Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.05.2020, Az.: 9 Sa 358/19
Wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung; Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten eines Chefarztes
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 26.05.2020
- Aktenzeichen
- 9 Sa 358/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 66756
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Verden - 26.03.2019 - AZ: 2 Ca 278/18
Rechtsgrundlagen
- § 241 Abs. 2 BGB
- § 626 Abs. 1 BGB
- § 626 Abs. 2 BGB
- § 630d BGB
- § 630e BGB
- § 1631b Abs. 1 BGB
Redaktioneller Leitsatz
1. Für eine fristlose Kündigung müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Ein solcher wichtiger Grund kann in einer erheblichen Verletzung der den Arbeitnehmer gem. § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers liegen.
2. Setzt ein Chefarzt in mehreren Fällen ohne Rücksichtnahme auf die Interessen Dritter seinen therapeutischen Ansatz eigenmächtig über seine Verpflichtung, den gesetzlichen Rahmen einzuhalten und die Interessen Dritter zu beachten, liegt eine gravierende Vertragsstörung vor, die zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung berechtigt. Einer vorhergehenden Abmahnung bedarf es dabei nicht.
In dem Rechtsstreit
...
hat die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 26. Mai 2020 durch die Vizepräsidentin des Landesarbeitsgerichts Dr. Hartwig sowie die ehrenamtliche Richterin Frau Klarmann und die ehrenamtliche Richterin Frau Beese als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 26.03.2019, AZ: 2 Ca 278/18, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund arbeitgeberseitiger fristloser Kündigung, Beschäftigung und Zahlungsansprüche.
Der 1959 geborene Kläger war seit dem 01.04.2000 bei der Beklagten als Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (im Folgenden: KJP) beschäftigt. Für die Einzelheiten wird auf den maßgeblichen Dienstvertrag vom 03.04.2000 Bezug genommen (Blatt 7 ff. d. A.). Die durchschnittliche Bruttomonatsvergütung betrug ca. 34.000,00 €. Der Kläger erhielt außerdem monatlich eine Rufbereitschaftspauschale in Höhe von 1.547,44 € brutto und durchschnittlich monatlich 754,18 € brutto für die tatsächliche Inanspruchnahme von Rufbereitschaft. Das Arbeitsverhältnis war gemäß § 16 Ziffer 3 des Dienstvertrages nach Ablauf der Probezeit nur aus wichtigem Grund im Sinne von § 626 BGB kündbar. Für den gesamten Inhalt des Dienstvertrages vom 03. April 2000 wird auf Bl. 7 ff. Bezug genommen.
Der Kläger war seit dem 18.05.2018 von der Arbeitsleistung freigestellt. Hintergrund der Freistellung waren eine Anfrage der R. Kreiszeitung über Vorwürfe hinsichtlich der Leitung der KJP durch den Kläger und ein Schreiben eines niedergelassenen Arztes an den Theologischen Direktor Pastor R., in dem mitgeteilt wurde, dass der Fachbereich Medizin des Universitätskrankenhauses D-Stadt gebeten wurde, den Status der KJP - Klinik als Lehrkrankenhaus zu überprüfen. Die Freistellung des Klägers am 18.05.2018 war Gegenstand eines einstweiligen Verfügungs- und Hauptsacheverfahrens zu den Aktenzeichen 2 Ga 5/18 und 2 Ca 246/18, welches nach Ausspruch der hier streitigen Kündigung vom 29.06.2018 für erledigt erklärt wurde.
Mit Schreiben vom 23.05.2018 entzog das Universitätskrankenhaus D-Stadt der KJP den Status eines Lehrkrankenhaus. Die Beklagte richtete eine Beschwerdestelle für Patienten und andere Betroffene ein und beauftragte am 27.06.2018 Frau S., Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und Psychoanalytikerin mit der Erstellung eines Gutachtens über verschiedene Fragestellungen zur Behandlung von Patienten.
Die Beklagte hörte 0die bei ihr gebildete Mitarbeitervertretung mit Schreiben vom 22.06.2018 zur beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung des Klägers an und kürzte die Frist zur Stellungnahme auf drei Tage ab. Für den Inhalt des Schreibens wird auf Blatt 48 ff. der Akte Bezug genommen. Die Mitarbeitervertretung stimmte der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 27.06.2018 zu.
Mit Schreiben vom 29.06.2018, dem Kläger am selben Tag zugegangen, erklärte die Beklagte die außerordentliche Kündigung. Die Kündigung wurde auf eine seitens der Beklagten behauptete Tätlichkeit im Jahr 2015 durch den Kläger gegenüber einer Mitarbeiterin gestützt, die nach der Behauptung der Beklagten erst mit Mail vom 20.06.2018 der Geschäftsführung bekannt geworden sei.
Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens schob die Beklagte nach Anhörung und Zustimmung der Mitarbeitervertretung weitere Kündigungsgründe in den Rechtsstreit nach. Hierbei handelte es sich um nach der Behauptung der Beklagten vorsätzlich fehlerhafte Abrechnungen von Behandlungen, Fehlbehandlungen von Patienten aufgrund struktureller Missstände in der Klinik und einen Fall des Vertrauensbruchs gegenüber dem Familiengericht durch den Kläger im Zusammenhang mit der Beurlaubung des Patienten S. Den nachgeschobenen Kündigungsgründen lagen folgende Sachverhalte zugrunde:
Der Kläger rechnete u.a. Befundberichte für Sozialämter und andere Behörden unter Angabe seiner privaten Bankverbindung ab. Die Rechnungsbeträge wurden an ihn gezahlt und - was im Einzelnen streitig ist - an die Mitarbeiter verteilt. Diese Vorgehensweise war zwischen dem Kläger und dem damaligen Geschäftsführer K. im Januar 2010 abgestimmt worden. Auch gegenüber der späteren Geschäftsführung hat er im Jahr 2016 die Abrechnungsweise geschildert.
Der Kläger rechnete außerdem die ambulante Behandlung von Privatpatienten nach einem sogenannten "Dreiertakt" ab. Hierzu gab es eine Anweisung des Klägers, nach deren Inhalt verschiedene Gebührenziffern monatlich neu abgerechnet werden. Hierfür wird auf Blatt 383 - 390 d. A. Bezug genommen. Laut Hinweis zu Ziffer 1.2.1 der Anweisung können bestimmte Leistungen nach Ablauf eines Monats erneut berechnet werden, weil dann ein neuer Behandlungsfall ausgelöst wird. Die Abrechnung der Gebührenziffer 715 wiederum kann nur erfolgen, wenn eine Dokumentation erfolgt ist. Die Beklagte hat für den Zeitraum Juli 2017 bis März 2018 im Rahmen einer strichprobenhaften Prüfung von 14 Patientenakte 12 Fälle benannt, bei denen nach ihrer Auffassung unberechtigt abgerechnet wurde.
Des Weiteren rechnete der Kläger in drei Fällen Wahlleistungen ohne Abschluss einer Wahlleistungsvereinbarung mit Vertreterregelung ab, obwohl der Kläger nach der Behauptung der Beklagten abwesend war.
Außerdem bezieht sich die Beklagte auf die im Gutachten von Frau S. vom 17.09.2018 dargestellten strukturellen Missstände in der KJP als Tat- und Verdachtskündigung. In dem Gutachten werden im Wesentlichen drei Bereiche aufgeführt, in denen nach Auffassung der Gutachterin erhebliche strukturelle Missstände in der KJP bestanden. Es handelt sich u. a. um ungerechtfertigte Einsätze freiheitsentziehender Maßnahmen im sogenannten Time-Out-Raum, im Folgendem TOR genannt. Diese seien nicht zur Unterstützung therapeutischer Maßnahmen, sondern als Erziehungsmethode und Strafe eingesetzt worden. Darüber hinaus gebe es in der KJP eine grundlegende Fehleinstellung zur Diagnose Depression und eine daraus resultierende Fehlbehandlung. Darüber hinaus wird beanstandet, dass Psychopharmaka kontraindiziert eingesetzt würden, die erforderliche Aufklärung insbesondere im Zusammenhang mit Medikamenten, die im Rahmen einer sogenannten "Off-Label-Medikation" eingesetzt würden, unzureichend sei oder gänzlich fehle. Darüber hinaus sei auch die Dokumentation der Aufklärung insgesamt unzureichend. Schließlich untersucht das Gutachten den Fall einer Patientin, die sich im Rahmen der stationären Behandlung suizidiert hatte. Es werden anhand einzelner Patientenakten verschiedene Fälle geschildert, in denen sogenannte Off-Label Medikamente verordnet und gegeben worden, ohne dass die Aufklärung über den sogenannten Off-Label Einsatz in ausreichender Weise erfolgt sei. Auch der Einsatz des Medikaments Risperidon bei Essstörungen wurde von dem Gutachten kritisiert, weil das Medikament nur als Nebenwirkung die Gewichtszunahme zur Folge hatte, nicht aber für die Behandlung von Essstörungen zugelassen sei. Für den gesamten Inhalt des Gutachtens nebst Anlagen wird zunächst auf Blatt 232 - 638 d. A. Bezug genommen.
Im Zusammenhang mit der Nutzung des TOR wird u. a. folgender Sachverhalt beschrieben: Der Patient O. befand sich in der Zeit vom 16. bis 20.10.2017 im sogenannten Time-Out-Raum (TOR), ohne dass hierfür eine familiengerichtliche Genehmigung nach § 1631b BGB vorlag. Der Patient war am 18.08.2017 mit einer Genehmigung nach § 1631b BGB für eine geschlossene Unterbringung bis 15.10.2017 stationär aufgenommen worden. Nachdem der Patient sich absprachefähig zeigte, teilte der Kläger am 21.09.2017 gegenüber dem Familiengericht mit, dass der Patient nicht eigen- oder fremdgefährdet sei und regte am 26.09.2017 die Aufhebung des Beschlusses zur geschlossenen Unterbringung an. Dem folgte das Familiengericht und hob den Beschluss am 06.10.2017 auf. Am 10.10.2017 entwich der Patient aus der Klinik, wurde jedoch aufgegriffen und wieder in die Klinik verbracht. Er verbrachte die Nacht vom 10. auf den 11.10.2017 im Time-Out-Raum und erhielt hier eine Bedarfsmedikation Neurocil, wobei streitig ist, ob insoweit eine Aufklärung und eine Einwilligung vorlag. Für die Unterbringung im TOR vom 10. auf den 11. Oktober 2017 ist in der Patientenakte vermerkt "bei offener Tür, schläft im TOR bei tagsüber Aufenthalt im Wohnraum". Der Kläger hatte am 10.10.2017 gegenüber dem Familiengericht erneut eine "geschützte Behandlung" angeregt. Hierzu erstellte er am 12.10.2017 auf Veranlassung des Familiengerichts ein entsprechendes Gutachten. Das Gericht bestimmte Termin zur Anhörung auf den 24.10.2017. Am 15.10.2017 entwich der Patient erneut. Nach seinem Wiederaufgreifen wurde er in den TOR verbracht und verblieb dort bei geschlossener Tür bis zum 20.10.2017. Für die Anordnung durch den Kläger wird auf Bl. 265 der Patientenakte verwiesen. Für den Verlauf wird auf die Wochendokumentation zu Bl. 525 - 532 der Patientenakte verwiesen. Die Vormünderin des Patienten war vom 10. bis 17.10. 2017 im Urlaub und wurde am 18.10.2017 informiert. Mit Schreiben vom 19.10.2017 wandte sich der Kläger an das Familiengericht. Für das Schreiben wird auf Blatt 813 der Patientenakte Bezug genommen. Ebenfalls am 19.10.2017 telefonierte der Patient mit seinem Verfahrensbeistand Frau T., die ihn am 20.10.2017 auch besuchte. Am 20.10.2017 wurde der Patient entlassen.
Schließlich hatte der Kläger den Patienten S. gegen die schriftlichen Empfehlung des Jugendamtes und ohne Zustimmung des Familiengerichts an den Weihnachtsfeiertagen zu einem Besuch in die Familie entlassen. Der Patient wurde am 04.12.2017 in der KJP stationär aufgenommen. Er hatte seine Stiefgeschwister sexuell missbraucht und vergewaltigt. Daraufhin wurde er in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. In einer Sitzung beim Familiengericht C. vom 10.02.2016 war eine Kontaktregelung mit dem Vater getroffen worden, nach der ein Kontakt zu den Stiefgeschwistern nicht stattfindet. Form und genauer Inhalt der Kontaktregelung sind nicht bekannt. In der E-Mail vom 05.12.2017 von Frau St. aus der Jugendhilfeeinrichtung wurde auf die bestehende Kontaktregelung hingewiesen (Blatt 346, 347 d. A.). Mit Mail vom 08.12.2017 berichtete der Mitarbeiter des Jugendamtes H. über den Patienten (Blatt 348 d. A.). Am 14.12.2017 wandte sich der Kläger an Herrn H. und teilte mit, dass er einen Hausbesuch und eine Kurzbeurlaubung zu Weihnachten plane. Herr H. lehnte einen Besuch des Patienten im Elternhaus zu Weihnachten wiederholt ab. Am 19.12.2017 fand ein Gespräch zwischen dem Kläger, dem Patienten und dessen Familie in der KJP statt. Mit Mail vom 21.12.2017 lehnte Herr H. eine Beurlaubung ins Elternhaus weiterhin ab und verwies darauf, dass das Familiengericht eingeschaltet werden müsse. Am 22.12.2017, 13:05 Uhr schrieb der Kläger an den Zeugen H., dass er davon ausgehe, dass die Familie nicht sanktioniert würde, wenn der Kindesvater den Patienten morgen abhole. Am 22.12.2017 fanden verschiedene Telefonate zwischen jeweils dem Kläger und der Familienrichterin H1. und dem Jugendamtsmitarbeiter H. statt. Für den Inhalt des Mailverkehrs zwischen Kläger, Herrn H. und Frau H1. wird auf Bl. 346 - 351 Rs. und 728 - 731 Rs.d. Akte Bezug genommen. Streitig ist, ob Herr H. der Beurlaubung am 22.12.2017 telefonisch noch zustimmte oder davon erst am 02.01.2018 erfuhr.
Auf Antrag von Herrn H. erlies das Familiengericht am 09.01.2018 per einstweiliger Verfügung ein Kontaktverbot. Mit Mails vom 10.01./12.01.2018 korrespondierten Jugendamt und Kläger über die weitere Unterbringung des Patienten. Hierfür wird auf Bl. 1322-1329 der Akte Bezug genommen. Mit Schreiben vom 12.01.2018 beschwert sich der Kläger beim Direktor des Amtsgerichts C. über die Familienrichterin. Für den Inhalt des Schreibens wird auf Blatt 352 der Akte Bezug genommen.
Die Beklagte sprach mit Schreiben vom 08.10.2018 nach Anhörung der Mitarbeitervertretung und erfolgter Zustimmung am 04.10.2018 vorsorglich eine weitere außerordentliche Kündigung für den Fall aus, dass der Verdacht der strukturellen Missstände in der KJP erst durch das Gutachten vom 17.09.2018 begründet wurde. Gegen diese Kündigung vom 08.10.2018 wendete sich der Kläger mit Kündigungsschutzklage vom 22.10.2018.
Mit am 02.07.2018 erhobener Kündigungsschutzklage hat der Kläger bestritten, die frühere Mitarbeiterin F. an der Nase gezogen zu haben. Zu den im Zusammenhang mit der Erstellung von Abrechnungen erhobenen Vorwürfen hat er darauf verwiesen, dass er den Abschluss einer Wahlleistungsvereinbarung auf das Chefarztsekretariat delegiert habe. Seine Abwesenheit in den streitigen Zeiträumen sei ihm nicht erinnerlich, da ihm die Beklagte keine Einsichtnahme in seinen Kalender ermögliche. Die Abrechnung der ambulanten Behandlungen im sog. 3er-Takt sei berechtigt, da die Leistungen erbracht worden seien.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass ihm eine umfassende Rechtsverteidigung zu sämtlichen gegen ihn erhobenen Vorwürfen seitens der Beklagten verwehrt werde, weil er keinen Einblick in seine dienstlichen Unterlagen und die Patientenakte erhalte habe. Außerdem seien die von der Beklagten vorgebrachten Vorwürfe im Zusammenhang mit der Behandlung von Patienten nicht verwertbar, weil die Daten nur mit Einwilligung der Patienten weitergegeben werden dürften. Das gelte auch für die Weitergabe von Daten an die Krankenhausleitung und Abrechnungsstellen. Aus demselben Grund seien auch die in dem Gutachten von S. enthaltenen Vorwürfe nicht verwertbar.
Der Kläger hat weiter darauf hin hingewiesen, dass die Gutachterin aufgrund ihrer Qualifikation nicht geeignet sei. Darüber hinaus seien die von ihr genannten Leitlinien rechtlich nicht bindend und teilweise nicht aktuell, insgesamt sei das Verfahren zur Gutachtenerstellung fragwürdig. Seine Behandlung habe sich stets nach gesicherten Erfahrungswerten und dem Stand der Wissenschaft gerichtet. Schließlich berücksichtige das Gutachten auch nicht den in der Klinik bestehenden Ärzte- und Personalmangel. Die Vorwürfe zur fehlenden oder unzureichenden Dokumentation seien unzutreffend, weil nicht alles umfassend dokumentiert werden müsse. Es sei auch unzutreffend, dass die Patienten nicht hinreichend über die eingesetzten Medikamente aufgeklärt wurden. Bei den freiheitsentziehenden Maßnahmen differenziere das Gutachten nicht zwischen freiheitsentziehenden und freiheitsbeschränkenden Maßnahmen. Ein Einsatz zu anderen Zwecken als zur Vermeidung von Eigen- oder Fremdgefährdung sei nicht erfolgt. Es hätten keine Missstände in der KJP vorgelegen. Für die gesamte Einlassung des Klägers zum Gutachten wird auf den Schriftsatz vom 28.11.2018, S. 6 ff. Bezug genommen.
Im Fall des Patienten T. sei die Kontaktregelung unklar gewesen. Außerdem habe er nicht gegen den Willen von Jugendamt und Familiengericht gehandelt. Der Besuch in der Familie über Weihnachten sei im Interesse des Patienten erforderlich gewesen und dies habe er auch in Gesprächen mit allen Beteiligten kommuniziert.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 29.06.2018 und 08.10.2018 nicht aufgelöst worden ist;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände aufgelöst wird, sondern über den 29.06.2018 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger auf der Grundlage des Dienstvertrages vom 03.04.2000 als Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiter zu beschäftigen, ihm unter Aushändigung der Schlüssel Zugang zum Klinikgelände in R., V. Straße, zu gewähren und die Aussetzung der Weisungsbefugnis gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern der Klinik aufzuheben;
4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Zeitraum 18.05 bis 28.02.2019 weitere Arbeitsvergütung in Höhe von 325.904,97 EUR brutto abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangener Ansprüche in Höhe von 11.503,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf
- 847,03 EUR seit dem 01.06.2018, auf weitere
- 2.301,62 EUR seit dem 01.07.2018, auf weitere
- 34.822,31 EUR seit dem 01.08.2018, auf weitere
- 34.822,31 EUR seit dem 01.09.2018, auf weitere
- 34.146,23 EUR seit dem 01.10.2018, auf weitere
- 32.568,71 EUR seit dem 01.11.2018, auf weitere
- 32.643,83 EUR seit dem 01.12.2018, auf weitere
- 33.019,43 EUR seit dem 01.01.2019, auf weitere
- 76.703,95 EUR seit dem 01.02.2019 und auf weitere
- 32.526,11 EUR seit dem 01.03.2019
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass jeder Kündigungsgrund für sich geeignet sei, das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos zu beenden, mindestens aber mehrere Kündigungsgründe zusammen. Die Beklagte hat zu den Abrechnungen behauptet, der Kläger habe die generelle Anweisung gegeben, die ambulante Behandlung von Privatpatienten stets nach dem vorgegebenen Dreiertakt abzurechnen, unabhängig davon, ob die Behandlung erbracht worden sei oder nicht. Zudem liege keine Dokumentation für einen Anlass einer erneuten Untersuchung vor. Auch bei den Wahlleistungen habe der Kläger die Vorgabe gemacht, die Abrechnung wie vorgelegt vorzunehmen. Kenntnis davon habe die Beklagte erst jeweils nach Ausspruch der Kündigung erhalten. Die Beklagte hat des Weiteren die Auffassung vertreten, die im Gutachten vom 17.09.2018 festgestellten strukturellen Missstände rechtfertigten die Kündigung. Hierzu hat sie mit Schriftsatz vom 12.02.2019 einzelne im Gutachten vom 17.09.2018 festgestellten Missstände aufgegriffen und nach Maßgabe des arbeitsgerichtlichen Hinweisbeschlusses vom 22.01.2019 konkretisiert. Allein die Verbringung des Patienten O. in das TOR in der Zeit vom 16.-20.10.2017 rechtfertige die außerordentliche Kündigung, da es sich um Freiheitsentziehung handele. Der Kläger habe den Patienten allein aus erzieherischen Gründen im TOR bei geschlossener Tür untergebracht, wie aus den TOR-Protokollen folge. Für die Maßnahme habe - unstreitig - keine Genehmigung des Familiengerichts vorgelegen und sie sei auch nicht genehmigungsfähig gewesen. Außerdem habe der Kläger bei dem Patienten eine Bedarfsmedikation angeordnet, ohne dass dafür eine Einwilligung vorgelegen hätte. Außerdem bezieht sich die Beklagte in Konkretisierung der im Gutachten benannten Patienten auf die Behandlung des Patienten B.; im Gutachten Patient Nr. 12. Auch dieser Patient war in der Zeit vom 10.08. bis 13.08.2017 auf Station bei geschlossener Tür untergebracht gewesen. Zudem habe dieser Patient vom Kläger am 04.10.2017 das Off-Label-Medikament Neurocil erhalten, ohne dass eine Aufklärung dokumentiert sei. Bei dem Patienten B1. habe ebenfalls eine Aufklärung und Einwilligung für die Gabe des für einen damals 12jährigen Patienten nicht zugelassenes Medikament Melperon gefehlt. Im Fall von F. (früher L.) O. (Patient Nr. 233) habe der Vormund der Patienten der Behandlung mit dem für Essstörungen nicht zugelassenen Medikament nicht zugestimmt, sondern nur der Sondenernährung. Dennoch habe der Patient das Medikament erhalten Schließlich fehle auch bei der Behandlung der Patienten T1. und J. Aufklärung und Einwilligung vor der Gabe von Medikamenten. Der Patient J. sei überdies im Jahr 2015 für 1 Stunde in den TOR verbracht worden, was auch vor der Geltung von § 1631 b Abs. 2 BGB über 30 Minuten hinaus unzulässig gewesen sei. Für die Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 12.02.2019 Bezug genommen.
Die Verwertung der Patientendaten sei, zumal in anonymisierter Form, zulässig. § 203 Abs. 1 Ziffer 1 StGB schütze nicht den Arzt. Für die Gutachterin bzw. deren unterstützenden Ehemann habe eine Schweigepflichtentbindungserklärung vorgelegen (Blatt 675, 676 d. A.). Darüber hinaus gebe es ein berechtigtes Interesse für die Erstellung des Gutachtens im Sinne von Artikel 9 Abs. 1, Abs. 2 DSGVO.
Im Fall des Patienten T. habe der Kläger seinen eigenen therapeutischen Ansatz in rücksichtsloser Weise allen anderen Interessen vorangestellt. Besonders verwerflich sei, dass er gegenüber dem zuständigen Mitarbeiter H. des Jugendamtes und gegenüber der Familienrichterin H1. zugesagt habe, den Besuch nicht zu ermöglichen. Der Kläger habe zudem damit gedroht, den Patienten zu entlassen, wenn der Besuch nicht ermöglicht werde. Die Beklagte hat zudem behauptet, Kenntnis von dem Vorfall um den Patienten T. erst am 28.09.2018 über die Beschwerdestelle durch den theologischen Direktor Pastor R. an den kaufmännischen Geschäftsführer B. erlangt zu haben.
Das Arbeitsgericht hat über die Behauptung der Beklagten Beweis erhoben, der Kläger habe gegenüber dem Mitarbeiter des Jugendamtes Herrn H. und der Familienrichterin H1. zugesichert, den Patienten T. nicht über Weihnachten und Silvester zu einem Besuch in das Elternhaus zu entsenden durch Vernehmung der Zeugen H. und der Zeugin H1.. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 04.03.2019 verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 26.03.2019 abgewiesen. Das Arbeitsgericht hat die Vorwürfe der Beklagten im Zusammenhang mit dem Patienten T. als wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 2 BGB angesehen und das Verhalten des Klägers als eine erhebliche Verletzung seiner Rücksichtnahmepflichten gegenüber der Beklagten gewertet. Ein Anspruch auf Zahlung der Rufbereitschaftspauschale und -vergütung bestehe nicht. Für die wesentlichen Entscheidungsgründe wird auf das arbeitsgerichtliche Urteil Bezug genommen (§ 69 Abs. 2 ArbGG)
Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 26.03.2019, dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 27.03.2019 zugestellt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers legte am 24.04.2019 beim Landesarbeitsgericht eingehend Berufung ein. Die Berufungsbegründungsfrist wurde auf Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 23.05.2019 gemäß Beschluss vom 23.05.2019 bis 26.06.2019 verlängert. Die Berufungsbegründung ging am 24.06.2019 ein.
Der Kläger und Berufungskläger wendet sich gegen das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungsbegründung. Er vertritt u. a. die Auffassung, nicht gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten gegenüber der Beklagten verstoßen zu haben. Als Arzt habe er im Interesse seiner Patienten zu handeln. Zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Einrichtungen sei er nach dem Dienstvertrag nicht verpflichtet. Aus therapeutischer Sicht sei ein Besuch des Patienten über Weihnachten in der Familie dringend erforderlich gewesen. Darüber hinaus habe er den Besuch nicht verhindern können, weil die Sorgeberechtigten Eltern den Patienten abgeholt hatten. Vor allem aber sei die Behauptung der Beklagten, er habe gegenüber dem Zeugen H. und der Zeugin H1. die Zusage gegeben, den Besuch nicht zu ermöglichen, nicht bestätigt worden. Er vertritt außerdem die Auffassung, er sei wenigstens als Partei zu hören gewesen, weil der Zeuge H. im Telefonat vom 22.12.2017 dem Besuchsvorschlag tatsächlich zugestimmt habe. Seine Äußerung, dass er den Patienten ohne Besuch entlassen werde, weil die Therapie aus seiner Sicht dann keinen Sinn mehr machte, stelle lediglich die Mitteilung einer Tatsache dar. Es sei keine Rede davon gewesen, dass er keine Vorsorgemaßnahmen für den Patienten treffen würde. Im Übrigen vertritt er die Auffassung, dass ein Beweisverwertungsverbot bestehe, weil eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht durch den Patienten nicht vorliege. Allenfalls sei nach seiner Auffassung eine Abmahnung gerechtfertigt, weil er nicht gegen eine Zusage gehandelt hat, sondern allenfalls gegen eine Empfehlung. Des Weiteren sei auch die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist nicht eingehalten, wie aus dem Mailverkehr vom 10.01./12.01.2018 folge. Der Geschäftsführer B. habe Kenntnis von seiner Dienstaufsichtsbeschwerde gegenüber dem Direktor des Amtsgerichts gehabt und daher auch Kenntnis von dem Kündigungssachverhalt. Zur Erhebung der Dienstaufsichtsbeschwerde wiederum sei er als Chefarzt berechtigt, ohne eine Genehmigung der Beklagten dafür zu brauchen. Schließlich sei auch die Interessenabwägung fehlerhaft erfolgt.
Darüber hinaus hat der Kläger erstmals im Berufungsverfahren zu den Vorwürfen der Beklagten im Schriftsatz vom 12.2.2019 Stellung genommen. Der Patient O. sei zweimal aus der Klinik entwichen, was nicht zuletzt dem Personalmangel anzulasten sei, den der Kläger wiederholt gegenüber der Krankenhausleitung beanstandet habe. Es habe ein weiteres Entweichen verhindert werden müssen. Er habe das Familiengericht über den Aufenthalt im TOR informiert. Die Vormünderin sei bis 17.10.2017 wegen Urlaubs nicht erreichbar gewesen. Er habe außerdem mit dem Direktor des Familiengerichts telefoniert. Zudem habe er nicht gewusst, dass ab dem 01.10.2017 auch für einzelne freiheitsentziehende Maßnahmen wie den Aufenthalt im TOR eine Genehmigungspflicht nach § 1631 b Abs. 2 BGB bestanden habe. Die Einwilligung zur Gabe von Neurocil sei erteilt gewesen. Auch bei dem Patienten F. (L.) O. sei die Einwilligung zur Gabe von Risperidon durch den Vormund telefonisch am 18.08.2015 erteilt worden, wie sich aus dem Vermerk in der Patientenakte ergebe. Auch die weiteren Vorwürfe im Zusammenhang mit der Behandlung weiterer Patienten seien unberechtigt, insbesondere sei stets eine Aufklärung zur Medikamentengabe erfolgt.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 26.03.2019, 2 Ca 278/18 abzuändern und
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 29.06.2018 und 08.10.2018 nicht aufgelöst worden ist;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände aufgelöst wird, sondern über den 29.06.2018 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;
3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger auf der Grundlage des Dienstvertrages vom 03.04.2000 als Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiter zu beschäftigen, ihm unter Aushändigung der Schlüssel Zugang zum Klinikgelände in R., V. Straße, zu gewähren und die Aussetzung der Weisungsbefugnis gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern der Klinik aufzuheben;
4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Zeitraum 18.05.2018 bis 28.02.2019 weitere Arbeitsvergütung in Höhe von 281.727,13 € abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangene 11.503,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz auf
- 847,03 EUR seit dem 01.06.2018, auf weitere
- 2.301,62 EUR seit dem 01.07.2018, auf weitere
- 34.822,31 EUR seit dem 01.08.2018, auf weitere
- 34.822,31 EUR seit dem 01.09.2018, auf weitere
- 34.146,23 EUR seit dem 01.10.2018, auf weitere
- 32.568,71 EUR seit dem 01.11.2018, auf weitere
- 32.643,83 EUR seit dem 01.12.2018, auf weitere
- 33.019,43 EUR seit dem 01.01.2019, auf weitere
- 32.526,11 EUR seit dem 01.02.2019 und auf weitere
- 32.526,11 EUR seit dem 01.03.2019
zu zahlen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe der Berufungserwiderung und vertritt wie das Arbeitsgericht die Auffassung, dass auch ohne Zusage gegenüber dem Jugendamt und dem Familiengericht das Verhalten des Klägers geeignet sei, das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos zu kündigen. Dem Kläger sei aus dem Bericht der Jugendeinrichtung vom 05.12.2017 bekannt gewesen, dass ein Kontaktverbot bestehe. Er habe die bestehende Gefährdung für die minderjährigen Geschwister nicht berücksichtigt. Schon der Umstand, dass der Kläger, wie aus dem E-Mailverkehr folgt, Jugendamt und das Familiengericht kritisiere, sei nicht hinzunehmen. Zudem habe der Kläger gegenüber dem sorgeberechtigten Vater gesagt, dass das Gericht einem Besuch zustimme. Es sei vielmehr seine Aufgabe als Chefarzt gewesen, auf den Vater darauf hinzuwirken, sich an die bestehende Kontaktregelung zu halten. Zudem habe die Beweisaufnahme ergeben, dass der Kläger beiden Zeugen gedroht habe, er werde den Patienten auf die Straße entlassen, wenn der Besuch stattfinde. Der Kläger hätte wenigstens bis zum Anhörungstermin im Januar mit dem Besuch warten können. Schwer wiege auch, dass der Kläger gegenüber dem Vater den Eindruck vermittelt habe, dass der Besuch erlaubt sei. Damit habe auch der Kläger die Absprache zwischen dem Vater und dem Familiengericht nicht akzeptiert. Auf die Einhaltung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist käme es nicht an, da der Kündigungsgrund in den Rechtsstreit nachgeschoben worden sei. Kenntnis habe die Beklagte erst nach Ausspruch der Kündigung bekommen. Der E-Mailverkehr vom 10.01./12.01.2018 (Bl. 1322-1329 d.A.) zwischen dem Kläger und dem Jugendamt, in dem der GF B. einmal in "cc" gesetzt war, lasse keine Rückschlüsse auf den kündigungsrelevanten Sachverhalt zu. Die Dienstaufsichtsbeschwerde vom 12.01.2018 wiederum schildere den Sachverhalt nicht vollständig. Insbesondere sei kein Hinweis auf das bestehende Kontaktverbot und die anderweitigen Empfehlungen von Familiengericht und Jugendamt erwähnt. Die Anhörung der Mitarbeitervertretung sei ordnungsgemäß und genüge den Anforderungen an eine subjektive Determination. Ein Beweisverwertungsverbot liege nicht vor, weil die ärztliche Schweigepflicht nicht den Kläger schütze und im Übrigen im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung eventuelle Interessen des Klägers gegenüber dem Interesse der Beklagten an der Darlegung der Kündigungsgründe zurückstehen müssen. Im Übrigen verweist die Beklagte darauf, dass auch die Übrigen vorgetragenen Kündigungsgründe die fristlose Kündigung tragen würden. Hierzu wiederholt und vertieft die Beklagte ihr Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 12.02.2019 insbesondere zu dem Patienten O. nach Maßgabe der Schriftsätze vom 16.03.2020 und 19.05.2020. Eine Selbst- oder Fremdgefährdung, die eine 4tägige Unterbringung im TOR rechtfertigen könnte, habe nicht vorgelegen. Ein Entweichen des Patienten habe auch durch Abschließen bzw. Bewachen der Türen verhindert werden können. Der Kläger habe allein aus erzieherischen Motiven gehandelt.
Das Landesarbeitsgericht hat am 18.02. und 26.05.2020 über weitere Behauptungen der Beklagten Beweis erhoben. Für den Inhalt der Beweisaufnahme wird auf die Niederschriften vom 18.02. und 26.05.2020 verwiesen.
Für das das gesamte Parteivorbringen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze und Erklärungen zu Protokoll nebst Zeugenaussagen Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 ZPO).
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist ganz überwiegend zulässig, jedoch unbegründet.
A.
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und statthaft (§§ 519, 520 ZPO, §§ 64, 66 ArbGG). Sie genügt ganz überwiegend auch den Anforderungen an § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO. Lediglich hinsichtlich der Abweisung der Zahlungsanträge zu den Monaten Mai und Juni 2018 (Rufbereitschaftspauschale und Rufbereitschaftsvergütung für tatsächliche Inanspruchnahme) fehlt es an einer Auseinandersetzung mit dem Urteil. Diese beiden Zahlungsansprüche hängen nicht von der Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung ab, wie die nachfolgende Geltendmachung von Annahmeverzugsvergütung und wären daher in der Berufungsbegründung gesondert anzugreifen gewesen. Hierzu ist eine wenigstens kurze Auseinandersetzung mit den arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründen erforderlich. Es ist darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund der Kläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält (vgl. BAG 15.03.2011- 9 AZR 813/09- Rn. 11 mw.N.) Das Arbeitsgericht hat ausgeführt, dass nach seiner Auffassung angesichts der Freistellung des Klägers ab 18.05.2018 ein Anspruch auf diese Vergütungsbestandteile nicht besteht, weil sie die mit der Rufbereitschaft zusammenhängende Erschwernis ausgleichen sollen. Im Übrigen ist die Berufung jedoch zulässig.
B.
Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 29.06.2018 beendet wurde.
I.
Das Arbeitsverhältnis war nach § 16 Zi. 3 des Dienstvertrages nur aus wichtigem Grund kündbar. Voraussetzung für die Kündigung ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsvertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Ein wichtiger Grund kann auch in einer erheblichen Verletzung der den Arbeitnehmer gem. § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers liegen (BAG vom 05.12.2019, 2 AZR 240/19, Rn. 75 m.w.N., BAG 29.06.2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 11). Dafür muss der Sachverhalt zunächst an sich als wichtiger Kündigungsgrund geeignet sein. Sodann ist zu prüfen, ob die konkreten Umstände des Einzelfalles und die Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar machen oder nicht. Im Fall des Ausschlusses der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit ist bei dieser Interessenabwägung auf die fiktive Kündigungsfrist abzustellen. Außerdem ist zu prüfen, ob zunächst eine Abmahnung auszusprechen wäre.
II.
Der Kläger hat mehrfach gegen seine vertragliche Rücksichtnahme- und Loyalitätspflichten gegenüber dem Arbeitgeber verstoßen, indem er (1) für den Patienten O. am 11.10.2017 eine Bedarfsmedikation von Neurocil verordnet hat, obwohl hierfür weder eine Aufklärung noch eine Einwilligung vorlag, (2) dem Patienten F. O. (früher L. O.) ab 20.08.2015 Risperidon verordnet hat, obwohl der Vormund nur der Sondenernährung, ausdrücklich aber nicht der Gabe von Risperidon zugestimmt hat. Beide Fälle waren nach Auffassung der Kammer nach dem gesamten Vorbringen der Parteien und dem Ergebnis der Beweisaufnahme bewiesen. Hinzu kommt (3), dass der Patient O. auf Veranlassung des Klägers vom 16.10. bis 20.10.2017 in freiheitsentziehender Weise im Time-Out-Raum untergebracht war, obwohl eine Genehmigung für diese Unterbringung nicht vorlag und nicht nachträglich erfolgte. Schließlich liegt auch ein Fehlverhalten (4) des Klägers im Zusammenhang mit dem von ihm geförderten Besuchskontakt über Weihnachten des Patienten T. vor, welcher für sich allein eine fristlose Kündigung nicht getragen hätte, im Rahmen der Gesamtwürdigung aber zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen ist.
1.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der vorzunehmenden Gesamtwürdigung nach § 286 ZPO steht für die Kammer fest, dass eine Einwilligung der Vormünderin des Patienten O. für die Gabe von Neurocil am 11.10.2017 nicht vorlag.
a.
Nach § 630 d Abs. 1 S. 1 BGB ist der Behandelnde verpflichtet, vor der Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Nach § 630 d Abs. 2 BGB setzt die Wirksamkeit der Einwilligung voraus, dass der Patient oder im Fall des Abs. 1 S. 2 der zur Einwilligung Berechtigte vor der Einwilligung aufgeklärt worden ist. Die Aufklärung hat nach § 630 e BGB über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände zu erfolgen. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Nach § 630 f BGB ist außerdem eine Patientenakte zu führen, in der sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen sind. Eine Schriftform für die Aufklärung ist hingegen nicht erforderlich. Es kann dahinstehen, welche Anforderungen im Einzelnen an den Inhalt und Umfang der Aufklärung zu stellen sind. Die Zeugin J. hat nachvollziehbar und widerspruchsfrei geschildert, dass eine Aufklärung über die Medikation mit Neurocil ihr gegenüber als Vormünderin nicht erfolgt ist.
b.
Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO haben die Tatsacheninstanzen unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer ggf. durchgeführten Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung darüber zu befinden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr erachten oder nicht. Die Beweiswürdigung muss vollständig, widerspruchsfrei und umfassend sein. Mögliche Zweifel müssen überwunden, brauchen aber nicht völlig ausgeschlossen zu werden (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 44; 31. Mai 2007 - 2 AZR 276/06 - Rn. 42, BAGE 123, 1). Für die volle richterliche Überzeugungsbildung nach § 286 Abs. 1 ZPO ist es ausreichend, dass ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit erreicht ist, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie vollständig ausschließen zu müssen. Hierzu sind die wesentlichen Grundlagen ihrer Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen (BAG 25.04.2018 - 2 AZR 611/17 Rn. 24; BAG 16.7.2015 2 AZR 85/15 Rn. 35; BAG 19. April 2005 - 9 AZR 184/04 - zu II 3 der Gründe; BGH 31. Juli 2013 - VII ZR 11/12 - Rn. 10; 22. November 2006 - IV ZR 21/05 - Rn. 11; 22. Januar 1991 - VI ZR 97/90 - zu II 1 der Gründe).
c.
Die Zeugin hat ausgeführt, dass zwar im Aufnahmegespräch ganz allgemein über eine Medikation gesprochen worden sei, sie in ihren Unterlagen aber keinerlei Angaben über ein Medikament gefunden habe. Zudem hat sie bekundet, dass sie wusste, dass der Patient eine Medikamentengabe verweigert hätte. Sie hat eingeräumt, dass sie nicht zu 100 Prozent ausschließen könne, dass es ein entsprechendes Gespräch gab, weil der Zeitraum bereits lange her sei. Sie hat aber darauf verwiesen, dass sie sich in der Regel handschriftliche Notizen über solche Gespräche mache und auch ein Zwischenbericht erfolge. Auch die Frage nach einem Aufklärungsgespräch für eine eventuelle Bedarfsmedikation im Fall eines bestimmten Verhaltens und zu den Nebenwirkungen des Medikaments Neurocil hat sie ablehnend beantwortet. Die Aussage der Zeugin waren für die Kammer glaubhaft, weil sich auch aus den vorgelegten Patientenaktenteilen nichts Anderes ergab. In der Patientenakte ist zwar im Aufnahmebericht vermerkt "Medikation prüfen" (Bl. 717 der Patientenakte) und auf Blatt 91 der Patientenakte für den 07.09. der Eintrag "Medi-Einschätzung" enthalten. Weitere Angaben über ein bestimmtes Medikament, den Bedarf und die erforderliche Aufklärung ergeben sich daraus nicht und sind vom Kläger auch nicht konkret vorgetragen. Dasselbe gilt für den Vermerk in der Patientenakte (Bl. 77 der Gesprächsprotokolle) zu einer evtl. Nachdokumentation eines nicht konkretisierten Aufklärungsgespräches. Dass die Zeugin sich aufgrund der Gesamtgeschichte des Patienten daran erinnern konnte, dass keine entsprechenden Gespräche geführt wurden und eine Einwilligung ihrerseits nicht gegeben wurde, ist nachvollziehbar. Ebenso ihr Hinweis darauf, dass der Patient selbst Medikamentengaben verweigert habe. Auch der Hinweis, dass aufgrund der vergangenen Zeit eine 100prozentige Erinnerung nicht vorhanden ist, ist nachvollziehbar. Der Hinweis des Klägers wiederum auf die E-Mail vom 21.07. (Blatt 761 der Patientenakte) geht ins Leere. In der E-Mail ist von einer Medikation, insbesondere mit Neurocil, nicht die Rede.
An der Glaubwürdigkeit der Zeugin bestehen keine Zweifel.
d.
Auch an der Verwertbarkeit ihrer Zeugenaussage bestehen keine Zweifel. Der Patient hat über seinen Vormund mit Erklärung vom 04.02.2019 die Beklagte für den Rechtsstreit 2 Ca 278/18 von der Schweigepflicht entbunden. Die Zeugin hat eine Aussagegenehmigung vorgelegt. Es ist nicht ersichtlich, warum der inzwischen volljährige Patient erneut eine Schweigepflichterklärung abgeben muss. Die von seinem früheren Vormund abgegebene Erklärung wirkt nach, solange kein Widerruf erfolgt. Nach § 1793 BGB vertritt der Vormund das Mündel im Rahmen der Personen- und Vermögensvorsorge. Die Vertretungsbefugnis ist grundsätzlich umfassend. Abgegebene Erklärungen wirken fort, sofern keine gegenteiligen Erklärungen abgegeben werden. Das gilt für vor Erreichen der Volljährigkeit abgegebene Willenserklärungen im Rahmen der Vermögensvorsorge ebenso wie in persönlichen Angelegenheiten.
e.
Die Gabe eines Medikaments ohne Einwilligung des Patienten bzw. des Sorgeberechtigten ist eine Pflichtverletzung gegenüber dem Arbeitgeber. Damit werden die Pflichten aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag verletzt. Der Arbeitgeber muss darauf vertrauen können, dass die in seiner Klinik tätigen Ärzte die gesetzlichen und sich aus der Rechtsprechung ergebenen Vorgaben für die Durchführung einer Behandlung eines Patienten einhalten. Dazu gehören auch die erforderlichen Aufklärungsgespräche und damit verbunden das Herbeiführen einer wirksamen Einwilligung für eine bestimmte Behandlung. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass eine fehlende Dokumentation eines Aufklärungsgespräches und der Einwilligung in der Patientenakte ein anderes Gewicht einer Pflichtverletzung hat, als deren vollständiges Fehlen: Das Gesetz verlang keine schriftliche Aufklärung und auch nicht die Dokumentation des vollständigen Aufklärungsgespräches. Es ist dann aber im Einzelfall von dem behandelnden Arzt vorzutragen, wann mit welchem Inhalt welche Aufklärung, ggfs. unter Bezug auf die übliche Aufklärung (vgl. OLG Dresden vom 15.05.2018, 4 U 248/16 Rn. 29) erfolgt ist. Dem ist der Kläger mit Hinweis auf die nicht aussagekräftigen Hinweise in der Patientenakte nicht nachgekommen. Das vollständige Fehlen einer Aufklärung und damit der Einwilligung des Patienten ist aber für die Beklagte als Arbeitgeber nicht hinnehmbar. Ein solches Verhalten kann zu Schadensersatzansprüchen gegen die Beklagte führen und den Tatbestand einer Körperverletzung erfüllen.
2.
Zur Überzeugung der Kammer steht außerdem fest, dass der Zeuge und Vormund des Patienten F. (L.) O. eine Einwilligung mit der Behandlung mit Risperidon am 18.08.2015 ausdrücklich nicht gegeben hat. Vielmehr bezog sich dessen Einwilligung nur auf die Sondenernährung.
a.
Der Zeuge hat nachvollziehbar erläutert, warum er die Medikation mit Risperidon abgelehnt habe. Er hat ausgeführt, dass er das Medikament aus seiner langjährigen Tätigkeit als Vormund kenne. Das Medikament sei eigentlich für andere Diagnosen vorgesehen und habe lediglich als Nebenwirkung die Gewichtszunahme. Deswegen lehne er das Medikament auch ab. Er hat auch erläutert, dass er immer aufschreibe, wenn er eine entsprechende Genehmigung gebe. Dass er einräumt, dass dies der Regelfall sei, er aber nicht ausschließen könnte, es im Einzelfall einmal nicht getan zu haben, stellt seine Aussage nicht in Frage, sondern unterstützt diese vielmehr. Dasselbe gilt für seine Ausführungen hinsichtlich des Handelns seiner Vertreterin Frau Z. oder auch anderer Vertreterinnen. Er hat wiederholt ausgeführt, dass er im Jahre 2018 die gesamte Akte durchgesehen hat und als Ergebnis den vorliegenden Vermerk vom 23.08.2018 (Bl. 1232 d. A., Anl. B 81) verfasst habe. Er könne sich daran erinnern, dass er in der gesamten Patientenakte keinen Vermerk über eine Zustimmung gefunden habe. Er konnte auch wiedergeben, auf welchen Zeitraum sich die damalige Anfrage bezog. Der Zeitraum umfasst den streitigen Tag vom 18.08.2015. Der Vermerk datiert zwar auf den 20.08.2015, während der Eintrag in der Patientenakte über das Telefonat vom 18.08.2015 datiert. Aber auch das hat der Zeuge erläutert und darauf verwiesen, dass der Vermerk evtl. nachträglich verfasst wurde. Der Zeitraum ist mit 2 Tagen nicht so weit auseinander, dass Zweifel an der Aussage begründet wären.
Dass der Zeuge im vorangegangenen Zeitraum Urlaub hatte und möglicherweise durch seine Vertretung am 12.08. an Herrn A. eine Zustimmung gegeben wurde, entlastet für den 18.08. 2015 nicht. Zudem hat der Zeuge wiederholt darauf hingewiesen, dass eine solche Zustimmung in der Akte gestanden hätte. Dasselbe gilt für den Einwand des Klägers, es habe eine Schweigepflichtentbindung an das Kinderkrankenhaus gegeben. Das stellt die Aussage nicht in Frage. Es ist rein spekulativ, dass zu einem früheren Zeitpunkt gegenüber einer anderen Einrichtung eine entsprechende Zustimmung zur Medikation gegeben wurde. Eine konkrete Zustimmung hat der Kläger nicht benannt und ergibt sich nicht aus der Patientenakte. Der Zeuge hat zurecht darauf verwiesen, dass die KJP sich direkt an den Vormund wendet und eine evtl. Zustimmung gegenüber dem Krankenhaus nicht gegenüber der KJP wirkt. Auch der Bericht der KJP an die Kinderklinik, der zu Blatt 1643 f. der Akte gereicht wurde, stellt seine Aussage nicht in Frage. Der Zeuge hat darauf verwiesen, dass er dann, wenn er lesen würde, dass Risperidon gegeben würde, bei dem Arzt anrufen würde. Es ist nicht nachgewiesen, dass der Zeuge den Bericht erhalten hat. Auf dem Bericht ist nicht vermerkt, dass er nachrichtlich an den Vormund gegangen ist. Der Zeuge ist bei wiederholten Nachfragen standhaft geblieben und hat darauf verwiesen, dass er in der Regel die Berichte lese und dann auch bei dem Arzt anrufe, wenn er mit der Medikation nicht einverstanden sei. Er ist beharrlich bei seiner Aussage geblieben, dass eine Genehmigung nicht in der Akte war und er in der Regel die Berichte lese, wenn er sie erhalte. Letztendlich hat auch er darauf verwiesen, dass er den Bericht möglicherweise nicht erhalten hat. Es handelt sich um den Bericht vom 22.09.2015, der sich zudem auf einen Zeitraum ab 19.09.2015 bezieht und nicht auf den 18.08.2015. Der Zeuge ist auch dabeigeblieben, dass durch seine Vertreterin besondere Vorfälle - und dazu gehören nach seiner Darstellung die Gabe von Medikamenten - in der Akte vermerkt worden wären. Die Aussage des Zeugen wird auch nicht durch den klägerischen Hinweis auf den Eintrag in der Patientenakte zum 31.07. in Zweifel gezogen, die zu Bl. 1642 d. A gereicht wurde. Hieraus folgt ebenfalls keine Einwilligung zur Medikamentengabe. Vielmehr wird der Sondenernährung zugestimmt. An der Glaubwürdigkeit des Zeugen bestehen keine Zweifel.
b.
Auch hier stellt die Verordnung eines Medikaments ohne Vorliegen einer Einwilligung eine Pflichtverletzung gegenüber dem Arbeitgeber. Die Klinik wird Schadensersatzansprüchen ausgesetzt und gerät in Verdacht, sich nicht an den zulässigen rechtlichen Rahmen zu halten. Erschwerend kommt hier hinzu, dass die Verordnung gegen den erklärten Willen des Vormunds erfolgte. Der Zeuge und damalige Vormund hat ausdrücklich nicht zugestimmt. Dabei spielt es nach Auffassung der Kammer keine Rolle, ob durch eine Vertretung des Vormundes zu einem früheren Zeitpunkt eine Einwilligung erfolgte. Konkret ist das vom Kläger nicht dargelegt worden, sondern er verweist nur auf die Möglichkeit und Einträge in der Patientenakte, wie zum Beispiel die Verordnung durch den behandelnden Arzt E.. Der Kläger mag sich darauf verlassen können, dass bei einer früheren Gabe von Risperidon ein Aufklärungsgespräch mit Einwilligung stattgefunden hat. Wenn in einem späteren Gespräch wie hier am 18.08.2015 aber ausdrücklich über die Medikamentengabe nebst Sondenernährung gesprochen wird und eine Einwilligung für die Medikamentengabe nicht gegeben wird, dann spielt eine frühere Einwilligung auch keine Rolle. Andernfalls hätte der Kläger ja auch keinen Anlass gehabt, vom Vormund die Zustimmung einzuholen. Der Kläger hat gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten bzw. dessen Vormund gehandelt und sich damit über seine Rücksichtnahmepflichten hinsichtlich des Arbeitgeber hinweggesetzt. Der Arbeitgeber wird nicht nur evtl. Schadensersatzansprüchen ausgesetzt. Das Handeln ist auch geeignet, den Arbeitgeber in seinem Ansehen zu schädigen und das Vertrauen anderer Patienten in eine Behandlung bei der Beklagten zu zerstören.
c.
Die vom Kläger genannte Gegenzeugin W. war nach Auffassung der Kammer nicht zu hören. Das Gespräch vom 18.08.2015 war ein Telefonat zwischen dem Kläger und dem Zeugen. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass das Telefonat laut gestellt war. Die Zeugin kann zu dem Inhalt des Telefonates nichts aus unmittelbarer Erkenntnis sagen. Partner des Telefonats war der Zeuge I., der Gegenteiliges ausgesagt hat.
3.
Die Kammer war zudem nach dem Inhalt des schriftsätzlichen Vortrags der Parteien und der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass der Patient O. auf Veranlassung des Klägers vom 16. bis 20.10.2017 in freiheitsentziehender Weise im Time-Out-Raum untergebracht war.
a.
Nach § 1631 b Abs. 1 BGB bedarf die Unterbringung eines Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, der Genehmigung des Familiengerichts. Die Unterbringung ist zulässig, solange sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf einer andere Weise und auch nicht durch andere öffentliche Hilfen begegnet werden kann. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen. Freiheitsentziehend sind Maßnahmen, die das Kind in seiner gesamten Lebensführung auf einen gewissen räumlichen Bereich begrenzen und sein Aufenthalt mittels Überwachung und physischer Vorkehrungen kontrollieren, insbesondere durch Einschließen oder Einsperren (Götz in Palandt, BGB § 1631 b Rn. 4; Huber in MünchKomm, BGB § 1631 b Rn. 6). In der Regel handelt es sich hierbei um eine Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung. Seit dem 01.10.2017 gilt das Genehmigungserfordernis nach § 1631 b Abs. 2 BGB auch, wenn dem Kind, das sich in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig in nicht altersgerechter Weise die Freiheit entzogen wird. Entsprechend der Regelungen in Abs. 1 ist die Maßnahme nur zum Wohl des Kindes zulässig, ohne Genehmigung nur bei Gefahr im Verzug, wobei die Genehmigung unverzüglich nachzuholen ist. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen im Rahmen einer offenen oder geschlossenen Unterbringung, die die Freiheit entziehen und zwar durch mechanische Vorrichtungen wie zum Beispiel Einschließen im Zimmer oder Fixierung, Medikamente oder auf andere Art und Weise. Es muss sich um einen längeren Zeitraum oder eine regelmäßige Maßnahme handeln. Damit ist gewährleistet, dass nicht jede geringfügige, lediglich im Ausnahmefall anlassbezogen erfolgende kurze Beschränkung der Freiheit das Genehmigungserfordernis auslöst. Nach der Gesetzesbegründung werden pädagogischen Konzepten, die freiheitsentziehende Maßnahmen bei "erziehungsschwierigen" Jugendlichen als angemessenes und altersgerechtes Erziehungsmittel und als Reaktion auf vermeintliches Fehlverhalten erachten, eine Absage erteilt. Erziehungsschwierigkeiten allein rechtfertigen es nicht, eine Maßnahme als altersgerecht einzustufen, die unter Kindern und Jugendlichen derselben Altersgruppe sonst nicht angemessen wäre (vgl. Deutscher Bundestag, DRS.18/11 278 S. 17 und 14). Daher muss die Maßnahme nicht altersgerecht sein. Dazu gehören der Einschluss in sogenannten Time-Out-Räumen, mithin den Abbau von Aggressionen dienenden, jegliche Verstärkerreize vermeidenden Schutzräume, etc. (Deutscher Bundestag, DRS. 18/11 278 S. 14). Die Unterbringung zum Zweck der Sanktionierung ist unzulässig (Huber in Münchener Kommentar, BGB, § 1631 b Rn. 12, Bundestag DRS 16/6815 S. 14). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes liegt jedenfalls bei einer Zeitdauer von ungefähr 30 Minuten keine kurzfristige Maßnahme mehr vor (BVerfG vom 24.07.2018, 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16, NZFam 2018, 724ff.). Den Antrag hat gem. §§ 151 Nr. 6, 167, 312 ff. FamFG der Inhaber des Sorgerechts zu stellen. Bei Kindern ab Vollendung des 14. Lebensjahres ist nach § 167 Abs. 3 FamFG ein Verfahrensbeistand zu bestellen. Der behandelnde Arzt hat die Sorgeberechtigten oder das Familiengericht über eine geänderte Unterbringung zu informieren, damit das Genehmigungsverfahren eingeleitet werden kann.
b.
Der Patient wurde am 18.08.2017 geschlossen eingewiesen. Nachdem das Familiengericht auf Anregung des Klägers die ursprünglich bis 15.10.2017 angeordnete geschlossene Unterbringung mit Beschluss vom 09.10.2017 aufgehoben hat, war der Patient ab 09.10.2017 nicht mehr geschlossen untergebracht, durfte also nicht gegen seinen Willen bzw. den Willen der Sorgeberechtigten an der Änderung seines Aufenthaltsortes gehindert werden. Nachdem er am 10.10.2017 das erste Mal entwich, informierte der Kläger noch am selben Tag das Familiengericht und regte einen neuen Antrag auf geschützte Behandlung an. Hierzu erstellte der Kläger das Gutachten vom 12.10.2017. Termin zur mündlichen Verhandlung beim Familiengericht wurde auf den 24.10.2017 bestimmt. Bereits während dieses Zeitraums durfte der Kläger mangels Vorliegen der Genehmigung den Patienten nicht auf geschlossener Station unterbringen, ohne das Gefahr im Verzug war. Zugunsten des Klägers wird angenommen, dass aufgrund des einmaligen Entweichens am 10.10. eine Fremd- und Selbstgefährdung vorgelegen haben mag, die eine vorläufige geschlossene Unterbringung rechtfertigt. Auch die Beklagte wirft dem Kläger nicht vor, den Patienten während dieses Zeitraumes ohne familiengerichtliche Genehmigung geschlossen untergebracht zu haben. Nach dem zweiten Entweichen am 15.10.2017 wurde der Patient jedoch nicht nur weiterhin geschlossen untergebracht, sondern im Time-Out-Raum bei geschlossener Tür. Dabei kann die Unterbringung in der ersten Nacht noch als Gefahr in Verzug erforderlich angesehen werden, da der Patient zunächst entwichen war und von der Polizei aufgegriffen wurde. Dennoch hätte der Kläger sofort das Familiengericht und/oder die Sorgeberechtigten informieren müssen. Auch bei der Annahme, dass die Unterbringung vom 16. auf den 17.10. im TOR wegen Gefahr im Verzug gerechtfertigt gewesen könnte, wäre jedenfalls nachträglich die Einholung einer Genehmigung erforderlich gewesen. Diese ist jedoch nicht unverzüglich veranlasst worden. Der Kläger hat am 18.10. die Vormünderin informiert, welche vom 10. bis 17.10. im Urlaub war. Ob und mit wem er in Vertretung am 16. oder 17.10. gesprochen haben soll, hat er konkret nicht ausgeführt. Im Schriftsatz vom 13.02.2020, S. 8 unten hat er noch ausgeführt, dass eine Vertretung nicht erreichbar gewesen sei. Hierzu nimmt er Bezug auf S. 83 der Patientenakte. Der Vermerk an dieser Stelle datiert allerdings auf den 11.10. und steht mit dem erneuten Entweichen am 15.10.2017 nicht in Zusammenhang. Der Kläger hat sich erst mit Schreiben vom 19.10.2017 an das Familiengericht gewandt und u.a. ausgeführt: "Wir sehen derzeit eine Unterbringung nach § 1631 b BGB als nicht ausreichend begründet und auch nicht erfolgsversprechend an." Ebenfalls am 19.10.2017 hat er mit dem Familiengericht telefoniert. Ein früheres Telefonat mit dem Familiengericht ist nicht konkret dargelegt. Die zuständige Richterin befand sich im Urlaub. Der Kläger gibt nicht an wann mit welchem Inhalt er mit einem Vertreter telefoniert haben will. Ausweislich der Patientenakte telefonierte der Patient - nicht der Kläger - erst am 19.10.2017 mit Frau T. als Verfahrensbeistand (S. 529 der Patientenakte). Der vom Kläger vorgebrachte Besuch des Verfahrensbeistandes fand tatsächlich erst am 20.10. statt, an dem Tag wurde der Patient entlassen. Nach den eigenen Ausführungen des Klägers in dem Schreiben vom 19.10.2017 an das Familiengericht ist eine geschlossene Unterbringung nicht ausreichend begründet und dennoch hat er den Patienten über mehrere Tage geschlossen im Time-Out-Raum untergebracht. Ob eine so lange Unterbringung im Time-Out-Raum im Rahmen des § 1631 b Abs. 2 BGB als freiheitsentziehende Maßnahme mit Genehmigung des Familiengerichts in Betracht kommt, kann dahinstehen. In jedem Fall kann sie nach § 1631 b BGB nur zum Wohle des Kindes erfolgen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Unterbringung zum Wohle des Kindes erfolgte, insbesondere um eine Fremd- oder Eigengefährdung zu vermeiden. Das ergibt sich schon nicht aus der eigenen Stellungnahme des Klägers, wobei sich die frühere Stellungnahme vom 12.10.2017 auch nur auf die geschlossene Unterbringung als solche, nicht aber auf die Unterbringung im Time-Out-Raum bezieht. Im Schreiben vom 19.10.2017 an das Familiengericht ist zwar die Rede davon, dass der Patient derzeit im Time-Out-Raum untergebracht ist. Gründe, die dies erforderlich machen, sind nicht vorgetragen. Aus der Dokumentation zur Unterbringung im Time-Out-Raum folgt keine Eigen- oder Fremdgefährdung. In der Dokumentation ging es allein darum, dass der Patient die ihm gestellten Aufgaben zu erledigen hatte, um eine stufenweise Lockerung zu erreichen. Zwar kann eine "Weglauftendenz" eine Selbst- und Fremdgefährdung begründen (vgl. Vogel, NZFam 2019, 1041 mwN.).
Es ist aber nicht ersichtlich, dass über die geschlossene Unterbringung hinaus die Unterbringung im Time-Out-Raum erforderlich und auch nur verhältnismäßig war. Auch aus dem Schreiben vom 19.10.2017 ergibt sich keine Eigen- oder Fremdgefährdung.
Es kann dem Kläger zu Gute gehalten werden, dass er zeitnah insbesondere die Vormünderin nicht erreicht hat. Auch kann zu seinen Gunsten unterstellt werden, dass Zeit benötigt wurde, um eine andere Unterbringungsmöglichkeit zu finden und Gespräche erforderlich waren. Das rechtfertigt aber nicht die Unterbringung im TOR für eine so lange Zeit. Das Vorbringen des Klägers, er habe von der Gesetzesänderung zum 01.10.2017 nichts gewusst und die Unterbringung im Time-Out-Raum für nicht genehmigungspflichtig gehalten, hält die Kammer für eine Schutzbehauptung. Der Umgang mit den Voraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung ist ein wesentlicher Teil der Tätigkeit des Klägers. Außerdem könnte den Kläger das nur für solche regelmäßigen und nicht besonders langen Maßnahmen entlasten, wie sie vom Gesetzeszweck des § 1631 b Abs. 2 BGB erfasst sind (vgl. Bundestag DRS. 18/11 278, S. 14 (Abbau von Aggressionen, Vermeidung jeglicher Verstärkerreize)). Letztendlich hat der Kläger den Time-Out-Raum nicht für eine einzelne Maßnahme, sondern als geschlossene Unterbringung genutzt. Seine Einlassung, dass angesichts des wiederholten Entweichens des Patienten die Unterbringung auf geschlossener Station nicht ausreichend gewesen wäre, kann nicht überzeugen. Der Patient ist am 10.10.2017 das erste Mal entwichen, als er Ausgang hatte, er nämlich wegen Aufhebung des Beschlusses am 09.10.2017 nicht geschlossen untergebracht war und beim zweiten Mal anlässlich einer Lockerung der geschlossenen Unterbringung im Hof. Es ist dem Kläger zu zugestehen, dass es sicherlich nicht einfach ist, zu verhindern, dass Patienten entweichen. Es ist aber gerade Sinn und Zweck einer geschlossenen Station, diese so einzurichten und zu gestalten und mit Unterstützung des Personals sicherzustellen, dass nur die Patienten die Station verlassen, die hierzu berechtigt sind. Der Hinweis des Klägers auf § 42 SGB VIII, wonach er den Patienten in Obhut nahm, entlastet ihn ebenfalls nicht, weil auch nach § 42 Abs. 5 SGB VIII die Freiheitsentziehung am Ende des Tages zu beenden und im Übrigen auch genehmigungspflichtig ist. Für eine Festsetzung des Patienten analog § 128 StPO ist ebenfalls kein Raum. Schließlich entlastet den Kläger nicht, dass nach seinem Vorbringen die Unterbringung im Time-Out-Raum durch das Team erörtert und befürwortet wurde. Der Kläger ist als leitender Arzt letztverantwortlich.
4.
Schließlich hat der Kläger auch im Zusammenhang mit seinem Verhalten im Fall T. gegen seine Rücksichtnahmepflichten gegenüber dem Arbeitgeber verstoßen, wie das Arbeitsgericht bereits ausgeführt hat.
a.
Das Arbeitsgericht hat bereits zurecht festgestellt, dass der Kläger, auch ohne gegenüber dem Jugendamt und dem Familiengericht eine Zusage gegeben zu haben, den Patienten nicht zu einem Besuch in die Familie zu entlassen, gegen seine vertragliche Verpflichtung auf die Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen, verstoßen hat. Auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts wird verwiesen (§ 69 Abs. 2 ArbGG) Der Kläger ist als Arbeitnehmer der Beklagten verpflichtet, das Spannungsfeld zwischen der Wahrnehmung der Interessen des Patienten und seiner ärztlichen Einschätzung und auf der anderen Seite des Interesses seines Arbeitgebers an einer möglichst vertrauensvollen Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen zu wahren. Das Arbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass es auch zu den Aufgaben des Klägers gehört, zu den staatlichen Einrichtungen, insbesondere den Jugendämtern und den Familiengerichten ein von gegenseitigem Vertrauen, Akzeptanz und Kompetenz geprägtes Verhältnis zu wahren. Die KJP ist Ansprechpartner für fachärztliche Gutachten und Stellungnahmen, u.a. im Zusammenhang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen. Es liegt auf der Hand, dass dem Kläger als Chefarzt eine besondere Vertrauensstellung zukommt. Dabei geht es nicht darum, ihm eine andere - zumal ärztliche - Einschätzung zu verwehren, sondern um die Art des Umgangs mit anderen Institutionen. Nach dem gesamten Vortrag der Parteien und auch dem Ergebnis der Beweisaufnahme des Arbeitsgerichts hat er sich jedoch nicht nur nachdrücklich hinter die Interessen seines Patienten und die nach seiner Auffassung erforderliche Behandlung gestellt, sondern hat die Einschätzungen vom Jugendamt und Familiengericht und deren Vorschläge vollständig ignoriert. Er hatte in nicht nachvollziehbarer Weise sein Vorhaben vorangetrieben, ohne das erkennbar war, warum eine Familienzusammenführung und ein Besuch gerade zu dem von ihm ausgewählten Zeitpunkt wichtig ist und warum ein Abwarten bis in den Januar des Folgejahres nicht ausreichend war, um seinen therapeutischen Ansatz umzusetzen. Letztendlich hat er dem Patienten und auch den Kindeseltern eine Situation vorgespiegelt, die sich realistischer Weise in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und dem Familiengericht nicht umsetzen ließ. Tatsächlich hat das Familiengericht in der Folge am 09.01.2018 Kontaktverbote erlassen. Entscheidend aber ist, dass er im Rahmen der intensiven Vorgespräche vor allem mit Herrn H., aber auch gegenüber der Familienrichterin zum Ausdruck gebracht hat, diese würden falsch und fehlerhaft handeln, ohne deren Argumente zu berücksichtigen. Dem Zeugen H. hat er vorgeworfen, das Jugendamt habe nicht genug Kontakt zu den Eltern und könne die Lage nicht einschätzen. Er hingegen habe einen positiven Eindruck vom Kindesvater. Die Hinweise des Zeugen H., die Eltern seien nicht zur Kontrolle motiviert und würden die Vorfälle um ihren Sohn bagatellisieren, hat er nicht berücksichtigt und es ist auch nicht plausibel, warum er aufgrund eines einmaligen Gespräches mit dem Kindesvater und dem kurzen Aufenthalt des Patienten in der Klinik zu einer derart von der Vorbehandlung abweichenden Einschätzung kommt; zumindest hätte er die erhobenen Einwände in sein Vorhaben einbeziehen müssen. Insbesondere findet das Wohl Stiefkinder keine Berücksichtigung, wie von Jugendamt und Familiengericht gefordert. Das Arbeitsgericht hat auch zurecht festgestellt, dass der Kläger den Jugendamtsmitarbeiter und die Familienrichterin unter Druck gesetzt hat, in dem er angekündigt hat, seinen Patienten ohne weitere Vorsorgemaßnahmen zu entlassen. Es mag sein, dass der Kläger dies im neutralen sachlichen Ton geäußert hat und die Aussage im Ergebnis auch berechtigt war, weil nach seiner Auffassung ohne den Besuch eine weitere Therapie nicht erfolgversprechend war. Im Zusammenhang mit den durchgeführten Gesprächen des Klägers mit Herrn H. und Frau H1. musste diese Äußerung aber wie eine Drohung wirken. Allein der zeitliche und sachliche Zusammenhang mit der ablehnenden Haltung beider rechtfertigt es, eine solche Äußerung als druckaufbauend anzusehen. Dem Kläger war auch klar, dass er den Kindesvater in eine schwierige Situation brachte, weil er gegenüber dem Zeugen H. in der E-Mail vom 22.12.2017, 13:05 Uhr geäußert hat, er gehe davon aus, dass die Familie nicht sanktioniert würde, wenn der Kindsvater T. morgen abhole. Auch wenn ihm der genaue Inhalt und die Form des Kontaktverbotes nicht vorlag, muss ihm klar gewesen sein, dass es eine Kontaktregelung gab, gegen die die Familie bei dem geplanten Besuch verstoßen würde. Gleichzeitig hat er dem Kindesvater vorgespiegelt, ein Besuch würde stattfinden, obwohl ihm auch klar gewesen sein muss, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, dass weder Jugendamt noch Familiengericht eine Beurlaubung in die Familie genehmigen würden. Er selbst hat das Familiengericht um Hilfe gegenüber dem Jugendamt angeschrieben und der Zeuge H. hat ausgesagt, dass es eine Genehmigung nicht gegeben hat. Ebenso sind der E-Mail-Verkehr und die Aussage der Familienrichterin eindeutig dahingehend gewesen, dass das Familiengericht keine Beurlaubung toleriert hat. Lediglich, dass der Kläger keine Zusage gegeben hat, von der Beurlaubung abzusehen, entlastet ihn gegenüber dem ursprünglichen Beweisthema. Entgegen der Auffassung war der Kläger zur Aussage des Zeugen H. und der von ihm behaupteten Genehmigung auch nicht als Partei zu vernehmen. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor, weil der Zeuge H. ein unabhängiger Dritter ist (vgl. BAG vom 22.05.2007, 3 AZN 1155/06). Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger im Nachgang eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Familienrichterin erhoben hat, in der der Sachverhalt abweichend von dem festgestellten Sachverhalt geschildert wurde. Auch hierfür wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichtes verwiesen.
b.
Entgegen der Auffassung des Klägers unterliegt der Vortrag der Beklagten keinem Beweisverwertungsverbot, weil eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht durch den Patienten nicht vorlag. Die vernommenen Zeugen hatten jeweils eine Aussagegenehmigung ihres Dienstherrn. Sie selbst sind an die ärztliche Schweigepflicht nicht gebunden. Der von der Beklagten vorgetragene Sachverhalt war hinsichtlich des Verlaufs und des Inhalts des E-Mail-Verkehrs im Wesentlichen unstreitig. Streitig war lediglich die nicht bewiesene Zusage durch den Kläger. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte ebenfalls der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt und gegen diese verstoßen hat. Entscheidend ist, dass das Zivilprozessrecht und das Arbeitsgerichtsprozessrecht kein allgemeines Sachvortragsverwertungsverbot enthält. Die Verwertbarkeit von Erkenntnissen oder Beweismitteln, die eine Arbeitsvertragspartei rechtswidrig erlangt hat, ist nicht generell unzulässig. Das Gericht muss vielmehr dem Anspruch auf rechtliches Gehör der Parteien nachkommen und den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise berücksichtigen, es sei denn eine grundrechtlich geschützte Position einer Prozesspartei gebiete zwingend etwas anderes (BAG vom 28.03.2019, 8 AZR 421/17, Rn. 28 m.w.N.). Dabei geht es darum, dass durch die Informations- oder Beweisbeschaffung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Partei verletzt wurde. Die Beklagte hat in ihren Schriftsätzen die Bezeichnung des Patienten anonymisiert. Unabhängig davon muss es ihr möglich sein, bei einer schwerwiegenden Pflichtverletzung im Arbeitsverhältnis anhand von - anonymisierten - Patientendaten vorzutragen. Das Interesse des Klägers auf Wahrung seiner ärztlichen Schweigepflicht muss insoweit zurücktreten.
5.
Zu allen Punkten ist die Mitarbeitervertretung gem. §§ 46, 47 Nr.2 MVG-K angehört worden. Die Mitarbeitervertretung wurde mit Schreiben vom 27.09.2018 zum Nachschieben von Kündigungsgründen, u.a. im Zusammenhang mit der Erstellung des Gutachtens vom 17.09.2018 und der darin festgestellten strukturellen Missstände in der KJP angehört. Der Schriftsatz vom 08.10.2018 lag als Entwurf bei. Die Mitarbeitervertretung hat dem Nachschieben der Kündigungsgründe am 04.10.2018 zugestimmt. Der Schriftsatz mit den nachgeschobenen Kündigungsgründen ging am 08.10.2018 beim Arbeitsgericht ein. Die Kündigungsgründe zu (1) bis (3) waren Gegenstand des Gutachtens vom 17.09.2018 über die strukturellen Missstände in der Klinik und sind mit Schriftsatz vom 12.02.2019 konkretisiert worden. Kündigungsgründe, die bei Ausspruch der Kündigung bereits entstanden waren, dem Arbeitgeber aber erst später bekannt geworden sind, können im Kündigungsschutzprozess nachgeschoben werden, wenn der Arbeitgeber zuvor den Betriebsrat erneut angehört hat (BAG vom 11.04.1995, 2 AZR 239/84 Rn.38, BAG vom 18.06.2015, 2 AZR 256/14, Rn. 47). Der Arbeitgeber ist nicht gehindert, Tatsachen, die ohne wesentliche Veränderung des Kündigungssachverhaltes lediglich der Erläuterung und Konkretisierung der dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgründe dienen, nachzuschieben (BAG vom 11.04.1985 aaO Rn. 41), sofern diese dem bisherigen Vortrag nicht erst das Gewicht eines kündigungsrechtlich erheblichen Grundes geben. Auf die erneute vorsorgliche Anhörung der Mitarbeitervertretung zur Konkretisierung der Kündigungsgründe mit Schriftsatz vom 12.02.2019, kommt es nicht an. Insofern ging auch das Bestreiten des Klägers hinsichtlich der zeitlichen Abfolge von Mitarbeitervertretungsanhörung und Abgabe des Schriftsatzes vom 12.02.2019 ins Leere.
Zu dem Fall T. wurde die Mitarbeitervertretung mit Schreiben vom 09.10.2018 zu dem beabsichtigten Nachschieben von Kündigungsgründen angehört. Der Schriftsatz vom 11.10.2019 lag dem Anhörungsschreiben bei. Die Mitarbeitervertretung stimmte dem beabsichtigten Nachschieben weiterer Kündigungsgründe mit Schreiben vom 11.10.2018 zu. Der Schriftsatz ging am 12.10.2018 bei Gericht ein. In dem Anhörungsschreiben wird als Kündigungsgrund "Vertrauensbruch gegenüber dem Familiengericht" angegeben. Der zugrundeliegende Sachverhalt ergibt sich aus dem beigefügten Schriftsatz. Er genügt dem Grundsatz der subjektiven Determination. Der Arbeitgeber muss die Umstände mitteilen, die seinen Entschluss zur Kündigung tatsächlich bestimmt haben. (vgl. BAG vom 21.11.2013, 2 AZR 797/11 Rn. 24).
6.
Das Nachschieben von Kündigungsgründen in den Rechtsstreit, die dem Kündigenden bei Ausspruch der Kündigung noch nicht bekannt waren, aber vorlagen, ist auch außerhalb der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB möglich. Die Kündigungserklärungsfrist bezieht sich nach dem Wortlaut des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB allein auf die Ausübung des Kündigungsrechts, nicht auf die zugrundeliegenden Kündigungsgründe. Die Zweiwochenfrist soll dem Arbeitnehmer innerhalb kurzer Zeit Gewissheit darüber verschaffen, ob der Arbeitgeber einen bestimmten Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nimmt oder nicht. Hierdurch soll vermieden werden, dass der Arbeitgeber ein Mittel in der Hand hält, um den Arbeitnehmer während der weiteren Dauer des Arbeitsverhältnisses unter Druck zu setzen. Ist bereits eine Kündigung ausgesprochen, kann eine solche Situation nicht mehr eintreten (BAG vom 04.06.1997, 2 AZR 362/96, Rn. 24 u. 25. m.w.N., BAG vom 23.05.2013, 2 AZR 102/12, Rn. 33). Bei der Verdachtskündigung, die als Kündigungsgrund nachgeschoben wird, ist die Anhörung des Arbeitnehmers entbehrlich, führt der Arbeitgeber neue Tatsachen in das Verfahren ein, die den Verdacht einer weiteren Pflichtverletzung begründen, bedarf es der ggfs. erneuten Anhörung des Arbeitnehmers nicht (BAG vom 23.05.2013, aaO, Rn. 30 m.w.N.). Hierauf kam es aber nicht an, weil die festgestellten Kündigungsgründe eine Tatkündigung begründen und keine Verdachtskündigung.
Die Kündigungsgründe, die sich aus dem Gutachten von S. ergeben, sind erst mit Vorlage des Gutachtens vom 17.09.2018 bekannt geworden.
Die Vorwürfe um den Patienten T. sind erst über den Pastor R. am 28.09.2018 an die Geschäftsführung bekannt gegeben worden. Es kann dahinstehen, inwieweit die Geschäftsführung von dem Mailverkehr vom 10./12.01.2018 zwischen Jugendamt und Kläger Kenntnis hatte. In dem Mailverkehr ging es vorrangig um die künftige Unterbringung des Patienten. Rückschlüsse auf die Umstände des Besuchs über Weihnachten ergeben sich hieraus nicht. Auch aus der Dienstaufsichtsbeschwerde vom 12.01.2018 des Klägers gegen die Familienrichterin (Bl. 352 d.A.), die in einer Mail an Herrn B. in cc: gesetzt wurde, ergibt sich keine frühere Kenntnis, da der geschilderte Sachverhalt die wesentlichen Vorwürfe nicht enthält. Der Kläger stellt u. a. darauf ab, dass insbesondere der Richterin die Fallkenntnis gefehlt und sie dennoch mit einer einstweiligen Verfügung gedroht habe. Außerdem wird unrichtigerweise mitgeteilt, das Jugendamt habe dem Besuch zugestimmt. Es wird vorgegeben, es habe eine Vereinbarung mit dem Jugendamt gegeben. und es fehlt der Umstand, dass der Kläger den Kindesvater entgegen einer bestehenden Kontaktregelung in dem Besuchsvorhaben gestärkt hat. Zielrichtung der Beschwerde ist die am 09.01.2018 erlassenen einstweilige Anordnung des Familiengerichts und seine Bitte an den Direktor, auf ein sachlich angemessenes Verhalten der Richterin hinzuwirken.
7.
Die Beweisaufnahme hinsichtlich der fehlerhaften Abrechnung von Wahlleistungen und ambulanten Behandlungen von Privatpatienten war letztendlich hinsichtlich eines Vorsatzes des Klägers unergiebig. Die Zeugin hat nicht bestätigt, dass es eine entsprechende Weisungszulage durch den Kläger gab, die ambulante Behandlung von Patienten nach einem bestimmten Schema abzurechnen, ohne dass die Leistungen erbracht waren. Für die Feststellung eines vorsätzlichen Abrechnungsbetruges, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt (vgl. LAG Niedersachsen vom 17.04.2013, 2 Sa 179/12 Rn. 43) lässt sich eine entsprechende Systematik nicht feststellen. Hinsichtlich der Abrechnung von Wahlleistungen ergibt sich allein aus dem Umstand, dass der Kläger die Abrechnungen selbst erstellt hat, obwohl er nicht anwesend war, ebenfalls kein vorsätzliches systematisches Vorgehen. Weitere Umstände, die hierauf schließen lassen, haben sich auch aus der Vernehmung der Zeugin nicht ergeben.
8.
Die Abrechnung der Befundberichte mit Zahlung der Rechnungsbeträge auf das Privatkonto des Klägers war mit der Geschäftsführung abgestimmt. Der Kläger hat auf die Billigung des Geschäftsführers K. im Januar 2010 verwiesen. Auch gegenüber der nachfolgenden Geschäftsführung hat der Kläger auf die frühere Billigung verwiesen, nachdem er mit Schreiben vom 01.02.2016 zu der Abrechnungsweise angehört worden war. Dem Anhörungsschreiben der Beklagten vom 10.02.2016 lag eine Aufstellung der Befundberichte und auch Gutachten bei (Anl. K 25, Bl. 706 - 708 d. A.), sodass der Kläger davon ausgehen durfte, dass der Vorgang insgesamt von der Billigung erfasst war. Wenn die Beklagte ausführt, die Anhörung sei zu Gutachten und nicht zu Befundberichten erfolgt, berücksichtigt sie nicht, dass auch Befundberichte in der Aufstellung enthalten waren. Jedenfalls kann ohne weitere Reaktion der Beklagten zu der Abrechnungsweise nicht auf ein vorsätzliches Handeln des Klägers zu Lasten der Beklagten geschlossen werden.
9.
Hinsichtlich der behaupteten Tätlichkeit gegenüber der Zeugin F. blieb die Beklagte beweisfällig. Trotz Fristsetzung mit Beschluss vom 27.04.2020 gem. § 356 ZPO konnte die ladungsfähige Anschrift der Zeugin nicht mitgeteilt werden. Auf das Einhalten der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist kam es nicht mehr an.
10.
Insgesamt hat der Kläger seine arbeitsvertraglichen Pflichten gegenüber der Beklagten in erheblicher Weise verletzt. Der Kläger hat in mehreren Fällen eigenmächtig ohne Rücksichtnahme auf die Interessen Dritter gehandelt. Er setzt wiederholt seinen therapeutischen Ansatz über seine Verpflichtung, den gesetzlichen Rahmen einzuhalten und die Interessen Dritter zu beachten. Einer vorhergehenden Abmahnung bedurfte es nicht. Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt das sog. Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht Sanktion für die Vertragspflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch im § 314 Abs. 2 i. V. m. § 320 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhältnisänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich ist (BAG vom 18.09.2008, 2 AZR 827/06, Rn. 32,33 mwN; BAG vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09 Rn. 33 ff.).
Der Kläger konnte nicht annehmen, dass die Beklagte sein Verhalten billigen oder lediglich mit einer Abmahnung reagieren würde. Angesichts der Schwere jeder einzelnen Pflichtverletzung und damit einhergehenden Vertragsverletzung kommt eine Abmahnung nicht in Betracht. Als leitender Arzt hatte der Kläger neben der Gesamtverantwortung eine Vorbildfunktion. Ihm muss klar gewesen sein, dass sein Arbeitgeber sein Handeln nicht dulden würde.
12.
Die Interessenabwägung führt zu keinem für den Kläger günstigen Ergebnis. Auch aus dem Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit ergibt sich kein anderes Bild. Bei der Prüfung der Frage, ob ein wichtiger Grund zur Kündigung vorliegt, geht es allein um die Abwägung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der bei einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer "fiktiven" Kündigungsfrist dem Arbeitgeber noch zugemutet werden kann. Bei dieser Prüfung besteht kein hinreichender Anlass, neben dem Alter und der Beschäftigungsdauer die ordentliche Unkündbarkeit erneut zu Gunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen und diesen besser zu stellen als einen Arbeitnehmer ohne diesen Kündigungsschutz bei entsprechenden Einzelfallumständen und beiderseitigen Interessen (BAG vom 18.09.2008, 2 AZR 827/06, Rn. 37 m.w.N.). Aus der Betriebszugehörigkeit des Klägers seit 01.04.2000 und seinem Lebensalter folgt nicht per se, dass eine Interessenabwägung zu seinen Gunsten auszufallen hat, auch nicht, dass er zum Zeitpunkt der Kündigung einen unterhaltsberechtigten Sohn hatte. Die Vorwürfe sind so schwerwiegend, dass sie auch bei einem langjährigen Arbeitsverhältnis eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Immerhin hatte der Kläger als Chefarzt die Gesamtverantwortung und auch Vorbildfunktion. Zudem setzt der Kläger durch sein Verhalten im Zusammenhang mit der Behandlung des Patienten O. sowie des Patienten F. seinen Arbeitgeber erheblichen Folgeansprüchen aus, wenn die Patienten Schadensersatz fordern. Das Verhalten erfüllt die Tatbestände von Freiheitsberaubung und Körperverletzung. Zudem ist es geeignet, ein negatives Bild von der Klinik insgesamt zu erzeugen, weil der Eindruck erweckt werden kann, in der Klinik werde nicht lege artis behandelt. Erschwerend kommt das Vorgehen des Klägers im Fall des Patienten T. hinzu. Auch wenn dieses Verhalten allein eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigt, ist es im Rahmen der Gesamtabwägung durchaus relevant. Es zeigt, dass der Kläger in verschiedenen Fallkonstellationen seine Auffassung über die anderer stellt und den gesetzlichen Rahmen nicht einhält. Insbesondere das wiederkehrende Muster des Klägers, wonach er seinen eigenen Ansatz über die Interessen anderer stellt, hat einen erheblichen Vertrauensverlust zur Folge.
C.
Auf die Kündigung vom 08.10.2018, die vorsorglich erklärt wurde, kam es nicht mehr an. Annahmeverzugsvergütung und Weiterbeschäftigungsanspruch waren ebenfalls abzuweisen.
D.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der unterliegende Kläger zu tragen (§ § 97 Abs. 1 ZPO). Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.