Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.05.2024, Az.: 11 LB 341/22

Feststellung der Gefährlichkeit einer Hündin (Rasse: Presa Canario); Absehen von der Regel der Gefährlichkeitsfeststellung nach einem Beißvorfall durch die Annahme eines Ausnahmefalles in Form des sogenannten "eindeutig artgerechten Abwehrverhaltens"

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.05.2024
Aktenzeichen
11 LB 341/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 18200
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0527.11LB341.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Göttingen - 27.10.2021 - AZ: 1 A 290/20
VG Göttingen - 25.02.2022

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Bei der Gefährlichkeitsbewertung nach § 7 Abs. 1 NHundG ist allein auf die konkrete Situation abzustellen, die zu dem von der Behörde nach § 7 Abs. 1 Satz 1 NHundG zu prüfenden Hinweis geführt hat. Das gilt auch für die Frage, ob von der Regel der Gefährlichkeitsfeststellung nach einem Beißvorfall durch die Annahme eines Ausnahmefalles in Form des sogenannten "eindeutig artgerechten Abwehrverhaltens" abzusehen ist.

  2. 2.

    Bei der Prüfung, ob von einem sogenannten eindeutig artgerechten Abwehrverhalten auszugehen ist, kann sich die Behörde eigenen Sachverstandes, etwa durch die amtliche Tierärztin/den amtlichen Tierarzt, oder auch externen Sachverstandes bedienen. Die diesbezügliche Rechtsanwendung der Behörde unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung.

  3. 3.

    Soweit Amtstierärzte hinsichtlich der zu beurteilenden Fragen über eine besondere Expertise verfügen, ist ihnen eine vorrangige Beurteilungskompetenz zuzugestehen. Eine den zu stellenden Anforderungen genügende amtstierärztliche Einschätzung kann durch eine substantiierte fachliche Stellungnahme in Frage gestellt werden.

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen - Einzelrichterin der 1. Kammer - vom 25. Februar 2022 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung der Gefährlichkeit ihrer Hündin "G." (Rasse: Presa Canario).

Am 1. Januar 2020 gegen 14:30 Uhr kam es im Bereich der Wohnanschrift der Klägerin zu einem Beißvorfall.

Die Klägerin hielt sich zum fraglichen Zeitpunkt mit ihrer Hündin im Bereich der Hofeinfahrt ihres Grundstücks auf. Ebenfalls im Bereich der Wohnanschrift der Klägerin bewegte sich Herr H. mit seinen beiden Hunden "I." (Australian Shepard Hündin) und "J." (Mischlingsrüde), welche er jeweils an einer sogenannten Flexleine führte.

Bei einer Begegnung der drei Hunden erlitt die Hündin "I." insgesamt sechs Bissverletzungen: Drei Bissverletzungen am Vorderbein, eine längliche Bissverletzung am Rücken, eine längliche Bissverletzung am Bauch und eine längliche Bissverletzung am Oberschenkel. Ausweislich eines Berichtes der behandelnden Tierärztin Frau Dr. K. vom 20. Februar 2022 musste die Wunde am rechten Vorderbein und rechts seitlich des Bauches gespült und desinfiziert werden. Die Wunde rechts am Rücken sei nach der Desinfektion mit Wundklammern verschlossen worden. Zusätzlich habe die Hündin ein Antibiotikum und ein Schmerzmittel gespritzt bekommen. Weitere Medikamente seien mitgeben worden. Eine Bissverletzung am rechten Oberschenkel habe aufgrund der großen Wundhöhle chirurgisch versorgt werden müssen.

Auf Nachfrage des Beklagten erklärte Herr H. zum Hergang des Beißvorfalls im Rahmen seiner Stellungnahme vom 20. Januar 2020 im Wesentlichen, am 1. Januar 2020 gegen 14:30 Uhr mit seinen beiden angeleinten Hunden auf der Straße "L." spazieren gegangen zu sein. Da ihm die Hunde der Klägerin bekannt seien, habe er seine Hunde beim Passieren des Grundstücks der Klägerin an einer sehr kurzen Leine gehalten. Das Grundstück der Klägerin sei nicht einsehbar, da ein ca. 1,80 m hohen Holzzaun um das Grundstück verbaut sei. Die Hündin "G." sei von dem Grundstück der Klägerin um die Ecke geschossen gekommen und habe sich auf seine Hündin "H." gestürzt und diese mehrfach gebissen. Die Klägerin sei schreiend angelaufen gekommen und habe versucht, mit massiven Schlägen auf ihre Hündin, diese zum Loslassen zu bewegen. Als Anlage übersandten die Eheleute H. u.a. eine Ablichtung der Tierarztrechnung der Kleintierpraxis Dr. K. vom 15. Januar 2020, die einen zu zahlenden Betrag in Höhe von 522,24 EUR auswies sowie Lichtbilder der Verletzungen der Hündin "H.".

Die Klägerin gab in ihrer bei der Beklagten am 21. Januar 2020 eingegangenen Stellungnahme an, dass Herr H. am 1. Januar 2020 gegen 14:30 Uhr mit seinen beiden Hunden "H." und "I." an der langen Flexleine die Straße "L." Richtung Stadt gelaufen sei. Die beiden Hunde seien plötzlich und unerwartet um ihre Grundstücksecke geprescht und hätten aggressiv gebellt. Herr H. habe seine beiden Hunde gar nicht so schnell an der langen Flexleine unter Kontrolle bringen können. Sie - die Klägerin - sei gerade dabei gewesen, ihren Hund an einer kurzen schwarzen Leine in den Kofferraum springen zu lassen, als die beiden Hunde aggressiv bellend um die Ecke gelaufen gekommen seien. Ihre Hündin sei daraufhin aus dem Kofferraum gesprungen und habe sich zur Wehr gesetzt. Obschon ihre Hündin an der Leine gewesen sei, habe sie nicht so schnell reagieren können, weil sie sich selbst erschrocken habe. Ihr sei die Leine entglitten. Die Situation habe nur wenige Sekunden gedauert, bis sie ihre Hündin wieder an der Leine im Griff gehabt habe. Sie habe ihren Unmut gegenüber Herrn H. zum Ausdruck gebracht, insbesondere, weil einer seiner Hunde ihre Hündin in der Vergangenheit bereits einmal im M. gebissen habe. Zur Darstellung der Vorfallörtlichkeiten vom 1. Januar 2020 samt der Positionen der beteiligten Personen beziehungsweise Hunde reichte die Klägerin Lichtbilder ein.

Am 7. Februar 2020 fand ein unangekündigter Überprüfungstermin des Fachbereichs Veterinärwesen und Verbraucherschutz - Tierschutz - des Beklagten bei der Klägerin statt. Im Verlauf des Termins schilderte die Klägerin die Situation des Beißvorfalls nochmals aus ihrer Sicht. Es wurde vermerkt, die Klägerin habe berichtet, ihre Hündin "G." habe sich lediglich verteidigt, da der andere Hund bellend an der Flexleine laufend um die Ecke geschossen gekommen sei. Der andere Hund habe ihre Hündin angegriffen. Auf die Frage an die Klägerin, ob ihre Hündin verletzt worden sei, habe diese auf eine ca. 1 mm große Stelle auf dem Kopf ihrer Hündin gedeutet, welche kein Fell mehr aufgewiesen habe, und vertreten, es handele sich bei der Stelle um eine Verletzung, die ihrer Hündin "G." im Zuge des verfahrensgegenständlichen Vorfalls beigebracht worden sei. Aus Sicht der begutachtenden Beamtin habe diese Stelle ausgesehen wie ein Mückenstich. Es wurde weiter vermerkt, die Klägerin habe nicht eingesehen, weshalb ihr Hund den anderen Hund nicht habe beißen dürfen, wenn der andere Hund doch angefangen habe. Die Klägerin habe zudem zum Ausdruck gebracht, der Australien Shepard habe ihre Hündin aggressiv angegriffen.

Auch die Hunde "H." sowie "I." wurden am 7. Februar 2020 durch das Veterinäramt des Beklagten einer unangekündigten Überprüfung unterzogen. Es wurde im Wesentlichen vermerkt, Frau H. habe erklärt, die Hündin "H." sei schwerhörig und sehe schlecht. Im Hinblick auf den verfahrensgegenständlichen Vorfall habe Frau H. beschrieben, ihr Ehemann sei am 1. Januar 2020 mit beiden Hunden an der Leine spazieren gegangen. Er habe beide Hunde an der kurz gehaltenen Flexleine geführt und sei mit Abstand auf der Straße am Grundstück der Klägerin vorbeigegangen. Die Hündin "G." habe sich auf ihre Hündin gestürzt und zugebissen. Weder ihr Ehemann noch die Klägerin hätten "G." sofort wieder von "H." entfernen können.

Eine angekündigte Begutachtung der Hündin "G." erfolgte am 27. Februar 2020 durch die Tierärztin Dr. N.. Die Tierärztin kam nach einem Hausbesuch am 27. Februar 2020 im Wesentlichen zu dem Ergebnis, das Verhalten der Hündin im Zusammenspiel mit Menschen sei unauffällig. In Bezug auf die Bewertung des Verhaltens der Hündin im Kontext der Begegnung mit Artgenossen, erklärte die Tierärztin, dass sich das Verhalten der Hündin geändert habe, als eine Border-Colli-Hündin in die Nähe des die Hündinnen trennenden Zaunes geführt worden sei und aggressive Signale mit Bellen und Scheinattacken gezeigt habe. Die Hündin "G." habe ebenso mit Bellen und Scheinattacken reagiert, sei anfangs aber noch durch die Klägerin kontrollierbar gewesen. Als die Border-Colli-Hündin eine Attacke mit Bellen in Richtung der Hündin "G." aus etwa fünf Metern Entfernung gezeigt habe, habe sich die Klägerin nicht komplett auf ihre Hündin konzentriert und der Boden sei rutschig gewesen, so dass die Hündin "G." die Klägerin zu Fall gebracht und sie an der Leine Richtung Zaun gezogen habe. Die Klägerin habe energisch auf ihre Hündin eingewirkt und sie so wieder unter Kontrolle gebracht. Die Hündin "G." habe sich schnell beruhigt und sei wieder kontrollierbar gewesen. Unter Berücksichtigung dieses Sachverhaltes kam die Tierärztin zu dem Schluss, dass von der Hündin "G." durchaus eine Gefahr für andere Hunde ausgehe, insbesondere, wenn sie von anderen Hunden provoziert würde. Dann sei sie aufgrund ihrer Körperkraft und ihres Gewichts nicht sicher kontrollierbar. Die Klägerin sei klein und schlank und könne ihre Hündin nicht über Körperkraft kontrollieren. Aus diesem Grund rate sie zu einem konsequenten Gehorsamstraining für die Hündin in einer Hundeschule oder bei einem professionellen, zertifizierten Hundetrainer. Übergangsweise könne ein Maulkorb getragen werden.

Ferner gab die Amtstierärztin Frau O. unter den 11. Mai 2020 eine Stellungnahme zur Frage der Gefährlichkeit der Hündin "G." ab. Ihrer Bewertung legte sie die Ergebnisse ihrer unangekündigten Überprüfung vom 7. Februar 2020 sowie die Ergebnisse der angekündigten Überprüfung der Tierärztin Frau Dr. N. vom 27. Februar 2020 zugrunde. Die Amtstierärztin kam zu dem Ergebnis, die Hündin "G." sei als gefährlich i.S.v. § 7 NHundG zu bewerten. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, nach der Überprüfung der Hündin "G." sei davon auszugehen, dass derzeit eine gesteigerte Aggressivität von dem Tier ausgehe. Die Hündin sei trotz der Anwesenheit der Halterin offensiv aggressiv auf die angeleinte Hündin "H." zugelaufen und habe mehrfach fest zugebissen. Die angeleitete Hündin "H." habe sich durch die Leine dem Angriff nicht entziehen können. Der Kampf habe durch die Halterin beendet werden müssen. Aufgrund der Erheblichkeit der zugefügten Verletzungen könne das von der Hündin "G." gezeigte Beißverhalten nicht als artgerechtes Abwehrverhalten bezeichnet werden. Es stelle sich zusätzlich die Frage, ob die Hündin "G." von ihrer Halterin ausreichend kontrollierbar sei und somit keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestehe. Aufgrund ihrer Körpermasse (52 Kg) sei die Hündin nicht durch körperliche Kraft ihrer Halterin zu kontrollieren, sondern die Hündin müsse einen außergewöhnlich guten Gehorsam zeigen. Die Hündin zeige einen guten Gehorsam, lasse sich jedoch nicht ausreichend gut kontrollieren, wenn sie von einem anderen Hund provoziert werde. Die Hundehalterin zeige sich in den Überprüfungen nicht einsichtig und sei der Meinung, ihre Hündin sei das Opfer und völlig unschuldig an dem Vorfall, da sie provoziert worden sei. Die Klägerin sei der Meinung, ihre Hündin dürfe sich wehren, wenn sie von einem anderen Hund provoziert werde.

Unter dem 28. Juli 2020 hörte der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Gefährlichkeitsfeststellung in Bezug auf ihre Hündin "G." an.

Unter dem 28. August 2020 erklärte die Klägerin über ihren Rechtsbeistand im Wesentlichen, der Beißvorfall habe auf ihrem Grundstück und nicht im Bereich der angrenzenden Straße stattgefunden. Der Führer der Hunde "H." und "I." habe sich zum fraglichen Zeitpunkt noch hinter dem Zaun im Straßenbereich befunden, sodass er den Vorfall selbst gar nicht habe wahrnehmen können, denn seine Hunde hätten sich an einer langgezogenen Flexleine befunden und seien ohne ihn um die Ecke auf das klägerische Grundstück abgebogen. Dass am 7. Februar 2020 die nicht an dem Vorfall beteiligte Ehefrau des Hundeführers der Hunde "H." und "I." befragt worden sei, könne nicht weiterhelfen. Vielmehr sei es wünschenswert, den Vorfallablauf unter Vorlage der Lichtbilder der Örtlichkeit direkt bei dem am Vorfall beteiligten Hundeführer abzufragen. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass "G." bereits - wie schon einmal angemerkt - von der Hündin "H." im M. gebissen worden sei. Es sei somit bereits das zweite Mal gewesen, dass die Hündin "H." auf die Hündin "G." losgegangen sei und zugebissen habe. Dass die Hündin "H." nicht überprüft werde, sei nicht nachzuvollziehen. Ferner sei bisher lediglich einseitig ermittelt worden. Es habe zwar eine unangekündigte Überprüfung der Hunde "H." und "I." stattgefunden. Diese habe jedoch lediglich im Haus stattgefunden. Ferner sei überhaupt nicht die Frage gestellt worden, ob es in der Vergangenheit bereits zu Beißvorfällen oder Angriffen gekommen sei, die von "H." oder "I." ausgegangen seien. Aus eigener anwaltlicher Vorbefassung wisse sie, dass der Hund "H." aggressiv sei. Ferner sei die Begutachtung vom 7. Februar 2020 nicht repräsentativ, da die Klägerin seinerzeit selbst sehr angespannt gewesen sei, was sich natürlich auf den Hund übertragen habe.

Mit Bescheid vom 8. September 2020 stellte der Beklagte gegenüber der Klägerin die Gefährlichkeit der von ihr gehaltenen Hündin "G." (Rasse: Presa Canario, geb. 3.2.2016) gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG fest. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, die Hündin "G." habe nachweislich bei einem Beißvorfall am 1. Januar 2020 einen Hund erheblich verletzt. Die Hündin der Klägerin sei nicht angeleint gewesen, sodass sie sich auf den angeleinten Hund, der sich ihrer Grundstückseinfahrt genähert habe, gestürzt habe. Soweit die Klägerin behauptet habe, ihre Hündin habe ebenfalls eine Verletzung davongetragen, sei dies nicht belegt worden. Ferner habe sich die Klägerin bei der Begutachtung wenig einsichtig über das Fehlverhalten ihrer Hündin gezeigt. Darüber hinaus habe die Begutachtung durch Frau Dr. N. vom 27. Februar 2020 - die berechtigt sei, Wesenstests nach dem Niedersächsischen Hundegesetz abzunehmen - ergeben, dass von "G." durchaus eine Gefahr für andere Hunde ausgehe insbesondere, wenn sie von anderen Hunden provoziert werde. Dann sei die Hündin "G." aufgrund ihrer Körperkraft und ihres Gewichts nicht mehr sicher kontrollierbar. Auch wenn sich die Attacke auf dem eigenen Grundstück der Klägerin, wie diese behauptet, zugetragen hätte, würde dies zu keiner abweichenden Bewertung führen. Von der Hündin "G." gehe eine gesteigerte Aggressivität gegenüber anderen Hunden aus, da sie bei der Beißattacke eine über das natürliche Maß hinausgehende Angriffslust und Schärfe gezeigt habe. Der Umfang der Bissverletzungen mit sechs Einbissen belege diese Einschätzung. Durch den Beißvorfall sei die öffentliche Sicherheit massiv gefährdet worden. Somit lägen Tatsachen vor, die den Verdacht rechtfertigten, dass von der Hündin der Klägerin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 2 NHundG ausgehe.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin form- und fristgerecht Klage erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, bei dem Verhalten der Hündin "G." habe es sich um ein sogenanntes "eindeutig artgerechtes Abwehrverhalten" gehandelt. Dabei sei zu berücksichtigen, dass ihre Hündin auf ihrem "eigenen" Grundstück aggressiv angegangen worden sei. Ferner sei zu berücksichtigen, dass ihre Hündin keinerlei aggressive Tendenzen aufweise. Dies belege der absolvierte Wesenstest vom 3. Dezember 2020 sowie das durch sie beauftragte Gutachten des Herrn P.. Demgegenüber sei die Einschätzung der Frau Dr. N. nicht aussagekräftig, da ihre Hündin lediglich auf das aggressive Verhalten eines anderen Hundes reagiert und nicht selbst damit begonnen habe. Der Vorfall vom 1. Januar 2020 sei der erste Vorfall der Hündin "G.". Die Hündin sei ein netter und freundlicher Hund. Sie und ihre Hündin seien ein sehr gutes Team. Ferner stehe der Behörde ein Ermessensspielraum bezüglich der Gefährlichkeitsfeststellung zu. Dieses Ermessen sei falsch ausgeübt worden.

In der am 27. Oktober 2021 vor dem Verwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung hat dieses Beweis erhoben durch Einholung einer schriftlichen Aussage der Tierärztin Dr. K. vom 20. Februar 2022, Vernehmung des Ehemanns der Klägerin - Herr Q. - sowie des Herrn R. als Zeugen und informatorische Anhörung der Klägerin. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschriften vom 27. Oktober 2021 sowie vom 25. Februar 2022 verwiesen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 8. September 2020 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat dies im Wesentlichen damit begründet, der verfahrensgegenständliche Beißvorfall sei nicht der erste gewesen, an dem die Hündin "G." beteiligt gewesen sei. So habe es im Jahr 2017 schon einmal einen Beißvorfall gegeben. Ferner sei der Wesenstest kein Nachweis für die Ungefährlichkeit eines Hundes, sondern lediglich ein Beleg, dass der gefährliche Hund überhaupt weiter gehalten werden dürfe.

Mit Urteil vom 25. Februar 2022 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Beklagten vom 8. September 2020 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Bescheid sei rechtswidrig, da die Feststellung der Gefährlichkeit der Hündin "G." gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG zu Unrecht erfolgt sei. Es liege eine Ausnahme von der gesetzlichen Regelannahme der Gefährlichkeit eines beißenden Hundes in Form eines sogenannten eindeutig artgerechten Abwehrverhaltens vor. Dies stehe aufgrund der Befragung der Zeugen R. und Q. und der informatorischen ergänzenden Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2022 zur Überzeugung der Einzelrichterin fest. Danach ergebe sich ein feststehender Ablauf der Geschehnisse, wonach die Hündin "H." zusammen mit dem anderen Hund "I." auf das Grundstück der Klägerin bellend eingebogen sei und sodann angesetzt habe, in den Kofferraum des Fahrzeugs der Klägerin zu springen, in dem bereits die zu dem Zeitpunkt noch angeleinte Hündin "G." gesessen habe. So sei die Hündin "G." in eine Verteidigungssituation auf ihrem eigenen "Territorium" geraten. Die Situation sei davon gekennzeichnet gewesen, dass die Hündin "G." zum einen an kurzer Leine und zum anderen im engen Kofferraum gewesen sei und schließlich die aggressiv bellende Hündin "H." bereits gedroht habe, in den Kofferraum zu steigen. Damit habe sich die Hündin "G." in einer außerordentlichen Notwehrsituation befunden, aus der sie sich lediglich mit einem Gegenangriff habe befreien können. In dieser Situation sei ausnahmsweise das Beißen der Hündin "H." ein offensichtlich artgerechtes Abwehrverhalten. Auch wenn Bellen allein kein Angriff sei, auf den der angebellte Hund mit Beißen reagieren dürfe, rechtfertigten die besonderen Umstände der unausweichlichen Situation hier eine andere Bewertung. Der Verdacht der Gefährlichkeit der Hündin "G." sei damit ausgeräumt, ohne dass es auf die späteren tierärztlichen Untersuchungen, die der Beklagte veranlasst habe, ankomme.

Auf den Antrag des Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 17. November 2022 - 11 LA 112/22 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen ernstlicher Zweifel an dessen Richtigkeit nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

In seiner fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung führt der Beklagte im Wesentlichen aus, entgegen der erstinstanzlichen Auffassung habe die Hündin "G." am 1. Januar 2020 kein sogenanntes artgerechtes Abwehrverhalten gezeigt. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Fallgestaltung wäre ein eindeutig artgerechtes Abwehrverhalten anzunehmen gewesen, wenn die Hündin "G.", aufgrund des Eindringens in ihr Territorium, die Hündin "H." gezwungen hätte, sich ihr zu unterwerfen, verbunden mit Knurren, Bellen oder auch ein Schnappen, selbst wenn es dabei zu leichten oberflächlichen Verletzungen gekommen wäre. Das hier gegebene Verletzungsbild von anhand der Tierarztrechnung und der Fotos eindeutig belegten sechs Bissverletzungen an vier verschiedenen Stellen, darunter in den Bauch als einer besonders verletzlichen Körperregion, könne darunter nicht mehr gefasst werden. Die Bissverletzungen zeugten von einer erhöhten Beißkraft, einem Halten und eventuell Schütteln oder Reißen an den jeweiligen Einbissbereichen (Intensitätsstufen 5/6 nach DEHASSE). Insoweit verweist der Beklagte auf die Ergebnisse des amtsärztlichen Gutachtens seines Fachbereichs Veterinärwesen und Verbraucherschutz, Dr. S. und Dr. T., vom 28. April 2022. Ohne eine tierärztliche Versorgung wären die Bisse für die Hündin "H." lebensgefährlich gewesen. Selbst wenn man davon ausginge, dass sich die Hündin "G." noch im Kofferraum befunden habe, könne kein artgerechtes Abwehrverhalten mehr angenommen werden. Im Vergleich zum Grad der Bedrohung habe die Hündin "G." unverhältnismäßig massiv reagiert. Es liege ein unangemessenes Aggressionsverhalten vor. Der Beklagte verweist zur Begründung des Weiteren auf die von ihm eingereichte Einschätzung der Tierärztin Dr. U. vom 28. November 2022. Ferner dürfe die Intensität der Bisse bei der Gefährlichkeitsbewertung nicht außer Acht gelassen werden. Dies gelte auch für die im vorliegenden Fall gegebene Häufigkeit der Bisse.

Der Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Göttingen - Einzelrichterin der 1. Kammer - vom 25. Februar 2022 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert auf das Berufungsvorbringen des Beklagten, es liege - wie bereits erstinstanzlich festgestellt - ein eindeutig artgerechtes Abwehrverhalten vor. Die Hündin "G." habe sich in einer außergewöhnlichen Situation befunden. Die Hunde "H." und "I." seien bereits bellend auf ihr Grundstück gelaufen. Gleichwohl sei ihre Hündin "G." im Kofferraum geblieben, bis die Hündin "H." sich mit ihren Vorderpfoten bereits im Kofferraum befunden habe. Es sei zu berücksichtigen, dass sich ihre Hündin einem unmittelbaren Angriff der Hündin "H." ausgesetzt gesehen und sich noch ein weiterer Hund im Hintergrund aufgehalten habe. Ihre Hündin "G.", die sich mit ihrem Rücken zu den Rücksitzen des Autos befunden habe, sei in einer besonderen Bedrohungssituation gewesen und habe keine Ausweich- bzw. Fluchtmöglichkeit gehabt, so dass der eigene Angriff die einzige Verteidigungsmöglichkeit gewesen sei. Ferner sei zu vermuten, dass ihre Hündin "G." vor den Bissen Drohgebärden gezeigt habe, die von den nahenden Hunden vermutlich ignoriert worden seien. Ihre Hündin "G." habe sich in einer außergewöhnlichen Notwehrsituation befunden. Es sei keine alternative und gleichermaßen geeignete Verteidigungsmöglichkeit denkbar. Ferner sei bei der Beurteilung der Verletzungsmale neben der erheblichen Bedrohungssituation zu berücksichtigen, dass bei einem Biss in der Regel vier Abdrücke, wegen der vier Fangzähne in dem Maul eines Hundes, entstünden. Die Bissverletzungen am Bein der Hündin "H." zeugten mithin lediglich von einem Beißvorgang. Die Verletzungen im Rücken- und Bauchbereich stammten ebenfalls nur von einem Biss. Insgesamt lägen lediglich zwei Beißvorgänge vor, weil der erste Biss vermutlich bereits erfolgt sei, als die Hündin "H." ihre Vorderpfoten bereits im Kofferraum platziert habe. In Anbetracht der erheblichen Bedrohungssituation habe von einer großen Hündin wie "G." nicht erwartet werden können, lediglich Bagatellverletzungen hervorzurufen; eine Abwehrreaktion der Stufe 5 laut DEHASSE sei angemessen gewesen. Anzunehmen, die Hündin "G." habe gezielt in besonders verletzliche Körperregionen gebissen, sei weit hergeholt. Ferner seien die Reißverletzungen der Wunden vermutlich darauf zurückzuführen, dass sie - die Klägerin - die Hündin "G." an der Leine versucht habe, von dem anderen Hund wegzureißen. Ganz offensichtlich habe sich der auf der Seite liegende Hund nicht unterworfen, sondern ihre Hündin am Kopf verletzt. Denn auch ihre Hündin habe leichte Verletzungen am Kopf davongetragen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Tierarztrechnung lediglich Kosten i.H.v. 522,24 EUR ausgewiesen habe. Zudem habe das Gutachten des Herrn P. ergeben, dass zwischen der Klägerin und ihrer Hündin "G." eine gute Hund-Halter-Beziehung bestehe. Ferner dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass ihre Hündin "G." durch die Hündin "H." bereits einmal im V. gebissen worden sei. Zudem habe die Hündin "H." im Jahr 2011 einen Schäferhundmischling schwer verletzt. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Hündin "H." beim Weggehen überhaupt nicht gehumpelt habe. Ferner erklärt die Klägerin, die Ungefährlichkeit ihrer Hündin "G." sei bereits durch den bestandenen Wesenstest erwiesen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass sich ihre Hündin einer erheblichen Bedrohungssituation ausgesetzt gesehen habe, was auch ein intensiveres Abwehrverhalten rechtfertige. Schließlich sei ihr Hund groß, sodass Bisse naturgemäß zu größeren Verletzungen führten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Beiakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten, über die mit Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 125 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hätte der Klage der Klägerin nicht stattgeben dürfen. Die Klage der Klägerin ist nicht begründet. Der streitgegenständliche Bescheid vom 8. September 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Die seitens des Beklagten vorgenommene Feststellung der Gefährlichkeit der Hündin "G." ist rechtmäßig. Sie findet ihre Grundlage in § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG.

a) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NHundG hat die Fachbehörde, wenn sie einen Hinweis darauf erhält, dass ein Hund, der von einer Hundehalterin oder einem Hundehalter nach § 1 Abs. 2 NHundG gehalten wird, eine gesteigerte Aggressivität aufweist, insbesondere Menschen oder Tiere gebissen oder sonst eine über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust oder Schärfe gezeigt hat, den Hinweis zu prüfen. Ergibt die Prüfung nach Satz 1 Tatsachen, die den Verdacht rechtfertigen, dass von dem Hund eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht (sog. Gefahrenverdacht), so stellt die Fachbehörde fest, dass der Hund gefährlich ist (§ 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG). In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass der Verdacht einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG grundsätzlich bereits dann angenommen werden kann, wenn der betroffene Hund einen Menschen gebissen oder ein anderes Tier nicht nur ganz geringfügig verletzt hat (st. Senatsrechtsprechung, s. etwa Senatsbeschl. v. 3.7.2023 - 11 LA 110/23 - juris Rn. 11 u. v. 30.6.2015 - 11 LA 250/14 - juris Rn. 5, jew. m.w.N.).

Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Hund "G." einen anderen Hund - hier die Hündin "H."- gebissen und ihr dabei erhebliche Verletzungen beigebracht hat. Namentlich ist der Senat davon überzeugt, dass die Hündin "G." der Hündin "H." die unter Bl. 24 Beiakte 001 ersichtlichen Verletzungen zugefügt hat, mithin drei Bissverletzungen am Vorderbein, eine längliche Bissverletzung am Rücken, eine längliche Bissverletzung am Bauch und eine längliche Bissverletzung am Oberschenkel. So ist von dem Zeugen Q. in der fortgesetzten mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2022 sowie von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2021 übereinstimmend erklärt worden, der Hund "G." habe den Hund "H." auf deren Seite gedrückt, was zwanglos mit dem unter Bl. 24 Beiakte 001 ersichtlichen Verletzungsbild sowie den Aufzeichnungen der behandelnden Tierärztin Dr. K. in Einklang zu bringen ist. Bei Inaugenscheinnahme von Bl. 24 Beiakte 001 wird ersichtlich, dass sich sämtliche Verletzungen der Hündin "H." auf deren rechter Körperseite befinden. Und auch die behandelnde Tierärztin Frau Dr. K. berichtete in ihrer Stellungnahme vom 20. Februar 2022 ausschließlich von rechtsseitigen Verletzungen (drei Einbissverletzungen am rechten Vorderbein, eine Einbissverletzung rechts seitlich am Rücken und eine Bisswunde rechts seitlich am Bauch). Soweit der Zeuge Q. erklärt hat, die Hündin "H." habe letztlich auf ihrer linken Seite gelegen, wohingegen die Klägerin berichtet hat, die Hündin sei auf der rechten Seite zum Liegen gekommen, ist diese Abweichung als unschädlich zu bewerten, da die Einordnung und Bezeichnung der Körperseiten eines Hundes (hier: rechts oder links) naturgemäß davon abhängt, ob die Seiteneinordnung aus der Vorder- oder Rückansicht des Tieres beurteilt wird. Dies mag hier von dem Zeugen Q. anders als von der Klägerin angegangen worden sein. Jedenfalls aber haben der Zeuge Q. und die Klägerin übereinstimmend berichtet, der Hund "H." habe letztlich auf der Seite gelegen, was insoweit zum Verletzungsbild passt, denn danach sind - wie bereits ausgeführt - sämtliche Verletzungen auf einer Seite der Hündin "H." vorzufinden gewesen. Vor diesem Hintergrund geht der Senat mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass - anders als die Klägerin teilweise behauptet hat - nicht der Hund "I." dem Hund "H." die Verletzungen zugefügt hat, sondern die Hündin der Klägerin "G.". Unter Berücksichtigung der Aussage der erstinstanzlich vernommenen Zeugen R. sowie Q., der Inaugenscheinnahme der Lichtbilder von den Verletzungen der Hündin "G." sowie den Angaben der Klägerin persönlich, kann nicht angenommen werden, dass der Hund "I." die Hündin "H." überhaupt gebissen hat, geschweige denn, ihr die unter Bl. 24 Beiakte 001 ersichtlichen Verletzungen zugefügt hat. Weder die vernommenen Zeugen noch die Klägerin persönlich haben im zeitlichen Zusammenhang des Vorfalls vom 1. Januar 2020 ein Verhalten des Hundes "I." beschrieben, das nahelegen könnte, der Hund "I." habe der Hündin "H." die unter Bl. 24 Beiakte 001 ersichtlichen Verletzungen beigebracht. Soweit der Zeuge Q. in der fortgesetzten mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2022 berichtet hat, er habe beobachtet, wie die Hunde "H." und "I." miteinander gekämpft und gerauft hätten, kann daraus nicht geschlossen werden, dass es auch zu einem Biss bzw. Bissen gekommen ist. Auch die Klägerin hat in der fortgesetzten mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2021 erklärt, keine Kenntnis über die Handlungen des Hundes "I." zu haben, da das Geschehen insgesamt zu schnell vonstattengegangen sei. Folglich hat die Beweisaufnahme zu keinen Tatsachenfeststellungen führen können, die die Vermutung der Klägerin, die Bissverletzungen der Hündin "H." könnten von dem Hund "I." stammen, stützen könnten. Dass die Hündin "H.", als sie bereits durch die Hündin "G." zu Boden gebracht wurde, ebenfalls durch den Hund "I." attackiert und gebissen worden sein soll, wurde weder von dem Zeugen Q. noch von der Klägerin berichtet. Vielmehr hat der Zeuge Q. erklärt, dass der Hund "I." jedenfalls nicht mehr beteiligt gewesen sei, als der Hund "H." bereits am Boden gelegen habe. Ein Szenario, wonach der Hund "I." der Hündin "H." die unter Bl. 24 Beiakte 001 ersichtlichen - erheblichen - Verletzungen beigebracht haben soll, bevor die Hündin "G." die Hündin "H." zu Boden brachte, erachtet der Senat als abwegig.

Folglich steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Hündin "G." einen anderen Hund - hier den Hund "H." - gebissen und ihr die unter Bl. 24 Beiakte 001 ersichtlichen Verletzungen zugefügt hat, was, nach der bereits ausgeführten Senatsrechtsprechung, die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG für die Feststellung der Gefährlichkeit der Hündin "G." grundsätzlich bereits erfüllt.

b) In der Rechtsprechung des Senats ist ferner anerkannt, dass Ausnahmen von diesem Grundsatz einer besonderen Begründung bedürfen (Senatsbeschl. v. 18.1.2012 - 11 ME 423/11 - juris Rn. 7, 9 u. v. 26.8.2019 - 11 ME 250/19 - V.n.b.). Ziel des § 7 NHundG ist eine Vorsorge gegen möglicherweise erst drohende Schäden. Nach der § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und Alt. 2 NHundG zu entnehmenden und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Wertung des Gesetzgebers wird grundsätzlich bereits die Bissigkeit eines Hundes als Regelbeispiel eines nicht mehr artgerechten Verhaltens eines als gewöhnliches (Haus-)Tier gehaltenen Hundes und damit als Gefahr für die öffentliche Sicherheit eingestuft. Damit bedarf - wie erwähnt - nicht diese Annahme, sondern bedürfen Ausnahmen von diesem Grundsatz besonderer Begründung (Senatsbeschl. v. 18.1.2012 - 11 ME 423/11 - juris Rn. 7 u. v. 26.8.2019 - 11 ME 250/19 - V.n.b.). Derartige Ausnahmen kommen zum Beispiel bei einem erlaubten Beißen im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs eines Dienst-, Wach- oder Jagdhundes, bei der Verletzung eines anderen (Haus-)Tieres durch ein eindeutig artgerechtes Abwehrverhalten oder ggf. auch beim Beißen bzw. Töten von Mäusen oder Insekten in Betracht (vgl. dazu bereits die Begründung des Gesetzentwurfes zum NHundG a.F., LT-Drs. 14/3715, S. 10). Da es sich insoweit um Ausnahmefälle von dem oben beschriebenen Grundsatz handelt, sind diese nur unter engen Voraussetzungen anzunehmen (vgl. dazu auch OVG SA, Beschl. v. 3.7.2018 - 3 M 252/18 - juris Rn. 10, v. 9.7.2020 - 3 M 46/20 - juris Rn. 14 u. v. 23.3.2023 - 3 L 109/22.Z - juris Rn. 16, m.w.N.).

Ein solcher Ausnahmefall kann hier nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht angenommen werden. Für die Annahme eines sogenannten "eindeutig artgerechten Abwehrverhaltens" ergeben sich aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens keine zureichenden Tatsachen, sodass es bei der durch den Biss der Hündin "G." am 1. Januar 2020 ausgelösten Regelvermutung der Gefährlichkeit der Hündin i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG bleibt.

aa) Bei der Beurteilung der Frage, ob hinsichtlich eines Hundes der Verdacht einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit angenommen werden kann, was im vorliegenden Fall die Frage mit einschließt, ob der Hund ein sogenanntes "eindeutig artgerechtes Abwehrverhalten" gezeigt hat, ist allein der Vorfall, der zu dem Hinweis gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 NHundG geführt hat, in den Blick zu nehmen. Dies ist vorliegend der Vorfall, der sich am 1. Januar 2020 gegen ca. 14:30 Uhr im Bereich der klägerischen Wohnanschrift zwischen den Hunden "G.", "H." und "I." zugetragen hat. Dass bei der Gefährlichkeitsbeurteilung auf die konkrete Situation abzustellen ist, die zu dem Hinweis gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 NHundG geführt hat, ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut, wonach der Prüfung nach § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG die Tatsachen zugrunde zu legen sind, welche eine nach § 7 Abs. 1 Satz 1 NHundG durchzuführende Prüfung ergeben haben. § 7 Abs. 1 Satz 1 NHundG verpflichtet die Behörde, einen Hinweis zu überprüfen, der darauf hindeutet, dass ein Hund eine gesteigerte Aggressivität aufweist, insbesondere Menschen und Tiere gebissen hat oder sonst über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft oder Schärfe gezeigt hat. Dieser Wortlaut impliziert, dass sich die Behörde bei ihrer Prüfung auf den, dem konkreten Vorfall zu Grunde liegenden Sachverhalt, der zum Hinweis geführt hat, zu konzentrieren hat. In diesem Rahmen obliegt es der zuständigen Behörde, die gesamten Umstände des Vorfalles aufzuklären und hierbei sowohl belastende als auch entlastende Gesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 3.3.2015 - 11 LA 172/14 - juris Rn. 11 u. v. 30.6.2015 - 11 LA 250/14 - juris Rn. 6).

Demzufolge sind sämtliche - wenn auch fachkundig erfolgten - Bewertungen von dem Verhalten des zu überprüfenden Hundes, welches dieser Hund vor oder nach dem gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 NHundG zu prüfenden Vorfall gezeigt hat, außer Betracht zu lassen. Auf den vorliegenden Fall übertragen bedeutet dies, dass die Ergebnisse des Überprüfungstermins vom 7. Februar 2020 durch das Veterinäramt des Beklagten, die Ergebnisse der Überprüfung durch die Tierärztin Frau Dr. N. vom 27. Februar 2020, die Ergebnisse des Gutachtens des P. - Sachverständiger des VDH - vom 5. Dezember 2020, die amtstierärztlichen Stellungnahmen vom 11. Mai 2020/28. April 2022 sowie das Gutachten der Tierärztin Frau Dr. U. vom 28. November 2022, soweit sie auf Wahrnehmungen des Verhaltens der Hündin "G." fußen, die die Hündin im Vorfeld oder im Anschluss des zu bewertenden Vorfalls gezeigt hat, unbeachtlich sind. Ebenfalls unbeachtlich ist demzufolge, ob der betreffende Hund in der Vergangenheit bereits einen Hund gebissen hat oder von einem anderen Hund gebissen wurde.

Auch ein absolvierter Wesenstest hat bei der Beurteilung der Gefährlichkeit eines Hundes i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG außer Betracht zu bleiben. Der Wesenstest gemäß § 13 NHundG ist gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 NHundG der Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes zeitlich nachgelagert und stellt eine Voraussetzung für die Erlaubnis zum Halten des bereits als gefährlich eingestuften Hundes dar, ist mithin nicht bereits Gegenstand der näheren Überprüfung des Sachverhalts nach § 7 Abs. 1 Satz 1 NHundG, die zu der Feststellung der Gefährlichkeit führen kann (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 3.3.2015 - 11 LA 172/14 - juris Rn. 11 u. v. 30.6.2015 - 11 LA 250/14 - juris Rn. 6). Daraus, dass schon bei einem bloßen Verdacht der Gefährlichkeit der betreffende Hund wie ein tatsächlich gefährlicher Hund zu behandeln ist, ergibt sich weiter, dass die aufgrund eines zu Recht angenommenen Gefahrenverdachts erfolgte Feststellung der Gefährlichkeit nicht nachträglich dadurch in Frage gestellt werden kann, dass sich etwa bei einem später durchgeführten Wesenstest keine tatsächlichen Hinweise auf eine gesteigerte Aggressivität des Hundes ergeben. Dem ist nicht auf der Tatbestandsseite, d.h. durch höhere Anforderungen an die Feststellung der Gefährlichkeit, sondern auf der Rechtsfolgenseite, d.h. bei den in § 14 NHundG geregelten Einschränkungen für das Führen eines gefährlichen Hundes, Rechnung zu tragen (Senatsbeschl. v.18.1.2012 - 11 ME 423/11 - juris Rn. 8 und Beschl. v.12.5.2005 - 11 ME 92/05 - juris Rn. 15). Denn durch die Neuregelungen des Niedersächsischen Hundegesetzes sollte nicht der Eindruck entstehen, dass durch einen freiwillig vorgezogenen Wesenstest die Feststellung der Gefährlichkeit verhindert werden könne (vgl. den Schriftlichen Bericht, LT-Drs. 16/3666, S. 4 f.). Stattdessen ist im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich unter Verweis auf den o.g. Beschluss des Senats vom 12. Mai 2005 (mit § 14 Abs. 3 Satz 2 NHundG) "ergänzend die Möglichkeit geschaffen worden, vom Leinenzwang ganz oder teilweise abzusehen, insbesondere wenn der Wesenstest keinerlei Hinweise auf eine tatsächliche Gefährlichkeit des Hundes ergibt" (Schriftlicher Bericht, LT-Drs. 16/3666, S. 7 - vgl. Senatsbeschl. v. 3.7.2023 - 11 LA 110/22 - juris Rn. 12, m.w.N.).

Folglich beschränkt sich die Prüfung, ob die Hündin "G." als gefährlich i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG einzustufen ist, was im vorliegenden Fall die Klärung der Frage beinhaltet, ob von einem sogenannten "eindeutig artgerechten Abwehrverhalten" auszugehen ist, auf die Analyse des Vorfalls vom 1. Januar 2020. Die diesbezügliche Rechtsanwendung der Behörden unterliegt dabei der vollen gerichtlichen Nachprüfung (vgl. zum NHundG als Spezialgesetz der Gefahrenabwehr im Landesrecht einerseits: Saipa, in: Saipa u.a., Kommentar NPOG/NHundG, Kommentar zum Niedersächsischen Gesetz über das Halten von Hunden, Stand: 29.11.2022, § 1 Rn. 4 und zur vollen gerichtlichen Überprüfung im Bereich des Gefahrenabwehrrechts andererseits etwa: BVerfG, Beschl. v. 20.4.2017 - 2 BvR 1754/14 - juris Rn. 46; Senatsurt. v. 10.10.2019 - 11 LB 108/18 - juris Rn. 34; Ullrich, in: Möstl/Weiner, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Niedersachsen, Stand 1.11.2023, § 2 Rn. 60, jew. m.w.N.). Soweit die Ausführungen des Senats aus älteren Entscheidungen, bei einem Amtstierarzt handele es sich um eine sachverständige Person, die grundsätzlich über die nötige Fachkompetenz verfüge, um zu beurteilen, ob von dem betreffenden Hund eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe (vgl. Senatsbeschl. v. 25.1.2013 - 11 PA 294/12 - juris Rn. 6 sowie v. 20.8.2014 - 11 LA 62/14 - V.n.b., v. 15.4.2010 - 11 ME 82/10 - V.n.b. sowie v. 13.8.2009 - 11 ME 287/09 - juris Rn. 6), dahin verstanden werden könnten, den Amtstierärzten obliege die vorrangige Beurteilungskompetenz, ob von dem betreffenden Hund der Verdacht einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe, hält der Senat daran nicht fest.

Auch hinsichtlich der Frage, ob ein eindeutig artgerechtes Abwehrverhalten anzunehmen ist, ist der Behörde ein Beurteilungsspielraum nicht eingeräumt. Die ausnahmsweise Zubilligung eines Beurteilungsspielraums bedarf mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG einer besonderen Rechtfertigung (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 28.6.1983 - 2 BvR 539/80 - juris Rn. 45). Eine solche ist hier nicht ersichtlich. Soweit das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt dieses für das dortige Landesrecht anders sieht (vgl. OVG SA, Beschl. v. 3.7.2018 - 3 M 252/18 - juris Rn. 9), beruht diese Auslegung allein auf den zum Landesrecht angeführten Gesetzesbegründungen. Diese haben für das hier maßgebliche niedersächsische Landesrecht keine Relevanz.

bb) Dies berücksichtigend hat die Behörde im Ergebnis zutreffend das Vorliegen des Ausnahmefalles eines sogenannten "eindeutig artgerechten Abwehrverhaltens" der Hündin "G." am 1. Januar 2020 abgelehnt.

Dabei darf sich die Behörde bei ihrer Prüfung, ob von einem sogenannten "eindeutig artgerechten Abwehrverhalten" auszugehen ist, eigenen Sachverstandes, etwa durch die amtliche Tierärztin/den amtlichen Tierarzt, oder auch externen Sachverstandes (Bspw. Fachtierarzt, Fachverbände für Hundewesen, Tierärztliche Hochschule u.s.w.) bedienen (vgl. Saipa, in: Saipa u.a., Kommentar NPOG/NHundG, Stand: 29.11.2022, § 7 Rn. 3).

Anhand der nachvollziehbaren und im Ergebnis übereinstimmenden - den Vorfall vom 1. Januar 2020 betreffenden - Einschätzungen der Amtstierärztin Frau W. (geb. O.) vom 7. Februar 2020, der Amtstierärzte Dr. S. und Dr. T. vom 28. April 2022 sowie der Tierärztin mit eigener verhaltensmedizinischer Praxis Dr. U. vom 28. November 2022, kann ein sogenanntes "eindeutig artgerechtes Abwehrverhalten" der Hündin "G." nach eigener Würdigung des Senats nicht mehr angenommen werden. Insbesondere stand es dem Senat gemäß § 128 Satz 2 VwGO offen, auch die erst im Berufungszulassungsverfahren beigebrachte amtstierärztliche Stellungnahme vom 24. April 2022 in die eigene Würdigung im Berufungsverfahren mit einzubeziehen.

So ist in der Stellungnahme der Amtstierärztin W. (geb. O.) vom 11. Mai 2020, hinsichtlich des Vorfalls vom 1. Januar 2020, ausgeführt, aufgrund der Erheblichkeit der zugefügten Verletzungen könne das von der Hündin "G." gezeigte Beißverhalten nicht als artgerechtes Abwehrverhalten bezeichnet werden. In der weiteren Stellungnahme der Amtstierärzte Dr. S. und Dr. T. vom 28. April 2022 wurde in Bezug auf den Vorfall vom 1. Januar 2020 ausgeführt, die von der Hündin "G." verursachten mehrfachen Verletzungen bedeuteten, dass die Hündin sechsfach an verschiedenen Stellen des Körpers nachgefasst und tief in das Gewebe eingebissen habe. Ein artgerechtes Abwehrverhalten zeige sich in derartigen Situationen durch Knurren, Bellen, sowie Unterwerfen des gegnerischen Hundes oder auch ein Schnappen in Richtung des Eindringlings. Dabei könne es auch zu leichten oberflächlichen Verletzungen kommen, die noch als arttypisch zu bewerten seien. Größere Bisswunden, wie solche, die die Hündin "G." dem Australian Shepherd zugefügt habe, entstünden jedoch nicht durch einfaches und kurzes Schnappen zur Abwehr, sondern bedürften der erhöhten Beißkraft sowie einem Halten und eventuellen Schütteln oder Reißen an den jeweiligen Einbissstellen. Die Hündin "G." habe zielgerichtet und mit gesteigertem Beißwillen agiert. Auch die hohe Anzahl der Einbissstellen sei nicht mehr als arttypisch tolerierbar und belege deshalb das gesteigerte Aggressionsverhalten der Hündin "G.". (...) Die Anzahl, der Umfang und die Tiefe der verursachten Verletzungen bei dem Australian Shepherd belegten zudem, dass das gezeigte Verhalten der Hündin "G." über ein akzeptables territoriales Abwehrverhalten von Hunden weit hinausgehe. Es handele sich deshalb vielmehr um eine übermäßig aggressive Reaktion der Hündin "G.", die nicht als artgerecht, sondern insgesamt als gesteigertes Aggressionsverhalten einzustufen sei.

Diesen nachvollziehbaren Ausführungen folgt der Senat nach eigener Würdigung.

Nach dem gesamten Inhalt des Verfahrens (§ 108 Abs. 1 VwGO) ist davon auszugehen, dass die Hündin "G." mehrfach zugebissen hat. Konkret hat die Hündin "H." insgesamt sechs Bissverletzungen davongetragen: Drei Bissverletzungen am Vorderbein, eine längliche Bissverletzung am Rücken, eine längliche Bissverletzung am Bauch und eine längliche Bissverletzung am Oberschenkel. Soweit die Klägerin vorträgt, anhand der Position der Bissverletzungen am Körper der Hündin "H." sowie der Position der Fangzähne im Maul eines Hundes, werde deutlich, dass die Hündin "G." lediglich zweimal zugebissen habe, widerspricht dies dem Ergebnis der amtstierärztlichen Stellungnahme vom 28. April 2022, wonach die Hündin "G." sechsfach an verschiedenen Stellen des Körpers nachgefasst und tief in das Gewebe eingebissen habe. Soweit - wie hier - Amtstierärzte hinsichtlich der zu beurteilenden Fragen über eine besondere Expertise verfügen, ist ihnen eine vorrangige Beurteilungskompetenz zuzugestehen (für die Beurteilung des Verhaltens von Hunden im Hinblick auf §§ 15 Abs. 2, 16 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG etwa: OVG BB, Beschl. v. 16.12.2011 - OVG 5 S 8.11. - juris Rn. 4; vgl. im Übrigen auch etwa OVG RP, Beschl. v. 9.2.2023 - 7 B 11142/22.OVG - juris Rn. 8 f.; zu §§ 15 Abs. 2, 16 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG selbst: BVerwG, Beschl. v. 2.4.2014 - 3 B 62/13 - juris Rn. 10; NdsOVG, Urt. v. 20.4.2016 - 11 LB 29/15 - juris Rn. 39; OVG SH, Beschl. v. 12.10.2021 - 4 MB 39/21 - juris Rn. 11; OVG BB, Beschl. v. 17.6.2013 - OVG 5 S 27.12 - juris Rn. 4; BayVGH, Urt. v. 30.1.2008 - 9 B 05.3146 - juris Rn. 29; Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, Kommentar, 4. Aufl. 2023, § 15 Rn. 5 ff. u. § 16 a Rn. 46). Dieser amtstierärztlichen Stellungnahme kann vorliegend auch gefolgt werden, da sie nachvollziehbar erscheint und ihr nicht substantiiert entgegengetreten wurde. So erscheint die amtstierärztliche Einschätzung nachvollziehbar, da sie auf der Basis einer zutreffenden Tatsachengrundlage erfolgte. Den begutachtenden Amtstierärzten standen, wie sie in ihrer Stellungnahme erläutern, die verfahrensgegenständlichen Lichtbilder sowie die Rechnung der behandelnden Tierärztin vom 15. Januar 2020 zur Verfügung, auf deren Basis eine Bewertung des Verletzungsbildes möglich ist. Die Amtstierärzte waren auf der Basis der abweichenden Wertung der Klägerin in dem Schriftsatz vom 10. Mai 2023 auch nicht nochmals zur Stellungnahme aufzufordern, da es sich bei der Einschätzung der Klägerin bereits nicht um eine fachkundige Beurteilung handelt und zudem davon auszugehen ist, dass die Amtstierärzte bei ihrer Bewertung bereits berücksichtigt haben, dass ein Hund in seinem Maul über Fangzähne verfügt. Dies kann von (Amts-)Tierärzten ohne Weiteres erwartet werden. Wenn dies hätte ernstlich in Zweifel gezogen werden wollen, wäre jedenfalls eine fachkundige - mithin ähnlich substantiierte - Gegenvorstellung erforderlich gewesen. Daran fehlt es hier. Aus diesem Grund war auch der Beweisanregung der Klägerin in Form der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht nachzugehen.

Zur Überzeugung des Senats, ist eine derart intensive Abwehrreaktion, wie die von der Hündin "G." gezeigte, zur Verteidigung des eigenen Territoriums nicht mehr angemessen. Selbst wenn man - wohlwollend - annähme, der erste Biss der Hündin "G." sei nicht lediglich zur Verteidigung des Territoriums erfolgt, sondern habe dem Schutz der eigenen körperlichen Unversehrtheit gedient, können jedenfalls die folgenden Bisse nicht mehr damit begründet werden, denn nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) konnte eine wesentliche Gegenwehr der Hündin "H." nicht festgestellt werden. Dass die Hündin "G." ebenfalls eine Bissverletzung davongetragen hat, kann nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ebenfalls nicht angenommen werden. Soweit der Zeuge Q. im Rahmen der Beweisaufnahme vom 25. Februar 2022 erklärt hat, seine Hündin "G." habe an der Nase geblutet, und die Klägerin erklärt hat, ihre Hündin "G." habe eine Verletzung am Kopf aufgewiesen, so gibt es hierfür keinen greifbaren Anhaltspunkt. Beides ist nicht dokumentiert worden, wenngleich die Klägerin bereits mit behördlichem Schreiben vom 13. Januar 2020 zur Stellungnahme aufgefordert wurde. Auch im Rahmen der ersten schriftlichen Stellungnahme der Klägerin vom 21. Januar 2020 erwähnte diese keine Verletzungen ihrer Hündin "G.". Eine entsprechende Darlegung beziehungsweise Dokumentation kann bei eindeutig in die Sphäre einer Partei fallenden Umständen - trotz des bestehenden Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß § 86 Abs. 1 VwGO - zwanglos im Sinne einer Mitwirkungspflicht gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwVfG verlangt werden (vgl. zu angenommener Darlegungslast trotz Amtsermittlungsgrundsatz: BVerwG, Urt. v. 11.9.2007 - 10 C 8/07 - juris Rn. 15 sowie OVG NW, Urt. v. 24.10.2022 - 11 A 4916/18 - juris Rn. 50 m.w.N.), zumal gerade die Ausnahme von dem durch den Biss ausgelösten Gefahrenverdacht einer besonderen Begründung bedarf (vgl. Senatsbeschl. v. 18.1.2012 - 11 ME 423/11 - juris Rn. 7). Auch im Rahmen des Überprüfungstermins des Veterinäramtes des Beklagten vom 7. Februar 2020 berichtete die Klägerin nicht von einer blutenden Nase ihrer Hündin "G.". Erst auf Nachfrage behauptete die Klägerin eine Verletzung der Hündin "G." am Kopf in Form von einer 1 mm großen Stelle, welche kein Fell mehr aufwies. Ob diese Verletzung überhaupt im Zusammenhang mit dem Zwischenfall vom 1. Januar 2020 steht, kann nach einem Monat schwerlich noch beurteilt werden. Anhaltspunkte für eine Bissverletzung bestehen insoweit nicht. Demzufolge kann jedenfalls bei den - dem ersten Biss der Hündin "G." folgenden - weiteren fünf Bissen nicht mehr davon ausgegangen werden, dass diese erfolgt sind, um die eigene körperliche Unversehrtheit zu schützen. Mangels eigener wesentlicher Verletzungen der Hündin "G." kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass die Hündin "H." nach dem ersten Biss überhaupt eine wesentliche Gegenwehr gezeigt hat. Letztlich erfolgte somit jedenfalls das mehrfache Beißen der Hündin "G." nicht mehr zur Verteidigung der eigenen körperlichen Unversehrtheit.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Einordnungen sieht sich der Senat schließlich bestätigt durch die ebenfalls nachvollziehbare Einschätzung der Tierärztin Frau Dr. U. mit eigener verhaltensmedizinischer Praxis. In ihrer Stellungnahme vom 28. November 2022 erklärte sie hinsichtlich des Vorfalls vom 1. Januar 2020 im Wesentlichen, sofern sich die Hündin "H." bellend der im PKW sitzenden Hündin "G." angenähert haben sollte, sei von einem artgerechten Abwehrverhalten der Hündin "G." auszugehen, da diese in einem beengten Raum aktiv bedroht worden sei. Die Hündin "G.", die im Pkw weder angeleint noch in einer Box gesichert gewesen sei, sei aus dem Kofferraum herausgesprungen und habe die Hündin "H." außerhalb des Pkw sechsmal verletzend gebissen. Das gezeigte Abwehrverhalten durch die Hündin "G.", in dessen Folge multiple tiefe Gewebeverletzungen bei der Hündin "H." verursacht worden seien, sei im Verhältnis zu dem Grad der Bedrohung (Bellen, Annäherung) als unverhältnismäßig massiv einzuordnen. Es sei somit durch die Schwere der Verletzungen von einem unangemessenen Aggressionsverhalten auszugehen. Auch sofern sich die Hündin "H." nicht innerhalb des Grundstücks und/oder in dem Kofferraum des Pkw der Hündin "G." angenähert haben sollte, sei bei der Hündin "G." im innerartlichen Kontakt ein unangemessenes aggressives Verhalten festzustellen. Auch bei einem solchen Verlauf habe die Hündin "G." ohne das Vorliegen einer massiv-aktiven Bedrohung durch die Hündin "H." mehrfach hochgradige Bissverletzung gegenüber dieser verursacht. Die Differenzialdiagnose "übersteigert aggressives Verhalten" könne abschließend nicht gestellt werden, da keine Aussagen/beobachten Drohungen des im Vorfeld des Angriffs gezeigten Drohverhaltens vorliege. Ein artgerechtes territoriales Abwehrverhalten (im Konflikt um die Ressourcen Territorium Grundstück oder Pkw) im Sinne einer angemessenen Abwehraggression könne aufgrund der Bisstiefe und der Häufigkeit der Bissverletzungen im Verhältnis zu den durch die Hündin "H." zugefügten Verletzungen ausgeschlossen werden.

2) Der zuständigen Behörde steht beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG auch kein Ermessen zu, sondern sie hat die Gefährlichkeit festzustellen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind (Senatsbeschl. v. 4.5.2020 - 11 ME 74/20 - u. v. 3.4.2024 - 11 LA 287/23 - V.n.b.). Raum für Ermessenserwägungen und damit eine Verhältnismäßigkeitsprüfung eröffnet die Regelung mithin - entgegen der anderslautenden Auffassung der Klägerin - nicht (vgl. dazu Saipa, in: Saipa u.a., Kommentar NPOG/NHundG, Stand: 29.11.2022, § 7 NHundG Rn. 4; VG Oldenburg, Beschl. v. 20.9.2013 - 7 B 5951/13 - juris Rn. 14).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.