Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.06.2020, Az.: 10 Sa 362/19
Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach Wechsel der Steuerklasse; Nettoauszahlung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 09.06.2020
- Aktenzeichen
- 10 Sa 362/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 66698
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BAG - 19.05.2021 - AZ: 5 AZR 378/20
Rechtsgrundlagen
- § 20 Abs. 1 S. 2 MuSchG
- § 3 Nr. 1 Buchst. d) EStG
Redaktioneller Leitsatz
1. Wechselt die Arbeitnehmerin nach der Geburt ihres Kindes die Steuerklasse, ist dies nicht rechtsmissbräuchlich, denn in diesem Fall sind die letzten drei Monate vor der Geburt des Kindes als Referenzzeitraum für die Berechnung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld zugrunde zu legen. Damit wird erreicht, dass sich die nach dem Referenzzeitraum liegende Steuerklassenänderung nicht auf die Berechnung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld auswirkt.
2. Der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld ist gem. § 3 Nr. 1 Buchst. d) EStG steuerfrei. Auch Sozialversicherungsbeiträge fallen nicht an. Der Zuschuss kann also "brutto für netto" in der Entgeltabrechnung ausgewiesen und ausgezahlt werden.
In dem Rechtsstreit
pp.
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen am 9. Juni 2020 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dreher sowie die ehrenamtlichen Richter Getrost und Frau Rifaat als Beisitzer gemäß § 128 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 14. März 2019 - 8 Ca 413/18 - abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in Höhe von 1.903,77 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. Januar 2019 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe eines Zuschusses zum Mutterschaftsgeld.
Die Klägerin bezog nach der Geburt ihres ersten Kindes von der Beklagten, ihrer Arbeitgeberin, einen Zuschuss zum Mutterschaftsgeld, dessen Höhe sich auf der Grundlage der damals für die Klägerin geltenden Lohnsteuerklasse III bemaß. Nachdem sie ihre Lohnsteuerklasse auf V gewechselt hatte, kam die Klägerin im Juni 2016 zum zweiten Mal nieder und begab sich im Anschluss erneut in Elternzeit. Diese endete mit Ablauf des 23. Dezember 2017. Am Folgetage begann die Mutterschutzfrist im Hinblick auf die Geburt des dritten Kindes der Klägerin; sie erfolgte am 29. Januar 2018. Danach zahlte die Beklagte einen Zuschuss zum Mutterschaftsgeld, den sie nunmehr auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse V abrechnete.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie könne Zahlungen des Zuschusses auf der Grundlage der früher für sie anwendbaren Lohnsteuerklasse III verlangen, woraus sich - rechnerisch unstreitig - der streitgegenständliche Differenzbetrag ergibt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr 1.903,77 Euro als Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, sie sei weder verpflichtet noch steuerrechtlich befugt, den Zuschuss auf einer anderen Grundlage als der im betreffenden Zeitraum auf die Klägerin anwendbaren Lohnsteuerklasse V zu gewähren.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt: Referenzzeitraum für die Ermittlung des um die gesetzlichen Abzüge verminderten durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelts seien die letzten drei abgerechneten Kalendermonate vor Beginn der Schutzfrist. Vorliegend sei nicht auf den Zeitraum abzustellen, für den die letzten Entgeltabrechnungen erfolgt seien, nämlich vor der Geburt des ersten Kindes der Klägerin im Jahre 2014, sondern auf die Zeit vor Beginn der Schutzfrist. Anderenfalls käme die Klägerin in den Genuss des erhöhten Zuschusses und des erhöhten Elterngeldes, was vom Gesetz nicht gewollt sei.
Gegen das ihr am 1. April 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26. April 2019 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Frist am 1. Juli 2019 begründet.
Die Berufung führt aus: Zugrunde zu legen sei diejenige Steuerklasse, die bei Berechnung des ersten Zuschusses zum Mutterschaftsgeld gewählt worden sei, weil die Klägerin danach nicht mehr gearbeitet habe. Die Änderung der gewählten Steuerklasse sei weder ursächlich für den Anspruch gewesen noch sei sie missbräuchlich erfolgt. Dass eine entsprechende Berechnung und Auszahlung möglich sei, ergebe sich schon daraus, dass die Beklagte nach der Geburt des zweiten Kindes das Mutterschaftsgeld nach der Lohnsteuerklasse III ermittelt und gezahlt habe, obwohl die Klägerin bereits zuvor die Lohnsteuerklasse V gewählt habe. Im Übrigen fielen für den Zuschuss weder Steuern noch Sozialversicherungsabzüge an.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr 1.903,77 Euro als Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt aus: Die Klägerin müsse die negativen Folgen ihres bewussten Wechsels der Steuerklasse tragen, denn seit Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM) sei es nicht mehr zulässig, auf der Grundlage einer unzutreffenden Lohnsteuerklasse abzurechnen. Nachdem dies zunächst technisch noch möglich, wenn auch steuerrechtlich falsch, gewesen sei, habe die Steuerverwaltung die zugrunde liegende Fehlerquelle inzwischen beseitigt. Im Ergebnis fordere die Klägerin von der Beklagten eine widerrechtliche Manipulation der elektronischen Systemdaten unter Zugrundelegung einer unrichtigen Steuerklasse. Das von der Klägerin angezogene Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg sei noch zur alten Rechtslage ergangen. Auch die zugrunde liegende Vorschrift aus dem Mutterschutzgesetz habe sich mittlerweile geändert. Die Beklagte meint, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Missbrauch der Steuerklassenwahl sei vorliegend einschlägig.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung durch die Kammer waren.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat Erfolg.
I.
Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist von dieser fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1, 2 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1, 2 ZPO) und damit insgesamt zulässig.
II.
Die Berufung ist begründet. Der Klägerin steht ein auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse III berechneter Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in Höhe der Klageforderung nebst Zinsen zu.
1.
Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 MuSchG wird als Zuschuss zum Mutterschaftsgeld der Unterschiedsbetrag zwischen 13 Euro und dem um die gesetzlichen Abzüge verminderten durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelt der letzten drei abgerechneten Kalendermonate vor Beginn der Schutzfrist vor der Entbindung gezahlt. Nach ihrem Wechsel in die Lohnsteuerklasse V erzielte die Klägerin kein Arbeitsentgelt mehr, weil sie sich durchgehend entweder in der Elternzeit oder im Mutterschutz befand. Mithin sind die letzten drei Monate vor der Geburt ihres ersten Kindes als Referenzzeitraum zugrunde zu legen. Seinerzeit war jedoch noch die Lohnsteuerklasse III für die Klägerin einschlägig, so dass der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld auf dieser Basis zu ermitteln ist.
2.
Zu Unrecht meint die Beklagte, der geltend gemachte Anspruch beruhe auf einer missbräuchlichen Steuerklassenwahl. Vorliegend geht es gerade darum, dass die nach dem Referenzzeitraum liegende Steuerklassenänderung sich nicht auswirken soll, so dass in dem Verhalten der Klägerin ein Missbrauch der ihr eingeräumten Steuerklassenwahl nicht erblickt werden kann (in diesem Sinne auch LAG Nürnberg 27. August 2002 - 6 [5] Sa 141/01 - Rn. 62).
3.
Das Argument der Beklagten, sie sei aus steuerrechtlichen Gründen gehindert, den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld wie von der Klägerin beantragt, auszuzahlen, ist nicht nachvollziehbar. Der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld ist gemäß § 3 Ziff. 1 Buchst. d EStG steuerfrei. Auch Sozialversicherungsbeiträge fallen nicht an. Demgemäß zutreffend rechnete die Beklagte in der Vergangenheit solche Zuschüsse auch in der Weise ab, dass die Rubriken "Gesamt-Brutto", "Netto-Verdienst" und "Auszahlungsbetrag" identische Beträge auswiesen (Abrechnungen für Dezember 2014 oder Juli 2016, Blatt 13 und 16 d.A.). Folglich ist die Beklagte nicht gehindert, in die Abrechnungen diejenige Lohnsteuerklasse einzustellen, die ihr korrekt erscheint bzw. die ihr, wie sie vorträgt, durch die elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale vorgegeben werden. An Grund und Höhe des Anspruchs ändert sich hierdurch nichts.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
IV. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.