Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.11.2020, Az.: 13 Sa 133/20
Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien bei der Regelung unterschiedlicher Zuschlagssätze für verschiedene Arten der Nachtarbeit
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 18.11.2020
- Aktenzeichen
- 13 Sa 133/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 53549
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2020:1118.13Sa133.20.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hameln - 04.02.2020 - AZ: 1 Ca 241/19
Rechtsgrundlagen
- für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie, Fruchtsaftindustrie, Mineralbrunnenindustrie Niedersachsen/Bremen v. 23.08.2005 § 4 MTV
- für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie, Fruchtsaftindustrie, Mineralbrunnenindustrie Niedersachsen/Bremen v. 23.08.2005 § Nr. 1 c) MTV
- für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie, Fruchtsaftindustrie, Mineralbrunnenindustrie Niedersachsen/Bremen v. 23.08.2005 § 5 Nr. 2 b)-c) und Nr. 3 b) MTV
Amtlicher Leitsatz
Die Differenzierung zwischen Nachtarbeit von 21.00 bis 6.00 Uhr mit einer Zuschlagshöhe von 50 % und Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr mit einer Zuschlagshöhe von 25 % im Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie, Fruchtsaftindustrie, Mineralbrunnenindustrie Niedersachsen/Bremen vom 23.08.2005 hält sich unter Berücksichtigung weiterer damit zusammenhängender Tarifregelungen noch im Rahmen der den Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG zustehenden Einschätzungsprärogative und verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Tenor:
- 1.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgericht Hameln vom 12.12.2019 (1 Ca 241/19) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
- 2.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung höherer Zuschläge für Nachtschichtarbeit.
Die Klägerin ist bei der Beklagten als Produktionsmitarbeiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie, Fruchtsaftindustrie, Mineralbrunnenindustrie Niedersachsen/Bremen vom 23.08.2005 (Bl. 7 - 28 d. A.; im Folgenden kurz MTV) kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung. Darin heißt es - soweit für den vorliegenden Rechtsstreit von Interesse - u. a. wie folgt:
"§ 4
Alters- und Schichtfreizeit
...
2. Schichtfreizeit (Geltung nur für Arbeitnehmer in Unternehmen gem. § 1 Ziff. 2a)
Arbeitnehmer, die ständig im Drei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten für je 25 geleistete Nachtschichten in diesem System eine Freischicht.
Arbeitnehmer, die im Zwei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten nach diesem System für je 55 geleistete Spätschichten eine Freischicht.
§ 5
Mehrarbeit, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit
1. Begriffsbestimmung
...
c) Nachtarbeit
Nachtarbeit ist die in der Zeit von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit, soweit es sich nicht um Schichtarbeit handelt.
...
2. Zuschläge
Für Mehrarbeit, Nachtarbeit, Schichtarbeit in der Nacht, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:
a) Für Mehrarbeit | 25% |
---|---|
ab der 3. Mehrarbeitsstunde am Tage | 30% |
... | |
b) für Nachtarbeit | 50 % |
c) für Schichtarbeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr | 25 % |
...
3. Berechnung der Zuschläge
...
b) Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist nur der jeweils höhere zu zahlen.
Hiervon ausgenommen ist der Zuschlag für Schichtarbeit (§ 5 Abs. 2 c). Dieser Zuschlag ist auch bei Zusammentreffen mit anderen Zuschlägen zu zahlen.
§ 14
Ausschlussfrist
Gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Beschäftigungsverhältnis sind innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten ab Entstehen des Anspruches geltend zu machen. (...)
..."
Die Klägerin leistete von Januar bis einschließlich Oktober 2019 im Rahmen eines Drei-Schicht-Wechsel-Systems mehrfach Nachtschichten. Die Beklagte zahlte ihr für diese einen Zuschlag in Höhe von 25 % gemäß § 5 Nr. 2 c MTV.
Mit Schreiben vom 30.04.2019 (Bl. 36 f d. A.) und 31.07.2019 (Bl. 38 d. A.) machte die Klägerin gegenüber der Beklagten erfolglos Nachtschichtzuschläge in Höhe von 50% für die Monate Januar bis incl. Juni 2019 geltend.
Mit der am 07.08.2019 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen und am 16.09.2019 sowie 22.11.2019 auf die Monate bis incl. Oktober 2019 erweiterten Klage hat die Klägerin ihr - der Höhe nach unbestritten gebliebenes - Zahlungsbegehren weiterverfolgt.
Die Klägerin hat vorgetragen, der MTV verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da er ohne sachlichen Grund unterschiedliche Zuschlagshöhen für Nachtarbeit inner- und außerhalb von Schichtsystemen vorsehe. Nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen sei Nachtarbeit umso schädlicher, je größer der Umfang sei, in dem sie geleistet werde. Eine möglicherweise vorhandene Planbarkeit von Nachtarbeit, die innerhalb eines Schichtsystems erbracht werde, führe nicht zu geringeren Belastungen der Arbeitnehmer und könne eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Zuschlagshöhe nicht rechtfertigen.
Der gezahlte Nachtzuschlag sei deshalb auf 50 % zu erhöhen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Januar 2019 weitere 4,56 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2019 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Februar 2019 weitere 147,38 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.03.2019 zu zahlen,
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat März 2019 weitere 227,17 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2019 zu zahlen,
4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat April 2019 weitere 15,02 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.05.2019 zu zahlen,
5. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Mai 2019 weitere 172,73 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2019 zu zahlen,
6. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Juni 2091 weitere 199,02 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2019 zu zahlen,
7. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Juli 2019 weitere 122,98 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.08.2019 zu zahlen,
8. die Beklagte weiterhin zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat August 2019 weitere 292,89 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basis-zinssatz seit dem 01.09.2019 zu zahlen,
9. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Oktober 2019 weitere 300,40 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.11.2019 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, die tarifliche Unterscheidung zwischen schichtplanmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit stelle unter Berücksichtigung des gesamten Regelungssystems des MTV keine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dar. So beinhalte der von den Tarifvertragsparteien vorgesehene Nachtarbeitszuschlag von 50 % für unregelmäßige Nachtarbeit den für die damit typischerweise verbundene Mehrarbeit anfallenden Zuschlag von 25 %. Zudem erhielten nur die Nachtschichtarbeitnehmer die Freischicht nach § 4 Ziff. 2 Abs. 1 MTV. Die von gleichwertigen Tarifpartnern ausgehandelte Gesamtregelung habe die Vermutung der Angemessenheit für sich.
Jedenfalls stelle eine sogen. Anpassung nach oben einen unzulässigen Eingriff in die Tarifautonomie dar.
Das Arbeitsgericht hat mit einem der Klägerin am 07.01.2020 zugestellten Urteil vom 12.12.2019 (Bl. 188 - 192 d.A.), auf das wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie seiner Würdigung durch das Arbeitsgericht verwiesen wird, die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 04.02.2020 eingelegte und am 01.04.2020 innerhalb verlängerter Frist begründete Berufung der Klägerin.
Die Klägerin trägt vor, ein sachlich vertretbarer Differenzierungsgrund müsse objektiv vorliegen. Seien die Tarifvertragsparteien tatsächlich von den vom Arbeitsgericht angenommenen Differenzierungsgründen ausgegangen, widersprächen diese gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen und seien deshalb nicht mehr durch eine Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien gedeckt.
Ferner habe das Arbeitsgericht nicht berücksichtigt, dass bei Nachtarbeit außerhalb eines Schichtsystems der Nachtzuschlag bereits für Arbeiten ab 21:00 Uhr bezahlt werde, ein gleichzeitiger Anfall von Mehrarbeitszuschlägen nicht zwingend und in bestimmten tariflich vorgesehenen Konstellationen geringer als 25% sei.
Auch seien die tariflich vorgesehenen Freischichten ein Ausgleich für Arbeiten im Schichtsystem und böten allenfalls einen Vorteil von ca. 2%.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgericht Hameln vom 12.12.2019 (1 Ca 241/19) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
a) für den Monat Januar 2019 weitere 4,56 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2019,
b) für den Monat Februar 2019 weitere 147,38 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.03.2019,
c) für den Monat März 2019 weitere 227,17 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2019,
d) für den Monat April 2019 weitere 15,02 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.05.2019,
e) für den Monat Mai 2019 weitere 172,73 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2019,
f) für den Monat Juni 2091 weitere 199,02 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2019,
g) für den Monat Juli 2019 weitere 122,98 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.08.2019,
h) für den Monat August 2019 weitere 292,89 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basis-zinssatz seit dem 01.09.2019,
i) für den Monat Oktober 2019 weitere 300,40 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.11.2019
zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen unter Verteidigung des angefochtenen Urteils und macht geltend, außerhalb von Schichtarbeit würden Mitarbeiter in der Regel nachts nur tätig, wenn kurzfristig ein nicht geplanter Einsatz zu absolvieren sei, weil noch verderbliche Rohstoffe verarbeitet werden müssten, eine Havarie oder eine sonstige Störung vorliege. Dabei handele es sich in der Regel zugleich um Mehrarbeit im Tarifsinn.
Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt worden. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat sich die Klägerin hinreichend im Sinne des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt. Sie bezweifelt, dass die vom Arbeitsgericht angenommenen Differenzierungsgründe objektiv vorgelegen haben und von den Tarifvertragsparteien tatsächlich für maßgeblich gehalten worden sind. Hilfsweise macht sie geltend, diese widersprächen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen. Auch macht die Klägerin geltend, das Arbeitsgericht habe bestimmte, von ihr näher bezeichnete Umstände bei seiner Bewertung nicht berücksichtigt. Damit geht die Klägerin hinreichend auf die Argumentation des Arbeitsgerichts ein und verdeutlicht die konkreten Angriffspunkte. Dies ist ausreichend. Nicht erforderlich ist, dass die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind (vgl. BGH 06.12.2011 - II ZB 21/10). Die Berufung ist jedoch unbegründet. Da Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit zutreffend entschieden.
1.
Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines höheren Zuschlags für die in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit ergibt sich nicht aus § 5 Ziff. 2 b) MTV. Die Klägerin hat in der Nacht Schichtarbeit geleistet, so dass ihr tariflich wegen § 5 Ziff. 2 c) MTV kein höherer, als der gezahlte Zuschlag zustehen könnte.
2.
Der geltend gemachte Anspruch besteht auch nicht aus § 5 Ziff. 2 b) MTV i.V.m. dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Zwar findet der MTV kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist jedoch nicht verletzt.
a)
Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dabei ist es grundsätzlich dem Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln. Als selbständigen Grundrechtsträgern kommt den Tarifvertragsparteien dabei aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie haben eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen. Bei der Lösung tarifpolitischer Konflikte sind sie nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zu treffen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht. Die aus dem Gleichheitssatz folgenden Grenzen sind überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können (vgl. etwa BAG 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 -, juris, Rn. 43f m.w.N.).
b)
Nach diesen Grundsätzen haben die Tarifvertragsparteien vergleichbare Gruppen ungleich behandelt.
aa)
Die Gruppe der Arbeitnehmer, die Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit leistet, ist mit der Gruppe der Arbeitnehmer vergleichbar, die außerhalb von Schichtsystemen Nachtarbeit leistet. Beide Arbeitnehmergruppen erbringen ihre Arbeitsleistung innerhalb eines Zeitraums, der in § 5 Ziff. 1 c) MTV als Nachtarbeit definiert ist und sich dadurch von Arbeit zu anderen Zeiten unterscheidet.
bb)
Nach § 5 Ziff. 2. b) und § 5 Ziff. 2. c) MTV sind unterschiedlich hohe Zuschläge je nachdem zu zahlen, ob die Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit geleistet wird oder nicht. Der Zuschlag von 50 % zum Stundenlohn für eine Nachtarbeitsstunde nach § 5 Ziff. 2. b) MTV ist doppelt so hoch wie der in § 5 Ziff. 2. c) MTV für Nachtarbeit im Schichtbetrieb geregelte Zuschlag von 25 %. Dieser Unterschied entfällt nicht deshalb, weil sich der Zuschlag von 50 % zum Stundenlohn nach § 5 Ziff. 2. b) MTV aufgrund regelmäßig mit Nachtarbeit verbundener Mehrarbeit und der Regelung in § 5 Ziff. 3. b) MTV in Wahrheit aus einem Nachtarbeitszuschlag und einem Mehrarbeitszuschlag zusammensetzt. Einer solchen Annahme steht der eindeutige Wortlaut des § 5 Ziff. 2 b) MTV entgegen, wonach der Zuschlag von 50% ausdrücklich für Nachtarbeit zu zahlen ist. Damit sollen erkennbar die mit Nachtarbeit verbundenen herausgehobenen Belastungen abgegolten werden. Mit der - nicht nur auf Nachtarbeits- und Mehrarbeitszuschläge beschränkten - Regelung in § 5 Ziff. 3. b) MTV soll ersichtlich nur eine Kumulation unterschiedlicher Zuschläge vermieden werden.
Die Ungleichbehandlung wird dadurch verstärkt, dass der Zuschlag für Nachtarbeit - im Gegensatz zu dem für Nachtarbeit im Schichtbetrieb geregelten Zuschlag - auch bereits für die in der Zeit von 21:00 bis 22:00 Uhr geleistete Arbeit zu zahlen ist.
c)
Für die Ungleichbehandlung besteht jedoch ein sachlich vertretbarer Grund.
aa)
Der Tarifvertrag lässt erkennen, dass die Tarifvertragsparteien Nachtarbeit als Ausnahme gegenüber der Nachtschichtarbeit gesehen und als belastender eingestuft haben, weil sie typischerweise unregelmäßig bzw. nicht im Rahmen einer größeren Gruppe von Arbeitnehmern erbracht wird.
(1)
Der Tarifvertrag differenziert zwischen Nachtarbeit einerseits und Schichtarbeit in der Zeit von 22:00 Uhr und 6:00 Uhr andererseits. Von Erstgenannter erfasst wird damit sowohl gelegentlich anfallende Nachtarbeit, ohne dass diese in einem bestimmten Schichtplan vorgesehen ist, als auch dauerhafte Nachtarbeit außerhalb von Schichtsystemen (vgl. BAG 11.12.2013 - 10 AZR 736/12 -, juris, Rn. 17).
Für den Begriff der Schichtarbeit ist hingegen wesentlich, dass eine bestimmte Arbeitsaufgabe über einen erheblich längeren Zeitraum als die tatsächliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers hinausgeht und daher von mehreren Arbeitnehmern (oder Arbeitnehmergruppen) in einer geregelten zeitlichen Reihenfolge teilweise auch außerhalb der allgemein üblichen Arbeitszeit erbracht wird (BAG 26.09.2007 - 5 AZR 808/06 -, Rn. 33, juris). Dies ist auch dann der Fall, wenn in dem Betrieb nur in einer Schicht gearbeitet wird (BAG 15.11.1957 - 1 AZR 610/56 -, juris, Rn. 30).
Nachtarbeit stellt nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien somit den Ausnahmefall zum Regelfall der Schichtarbeit dar, denn sie fällt nicht in den regelmäßigen Schichtrhythmus bzw. betrifft nur einzelne Arbeitnehmer. Nach unbestrittener Darstellung der Beklagten macht die Nachtarbeit in der Tarifpraxis der Ernährungswirtschaft ca. 1% der insgesamt dort verrichteten Nachtarbeit aus.
(2)
Der Umstand, dass nach § 5 Ziff. 2 c) MTV ein Anspruch auf einen Zuschlag für die Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr besteht, spricht für den Willen der Tarifvertragsparteien, diese Arbeitszeit zu verteuern, um die mit der Leistung von Nachtarbeit in Schichtarbeit verbundenen Erschwernisse auszugleichen (ebenso LAG Niedersachsen 08.10.2020 - 16 Sa 53/20 -, juris Rn. 51). Nachtarbeit soll für den Arbeitgeber weniger attraktiv sein. Die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wird verteuert, um auf diesem (indirekten) Weg allgemein gesundheitsschädliche Nachtarbeit einzudämmen. Außerdem soll der Arbeitnehmer in einem gewissen Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigt werden (vgl. etwa BAG 15.07.2020 - 10 AZR 123/19 -, Rn. 28, juris).
Demselben Zweck dient auch der Zuschlag für Nachtarbeit nach § 5 Ziff. 2 b) MTV. Der höhere Zuschlag für sonstige Nachtarbeit im Vergleich zu demjenigen für schichtplanmäßige Nachtarbeit soll zum einen die besonderen Erschwernisse abgelten, die dadurch verursacht werden, dass sich die Belastung des Arbeitnehmers durch den kurzfristigen Arbeitsrhythmuswechsel ändert und er sich in seinen gesamten Lebensgewohnheiten - Schlafen, Einnahme der Mahlzeiten, aber auch Gestaltung der Freizeit - umstellen muss, und zum anderen den Arbeitgeber dazu veranlassen, die im Verhältnis zur schichtplankonformen Nachtarbeit in Wechselschicht teurere unregelmäßige Nachtarbeit nach Möglichkeit zu vermeiden (vgl. BAG 19.09.2007 - 4 AZR 617/06 -, Rn. 18, juris). Entsprechende Differenzierungen bei der Zuschlagshöhe sind tariflich weit verbreitet und in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Grundsatz nicht beanstandet worden.
bb)
Die Annahme, Nachtarbeit sei belastender als Nachtschichtarbeit hält sich unter Berücksichtigung der den Tarifparteien zukommenden Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen im zulässigen Rahmen.
Ein niedrigerer Zuschlag für Nachtschichtarbeit ist zwar nicht durch Aspekte des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt, weil die Gesundheit von Nachtschichtarbeitnehmern, die regelmäßig Nachtarbeit leisten, nach heutigem Kenntnisstand jedenfalls nicht in geringerem Maß gefährdet ist als die Gesundheit von Arbeitnehmern, die außerhalb von Schichtsystemen nur unregelmäßig zur Nachtarbeit herangezogen werden. Nachtarbeit ist nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen grundsätzlich für jeden Menschen schädlich und hat negative gesundheitliche Auswirkungen. Die Belastung und Beanspruchung der Beschäftigten steigt nach bisherigem Kenntnisstand in der Arbeitsmedizin durch die Anzahl der Nächte pro Monat und die Anzahl der Nächte hintereinander, in denen Nachtarbeit geleistet wird, auch wenn viele Schichtarbeitnehmer, die in einem Rhythmus von fünf und mehr hintereinanderliegenden Nachtschichten arbeiten, subjektiv den Eindruck haben, dass sich ihr Körper der Nachtschicht besser anpasst (BAG 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 -, juris, Rn. 49).
Ein höherer Zuschlag für Nachtarbeit im Vergleich zu demjenigen für Nachtschichtarbeit kann aber grundsätzlich wegen erschwerter Teilhabe am sozialen Leben gerechtfertigt sein. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht dies für die im Urteil vom 21.03.2018 (- 10 AZR 34/17 - Rn. 52) in Rede stehende Tarifregelung als geeigneten Differenzierungsgrund verneint. Auf den Aspekt erschwerter sozialer Teilhabe hat es in seiner bisherigen Rechtsprechung (etwa BAG 27.05.2003 - 9 AZR 180/02 -, Rn. 25, juris; BAG 19.09.2007 - 4 AZR 617/06 -, Rn. 18, juris; zuletzt BAG 11.12.2013 - 10 AZR 736/12 - Rn. 23) aber wiederholt mit Recht abgestellt und dabei ausgeführt, im Gegensatz zum (Dauer-) Nachtarbeitnehmer habe der in Wechselschicht tätige Arbeitnehmer während der Zeiten mit Tagschicht Gelegenheit am sozialen Leben teilzuhaben (BAG 27.05.2003, a.a.O.). Denn es ist zu berücksichtigen, dass jede Abweichung von der regulären Arbeitszeit innerhalb - länger im Voraus - feststehender Schichten für die davon betroffenen Arbeitnehmer eine erneute Abstimmung der Lebensbereiche Arbeit und Familie, Freunde sowie Freizeit erforderlich macht. Die Balance zwischen (Nacht-)Arbeit und Freizeit sowie familiären Verpflichtungen herzustellen, ist demzufolge umso schwieriger, je unregelmäßiger die Nachtarbeit anfällt. Von daher ist es nach Auffassung der Kammer nicht grundsätzlich zu beanstanden, wenn Tarifvertragsparteien bei der Bestimmung der Zuschlagshöhe berücksichtigen, dass die schichtplanmäßige regelmäßige Arbeitszeit im geringeren Maße in das Familienleben und Freizeitverhalten eingreift, als die nur ausnahmsweise und außerhalb von Schichten typischerweise unregelmäßig geleistete Nachtarbeit (vgl. LAG Niedersachsen 06.08.2020 - 6 Sa 64/20 -, Rn. 75, juris; LAG Niedersachsen 08.10.2020 - 16 Sa 53/20 -, juris Rn. 54).
cc)
Die Differenzierung hinsichtlich der Zuschlagshöhe und der zuschlagspflichtigen Nachtzeit bewegt sich im Streitfall unter Berücksichtigung weiterer damit zusammenhängender Tarifregelungen noch innerhalb des Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien.
Zunächst hat die Beklagte unbestritten vorgetragen (Bl. 71 d. A.), dass Schichtarbeit in der Ernährungsindustrie zwar eine Arbeitszeitgestaltung ist, die in fast allen Betrieben anzutreffen ist, dabei jedoch nur ein kleiner Teil der Arbeitnehmer im 2- oder 3-Schicht-Betrieb unter Einbeziehung der Nachtzeit zu arbeiten hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Einsatz in Wechselschichtsystemen die Anzahl ggf. anfallender Nachtschichten oder Arbeitsstunden in der tariflichen oder gesetzlichen Nachtzeit reduziert und begrenzt (vgl. BAG 11.12.2013 - 10 AZR 736/12 - Rn. 22). Anhaltspunkte dafür, dass in der hier betroffenen Tarifbranche und im Verhältnis zur Zahl der Arbeitnehmer im 2- oder 3-Schicht-Betrieb unter Einbeziehung der Nachtzeit eine erhebliche Anzahl an Arbeitnehmern ausschließlich in der Nachtschicht tätig ist, bestehen nicht.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass ein Zuschlag iHv. 25 % auf das jeweilige Bruttostundenentgelt - außerhalb tariflicher Ausgleichsregelungen - regelmäßig einen angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG darstellt (etwa BAG 15. Juli 2020 - 10 AZR 123/19 -, Rn. 30, juris). Art. 8 bis 12 der Richtlinie 2003/88/EG machen keine Vorgaben für die Höhe des als angemessen anzusehenden Nachtarbeitszuschlags. Konkrete Vorgaben zu der Höhe einer Entschädigung in Geld oder eines finanziellen Ausgleichs für Nachtarbeiter ergeben sich auch nicht aus dem sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88/EG iVm. Art. 3 Abs. 1 und Art. 8 des Übereinkommens 171 (1990) der Internationalen Arbeitsorganisation über Nachtarbeit (BAG 15.07.2020 - 10 AZR 123/19 -, juris).
Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung darf dem Zuschlag von 25% gemäß § 5 Ziff. 2. c) MTV auch nicht lediglich die Erhöhung um weitere 25% im Rahmen des § 5 Ziff. 2. b) MTV und die Zuschlagspflichtigkeit der Zeit von 21:00 bis 22:00 Uhr gegenübergestellt werden. Zu berücksichtigen ist auch die Regelung in § 5 Ziff. 3. b) S. 1 MTV, die typischerweise bei Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit zu einem Aufgehen des damit regelmäßigen verbundenen Mehrarbeitszuschlags von 25 bzw. 30% in dem Zuschlag für Nachtarbeit führt. Der Zuschlag für Nachtschichtarbeit ist gemäß § 5 Ziff. 3. b) S. 2 und 3 MTV hingegen neben anderen Zuschlägen zu zahlen. Ferner ist § 4 Ziff. 2 Abs. 1 MTV zu berücksichtigen. Diese Regelung dient nicht nur dem Ausgleich von Schichtarbeit, sondern auch dem Ausgleich geleisteter Nachtarbeit. Die Regelung knüpft ausdrücklich an die Anzahl geleisteter Nachtschichten an. Zudem steigt die Anzahl der Freischichten bei geleisteten Nachtschichten im Verhältnis zu geleisteten Spätschichten überproportional an (1 Freischicht bei 25 Nachtschichten im 3-Schicht-Wechselbetrieb gegenüber 1 Freischicht bei 55 Spätschichten im 2-Schicht-Wechselbetrieb).
Insgesamt erfüllt der höhere Zuschlag für Nachtarbeit damit trotz teilweiser Kompensation den von den Tarifvertragsparteien verfolgten Zweck, die Nachtarbeit außerhalb eines Schichtsystems gegenüber der Nachtschichtarbeit zu verteuern. Mag die Regelung für Nachtarbeit im Vergleich zu demjenigen für Nachtschichtarbeit nicht in jeder denkbaren Fallkonstellation als die gerechteste Lösung erscheinen, haben die Tarifvertragsparteien aus sachlichen Gründen für Nachtschichtarbeitnehmer insgesamt keine so erheblich ungünstigere Regelung geschaffen, als dass der tariflichen Regelung unter dem Aspekt der Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG die Durchsetzung verweigert werden müsste.
II.
Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG) zuzulassen. Die Frage eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz war entscheidungserheblich, da die geltend gemachten Ansprüche nicht tariflich verfallen sind. Die jeweils zum Monatsletzten entstandenen Ansprüche für die Monate Januar bis Juni 2019 hat die Klägerin innerhalb der dreimonatigen Ausschlussfrist unbestritten mit den jeweils per Telefax vorab übersandten Schreiben vom 30.04. und 31.07.2019 geltend gemacht. Hinsichtlich der Monate Juli und August 2019 sowie Oktober 2019 wahren die Klageerweiterungen die Ausschlussfrist.