Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.11.2020, Az.: 5 Sa 435/20

Parallelentscheidung zu LAG Niedersachsen 5 Sa 459/20 v. 19.11.2020

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
19.11.2020
Aktenzeichen
5 Sa 435/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 58224
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2020:1119.5Sa435.20.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 17.02.2020 - AZ: 4 Ca 138/19

Amtlicher Leitsatz

Hat eine Tarifnorm keinen Anwendungsbereich, kann sie niemals Grundlage für einen Anspruch aus Gleichbehandlung sein. Jede andere Sichtweise ist unlogisch und weltfremd.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 17.02.2020 - 4 Ca 138/19- wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen, mit Ausnahme des Antrags zu Ziffer 4 aus der Berufungsbegründung (Verzugspauschale).

Insoweit wird die Revision nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe tariflicher Nachtarbeitszuschläge, wobei als Vorfrage problematisch ist, ob die Differenzierung innerhalb des Tarifvertrages gleichheitswidrig ist.

Der Kläger ist seit mehreren Jahren bei der Beklagten als Arbeitnehmer tätig. Kraft einzelvertraglicher in Bezugnahme findet der Manteltarifvertrag für die Metallindustrie Bezirk Küste Anwendung. Bis zur Änderung der tarifvertraglichen Vorschriften am 01.04.2020 war für den hier einschlägigen Bezirk D-Stadt unter § 7 in Abschnitt 1.2 die Höhe der Nachtarbeitszuschläge wie folgt geregelt:

"1.2 Nachtarbeit

a. regelmäßige Nachtarbeit (mindestens eine Arbeitswoche oder regelmäßig wiederkehrend)

15%

b. unregelmäßige Nachtarbeit

30%

c. Nachtarbeit, soweit nicht unregelmäßig bzw. regelmäßige Nacht- oder Nachtschichtarbeit vorliegt

50%"

§ 7 Ziffer 3 regelte wörtlich folgendes:

"3 mehrere Zuschläge:

Treffen mehrere Zuschläge zusammen, so ist nur der jeweils höhere Zuschlag zu zahlen. Ausgenommen hiervon ist in Schichtbetrieben der Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit, der neben den Zuschlägen für Mehrarbeit an Sonn- und Feiertagen gezahlt wird."

Die Beklagte ist produzierend im Schichtsystem tätig. Der Kläger nimmt an dem Schichtsystem teil und ist in der sog. Kontischicht tätig. Dort setzt die Beklagte die überwiegende Anzahl der Arbeitnehmer ein. In dieser Kontischichtproduktion wird bei einem 12-Wochen-Rhythmus an 14 Tagen in Frühschicht mit einem Nachtarbeitszuschlagsanteil von 0,75 Stunden zu 15% pro Tag gearbeitet. 21 Tage werden in Spätschicht abgeleistet mit einem Nachtarbeitszuschlagsanteil von 0,25 Stunden zu 15% pro Tag. 21 Tage werden in Nachtschicht mit einem Nachtschichtnachtarbeitszuschlagsanteil von 7,5 'Stunden zu 15% pro Tag abgeleistet. Der maßgebende Tarifvertrag definierte in dem streitgegenständlichen Zeitraum die Nachtarbeit wie folgt:

"Nachtarbeit: Als Nachtarbeit gilt die Zeit von 21.00 Uhr bis 06.00 Uhr."

Der Kläger war aufgrund des Schichtsystems in dem Zeitraum von Oktober 2018 bis November 2019 weit überwiegend innerhalb des Schichtsystems während der im Tarifvertrag definierten Nachtzeiten tätig. Hierfür erhielt er weit überwiegend einen Nachtarbeitszuschlag von 15%, teilweise jedoch in geringem Ausmaß 30%.

Mit seiner Klage hat er für den Zeitraum von Oktober 2018 bis November 2019 2.360,78 EUR brutto als Differenz zwischen den erhaltenen Nachtzuschlägen und den begehrten Nachtzuschlägen in Höhe von 50% geltend gemacht, sowie allgemein die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung eines Nachtzuschlages in Höhe von 50% und die Verzugspauschale geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die tarifvertragliche Differenzierung hinsichtlich der Höhe der Zuschläge für Nachtarbeit sei wegen Verstoßes gegen Artikel 3 Abs. 1 GG unwirksam, es habe eine Anpassung nach oben zu erfolgen, und ihm ständen nicht nur 15% oder 30%, sondern 50% Nachtarbeitszuschläge zu.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 2.360,78 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf EUR 99,60 seit dem 01.12.2018, auf EUR 267,81 seit dem 01.01.2019, auf EUR 194,25 seit dem 01.02.2019, auf EUR 186,80 seit dem 01.03.2019, auf EUR 17,50 seit dem 01.04.2019, auf EUR 255,06 seit dem 01.06.2019, auf EUR 328,48 seit dem 01.07.2019, auf EUR 177,61 dem 01.08.2019, auf EUR 166,49 seit dem 01.09.2019, auf EUR 76,61 seit dem 01.10.2019, auf EUR 239,01 seit dem 01.11.2019, auf EUR 17,50 seit dem 01.12.2019 und auf EUR 334,06 seit dem 01.01.2020 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte unter Geltung von § 7 des Manteltarifvertrags Nordwestliches Niedersachsen (Bezirksgruppe NordWest) zwischen D. Verband der Metall- und Elektroindustrie e.V. Hamburg und der IG Metall Bezirk Küste, Hamburg in der Fassung vom 03.07.2008 verpflichtet ist, an den Kläger für geleistete Nachtarbeit, also Arbeit in der Zeit von 21.00 Uhr bis 06.00 Uhr, einen Nachtzuschlag in Höhe von 50 % des Stundenlohnes pro geleisteter Stunde zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an ihn EUR 520,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.06.2019 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die einschlägigen tarifvertraglichen Bestimmungen seien rechtswirksam, der Kläger habe das erhalten, was ihm zustehe.

Mit Urteil vom 17.02.2020 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat unter anderem zur Begründung ausgeführt, der Kläger könne schon deswegen keinen Anspruch auf einen Nachtzuschlag in Höhe von 50% haben, weil die entsprechende Vorschrift des Tarifvertrages keinen Anwendungsbereich habe. Denn nach allgemeinem Verständnis sei ein Sachverhalt entweder als regelmäßig oder aber als unregelmäßig zu charakterisieren. Die Begriffe schlössen einander aus. Der Kläger könne keinen Anspruch auf eine Zuschlagshöhe habe, welche nach den rechtlichen Voraussetzungen keinen Anwendungsfall habe.

Wegen weiterer Einzelheiten der rechtlichen Würdigung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (dort Bl. 3-6 desselben, Bl. 211-212 d. Gerichtsakte) verwiesen.

Dieses Urteil ist dem Kläger am 24.02.2020 zugestellt worden. Mit einem am 20.03.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat er Berufung eingelegt und diese mit einem am 22.04.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger zunächst in vollem Umfang das erstinstanzliche Klageziel weiter.

Er vertritt weiterhin die Auffassung, die unterschiedlichen Nachtarbeitszuschläge im streitgegenständlichen Zeitraum seien ungerechtfertigt. Unzutreffend sei die Annahme des angefochtenen Urteils, § 7 Abschnitt 1.2 c des MTV habe keinen Anwendungsbereich. Diese Vorschrift komme zur Anwendung, wenn Nachtarbeit in Arbeitsbereichen geleistet werde, in denen sie an sich nicht üblich und nicht vorgesehen sei. Beispielhaft sei hier die Tätigkeit in der Verwaltung zu nennen. Im Ausnahmefall könne dort schon einmal Nachtarbeit anfallen. Im Übrigen stehe bereits seit vielen Jahren fest, dass Nachtarbeit grundsätzlich für jeden Menschen schädlich sei. Nachtarbeit sei umso schädlicher, je häufiger sie vorkomme. Es gäbe daher keinen sachlichen Grund, Nachtarbeit besonders zu honorieren, wenn sie seltener -auch unregelmäßig- anfalle. Im Übrigen könne man zur Rechtfertigung der Differenzierung nicht argumentieren, unregelmäßige Nachtarbeit sei nicht geplant. Denn zum Problemkreis der Planbarkeit enthält die tarifvertragliche Regelung keine Anhaltspunkte.

Der Kläger beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 17.02.2020 zum Az. 4 Ca 137/19 abzuändern.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an ihn EUR 2.360,78 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz

auf EUR 99,60 seit dem 01.12.2018,

auf EUR 267,81 seit dem 01.01.2019,

auf EUR 194,25 seit dem 01.02.2019,

auf EUR 186,80 seit dem 01.03.2019,

auf EUR 17,50 seit dem 01.04.2019,

auf EUR 255,06 seit dem 01.06.2019,

auf EUR 328,48 seit dem 01.07.2019,

auf EUR 177,61 seit dem 01.08.2019,

auf EUR 166,49 seit dem 01.09.2019,

auf EUR 76,61 seit dem 01.10.2019,

auf EUR 239,01 seit dem 01.11.2019,

auf EUR 17,50 seit dem 01.12.2019 und

auf EUR 334,06 seit dem 01.01.2020 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte unter Geltung von § 7 des Manteltarifvertrags Nordwestliches Niedersachsen (Bezirksgruppe Nord -West) zwischen D. Verband der Metall- und Elektroindustrie e.V. Hamburg und der IG Metall Bezirk Küste, Hamburg in der Fassung von 03.07.2008 bis zur Änderung durch den Tarifvertrag zur Neuregelung der Nachtarbeitszuschläge in den Manteltarifverträgen Metall- und Elektroindustrie für die Tarifgebiete Hamburg und Umgebung, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern (MTV HH, SH, MV), Unterweser (MTV Uw) und Nordwestliches Niedersachsen (MTV NW) von 06.03.2020 verpflichtet war, an den Kläger für geleistete Nachtarbeit, also Arbeit in der Zeit von 21.00 Uhr bis 06.00 Uhr, einen Nachtzuschlag in Hohe von 50 % des Stundenlohnes pro geleisteter Stunde zu zahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an ihn EUR 520,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 22.04. und 19.06.2020 verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und 519, 520 ZPO).

Insbesondere entspricht die Berufungsbegründung in vollem Umfang dem Begründungserfordernis des § 520 Abs. 3 ZPO. Eine gesonderte Begründung der Verzugspauschale war in der Berufungsbegründung nicht erforderlich. Denn das arbeitsgerichtliche Urteil hat die Verzugspauschale allein mit dem Argument abgewiesen, es fehle an dem Hauptanspruch. In einer derartigen Fallkonstellation, die durch rechtliche Akzessorietät gekennzeichnet ist, genügt es, wenn sich der Rechtsmittelführer mit der Abweisung des Hauptanspruches auseinandersetzt.

B.

Die Berufung ist unbegründet.

I.

Der Feststellungsantrag des Klägers ist unter dem Gesichtspunkt einer Zwischenfeststellungsklage gem. § 256 Abs. 2 ZPO zulässig.

II.

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf die Zahlung von Zuschlägen in Höhe von 30 % für die geleistete Nachtarbeit oder aber in Höhe von 50% unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung. Das Arbeitsgericht hat die Klage insoweit zutreffend abgewiesen.

1.

Der Anspruch folgt nicht aus § 7 Abschnitt 1.2 MTV. Soweit der Kläger seine Nachtarbeit unregelmäßig geleistet hat, hat er den ihm zustehenden Nachtzuschlag von 30% erhalten.

2.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, mit Arbeitnehmern, die unregelmäßige Nachtarbeit geleistet haben, gleichbehandelt zu werden. Die von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Differenzierung zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit bei der Höhe der Nachtzuschläge verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sie bewegt sich im Rahmen der den Tarifvertragsparteien zustehenden Einschätzungsprärogative.

a.

Die Tarifvertragsparteien als Normgeber sind bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar, jedoch mittelbar grundrechtsgebunden. Der Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 3 GG verpflichtet die staatlichen Arbeitsgerichte dazu, die Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien zu beschränken, wenn diese mit den Freiheits- oder Grundrechten oder anderen Rechten mit Verfassungsrang der Normunterworfenen kollidiert.

Sie müssen insoweit praktisch Konkordanz herstellen. Der Schutzauftrag der Verfassung verpflichtet die Arbeitsgericht auch dazu, gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen zu unterbinden. Der Gleichheitsgrundsatz bildet als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie. Tarifnormen sind deshalb im Ausgangspunkt uneingeschränkt am Gleichheitssatz zu messen (BAG - 27. Mai 2020 - 5 AZR 258/19 - juris, Rn. 37; BAG - 19.12.2019 - 6 AZR 563/18 - Rn. 21).

Bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrages haben die Gerichte jedoch auch in den Blick zu nehmen, dass eine besondere Form der Grundrechtskollision bewältigt und die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit mit den betroffenen Individualgrundrechten in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden muss. Bei der Prüfung, ob Tarifnormen Grundrechte oder andere Rechte der Arbeitnehmer mit Verfassungsrang verletzen, müssen die Gerichte nicht nur die besondere Sachnähe der Tarifvertragsparteien sondern außerdem beachten, dass sich die Arbeitnehmer im Regelfall durch den Beitritt zu ihrer Koalition oder durch die vertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag, die die Tarifnorm zum Vertragsinhalt macht, bewusst und freiwillig der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien auch für die Zukunft unterworfen haben. Den Tarifvertragsparteien steht als selbständigen Grundrechtsträgern bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu, über den die Arbeitsvertrags- und Betriebsparteien nicht im gleichen Maße verfügen.

Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind. Sie verfügen über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung und sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt (BAG 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 43).

b.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Differenzierung in § 7 Abschnitt 1.2 MTV zwischen regelmäßiger Nachtarbeit (15%) und unregelmäßiger Nachtarbeit (30%) Bestand. Sie verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

aa)

Die Gruppe der Arbeitnehmer, die regelmäßig Nachtarbeit leisten, ist mit der Gruppe, die unregelmäßig Nachtarbeit leisten, vergleichbar. Dies ergibt sich daraus, dass beide Arbeitnehmergruppen ihre Arbeitsleistung innerhalb des Nachtarbeitszeitraums, den der Tarifvertrag vorgibt (21.00 Uhr bis 06.00 Uhr), erbringen.

bb)

Ein sachlich vertretbarer Grund für die Differenzierung bei der Zuschlagshöhe für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit ist gegeben. Hierbei folgt das Berufungsgericht im Ausgangspunkt der bereits zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, 21. März 2018 10 AZR 34/17), die neue arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde legend davon ausgeht, dass Nachtarbeit für die Gesundheit umso schädlicher ist, je größer der Umfang ist, in dem sie geleistet wird. Indes führt die unterschiedliche Beurteilung der Tarifvertragsparteien bei der Zuschlagshöhe zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Denn der Normzweck des § 7 Abschnitt 1.2 MTV beschränkt sich nicht ausschließlich auf den Gesundheitsschutz. Die Nachtarbeitszuschläge verfolgen neben dem Gesundheitsschutz auch den Zweck, die sozialen Folgen (soziale Desynchronisation), die mit jeder Arbeit außerhalb der üblichen Arbeitszeiten der Mehrarbeit der Arbeitnehmer und damit außerhalb des üblichen Tagesablaufes verbunden sind, zu mindern (BAG, 11. Dezember 2013 - 10 AZR 736/12 - Rn. 22). Unabhängig von der individuellen körperlichen oder seelischen Konstitution und dem bevorzugten Freizeitverhalten richtet sich das Ausmaß der Belastung und damit auch die Zuschlagshöhe, nach der Planbarkeit von Nachtarbeit. Je längerfristig sich ein Arbeitnehmer auf Nachtarbeit einrichten kann, desto eher ist es ihm möglich, die persönlichen Belange z.B. die Betreuung von Kindern, die Teilnahme an sportlichen und kulturellen Veranstaltungen, gemeinsame Aktivitäten in der Familie oder im Freundeskreis etc. soweit wie möglich auf die weniger günstigen Arbeitszeiten abzustimmen. Nachtarbeit außerhalb eines Schichtsystems wird zwar nicht in jedem Fall kurzfristig angeordnet und muss nicht stets zur Folge haben, dass es für den Arbeitnehmer schwierig ist, private Belange hiermit in Einklang zu bringen. Dennoch ist der Planungszeitraum üblicherweise bei unregelmäßiger Nachtarbeit kürzer, als das bei regelmäßiger Nachtarbeit, welche typischerweise auf einem Schichtsystem beruht, der Fall ist. Unregelmäßige Nachtarbeit ist jedenfalls für den Arbeitnehmer deutlich schlechter planbar. Angesichts der typischen Betrachtungsweise durften die Tarifvertragsparteien davon ausgehen, dass sich die Arbeitnehmer in dem Fall der regelmäßigen Nachtarbeit grundsätzlich besser auf die Arbeit zur Nachtzeit einstellen können, als bei unregelmäßiger Nachtarbeit (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern, 6. Oktober 2020 - 5 Sa 2/20 - Rn. 56; LAG Niedersachsen, 10. September 2020 - 16 Sa 45/20 -, LAG Niedersachsen, 6. August 2020 - 6 Sa 64/20 - Rn. 74 und 75).

cc)

Die vorliegende Rechtsauffassung lässt sich mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - in Einklang bringen. Dies gilt insbesondere deswegen, weil die in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Streitfall das Verhältnis der Nachtzuschläge um mehr als das Dreifache höher gewesen ist und damit eine ganz besonders deutliche Schlechterstellung der nachtarbeitsleistenden Schichtarbeitnehmer bei der Bezahlung von Nachtarbeit im Vergleich zu Arbeitnehmern, die Nachtarbeit außerhalb des Schichtsystems leisten, bestanden hat. Dieser Unterschied vergrößerte sich sogar noch, weil der Zeitraum, für den in der Nachtschicht Schichtzuschläge gezahlt werden mussten, gegenüber dem übrigen Zeitraum, in dem Nachtarbeitszuschläge anfielen, verkürzt war.

Dem gegenüber ist der vorliegende Streitfall durch eine maximale Verdoppelung der Zuschläge gekennzeichnet, die sich durch die Anrechnungsvorschrift des § 7 Abschnitt 3 MTV zugunsten der regelmäßigen Nachtarbeit weiter reduziert. Vor dem Hintergrund der Beachtung der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien halten diese tarifvertraglichen Bestimmungen der Nachtarbeitszuschläge einer gerichtlichen Kontrolle stand.

Auf die Problematik einer Angleichung nach oben, hierdurch wird das gesamte Gefüge eines Tarifvertrages gesprengt, was die Berufungskammer für extrem problematisch hält, kommt es nicht mehr an.

3.

Soweit es um die Differenzierung in § 7 Abschnitt 1.2 MTV zwischen regelmäßiger Nachtarbeit (15%) und Nachtarbeit, soweit nicht unregelmäßig bzw. regelmäßige Nacht- oder Nachtschichtarbeit vorliegt (50%) geht, kann sogar ausdrücklich auf sich beruhen, ob diese Differenzierung gegen Artikel 3 Abs. 1 GG verstößt. Aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles kann eine Angleichung nach oben in keinem Fall erfolgen.

Insoweit tritt das Berufungsgericht uneingeschränkt den überzeugenden erstinstanzlichen Urteilsgründen bei, verweist auf diese und macht sie sich zu eigen. § 7 Abschnitt 1.2 MTV c. hat keinen rechtlich bedeutsamen Anwendungsbereich. Dies ist das Ergebnis der Auslegung dieser Tarifnorm.

a.

Nach ständiger und allgemein anerkannter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies ein zweifelsfreies Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, 21. August 2003, Az.: 8 AZR 430/02 - AP Nr. 185 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie; BAG, 22. Oktober 2003, Az.: 10 AZR 152/03 - BAGE 108, 176 - 184; BAG, 24. Oktober 2007, Az.: 10 AZR 878/06 - juris).

b.

Gemessen an vorstehenden Auslegungsgrundsätzen muss zwangsläufig festgestellt werden, dass diese tarifvertraglichen Vorschrift keinen Anwendungsbereich hat. Der Wortlaut dieser Vorschrift ist eindeutig: Nachtarbeit ist entweder unregelmäßig oder regelmäßig. Soweit der Tarifvertrag auf regelmäßige Nachtarbeit abstellt, wird sämtliche Nachtarbeit, die regelmäßig geleistet wird, erfasst, entweder als schlichte Nachtarbeit oder als Nachtschichtarbeit. Beide Adjektive "unregelmäßig" bzw. "regelmäßig" erfassen vom Wortsinn her vollständig das Spektrum der gesamten Nachtarbeit. Vom Wortlaut her hat diese Tarifnorm keinen Anwendungsbereich, wie das angefochtene erstinstanzliche Urteil absolut logisch und folgerichtig festgestellt hat. Anhaltspunkte aufgrund des Kontextes dieser Tarifnorm, dass entgegen dem Wortsinn eine abweichende Auslegung geboten ist, sind nicht ersichtlich. In diesem Zusammenhang kommt es auch nicht darauf an, ob die Beklagte in bestimmten Fallkonstellationen einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 50% gewährt hat, weil sie dies nach der Tarifnorm nicht hätte tun müssen. Unerheblich ist auch, welche subjektiven Vorstellungen die Tarifvertragsparteien bei Abschluss dieser Tarifnorm hatten. Denn diese subjektiven Vorstellungen haben nicht einmal ansatzweise im Wortlaut ihren Niederschlag gefunden.

Es ist gegenüber den Prozessparteien einzuräumen, dass diese Tarifnorm letztendlich unsinnig ist. Die Frage des unsinnigen bzw. praktisch tauglichen Ergebnisses ist jedoch im Kanon der für Tarifverträge geltenden Auslegungsgrundsätze nur ein Hilfskriterium. Es gilt nur "im Zweifel". Irgendwelche Zweifel dafür, dass diese völlig unsinnige Tarifnorm, die auch durch die Neufassung des Tarifvertrages zum 01.04.2020 von den Tarifvertragsparteien geändert worden ist, keinen Anwendungsbereich hat, hat die Berufungskammer nicht.

Eine Tarifnorm, die keinen Anwendungsbereich hat, kann niemals zu einer Angleichung nach oben führen. Jedes andere Ergebnis wäre unlogisch und weltfremd. Diese Wertung ist elementar.

4.

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt auch die Unbegründetheit des zulässigen Feststellungsantrages.

C.

Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO hat der Kläger die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen. Gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG war teilweise wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen. Soweit es die Verzugspauschale anbelangt, war die Revision nicht zuzulassen. Insoweit liegt eine Klärung der zugrundeliegenden Rechtsfrage durch die bereits zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vor.