Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 15.01.2010, Az.: VgK-74/2009

Nachprüfungsantrag i.R.e. Vergabeverfahrens bzgl. der Verwertung kommunalen Altpapiers aus einem Landkreis; Vorliegen eines ungewöhnlichen Wagnisses im Falle einer einseitigen Verlängerungsoption des Auftraggebers um ein Jahr; Vorliegen eines ungewöhnlichen Wagnisses im Falle der Möglichkeit einer einseitigen Vertragsauflösung durch den Auftraggeber mit einer Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Quartalsende; Rechtzeitigkeit der Rüge eines Antragsstellers im Falle der Bearbeitung von Vergabeverfahren durch eine Teilzeitkraft

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
15.01.2010
Aktenzeichen
VgK-74/2009
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 14173
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

Verwertung des kommunalen Altpapiers aus dem Landkreis xxxxxx

In dem Nachprüfungsverfahren ...
hat die Vergabekammer
durch
den Vorsitzenden MR Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOR'in Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn BD Weyer,
auf die mündliche Verhandlung vom 08.01.2010
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf xxxxxx EUR festgesetzt.

  4. 4.

    Die Antragstellerin hat dem Auftraggeber die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für den Auftraggeber notwendig.

Begründung

1

I.

Der Auftraggeber hatte mit EU-weiter Bekanntmachung vom xxxxxx.2009 die Verwertung des kommunalen Altpapiers aus ihrem Landkreis erneut im offenen Verfahren ausgeschrieben. Die Antragstellerin als Bieterin des wirtschaftlichsten Angebotes der ursprünglichen Ausschreibung, hatte sich kurz vor Aufnahme der vereinbarten Leistungen geweigert, die Dienstleistungen zu den vereinbarten Konditionen zu erbringen. Als Grund hatte sie erklärt, dass sie den Auftrag zu den vereinbarten Konditionen nicht mehr ausführen könne, da der Preis für Altpapier um ca. 85% zurückgegangen sei. Daraufhin hatte der Auftraggeber mit Schreiben vom 19.01.2009 den Vertrag fristlos gekündigt. Infolge dieses gescheiterten Vertragsverhältnisses ist zwischen dem Auftraggeber und der Antragstellerin auf die Klage des Auftraggebers hin ein Schadensersatzprozess vor dem Landgericht xxxxxx anhängig.

2

Auch der erneuten Bekanntmachung war zu entnehmen, dass die zu erbringende Leistung nicht in Lose aufgeteilt werden soll; Varianten/Alternativangebote waren nicht zulässig. Es wurden Nachweise zur Beurteilung der rechtlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit gefordert. Hinsichtlich der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes wurde auf die in den Verdingungs-/Ausschreibungsunterlagen genannten Zuschlagskriterien verwiesen. Genauere Angaben forderte der Auftraggeber unter Ziffer 2.15 "Angebotswertung und Zuschlagskriterien".

3

Ferner ist den Verdingungsunterlagen zu entnehmen, dass der Auftraggeber unter Ziffer 2.15.3 "Wirtschaftlichstes Angebot" festgelegt hat:

"Innerhalb des Kreises der geeigneten Bieter wird der Zuschlag auf das Haupt- oder Nebenangebot mit dem höchsten Verwertungserlös erteilt."

4

Aus den unter Ziffer 3.2 "Preisblatt" zu entnehmenden Einheiten ergibt sich, dass der Angebotspreis für die Tonne Altpapier für die Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr zu kalkulieren ist.

5

Der Auftraggeber wies die Bieter unter Ziffer 2.16 "PPK-Verwertungsvertrag" darauf hin, dass mit der Zuschlagserteilung der im Kapitel 5 niedergelegte Vertrag mit dem begünstigten Bieter zustande kommt. In § 9 "Laufzeit" dieses Vertrages ist in Abs. 2 geregelt, dass der Vertrag bis zum 31.12.2010 läuft. Wörtlich ist ferner festgelegt:

"Er verlängert sich automatisch, längstens aber bis zum 31.12.2011, sofern der Auftraggeber nicht kündigt. Der Auftraggeber ist berechtigt, zu jedem Quartalsende ab 31.12.2010 zu kündigen; er hält dabei eine Frist von 3 Monaten ein. Das Recht der außerordentlichen Kündigung bleibt unberührt."

6

Der Auftraggeber stellte der Antragstellerin mit Schreiben vom 05.10.2009, versandt am 07.10.2009, die Verdingungsunterlagen zur Verfügung.

7

Mit Schreiben vom 23.10.2009, versandt per Telefax am selben Tage, rügte die Antragstellerin die Forderung nach einem Festpreisangebot über ein Jahr. Aus ihrer Sicht stellt dies ein nicht kalkulierbares Risiko dar. Erschwerend komme ihrer Meinung nach hinzu, dass der Auftraggeber ein einseitiges Optionsrecht hat, den Vertrag um ein Jahr zu verlängern. Insoweit trage sie bei sinkenden Altpapierpreisen allein das Risiko der Papiervermarktung und den daraus anfallenden Verlust. Andererseits habe der Auftraggeber bei steigenden Papiererlösen im Optionsjahr quartalsweise das Kündigungsrecht. Aus ihrer Sicht läge hier eine sehr einseitige Verteilung der Risiken vor. Derzeit sei es fast unmöglich, einen Festpreis für Altpapier über 2 Jahre zu bilden.

8

Mit Schreiben vom 03.11.2009, versandt per Telefax am selben Tage, teilte der Auftraggeber der Antragstellerin mit, dass er der Rüge nicht abhelfe, da weder die vorgesehene Festpreisvereinbarung noch die Vertragsverlängerungsklausel ein unzumutbares Wagnis begründen. Die Antragstellerin erklärte mit Schreiben vom 06.11.2009 dem Auftraggeber, dass Abhilfe nicht geschaffen wurde und sie an ihrer Rüge festhalte. Sie forderte Abhilfe bis zum 10.11.2009 und erinnerte mit Telefax vom 16.11.2009 an ihre Abhilfeforderung.

9

Die Antragstellerin beantragte mit Schriftsatz vom 17.11.2009, eingegangen in der Vergabekammer am selben Tage, die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Sie ergänzt und vertieft ihren Vortrag in Bezug auf die bereits in dem Rügeschreiben gegenüber dem Auftraggeber monierte fehlende Preisanpassungsklausel und dem einseitigen Optionsrecht zu Gunsten des Auftraggebers.

10

Sie hält ihren Nachprüfungsantrag für zulässig, da sie den von ihr festgestellten Verstoß unverzüglich gerügt habe und den Nachprüfungsantrag innerhalb der Frist nach § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB gestellt habe. Sie habe die am 05.10.2009 versandten Ausschreibungsunterlagen am 09.10.2009 erhalten. Der zuständige Sachbearbeiter habe die Unterlagen zur Prüfung, Bearbeitung und Erstellung eines Angebotes am 12.10.2009 erhalten. Da ihm als Teilzeitkraft für die Bearbeitung von Ausschreibungen nur 10 Std./Woche zur Verfügung steht, habe er den Vorgang erst am 22.10.2009 bearbeiten können. Nach der konkreten Prüfung und Bearbeitung der Angebotsunterlagen sei dann am nächsten Tag das Rügeschreiben verfasst und versandt worden.

11

Ferner habe sie gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB in den Verdingungsunterlagen erkannte Verstöße gegen das Vergaberecht spätestens bis zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt. Daraus ergäbe sich, dass die von ihr innerhalb der Angebotsfrist gerügten Verstöße nicht präkludiert sind.

12

Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet, da ein Verstoß gegen § 8 Nr. 1 Abs. 2 und 3 VOL/A vorliegt. Die in § 9 des abzuschließenden PPK-Vertrages enthaltene Bedingung übertrage dem Bieter bzw. Auftragnehmer ein ungewöhnliches Wagnis für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er im Voraus nicht schätzen kann.

13

Auf den Altpapiermärkten habe es von November 2008 bis Anfang 2009 einen Preissturz von 90% gegeben. Zwar sei der Preis in den Folgemonaten wieder angestiegen, doch unterliege er noch immer Schwankungen und habe das Preisniveau von 2008 bei weitem nicht erreicht. Da eine Marktentwicklung für die Altpapierpreise nicht sicher abschätzbar sei und die Gefahr von erheblichen Schwankungen gegeben ist, bestehe bei der längerfristigen Bindung an einen Festpreis ein nicht unerhebliches kalkulatorisches Risiko.

14

Ein ungewöhnliches Wagnis sieht die Antragstellerin darin, dass dem Auftraggeber eine einseitige Verlängerungsoption um ein Jahr eingeräumt wird, verbunden mit der Möglichkeit den Vertrag einseitig mit einer Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Quartalsende aufzulösen. Eine Kompensation von möglichen Verlusten mit möglichen Gewinnen bei zwischenzeitlichen Preissteigerungen sei für den Auftragnehmer nicht möglich, da nur der Auftraggeber die ev. geänderte Marktsituation ausnutzen könne.

15

Die Antragstellerin weist auch darauf hin, dass der Auftraggeber es versäumt habe, in der europaweiten Bekanntmachung vom xxxxxx.2009 auf die Vertragsverlängerungsoption und das einseitige Kündigungsrecht hinzuweisen. Dies ergäbe sich erst aus den konkreten Ausschreibungsbedingungen.

16

Zwar seien Festpreisverträge branchenüblich, jedoch sei hier auch unter Berücksichtigung eines entsprechenden Wagniszuschlages eine sichere Kalkulation nicht möglich, da eine Vertragsverlängerungsklausel nur zu Gunsten des Auftraggebers vorgesehen ist.

17

Die Antragstellerin bestreitet nicht, dass die Vereinbarung eines Festpreises oder die Vereinbarung einer Verlängerungsoption, einzeln betrachtet, vergaberechtlich zulässig sein können. Sie hält jedoch die Kombination für vergaberechtlich unzulässig. Gerade diese Kombination übertrage einseitig das wirtschaftliche Risiko auf den Bieter und sei als ungewöhnliches Wagnis einzuordnen, auf das der Bieter keinen Einfluss habe.

18

Sie weist ferner darauf hin, dass das zivilrechtliche Verfahren vor dem Landgericht nicht im direkten Zusammenhang mit dem Nachprüfungsantrag steht. Die ausgeschriebenen Vertragsbedingungen seien nicht identisch und unterscheiden sich auch im Hinblick auf die Verknüpfung der Verlängerungsoption mit der einseitigen Kündigungsmöglichkeit.

19

Die Antragstellerin beantragt,

  1. 1.

    ein Vergabenachprüfungsverfahren einzuleiten;

  2. 2.

    vorliegenden Vergabenachprüfungsantrag sofort dem Antragsgegner zuzustellen;

  3. 3.

    der Antragstellerin die Einsichtnahme in die Vergabeakte gemäß § 111 GWB zu gewähren;

  4. 4.

    den Antragsgegner zu verpflichten, unter Beachtung des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A die Ausschreibungsbedingungen dahingehend zu ändern, dass die in dem Vertrag vorgesehene einseitige Verlängerungsoption mit gleichzeitig vorgesehener einseitiger Kündigungsoption für den Auftraggeber entfällt und der Submissionstermin entsprechend verschoben wird bzw. den Antragsgegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren aufzuheben und unter Beachtung dieser Rechtsauffassung neu auszuschreiben,

  5. 5.

    die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.

20

Der Auftraggeber beantragt,

  1. 1.

    den Antrag zurückzuweisen;

  2. 2.

    festzustellen, dass es für den Antragsgegner erforderlich war, einen Verfahrensbevollmächtigten hinzuzuziehen.

21

Der Auftraggeber tritt den Behauptungen und Rechtsauffassungen der Antragstellerin entgegen.

22

Er hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig, da die Antragstellerin die in den Verdingungsunterlagen vorgegebene Festpreisregelung erst am 17. Tage nach Erhalt gerügt habe. Seine Auffassung hinsichtlich der Verfristung werde auch unter Berücksichtigung der Vorgeschichte und des Verfahrens vor dem Landgericht untermauert. Dort argumentiere die Antragstellerin bereits seit Juli 2009 explizit mit einem Verstoß der damaligen Regelungen im Altvertrag gegen § 313 BGB und § 8 Abs. 3 VOL/A. Da die jetzt streitigen Regelungen schon Inhalt des alten Vertrages waren, musste für die Antragstellerin klar sein, dass der Auftraggeber keinen Anlass sah, die Unterlagen bei einer neuen Ausschreibung zu ändern. Es bedurfte daher keines neuerlichen 17-tägigen Abwartens für die Rüge.

23

Aufgrund des anhängigen Verfahrens vor dem Landgericht sei der Antragstellerin ihr eigener rechtlicher Standpunkt zu einer Festpreisvereinbarung mit einseitiger Verlängerungsoption spätestens seit Juli/August 2009 bekannt. Die Antragstellerin musste damit rechnen, dass er, der Auftraggeber, aufgrund des rechtlich abweichenden Standpunktes wieder eine entsprechende Regelung auch in der streitigen Ausschreibung vorsehen werde. Er meint, dass es in derartigen Verfahren unüblich ist, die Ausschreibungsunterlagen unbesehen an den Bearbeiter weiterzuleiten, der sie dann 13 Tage liegen lässt. Das von der Antragstellerin beschriebene Handeln sei daher lebensfremd und wenig glaubwürdig und beschreibe eindrucksvoll das dortige Organisationsverschulden. Es läge damit ein Verstoß gegen § 107 Abs.3 Nr. 1 GWB vor. Der dort genannte allgemeine Grundsatz der unverzüglichen Rüge bei erkannten Verstößen gelte neben § 107 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB, der die Rügepflicht für nicht erkannte, aber erkennbare Verstöße umfasst.

24

Soweit der Nachprüfungsantrag nicht unzulässig ist, sei er aber unbegründet. Eine Festpreisregelung über ein Jahr mit einjähriger Verlängerungsoption stelle kein ungewöhnliches Wagnis dar.

25

Aus seiner Sicht ist ein vergaberechtswidriges ungewöhnliches Wagnis an zwei Voraussetzungen geknüpft. Zum einen müssen ungewöhnliche Umstände vorhanden sein, auf die der Bieter keinen Einfluss hat, und zum anderen müssen sich diese Umstände auf die Preiskalkulation auswirken. Eine Vergaberechtswidrigkeit basiert nicht allein auf den mit einer Vertragsbedingung möglicherweise verbundenen Ungewissheiten, sondern fordere zusätzlich, dass diese Ungewissheiten ungewöhnlich und eine kaufmännisch vernünftige Angebotskalkulation unzumutbar machen.

26

Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor, da dem Bieter eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation seines Angebotspreises möglich sei. Seiner Auffassung nach folgt aus der Vorschrift nicht, dass dem Auftragnehmer kein Wagnis auferlegt werden darf. Die Antragstellerin habe in ihrem Nachprüfungsantrag im Übrigen selbst ausgeführt, dass die Festpreisregelung noch kein ungewöhnliches Wagnis zur einseitigen Risikoübertragung sein dürfte.

27

Hinsichtlich der einseitigen Vertragsverlängerungsklausel zu seinen Gunsten merkt der Auftraggeber an, dass auch diese branchenüblich und explizit nach § 3 Abs. 6 VgV zulässig sei. Die einseitige Verlängerungsoption sei hinreichend bestimmt, da sie durch die einmalige Verlängerung der einjährigen Laufzeit eindeutig begrenzt ist.

28

Der Auftraggeber vertritt auch unter Gesamtbetrachtung von Festpreisvereinbarung und Verlängerungsoption die Auffassung, dass ein Zusammenspiel der beiden Klauseln nicht branchenunüblich ist. Dies gelte insbesondere bei kleinen PPK-Verwertungsausschreibungen ohne Sammlung mit kurzer Laufzeit und kleinen Mengen. Bei der zu vergebenden Leistung handele es sich um eine reine Verwertungsleistung, ohne dass eine umfangreiche Sammellogistik vorgehalten werden müsse. Es seien deshalb keine nennenswerten Investitionen erforderlich, die über die Einnahmen aus der Verwertung zu refinanzieren sind.

29

Aus seiner Sicht kann der Bieter letztendlich das zulässige Risiko eines Festpreises über zwei Jahre über die Papierfabrik absichern und kalkulieren. Das Preisrisiko liege letztendlich bei der Papierfabrik, da der Bieter einen entsprechend reduzierten Festpreis durchreichen kann. Nur wenn der Bieter von einer Absicherung mit der Papierfabrik absieht, trägt er ein erhöhtes Risiko, welches er dann aber bewusst eingeht.

30

Die Vergabekammer hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 17.12.2009 gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung der Vergabekammer in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 GWB) hinaus bis zum 18.01.2010 verlängert.

31

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 08.01.2010 Bezug genommen.

32

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber unbegründet. Die Antragstellerin wird durch die angefochtenen Vertragsmodalitäten nicht in ihren Rechten gemäß §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB verletzt. Die Forderung des Auftraggebers an die Bieter, das Altpapier aus seinem Kreisgebiet zu einem Festpreis für die Laufzeit eines Jahres abzunehmen und der Verwertung zuzuführen, ist auch unter Berücksichtigung der vom Auftraggeber ausbedungenen einseitigen Verlängerungsoption für maximal ein weiteres Jahr und des einseitigen Kündigungsrechts des Auftraggebers zu jedem Quartalsende im Verlängerungszeitraum nicht als ungewöhnliches Wagnis im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A zu bewerten. Die Antragstellerin hat insbesondere nicht dargelegt, warum sie den Angebotspreis zu den ausgeschriebenen Bedingungen nicht hinreichend kalkulieren kann.

33

1.

Anzuwenden ist vorliegend das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790). Das vorliegende Vergabeverfahren wurde mit europaweiter Bekanntmachung vom xxxxxx eingeleitet.

34

2.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei dem Auftraggeber handelt es sich um eine Gebietskörperschaft und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftragswert übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der Vierte Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den streitgegenständlichen Leistungen handelt es sich um die Verwertung von PPK (Papier, Pappen, Kartonagen) aus dem Landkreis xxxxxx und damit um einen Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 1 VOL/A. Der Einordnung dieses Vertragsverhältnisses als Dienstleistungsauftrag steht nicht entgegen, dass der künftige Auftragnehmer vom Auftraggeber für seine Dienstleistungen keine unmittelbare Entgeltzahlung erhält, sondern vielmehr seinerseits verpflichtet ist, einen Teil des von ihm bei der Verwertung erzielten Erlöses in der von ihm angebotenen Höhe im Vertragszeitraum an den Auftraggeber abzuführen. Zu Recht ist der Auftraggeber selbst davon ausgegangen, dass es sich bei dem ausgeschriebenen Vertragsverhältnis nicht um eine Dienstleistungskonzession handelt, auf die die Vorschriften der §§ 97 ff. GWB über das Vergabeverfahren und das Nachprüfungsverfahren keine Anwendung finden würden (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2002, S. 634; OLG Brandenburg, VergabeR 2002, S. 45; BayObLG, VergabeR 2002, S. 55). Voraussetzung für eine Dienstleistungskonzession ist ein Vertrag eines öffentlichen Auftraggebers mit einem Unternehmen, bei dem die Gegenleistung, die der öffentliche Auftraggeber dem privaten Unternehmen erbringt, darin besteht, dass das Unternehmen das Recht zur Verwertung seiner eigenen Leistung erhält. Maßgeblich ist dabei die Gestattung, d.h. die Einräumung einer Nutzungsbefugnis und das eigene wirtschaftliche Risiko des Konzessionärs, das sich aus der Übertragung der Nutzungsbefugnis als Gegenleistung ergibt (vgl. EuGH, Urteil vom 07.12.2000, Az.: RS. C-324/98 Rdnr. 58; OLG Düsseldorf, VergabeR 2002, S. 607). Eine Dienstleistungskonzession scheidet daher immer dann aus, wenn der Konzessionär als Entgelt einen vorher festgelegten Preis erhält (vgl. EuGH, Urteil vom 10.11.1998 - RS. C-360/96).

35

Vorliegend besteht die Gegenleistung, die der Auftragnehmer nach dem ausgeschriebenen Vertrag für die Durchführung der PPK-Verwertung erhalten soll, nicht in der Einräumung der Befugnis zur Nutzung seiner eigenen Leistung. Vielmehr überlässt und übereignet der Auftraggeber dem künftigen Auftragnehmer ausweislich der Verdingungsunterlagen vom 14.09.2009 das in seinem Kreisgebiet von einem Dritten gesammelte Altpapier mit einem auf der Grundlage der Jahre 2004 bis 2008 geschätzten jährlichen Aufkommen von ca. 12.000 t. Der Auftragnehmer ist gemäß Nr. 4.2.3 der Leistungsbeschreibung verpflichtet, das an der Übergabestelle übernommene Altpapier unter Einhaltung der rechtlichen Vorschriften einer stofflichen Verwertung zuzuführen, wobei die stoffliche Verwertung des Altpapiers in einer genehmigten Anlage entsprechend den Vorschriften des KrW-/AbfG und der VerpackV zu erfolgen hat. Für die Verwertung des Altpapiers erhält der Auftragnehmer seinerseits von der übernehmenden Papierfabrik einen Erlös, den er teilweise - in der von ihm angebotenen Höhe - gemäß Ziff. 4.2.5 und 4.2.6 der Leistungsbeschreibung an den Auftraggeber abführt. Der Auftragnehmer erhält also für seine Dienstleistung keine bloße Nutzungsbefugnis, sondern einen vom Auftraggeber zu leistenden Preis in Form des überlassenen und übereigneten Altpapiers. Dass der Preis und damit das Entgelt nicht in einer Geldleistung besteht, ist unerheblich. Er kann auch - wie im vorliegenden Fall - in der Übereignung werthaltiger Sachen bestehen (vgl. BGH, Beschluss vom 01.02.2005, Az.: X ZB 27/04; OLG Celle, Beschluss vom 05.02.2004, Az.: 13 Verg 26/03; jeweils zitiert nach VERIS).

36

Der Wert des vom Auftraggeber zu leistenden Entgelts übersteigt auch den für Dienstleistungsaufträge maßgeblichen Schwellenwert des § 2 Nr. 1 VgV in der seit 01.01.2008 gültigen Fassung. Danach gilt für Dienstleistungsaufträge ein Schwellenwert von 206.000 EUR (netto). Für die Schätzung des Auftragswertes gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 VgV ist vorliegend maßgeblich, welchen Erlös der Auftragnehmer durch die Verwertung der Altpapiermengen voraussichtlich erzielen kann. Dieser Erlös übersteigt vorliegend deutlich den maßgeblichen Schwellenwert. Der Auftraggeber hat mit Schreiben vom 14.01.2010 unter Beifügung einer Beschlussvorlage für seine Gremien vom 10.11.2009 mitgeteilt, dass er den Wert des für das im Mindestvertragszeitraum anfallende und zu entsorgende Altpapier auf xxxxxx EUR geschätzt hat. Er hat die Schätzung auf der Grundlage der im Jahresdurchschnitt im Kreisgebiet anfallenden Menge und dem seinerzeitigen, vom EUWID (Fachzeitschrift der Abfallwirtschaft) ermittelten Preis von xxxxxx EUR/t errechnet. Ausweislich der in der Vergabeakte (Bd. 2) dokumentierten Verdingungsverhandlung beläuft sich bereits das Angebot mit dem niedrigsten an den Auftraggeber auszukehrenden Erlösanteil auf einen Endbetrag von xxxxxx EUR brutto. Das höchste Angebot beläuft sich sogar auf einen auszukehrenden Erlösanteil von xxxxxx EUR. Bereits der auszukehrende Erlösanteil übersteigt somit ohne weiteres den maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 2 Nr. 3 VOL/A.

37

Die Antragstellerin ist auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie vorträgt, der Auftraggeber bürde ihr ein nicht kalkulierbares Risiko auf, indem er für das zu verwertende Altpapier ein Festpreisangebot über ein Jahr verlange. Gleichzeitig verlange der Auftraggeber ein einseitiges Optionsrecht, den Vertrag um ein Jahr zu verlängern, wobei er sich aber gleichzeitig vorbehalte, im Optionsjahr quartalsweise den Vertrag zu kündigen. Darin liege eine einseitige Verlagerung der Risiken hinsichtlich der Entwicklung des Altpapierpreises zu Lasten des künftigen Auftragnehmers und damit die Aufbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A.

38

Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen aber nicht überspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht , 2. Auflage, § 107 GWB, Rdnr. 954). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtschutzbedürfnis dargelegt. Sie hat schlüssig vorgetragen, dass sie bei aus ihrer Sicht vergaberechtskonformer Gestaltung der Vertragsbedingungen ihr Angebot unter Berücksichtigung einer ausgewogeneren Risikoverteilung hinsichtlich der Entwicklung des Altpapierpreises im Vertragszeitraum hätte kalkulieren können. Im Übrigen ist auch nicht erforderlich, dass ein Antragsteller schlüssig darlegt, dass er bei vergabekonformem Verhalten des Auftraggebers den Zuschlag auch tatsächlich erhalten würde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.1999, Az.: Verg 1/99, S. 24).

39

Die Vergabekammer hatte aufgrund der Gesamtumstände des vorliegenden Sachverhalts allerdings zu entscheiden, ob die Antragstellerin ihrer Pflicht gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB nachgekommen ist, vor Anrufung der Vergabekammer die behaupteten Verstöße gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich zu rügen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Ausreichend für die positive Kenntnis eines Mangels im Sinne vom § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, dass Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.08.2002, Az.: Verg 9/00).

40

Diese vorrangig zu beachtende Rügepflicht bei positiver Kenntnisnahme von einem vermeintlichen Vergaberechtsverstoß entfällt entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht dadurch, dass der Bieter gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 2 GWB oder § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB Verstöße zumindest noch innerhalb der Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gerügt hat. § 107 Abs. 3 Nr. 2 GWB und § 107 Abs. 3 Nr. 3 enthalten vielmehr eigenständige, gegenüber der Präklusionsregel des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB nachrangige Präklusionsregeln für den Fall, dass ein Bieter einen vermeintlichen Vergaberechtsverstoß zwar nicht positiv erkannt hat, der entsprechende Verstoß aber aufgrund der Bekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen erkennbar war.

41

Die Frage, ob eine Rüge noch unverzüglich nach positiver Kenntniserlangung erfolgt, hängt vom Einzelfall ab. Nach der Rechtsprechung muss die Rüge angesichts der kurzen Fristen, die im Vergaberecht allgemein gelten, grundsätzlich innerhalb von einem bis drei Tagen erfolgen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18.09.2003, Az.: 1 Verg 4/04; Bechtholt, GWB, § 107, Rdnr. 2). Auch bei einer ggf. notwendigen Hinzuziehung eines Rechtsanwalts erfüllt ein Rügezeitraum von mehr als einer Woche das Zeitkriterium des § 107 Abs. 3 GWB regelmäßig nicht (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 11.09.2006, Az.: WVerg 13/06). Eine Rügefrist von 2 Wochen, die in der Rechtsprechung als Obergrenze anerkannt wird (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 45 ff.) kann einem Bieterunternehmen allenfalls dann zugestanden werden, wenn eine verständliche Abfassung der Rüge durch eine schwierige Sach- und/oder Rechtslage erschwert wird und die Inanspruchnahme fachkundiger Hilfe erfordert.

42

Fraglich ist daher vorliegend, wann die Antragstellerin Kenntnis von den von ihr angefochtenen Vertragsbedingungen erhalten und diese als fachkundiges Unternehmen als vergaberechtswidrig bewertet hat. Die Antragstellerin hat die mit Schreiben des Auftraggebers vom 05.10.2009 versandten Ausschreibungsunterlagen nach eigener Erklärung am 09.10.2009 erhalten. Ihre Rüge hat sie erst mit Schreiben vom 23.10.2009, versandt per Telefax am selben Tage und damit erst 14 Tage nach Erhalt der Ausschreibungsunterlagen abgesetzt. Die Antragstellerin hat geltend gemacht, dass der in ihrem Hause für die vorliegende Ausschreibung zuständige Sachbearbeiter die Unterlagen zur Prüfung, Bearbeitung und Erstellung eines Angebotes zwar am 12.10.2009 erhalten habe. Da ihm als Teilzeitkraft für die Bearbeitung von Ausschreibungen aber nur 10 Stunden pro Woche zur Verfügung ständen, habe er den Vorgang erst am 22.10.2009 bearbeiten können. Nach der konkreten Prüfung und Bearbeitung der Angebotsunterlagen sei dann von der Antragstellerin am nächsten Tag das Rügeschreiben verfasst und versandt worden. Insofern habe sie erst am 22.10.2009 und damit einen Tag vor Absetzung der Rüge positive Kenntnis von den nunmehr im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Vergaberechtsverstößen erhalten.

43

Auch wenn dieser von der Antragstellerin vorgetragene Zeitpunkt von der positiven Kenntnisnahme nicht widerlegt werden kann, weist der Auftraggeber zu Recht darauf hin, dass die Gesamtumstände des vorliegenden Sachverhalts Anlass zu der Frage geben, ob sich die Antragstellerin durch die interne Behandlung der vorliegenden Ausschreibung möglicherweise einer umgehenden Prüfung der Vergabeunterlagen und damit einer frühzeitigeren positiven Kenntnisnahme des nunmehr geltend gemachten Vergabeverstoßes ihrerseits vergaberechtswidrig verschlossen hat. Die Frage stellt sich vorliegend, weil die Antragstellerin unstreitig zuvor mit den streitbefangenen Leistungen beauftragt gewesen ist und diesen Vertrag ihrerseits mit der Begründung, dass der Preis für Altpapier um ca. 85% zurückgegangen sei, nicht mehr erfüllt hat, was zur fristlosen Kündigung seitens des Auftraggebers mit Schreiben vom 19.01.2009 geführt hatte. Infolge dieses gescheiterten Vertragsverhältnisses ist zwischen dem Auftraggeber und der Antragstellerin auf die Klage des Auftraggebers hin unstreitig ein Schadensersatzprozess vor dem Landgericht xxxxxx anhängig, in dem sich die Beteiligten insbesondere mit ähnlichen zugrunde liegenden Vertragsbedingungen auseinandersetzen müssen. Der Antragstellerin war aufgrund dieser Vorbefassung mit dem Auftragsgegenstand und den damit zusammenhängenden Rechtsfragen daher grundsätzlich zuzumuten, dass sie in ihrem Hause die Bearbeitung der Ausschreibung und die Erstellung des Angebotes so organisiert, dass sie frühzeitig Kenntnis von den Vertragsbedingungen erlangte. Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. Beschluss vom 01.02.2005, Az.: X ZB 27/04) darf sich ein Bieter nicht mutwillig einer positiven Kenntnisnahme von vermeintlichen, anschließend im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens geltend gemachten Vergabeverstößen verschließen. Der Entscheidung des BGH lag ebenfalls ein Vertrag über eine Altpapierverwertung zugrunde. Der BGH hat im Hinblick auf die Rügeobliegenheit gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB a.F. betont, dass die Unzulässigkeit eines ansonsten zulässigen Nachprüfungsantrags nur angenommen werden kann, wenn dem Antragsteller nachgewiesen ist, dass er den behaupteten Vergaberechtsverstoß erkannt und diesen gleichwohl nicht gerügt hat. Die hierzu erforderliche Überzeugung hat der BGH im Ausgangsfall nicht gewinnen können. Der BGH hat jedoch auch betont, dass in den Fällen, in denen eine positive Kenntnis vom Vergaberechtsverstoß nicht nachzuweisen ist, eine Präklusion nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB gleichwohl in Betracht kommt, wenn der Bieter sich dieser Erkenntnis, obwohl sie sich aufdrängte, verschlossen oder entzogen hatte (vgl. BGHZ 133, 192, 198 f.; BGH, Urteil vom 18.01.2000 - VI ZR 375/98, NJW 2000, 953 ff., m.w.N.).

44

Ein derartiges, sich mutwilliges Verschließen von der positiven Kenntnisnahme kann der Antragstellerin vorliegend jedoch nicht nachgewiesen werden. Zwar kann von einem fachkundigen Bieterunternehmen auf der Grundlage des § 107 Abs. 3 GWB und in Anbetracht der den Beschleunigungsgrundsatz des § 119 Abs. 1 GWB flankierenden Mitwirkungspflicht der Beteiligten gemäß § 113 Abs. 2 GWB verlangt werden, dass der Bieter das Vergabeverfahren kritisch begleitet, die Vergabeunterlagen in angemessener Zeit prüft und etwaige, vermeintliche Verstöße gegenüber dem Auftraggeber im Vergabeverfahren unverzüglich rügt. Auch hat der Auftraggeber zu Recht auf die konkreten Umstände des vorliegenden Falls hingewiesen. Die Antragstellerin war aufgrund ihres unmittelbaren, gescheiterten Vertragsverhältnisses im Vorfeld der vorliegenden Ausschreibung und des diesbezüglich nach wie vor anhängigen Verfahrens vor dem Landgericht xxxxxx hinsichtlich der von ihr nunmehr angefochtenen Vertragsbedingungen des Auftraggebers zumindest "vorgewarnt". Von daher wäre zu erwarten gewesen, dass die Antragstellerin die Bearbeitung der Ausschreibung intern so organisiert, dass sie diese Unterlagen nicht erst 10 Tage liegen lässt. Ein mutwilliges "Sich-Verschließen" kann vorliegen, wenn der Bieter mit dem möglichen Verstoß bereits zivilrechtlich befasst war und darüber hinaus noch vorwerfbar versäumt hat, die Voraussetzungen für die Kenntnisnahme von Vergaberechtsverstößen zu erlangen (vgl. VK Bund, Beschluss v. 26.01.2006, Az.: VK 2 - 165/05, S. 12 f.).

45

Auf der anderen Seite hatte die Vergabekammer jedoch zu berücksichtigen, dass der Antragstellerin nicht mit der erforderlichen Sicherheit unterstellt werden kann, dass sie sich der positiven Kenntnisnahme von den nunmehr angefochtenen Vertragsbedingungen durch die personalwirtschaftliche Organisation der Bearbeitung der streitbefangenen Ausschreibung im Sinne der Rechtsprechung des BGH "mutwillig" verschlossen hat. Nach der Rechtsprechung setzt eine positive Kenntnis vom Vergabeverstoß das positive Wissen um die Tatsachen, aus denen sich der geltend gemachte Vergabefehler ergibt, und mindestens eine laienhafte Wertung als Vergaberechtsstoß voraus (vgl. OLG Düsseldorf, IBR 2002, S. 97). Es kann auch bei Bieterunternehmen, die sich häufiger an Ausschreibungen beteiligen, nicht stets davon ausgegangen werden, dass die zuständigen Sachbearbeiter, erst recht die vertretungsberechtigten Organe des Bieterunternehmens immer schon nach Kenntnisnahme der Ausschreibungsunterlagen zu der Überzeugung gelangen müssen, es liege ein Vergaberechtsverstoß vor. Dies gilt zumindest dann, wenn es an einer eindeutigen Rechtslage fehlt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 18.12.2003, Az.: 13 Verg 22/03).

46

Vorliegend kann daher der Vortrag der Antragstellerin, sie habe erst aufgrund der konkreten Befassung des von ihr mit der Bearbeitung der Ausschreibungsunterlagen beauftragten Sachbearbeiters am 22.10.2009 positive Kenntnis von den nunmehr von ihr angefochtenen Vertragsbedingungen erhalten, nicht widerlegt werden. Da die Antragstellerin bereits am Tag darauf, mit Schreiben vom 23.10.2009, versandt per Telefax am selben Tage, ihre Rüge abgesetzt hat, erfolgte die Rüge rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB.

47

3.

Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet. Die Antragstellerin ist nicht in ihren Rechten gemäß §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB verletzt. Der Antragstellerin wird durch die Forderung eines Festpreises als Auskehrung eines Teils des Erlöses für das von ihr zu verwertende Altpapier an den Auftraggeber auch nicht unter Berücksichtigung der vom Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen geregelten einseitigen Verlängerungsoption für die Dauer von maximal einem Jahr bei gleichzeitigem einseitigem Kündigungsrecht des Auftraggebers zu jedem Quartalsende im Verlängerungszeitraum ein ungewöhnliches Wagnis im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A aufgebürdet.

48

Der Auftraggeber hat den Bietern mit den Verdingungsunterlagen vom 14.09.2009 unter der lfd. Nr. 5 den Entwurf des PPK-Verwertungsvertrages übersandt. In § 9 des Entwurfs ist die Laufzeit des Vertrags geregelt. Dort heißt es:

"(1)
Vertragsbeginn ist der Tag der Zuschlagserteilung, die erforderlichen Vorarbeiten sind rechtzeitig zu erbringen. Der Beginn der PPK-Abholung ist der 02.01.2010.

(2)
Der Vertrag läuft bis zum 31.12.2010. Er verlängert sich automatisch, längstens aber bis zum 31.12.2011, sofern der Auftraggeber nicht kündigt. Der Auftraggeber ist berechtigt, zu jedem Quartalsende ab 31.12.2010 zu kündigen; er hält dabei eine Frist von 3 Monaten ein. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung bleibt unberührt."

49

Die Antragstellerin hat mit ihrer Rüge und mit ihrem Nachprüfungsantrag geltend gemacht, dass die Forderung nach einem Festpreisangebot über ein Jahr zu den vom Auftraggeber festgelegten Konditionen ein nicht kalkulierbares Risiko darstelle. Hier komme erschwerend hinzu, dass der Auftraggeber sich ein einseitiges Optionsrecht eingeräumt habe, den Vertrag um ein Jahr zu verlängern. Insoweit trage allein der Bieter bei sinkenden Altpapierpreisen das Risiko der Papiervermarktung und den daraus anfallenden Verlust. Andererseits könne der Auftragnehmer dieses Risiko nicht durch die Chance auf einen höheren Erlös bei steigenden Marktpreisen für die Verwertung des Altpapiers im Optionsjahr kompensieren, da sich der Auftraggeber gleichzeitig quartalsweise das Kündigungsrecht im Optionszeitraum vorbehalten habe. Hier liege eine einseitige Verteilung der Risiken zu Lasten des Auftragnehmers vor. Derzeit sei es fast unmöglich, einen Festpreis für Altpapier über zwei Jahre zu bilden.

50

Gemäß § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A soll dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann. Diese Regelung ist im Zusammenhang mit der Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu sehen, die sich aus § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A ergibt (vgl. Zdzieblo in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Auflage, § 8, Rdnr. 36 ff., m.w.N.). Danach ist die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und die Angebote miteinander verglichen werden können. Der Auftraggeber trägt somit die Verantwortung für die Erstellung der erschöpfenden Leistungsbeschreibung. Da er die benötigte Leistung durch die von ihm vorgegebene Leistungsbeschreibung spezifiziert, legt der Auftraggeber prinzipiell auch die Risiken fest, die der Auftragnehmer später mit der Ausführung seiner Leistung übernimmt. Der Auftragnehmer anderseits trägt die Verantwortung für die von ihm erbrachte Leistung. Er ist grundsätzlich auch verantwortlich für diejenigen Risiken, die sich aus der Übernahme der vertraglichen Verpflichtung ergeben (Erfüllungsrisiko). § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A soll verhindern, dass öffentliche Nachfrager aufgrund ihrer Marktmacht den häufig auf öffentliche Aufträge angewiesenen Bietern die Vertragsbedingungen diktieren und auf diese Weise Wagnisse aufbürden können, die normale vertragliche unternehmerische Risiken übersteigen (vgl. Prieß in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 8, Rdnr. 74; OLG Saabrücken, Beschluss vom 29.09.2004, 1 Verg 6/04). Diese Vorschrift schützt nicht nur den Bieter. Mittelbar dient die Vorschrift auch den Interessen des Auftraggebers, indem sie ihn vor unangemessenen Preisforderungen in Folge überhöhter Risikozuschläge schützt (vgl. Prieß, a.a.O., m.w.N.). Der Auftragnehmer soll nach § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A also nur gewöhnliche Wagnisse eingehen müssen. Ein ungewöhnliches Wagnis in diesem Sinne kommt nur in Betracht, wenn das Risiko auf Umständen und Ereignissen beruht, die außerhalb des Einflussbereichs des Auftragnehmers liegen. Ungewöhnlich wird das dem Auftragnehmer auferlegte Risiko aber auch in diesen Fällen erst dann, wenn es darüber hinaus nach Art der Vertragsgestaltung und nach dem allgemein geplanten Ablauf nicht zu erwarten ist und im Einzelfall wirtschaftlich schwerwiegende Folgen für den Auftragnehmer mit sich bringen kann. Schließlich ist Voraussetzung eines unzulässigen, ungewöhnlichen Wagnisses im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A, dass der Auftragnehmer das Wagnis und dessen Einwirkung auf Preise und Fristen nicht im Voraus schätzen kann, so dass das Wagnis hinsichtlich seines Eintritts für den Auftragnehmer ungewiss ist und er keine Möglichkeit hat, es abzuwenden bzw. bei der Kalkulation des Preises - vorliegend in Form der von ihm zu kalkulierenden Höhe der anteiligen Ausschüttung des Erlöses für das von ihm zu verwertende Altpapier an den Auftraggeber - zu kalkulieren.

51

Die Frage, ob ein vertraglich aufgebürdetes Wagnis ungewöhnlich und damit unzulässig ist, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung von Art und Umfang der nachgefragten Leistung sowie unter Beachtung des Gesichtspunkt der Branchenüblichkeit zu klären (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.09.2004, 1 Verg 6/04; VK Bund, Beschluss vom 06.05.2005, VK III 28/05). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass § 8 Abs. 1 Nr. 3 VOL/A nicht ausschließt, dass die Beteiligten den Rahmen des Zulässigen ausschöpfen. Jedem Vertrag wohnen gewisse Risiken inne, die der Auftragnehmer bei der Ausführung der Leistung zu tragen hat. Hier finden die allgemeinen zivilrechtlichen Gefahrtragungsregeln Anwendung. Risiken, die der Unternehmer nach der im jeweiligen Vertragstyp üblichen Wagnisverteilung grundsätzlich zu tragen hat - die z.B. mit der Beschaffung oder Finanzierung von Materialien oder technischen Schwierigkeiten bei der Ausführung der Leistung zusammenhängen - sind gerade keine ungewöhnlichen Wagnisse (vgl. Prieß, a.a.O., § 8, Rdnr. 76, m.w.N.; Noch in: Müller-Wrede, VOL/A, 2. Auflage, § 8, Rdnr. 129).

52

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs und unter Berücksichtigung der Branchenüblichkeit der Vertragsbedingungen im Zusammenhang mit öffentlichen Entsorgungsaufträgen ist das vom Auftraggeber geforderte Festpreisangebot für den vom Auftragnehmer an den Auftraggeber auszukehrenden Anteil am Erlös für das zu verwertende Altpapier vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Antragstellerin bestreitet nicht, dass eine Festpreisregelung in Verbindung mit einer konkreten Vertragslaufzeit branchenüblich ist. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin wird eine derartige Festpreisforderung aber auch nicht dadurch zum ungewöhnlichen Wagnis im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A, dass der Auftraggeber sich zugleich eine einseitige Verlängerungsoption einräumt. Grundsätzlich kann ein ungewöhnliches Wagnis für den Bieter entstehen, wenn unklar bleibt, ob und in welchem Zeitraum eine Verlängerungsoption während der Laufzeit des Vertrages in Anspruch genommen wird, der Auftragnehmer sich die zu einer Klärung erforderlichen Kenntnisse nicht selbst verschaffen kann und er daher nicht im Stande ist, verlässliche Vorstellungen zur Preisentwicklung zu entwickeln. Andererseits ist eine im Rahmen der Ausschreibung vorbehaltene einseitige Vertragsverlängerung im geschäftlichen Verkehr nicht ungewöhnlich und wird auch im Vergaberecht von der Rechtsprechung generell für zulässig gehalten, wenn sie hinsichtlich von Laufzeit und Anzahl hinreichend bestimmt ist (vgl. Landgericht Zweibrücken, Urteil vom 20.11.2009, Az.: HK O 21/09; VK Bund, Beschluss vom 20.07.2005 - VK1-62/05; Noch. a.a.O., § 8, Rdnr. 135). Ist die Verlängerungsoption hinreichend bestimmt und insbesondere hinsichtlich Laufzeit und Umfang - wie im vorliegenden Fall - eindeutig begrenzt, so wird dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A aufgebürdet, wenn er in der Lage ist, die entsprechenden Risiken zu kalkulieren (VK Lüneburg, Beschluss vom 26.04.2004, Az.: 203-VgK-10/2004; Prieß, a.a.O, § 8, Rdnr. 80). Vorliegend ist die streitbefangene Laufzeitenregelung hinreichend bestimmt, da der Vertrag mindestens bis zum 31. Dezember 2010 läuft und im Falle der Ausübung des Optionsrechts durch den Auftraggeber maximal bis zum 31.12.2011 verlängert wird. Eine derartige Festpreisvereinbarung in Verbindung mit einer Verlängerungsoption wird von der Rechtsprechung grundsätzlich als branchenüblich und damit nicht als ungewöhnliches Wagnis im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A eingestuft (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.10.2006, Az.: VII-Verg 39/06). Das Landgericht Zweibrücken hat in seinem Urteil vom 20.11.2009, Az.: HK O 21/2009, dem ebenfalls ein Vertrag über die Vermarktung von Papier, Pappe und Kartonagen (PPK) zu einem vertraglich vereinbarten Festpreis für eine bestimmte Mindestlaufzeit in Verbindung mit einer einseitigen Verlängerungsoption des Auftraggebers zugrunde lag, entschieden, dass derartige Vereinbarungen nicht unbillig sind. Der Auftraggeber müsse in der Lage sein, die von seinen Gebührenschuldnern zu erhebenden Abgaben verlässlich über einen bestimmten Zeitraum festlegen zu können. Auch dem Auftragnehmer ermögliche der Festpreis eine Rechtssicherheit und eine hinreichende Grundlage für die eigene Kalkulation. Dies gelte zumindest dann, wenn die Mindestvertragslaufzeit (- dort 3 Jahre -) überschaubar ist. Es könnten zwar auch in einer relativ kurzen Zeitspanne starke Veränderungen auf dem Weltmarkt auftreten. Vor solchen Nachteilen könne sich der Auftragnehmer aber absichern, beispielsweise durch zeitlich gleichlange Verträge mit seinen eigenen Abnehmern, den Papierfabriken. Es falle grundsätzlich in den Risikobereich eines Kaufmanns, wenn sich seine Erwartungen über die Preisentwicklung während eines bestimmten Zeitraums nicht erfüllen.

53

Eine andere Beurteilung ergibt sich vorliegend auch nicht aus der Tatsache, dass der Auftraggeber sich über die einseitige Vertragsverlängerung für maximal ein Jahr hinaus überdies noch vorbehalten hat, den Vertrag innerhalb des Optionszeitraums zu jedem Quartalsende mit einer Kündigungsfrist von 3 Monaten zu kündigen. In Umfang und Dauer ist auch diese Laufzeitenregelung hinreichend bestimmt. Zwar weist die Antragstellerin zu Recht darauf hin, dass ihr durch diese Regelung die Chance auf die Erzielung eines zusätzlichen Gewinns genommen wird, sollte sich der Marktpreis für Altpapier im Optionszeitraum deutlich erhöhen. Denn in diesem Fall ist davon auszugehen, dass der Auftraggeber im Optionszeitraum von seiner Kündigungsmöglichkeit Gebrauch macht, um so im Rahmen einer erneuten Ausschreibung zu den dann herrschenden Marktbedingungen einen erhöhten Preis zu erhalten. Die Antragstellerin hat jedoch nicht dargelegt, warum sie die streitbefangene Verlängerungsoption in Verbindung mit der Kündigungsoption im Vertragszeitraum bei der Kalkulation ihres Preises nicht berücksichtigen kann. Sie ist zum einen in der Lage, ihre Kalkulationsrisiken auch hinsichtlich des Optionszeitraums abzufedern, indem sie die vom Auftraggeber vorgegebenen Vertragsbedingungen ihrerseits bei den Verträgen mit ihren Abnehmern, den Papierfabriken, berücksichtigt. Zu Recht hat der Auftraggeber darauf hingewiesen, dass weder die auf lediglich maximal 2 Jahre bemessene Vertragslaufzeit noch die in Rede stehende Menge des im Kreisgebiet anfallenden und damit vertragsgegenständlichen Altpapiers von ca. 1.000 t im Monat besorgen lassen, dass die Antragstellerin keinen adäquaten Abnahmevertrag mit den Papierfabriken schließen kann.

54

Ebenso, wie die Papierfabrik bei der Kalkulation ihres Preises für den Ankauf des Altpapiers die Risiken der Marktentwicklung und der Ausübung von vertraglichen Verlängerungs- und/oder Kündigungsoptionen berücksichtigen muss, kann und wird das Entsorgungsunternehmen regelmäßig auch bei der Kalkulation des an den öffentlichen Auftraggeber zu entrichtenden Preises mit Risikozuschlägen bzw. -abschlägen den mit den vertraglichen Konditionen verbundenen Risiken Rechnung tragen. Dies kann und wird regelmäßig dazu führen, dass der öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Ausschreibung einen geringeren Preis erzielt als ohne die Aufnahme einer vertraglichen einseitigen Verlängerungs- und/oder Kündigungsoption. Dies hat der Auftraggeber nach eigenem Bekunden jedoch in nicht zu beanstandender Weise bewusst in Kauf genommen, um seinerseits die von seinen Gebührenschuldnern für die Entsorgung zu erhebenden Abgaben verlässlich über einen bestimmten Zeitraum festlegen zu können. Dies ist nicht zu beanstanden, zumal der Vertragszeitraum mit einer Laufzeit von mindestens einem Jahr und maximal zwei Jahren für beide Vertragspartner überschaubar bemessen ist.

55

Der Antragstellerin wird durch die beanstandeten Vertragsbedingungen somit kein ungewöhnliches Wagnis im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A aufgebürdet. Der Nachprüfungsantrag war daher als unbegründet zurückzuweisen.

56

III. Kosten

57

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790). Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt nach wie vor 2.500 EUR, die Höchstgebühr nunmehr 50.000 EUR und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 EUR.

58

Es wird eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

59

Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt xxxxxx EUR. Er wurde ermittelt auf der ex ante Schätzung des Auftragswertes (Erlös auf Basis von 12.000 t p.a. und dem seinerzeitigen EUWID-Preis von xxxxxx EUR/t) für den ausgeschriebenen Mindestvertragszeitraum von einem Jahr.

60

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 EUR (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Bei einem Auftragswert von xxxxxx EUR ergibt sich eine Basisgebühr von xxxxxx EUR.

61

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.

62

Die in Ziffer 3 des Tenors geregelte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin keinen Erfolg hatte.

63

Die Erstattungspflicht bezüglich der Kosten des Auftraggebers, die diesem zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden sind, folgt aus § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 VwVfG. Danach war festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch den Auftraggeber im konkreten Verfahren erforderlich war.

64

Auch wenn man von öffentlichen Auftraggebern grundsätzlich verlangen darf, dass sie über das notwendige personelle Know-how bezüglich der für eine Ausschreibung erforderlichen Rechtsgrundlagen, insbesondere der VOL/A und der VOB/A verfügen, bedurfte der Auftraggeber für eine angemessene Reaktion in der auch für einen erfahrenen öffentlichen Auftraggeber ungewohnten Situation eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens besonderen rechtskundigen Beistandes.

65

Nach den zu § 80 VwVfG geltenden Grundsätzen ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes dann notwendig, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte (BVerwGE 55, 299, 306). Dies ist nach der herrschenden Lehre nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der Regel (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 80, Rdnr. 45; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 80, Rdnr. 81). Dieser Grundsatz soll allerdings nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat gelten. Zugunsten der Ausgangsbehörde im Verwaltungsverfahren wird demgegenüber die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nur in besonders gelagerten Einzelfällen angenommen, da die Ausgangsbehörde in der Regel mit eigenem Fachpersonal so gut ausgestattet sein muss, dass sie ihre Verwaltungstätigkeit, zu der auch die Mitwirkung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) gehört, ohne fremde Unterstützung ausführen kann. Diese für die Situation der Ausgangsbehörde in einem Widerspruchsverfahren zutreffende Auffassung kann jedoch nicht auf das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren übertragen werden. Schon beim materiellen Vergaberecht handelt es sich um eine überdurchschnittlich komplizierte Materie, die nicht nur in kurzer Zeit zahlreiche Veränderungen und Neuregelungen erfahren hat, sondern auch durch komplexe gemeinschaftsrechtliche Fragen überlagert ist. Entscheidend aber ist, dass das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich ausgebildet ist, die Beteiligten also auch prozessuale Kenntnisse haben müssen, um ihre Rechte umfassend zu wahren. Deshalb ist im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren die nach § 80 VwVfG gebotene Rechtspraxis zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht übertragbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.11.2001, Az.: Verg 1/01; OLG Stuttgart, Beschluss v. 19.07.2000, 2 Verg 4/00, NZBau 11/2000, S. 543 ff.). Denn durch seinen Charakter als gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren unterscheidet sich das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eben grundlegend von dem Widerspruchsverfahren nach der VwGO.

66

Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von xxxxxx EUR unter Angabe des Kassenzeichens xxxxxx auf folgendes Konto zu überweisen:

67

xxxxxx.

IV. Rechtsbehelf

68

Gemäß § 116 GWB kann gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt werden.

69

...

Gause
Schulte
Weyer