmäßiger Erledigung des allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrags, bedeutete dies, das Tatbestandsmerkmal des "Vergleichs" zu übergehen. Das wäre weder mit dem Gesetzeswortlaut noch mit dem Sinn und Zweck des § 45 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 GKG in Einklang zu bringen (stRspr. vgl. für viele: BAG vom 13. August 2014 - 2 AZR 871/12 - juris Rn 5; LAG Berlin-Brandenburg vom 26. Januar 2015 - 17 Ta (Kost) 6137/14 - nv; LAG Düsseldorf vom 6. Juli 2006 - 6 Ta 371/06 - juris; LAG Hamburg vom 30. September 2015 - 4 Ta 17/15 - juris Rn. 9; vom 17. April 2014 - 2 Ta 2/14 - juris Rn. 10; LAG Hessen vom 22. Juli 2015 - 1 Ta 212/15 juris Rn.13, 14; LAG Niedersachsen 9. März 2009 - 15 Ta 53/09 - juris Rn. 13; LAG Sachsen-Anhalt 8. Mai 2013 - 1 Ta 49/13 - juris Rn. 19; LAG Schleswig-Holstein 11. Januar 2010 - 3 Ta 196/09 - juris Rn. 34 ff.).

Eine Addition der Werte des allgemeinen Weiterbeschäftigungs- und des Bestandsschutzantrags kommt nach § 45 Abs. 4 GKG damit nur dann in Betracht, wenn der Antrag auf Weiterbeschäftigung nicht nur verfahrensrechtlich erledigt, sondern auch in Form einer sachlichen Regelung Eingang in den Vergleich gefunden hat. Denn ob ein Hilfsantrag in den Vergleich einbezogen wurde oder nicht, entscheidet der sachliche Gehalt der Vereinbarung, nicht der bloße Wortlaut (Kurpat in: Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 14. Aufl. 2015, Rn. 5506 mwN).

(c)

Nach diesen Grundsätzen haben die Parteien den allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrag durch den Vergleich vom 28. November 2019 sinngemäß nicht sachlich mitentschieden. Er hat sich nur verfahrensrechtlich erledigt.

III.

Als im Beschwerdeverfahren unterlegene Partei haben die Beschwerdeführer die Gebühren zu tragen. Eine Kostenentscheidung ist zwar nicht veranlasst, § 33 Abs. 9 RVG. Allerdings ist eine Gebühr angefallen, denn die Beschwerde ist zurückgewiesen worden. Das vorliegende Verfahren nimmt nicht an der Kostenbefreiung nach § 2 Abs. 2 GKG teil, weil es sich nicht um eine Angelegenheit nach § 2a Abs. 1 ArbGG, sondern um eine Festsetzung des Verfahrenswerts nach § 33 RVG handelt (Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl. 2017, § 33 Rn. 12).

IV.

Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG keine weitere Beschwerde gegeben. Die Entscheidung ist unanfechtbar.