Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 05.02.2004, Az.: 13 Verg 26/03

Differenzierung zwischen öffentlichem Auftrag und Dienstleistungskonzession; Schätzung des Auftragswertes bei Übereignung von Altpapier ohne Gegenleistung in Geld; Anwendbarkeit des § 13 S. 6 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV) trotz Fehlens eines wettbewerblichen Verfahrens

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.02.2004
Aktenzeichen
13 Verg 26/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 32633
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2004:0205.13VERG26.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VK Lüneburg - 12.11.2003

Fundstellen

  • AbfallR 2004, 94
  • EUK 2004, 40-41
  • KommJur 2004, 380-382
  • NZBau 2004, VII Heft 5 (amtl. Leitsatz)
  • NZBau 2005, 51-52 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 2004, 354-357
  • WuW 2004, 871-874

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Soll die Vergabe von Leistungen der Altpapierentsorgung in der Weise erfolgen, dass der Auftragnehmer keine Geldleistungen erhält, sondern ihm die bei der Durchführung des Auftrages erfassten Altpapiermengen übereignet werden, so ist bei der Schätzung des Auftragswertes gem. § 3 Abs. 1 VgV maßgeblich, welchen Erlös der Auftragnehmer durch die Verwertung der Altpapiermengen voraussichtlich erzielen kann.

  2. 2.

    Für die Nichtigkeitsfolge des § 13 S. 6 VgV bei einem Verstoß gegen die Informationspflicht des § 13 VgV kommt es nicht darauf an, ob der der Ag. ein förmliches Vergabeverfahren durchgeführt hat.

Tenor:

Die sofortigen Beschwerden des Auftraggebers und der Beigeladenen gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg vom 12. November 2003 werden zurückgewiesen.

Der Auftraggeber und die Beigeladene haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin, zu tragen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 16.000 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

1

Der Auftraggeber ist öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger für die in seinem Gemeindegebiet anfallenden Abfälle. Er beauftragte mit der Abfallentsorgung eine Arbeitsgemeinschaft mehrerer Unternehmen. Die Antragstellerin führte in der Arbeitsgemeinschaft die Entsorgung von Altpapier aus. Der hierüber bestehende Vertrag zwischen dem Auftraggeber und der Arbeitsgemeinschaft ist zum 1. Januar 2004 beendet worden.

2

2

Im Sommer 2002 beschloss der Auftraggeber, das System der Altpapierentsorgung zum 1. Januar 2004 von Containern auf die Papiertonne umzustellen. Da die Erfassung und Verwertung von Altpapier für die Zeit ab dem 1. Januar 2005 zusammen mit dem Einsammeln und Befördern des Rest- und Bioabfalls ausgeschrieben werden sollte, entschied er, die Erfassung und Verwertung von Altpapier für das Jahr 2004 gesondert in Auftrag zu geben. Er forderte im Juni 2003 im Wege einer "freihändigen" Vergabe mehrere Unternehmen zur Abgabe eines entsprechenden Angebots auf.

3

3

In einem Vergabevermerk vom 2. Juli 2003 hielt der Auftraggeber fest, dass drei Angebote abgegeben worden seien, von denen das der Beigeladenen das Günstigste sei. Unter dem 22. Juli 2003 teilte er auch der Antragstellerin "Randbedingungen" für das erbetene Angebot mit. Darauf antwortete diese am 24. Juli 2003, dass sie die Anfrage als Markterkundung verstehe und ein unverbindliches Angebot übersende; falls der Auftraggeber ein verbindliches Angebot wünsche, werde gebeten, dies mitzuteilen. Sie, die Antragstellerin, sei allerdings der Auffassung, dass verbindliche Angebote nur im Wege einer europaweiten Ausschreibung eingeholt werden könnten.

4

4

Mit Schreiben vom 1. August 2003 benachrichtigte der Auftraggeber die Antragstellerin, dass sie bei der Auftragsvergabe nicht berücksichtigt werden könne.

5

5

Am selben Tage erteilte er der Beigeladenen den Auftrag. In dem Vertrag mit der Beigeladenen heißt es u.a.:

6

6

"§ 1 Vertragsgegenstand

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7

Der Auftraggeber überträgt dem Auftragnehmer gemäß § 16 Abs. 1 (KrW-/ AbfG) als beauftragtem Dritten für das Gebiet des Landkreises C. die separate Einsammlung, Beförderung und Verwertung von Altpapier .... aus Haushaltungen und anderen Herkunftsbereichen im Rahmen der öffentlichen Abfallentsorgung für die Dauer von einem Jahr.

...

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8

§ 6 Preise und Entgelte

9

9

Der Auftraggeber übereignet die im Rahmen dieses Vertrages erfassten Altpapiermengen dem Auftragnehmer. Für die vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen wird der Komplettpreis ... von 0,00 EUR netto vergütet, einschließlich aller in diesem Vertrag vereinbarten Leistungen. ..."

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10

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Am 14. August 2003 hat die Antragstellerin bei der Vergabekammer die Einleitung eines Nachprüfungsantrags mit dem Ziel beantragt, dem Auftraggeber zu untersagen, einem Dritten den Auftrag für die Entsorgung von Altpapier für die Zeit ab dem 1. Januar 2004 zu erteilen, und den Auftraggeber zu verpflichten, den Auftrag im Rahmen eines europaweiten Ausschreibungsverfahrens zu vergeben. Sie hat geltend gemacht, dass der für eine europaweite Ausschreibung maßgebliche Schwellenwert von 200.000 EUR überschritten sei.

12

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Der Auftraggeber hat die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags beantragt. Er hat die Ansicht vertreten, der Nachprüfungsantrag sei schon deshalb unzulässig, weil es sich bei dem mit der Beigeladenen abgeschlossenen Vertrag um eine Dienstleistungskonzession handele, auf die die Vorschriften über die öffentliche Auftragsvergabe nicht anwendbar seien. Die Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags ergebe sich auch daraus, dass das Vergabeverfahren bereits vor dem Nachprüfungsantrag durch Erteilung des Zuschlags beendet worden sei. Der Zuschlag sei wirksam, obwohl der Zuschlag vor Ablauf der 14-Tages-Frist des § 13 VgV erteilt worden sei. § 13 Satz 6 VgV greife nicht ein. Denn der Auftragswert liege, wenn man den zu erwartenden Erlös aus der Papierverwertung abziehe, unter dem Schwellenwert von 200.000 EUR. Außerdem sei die Antragstellerin nicht antragsbefugt. Sie habe nicht dargelegt, dass ihr durch die behauptete Vergaberechtsverletzung ein Schaden zu entstehen drohe. Sie habe die Möglichkeit gehabt, im Wettbewerb ein aussagekräftiges Angebot abzugeben. Dies habe sie nicht getan.

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Die Vergabekammer hat festgestellt, dass der mit der Beigeladenen abgeschlossene Vertrag nichtig sei. Sie hat den Auftraggeber verpflichtet, das Vergabeverfahren aufzuheben. Zur Begründung hat die Vergabekammer im Wesentlichen ausgeführt:

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Der Nachprüfungsantrag sei zulässig. Es handele sich bei der zu vergebenden Leistung nicht um eine - nicht ausschreibungspflichtige - Dienstleistungskonzession. Der Auftraggeber habe, wie sich aus einem Vermerk vom 1. August 2003 ergebe, von den angeschriebenen Unternehmen eine Angabe erwartet, wie hoch die zu leistende Zahlung für die zu vergebende Sammlung, Sortierung und Vermarktung von Altpapier sein solle. Er habe also die Vergabe eines Dienstleistungsauftrags angestrebt. Eine Dienstleistungskonzession werde definiert als ein Vertrag, bei dem die übertragene Dienstleistung imöffentlichen Interesse liege, die Gegenleistung für die Erbringung der Auftragsleistung nicht in einem vorher festgelegten Preis, sondern in dem Recht bestehe, die zu erbringende Leistung zu nutzen oder entgeltlich zu verwerten, und bei dem der Konzessionär ganz oderüberwiegend das wirtschaftliche Nutzungsrisiko trage. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Bei der Sammlung, Sortierung und Vermarktung von Altpapier aus privaten Haushaltungen handele es sich um eine Pflichtaufgabe des öffentlichen Auftraggebers. Der Auftraggeber habe die Beigeladene nur gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG als Erfüllungsgehilfen eingesetzt. Er habe ihr auch nicht das Recht übertragen, die von ihr zu erbringende Leistung zu verwerten. Der Auftraggeber bezahle die erbrachte Leistung, indem er der Beigeladenen das Altpapier zur Verwertung überlasse. Wegen der kurzen Vertragslaufzeit und der in den letzten drei Jahren die Altpapierpreise sei ein wirtschaftliches Risiko der Beigeladenen leicht kalkulierbar und faktisch nicht vorhanden. Der gemäß § 2 Nr. 3 VgV maßgebliche Schwellenwert von 200.000 EUR werde überschritten. Der durch die Verwertung des Altpapiers zu erwartende Erlös betrage mindestens 300.000 EUR/ Jahr. Die Antragstellerin sei auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Sie habe zumindest schlüssig vorgetragen, dass der Auftrag hätte ausgeschrieben und ihr möglicherweise der Zuschlag erteilt werden müssen. Eine weitere Darstellung des Rechtsschutzbedürfnisses sei nicht erforderlich.

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Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags stehe nicht die Zuschlagserteilung am 1. August 2003 entgegen. Der Zuschlag sei gemäß § 13 Satz 6 VgV nichtig, weil der Auftraggeber nicht den Ablauf der 14-tägigen Informationsfrist abgewartet habe. Der Vorschrift des § 13 VgV lasse sich nicht entnehmen, dass ihre Anwendbarkeit von der Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens abhänge. Es müsse sich nur um ein Verfahren handeln, in dem es mehr Bieter und Angebote gebe, als bei der konkreten Auftragsvergabe berücksichtigt werden könnten. Ein solches "Bieterverfahren" als Vorstufe zur Auftragserteilung habe hier stattgefunden.

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Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet. Der Auftraggeber habe es unter Verstoß gegen § 127 GWB i.V.m. § 4 Abs. 1 VgV und § 3 a VOL/A versäumt, ein europaweites offenes Verfahren durchzuführen. Er habe entgegen § 3 a Nr. 3 VOL/A nicht aktenkundig gemacht, weshalb von einem offenen oder nicht offenen Verfahren abgewichen worden sei. Dadurch habe er gegen den Transparenzgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 GWB und den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 2 GWB verstoßen. Er habe auch unter Verstoß gegen § 13 VgV den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen vor Ablauf der gesetzlichen 14-Tages-Frist erteilt. Das Absehen von einem offenen Verfahren sei, anders als der Auftraggeber geltend gemacht habe, auch nicht durch zwingende Dringlichkeit i. S. des § 3 a Nr. 2 lit. d VOL/A geboten gewesen. Dass die Papiereinsammlung über Container zum 31. Dezember 2003 auslaufen würde, sei dem Auftraggeber nach eigenem Bekunden auf Grund einer Mitteilung des D. vom 19. Juni 2003 bekannt gewesen. Der Auftraggeber sei daher in der Lage gewesen, ein europaweites offenes Vergabeverfahren auch für den streitbefangenen Auftraggeber durchzuführen, zumal er sich bereits im Jahr 2002 intensiv mit der Vergabe befasst habe.

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Der Auftraggeber und die Beigeladene wollen mit der sofortigen Beschwerde die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags erreichen.

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II.

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Die sofortigen Beschwerden der Auftraggebers und der Beigeladenen sind zulässig, insbesondere innerhalb der Zweiwochenfrist des § 117 Abs. 1 GWB eingelegt. In der Sache haben die Rechtsmittel keinen Erfolg.

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1.

Die Vergabekammer hat zutreffend angenommen, dass es sich bei dem zwischen dem Auftraggeber und der Beigeladenen geschlossenen Vertrag um einen Dienstleistungsauftrag im Sinn des § 99 Abs. 1, Abs. 4 GWB und nicht um eine Dienstleistungskonzession handelt, auf die die Vorschriften der § 97 ff. BGB über das Vergabeverfahren und das Nachprüfungsverfahren keine Anwendung finden (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2002, 634; OLG Brandenburg, VergabeR 2002, 45; BayObLG, VergabeR 2002, 55).

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Der Auftraggeber rügt, für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession sei nicht erforderlich, dass der öffentlich-rechtliche Entsorger seine Aufgaben komplett auf einen privaten Dritten übertrage. Ausreichend sei die hier erfolgte Übertragung der Aufgaben gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 Krw/AbfG. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer sei der Beigeladenen auch das Recht zur Verwertung ihrer eigenen Leistung eingeräumt worden, denn ihr obliege gemäß § 3 Nr. 3 des Vertrags die komplette Verantwortung für die umweltgerechte Verwertung des Altpapiers, das ihr übereignet werde. Damit liege auch das wirtschaftliche Nutzungsrisiko bei ihr. Dass die Altpapierpreise in den letzten drei Jahren stabil gewesen seien, stehe dem nicht entgegen. Die Beigeladene hält schon den Ausgangspunkt der Vergabekammer für unzutreffend, dass die Vermarktung von Altpapier aus privaten Haushaltungen eine Pflichtaufgabe des öffentlichen Entsorgungsträgers sei. Im Übrigen vertritt auch die Beigeladene die Auffassung, dass es zur Erteilung einer Dienstleistungskonzession keiner Übertragung deröffentlich-rechtlichen Pflichten bedürfe. Maßgeblich sei, ob der Konzessionär die Aufgabe in eigener Verantwortung ausübe. Dass sei hier der Fall. Auch sei das wirtschaftliche Risiko auf die Beigeladene übertragen worden.

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Damit haben der Auftraggeber und die Beigeladene keinen Erfolg.

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Die Dienstleistungskonzession ist ein Vertrag eines öffentlichen Auftraggebers mit einem Unternehmen, bei dem die Gegenleistung, die der öffentliche Auftraggeber dem privaten Unternehmen erbringt, darin besteht, dass das Unternehmen das Recht zur Verwertung seiner eigenen Leistung erhält. Begriffsprägend ist die Gestattung, d. h. die Einräumung einer Nutzungsbefugnis, und das eigene wirtschaftliche Risiko des Konzessionärs, das sich aus der Übertragung der Nutzungsbefugnis als Gegenleistung ergibt (EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2000 - Rs. C - 324/98 Rdnr. 58 = VergabE A-1-5/00; BayObLG, VergabeR 2002, 55; OLG Düsseldorf, VergabeR 2002, 607). Eine Dienstleistungskonzession scheidet demzufolge aus, wenn der Konzessionär als Entgelt ausschließlich einen vorher festgelegten Preis erhält (EuGH, Urteil vom 10. November 1998 - Rs. C-360/96 = VergabE A-1-5/98 Rdnr. 25). Teilweise wird auch angenommen, dass bei einer Dienstleistungskonzession die dem Konzessionärübertragene Dienstleitung im öffentlichen Interesse liegen müsse, so dass der Staat sich von einer Aufgabe entlasten könne (OLG Brandenburg, VergabeR 2002, 45; Stickler in Reidt/Stickler/ Glahs, VergabeR Kommentar, § 99 GWB Rdnr. 33); ob das zutrifft, kann offen bleiben.

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Im Streitfall scheitert die Annahme einer Dienstleistungskonzession jedenfalls an den zuerst genannten Voraussetzungen. Die Gegenleistung, die die Beigeladene nach dem Vertrag für die Durchführung der Papiererfassung und -verwertung erhalten soll, besteht nicht in einer Gestattung, d. h. der Einräumung einer Befugnis zur Nutzung ihrer eigenen Leistung. Vielmehr enthält der Vertrag in § 6 eine Preisregelung dahin, dass der Auftraggeber der Beigeladenen die ihm Rahmen des Vertrags erfassten Altpapiermengen übereignet. Der Beigeladene erhält also als Gegenleistung keine Nutzungsbefugnis, sondern einen im Voraus festgelegten, vom Auftraggeber zu leistenden Preis. Dass der Preis nicht in einer Geldleistung besteht, ist unerheblich. Er kann auch, wie hier, in der Übereignung werthaltiger Sachen bestehen (vgl. Beck'scher, VOB/A-Komm./Marx, § 99 Rdnr. 13). Die Vergabekammer hat auch zu Recht angenommen, dass die Beigeladene bei der vorliegenden Vertragsgestaltung nicht das wirtschaftliche Nutzungsrisiko trägt. Die Antragstellerin hat selbst vorgetragen, dass für den kurzen Auftragszeitraum von einem Jahr die tatsächliche Erzielbarkeit der Erlöse aus dem Altpapierverkauf zuverlässig eingeschätzt werden könne; die Parteien könnten sich durchaus, wie vorliegend durch die Beigeladene geschehen, einen Festpreis für die Abnahme des Papiers zusichern lassen (Schriftsatz vom 22. August 2003). Dies entspricht der Stellungnahme des vom Auftraggeber als Berater hinzugezogenen Ingenieurbüros A. vom 11. Dezember 2002, dass nach Auffassung der Branche Erlöse von mindestens 400 EUR/t garantiert werden könnten.

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2.

Richtig ist auch die Annahme der Vergabekammer, der Auftrag überschreite den gemäß § 100 Abs. 1 GWB für die Anwendung der § 97 ff. GWB festgelegten Schwellenwert für Dienstleistungsaufträge von 200.000 EUR (§ 2 Nr. 3 VgV).

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Der Auftraggeber wendet ein, dass er bei der Schätzung von einem deutlich unter 200.000 EUR liegenden Wert habe ausgehen können. Die Gesamtvergütung errechne sich aus den zu erbringenden Aufwendungen abzüglich der gegenzurechnenden Erlöse. Dieser Betrag mache die dem Auftraggeber tatsächlich entstehenden Kosten aus. Das vom Auftraggeber eingeschaltete Ingenieurbüro A. habe vermerkt, dass in zwei vergangenen Fällen Angebote für 0,00 Euro für eine Altpapiererfassung- und Entsorgung vorgelegt worden seien. Auch die Beigeladene vertritt die Auffassung, dass bei der Schätzung des Auftragswerts der Erlös aus der Verwertung des Altpapiers abgezogen werden müsse.

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Dem kann nicht gefolgt werden.

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Bei der Schätzung des Auftragswertes ist von der geschätzten Gesamtvergütung für die vorgesehene Leistung auszugehen (§ 3 Abs. 1 VgV). Maßgebend ist der Verkehrs- oder Marktwert, zu dem eine bestimmte Leistung zum maßgebenden Zeitpunkt bezogen werden kann (Glahs in Reidt/Stickler/Glahs, VergabeR, § 3 VgV Rdnr. 7).

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Im vorliegenden Fall hat der Auftraggeber auf der Grundlage der Stellungnahme des Beraterbüros A. vom 11. Dezember 2002 davon ausgehen müssen, dass die vorgesehene Altpapierentsorgung im günstigen Fall zu einem Preis ergeben werden konnte, der dem Erlös aus der Verwertung des Altpapiers entsprach, also 320.000 EUR (400 EUR/t bei jährlich zu entsorgenden 800 t Altpapier). Dies war, wie sich durch die dann eingeholten Angebote bestätigt hat, der Preis, zu dem die Altpapierentsorgung am Markt bezogen werden konnte.

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3.

Der Auftraggeber und die Beigeladene können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, weil er erst nach Erteilung des Zuschlags gestellt worden sei.

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Da es sich, wie ausgeführt, um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag mit einem Schwellenwert von mehr als 200.000 EUR handelt, greift § 13 Satz 6 VgV mit der Folge ein, dass der vor Ablauf der 14-Tagesfrist des § 13 VgV geschlossene Vertrag nichtig ist.

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Der Anwendung des § 13 Satz 6 VgV steht nicht entgegen, dass der Auftraggeber ein förmliches Vergabeverfahren nicht durchgeführt hat. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob § 13 VgV auch dann anzuwenden ist, wenn der Auftraggeber den Vertrag ohne jegliches wettbewerbliches Verfahren abgeschlossen hat (verneinend: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. Dezember 2003 - Verg 37/03; zum Streitstand: Kullack in: Heiermann/Riedl/ Rusam, VOB, 10. Aufl., § 107 GWB, Rdnr. 39, Ingenstau/Korbion/Portz, 15. Aufl., § 13 VgV Rdnr. 21 ff.; Glahs in Reidt/Stickler/Glahs, VergabeR Komm., § 13 VgV Rdnr. 5 ff.). So liegt der Fall hier nicht. Der Auftraggeber hat bei mehreren Unternehmen Angebote eingeholt, diese geprüft, einen Vergabevermerk angefertigt und den Auftrag an die Beigeladene erteilt. Dass es sich nicht um ein förmliches Vergabeverfahren gehandelt hat, ist für die Nichtigkeitsfolge des § 13 Satz 6 VgV unerheblich. § 13 setzt nur voraus, dass es Bieter gibt, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen. Das gilt auch dann, wenn es sich, wie hier, der Sache nach um ein Verhandlungsverfahren handelt (OLG Düsseldorf, VergabeR 2003, 435, offen gelassen im Beschluss vom 3. Dezember 2003 a.a.O.)

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Anders als die Beigeladene meint, hindert eine Anwendung des § 13 Nr. 6 VgV auch nicht, dass die Antragstellerin kein verbindliches Angebot abgegeben hat. Die Antragstellerin erklärte in dem Schreiben vom 24. Juli 2003, dass sie die Anfrage des Auftraggebers ausschließlich als Markterkundung verstehe, und dass der Auftraggeber, falls er ein verbindliches Angebot wünsche, dies mitteilen solle, sie sei daran sehr interessiert. Der Auftraggeber durfte daher die Antragstellerin nicht ohne weiteres so behandeln, als ob sie kein Bieter sei. Das hat er tatsächlich auch nicht getan. Er hat der Antragstellerin mit Schreiben vom 1. August 2003 mitgeteilt, er sei gerne bereit, das "unverbindliche Angebot" vom 24. Juli 2003 in die Wertung mit einzubeziehen, die endgültige Festlegung werde er der Antragstellerin schriftlich mitteilen. Noch am selben Tag informierte der Auftraggeber die Antragstellerin über die Nichtberücksichtigung ihres Angebots und erteilte der Beigeladenen den Auftrag.

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4.

Der Antragsteller und die Beigeladene machen geltend, dass der Nachprüfungsantrag eine unzulässige Rechtsausübung darstelle und deshalb unzulässig sei. Die Antragstellerin habe zunächst versucht, unter Umgehung des Vergaberechts den mit ihm bestehenden Vertrag über den 31. Dezember 2003 hinaus zu verlängern. Sie habe dazu Angebote unterbreitet, ohne mitzuteilen, dass der zwischen ihr und der D.- AG bestehende Leistungsvertrag zum 31. Dezember 2003 enden werde. Erst nach der Information, dass sie den Zuschlag nicht erhalte, habe die Antragstellerin die Vergabenachprüfung beantragt. Der Einwand ist unbegründet. Eine unzulässige Rechtsausübung liegt nicht vor.

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33

Der Auftraggeber hat der Beigeladenen die Bedingungen für das erbetene Angebot erst unter dem 22. Juli 2003 übersandt. Die Antragstellerin hat daraufhin unverzüglich, nämlich in ihrem "unverbindlichen Angebot" vom 24. Juli 2003 gerügt, dass nach ihrer Auffassung verbindliche Angebote nur im Wege einer europaweiten Ausschreibung eingeholt werden könnten. Mehr musste sie nicht tun. Entgegen der vom Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen vertretenen Meinung lässt sich ein treuwidriges Verhalten der Antragstellerin nicht daraus herleiten, dass sie nicht sofort ein Nachprüfungsverfahren beantragte, sondern zunächst die Entscheidung des Auftraggebers abwartete. Eine so weit gehende Verpflichtung des von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften betroffenen Unternehmens sieht das Vergaberecht nicht vor (vgl. § 107 Abs. 3 GWB).

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Soweit die Antragstellerin sich schon mit den Schreiben vom 22. Mai und 10. Juni 2003 an den Auftraggeber gewandt hatte, bezogen sich diese Schreiben nicht auf die streitbefangene Vergabe. Sie betrafen vielmehr eine Änderung des zwischen dem Auftraggeber und der Firmenarbeitsgemeinschaft bestehenden Vertrags aus dem Jahr 1992. Der Auftraggeber und die Beigeladene können nicht mit Erfolg geltend machen, die Antragstellerin habe schon damals gewusst, dass dieser Vertrag zum 31. Dezember 2003 enden werde, und dass deshalb für die Altpapierentsorgung im Jahr 2004 eine förmliche Vergabe notwendig sein werde. Denn die Antragstellerin hat gegenüber dem Auftraggeber den Standpunkt vertreten, die Vereinbarung aus dem Jahr 1992 ende erst zum 31. Dezember 2004 (Bl. 8 der Vergabeakten, Bl. 169 - 172 d.A. der Vergabekammer). Ein widersprüchliches Verhalten liegt deshalb nicht vor. Es ist jedenfalls so lange nicht widersprüchlich, sich außerhalb eines Vergabeverfahrens zu bemühen, als dem Bewerber nicht positiv bekannt ist, dass ein Vergabeverfahren rechtlich zwingend durchgeführt werden muss (BayObLG, Beschluss vom 22. Januar 2002, VergabeR 2002, 244).

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5.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass der Auftraggeber ein europaweites offenes Vergabeverfahren hätte durchführen müssen. Wie die Vergabekammer zutreffend ausgeführt hat, hat der Auftraggeber einen der in § 3 a VOL/A geregelten Ausnahmetatbestände nicht dargetan. Insoweit bringen die Beschwerden auch keine Einwände vor.

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III.

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Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 97 Abs. 1, 100 ZPO. Der Auftraggeber zielte mit der Ausschreibung auf ein "Null-Euro-Angebot", bei dem allerdings eine Preisregelung dahin getroffen werden sollte, dass dem Auftragnehmer die erfassten Papiermengen übereignet werden. Hinsichtlich des vom Auftragnehmer bei der Verwertung des Altpapiers erzielbaren Erlöses ist der Auftraggeber gemäß Vermerk des von ihm eingeschalteten Beraterbüros A. vom 11. Dezember 2001 von 40 EUR/t und einer Menge von 8.000 t pro Jahr, also von einem jährlichen Erlös von 320.000 EUR ausgegangen. 5 % davon sind 16.000 EUR.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 16.000 EUR festgesetzt.

Der Streitwert beträgt gemäß § 12 a Abs. 2 GKG 5 % der "Auftragssumme", die mit 320.000 EUR anzunehmen ist.