Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 20.10.2010, Az.: VgK-52/2010

Ein Verfahren über die Vergabe von Versicherungsleistungen ist mangels einer Losaufteilung unzulässig; Vorbehalt der Wertermittlung bei älteren Gebäuden im Wege einer Revisionsschätzung; Verstoß gegen das Transparenzgebot sowie das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung; Verpflichtung zur Versetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium vor Aufforderung zur Angebotsabgabe; Ausschreibung von Sachversicherungen als Gebäudeversicherung sowie Gebäudeinhaltsversicherung und Elektronikversicherung; Erstellung der Verdingungsunterlagen unter der Verwendung von Sachversicherungsbedingungen

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
20.10.2010
Aktenzeichen
VgK-52/2010
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 36629
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

Vergabe von Schadenversicherungen

In dem Nachprüfungsverfahren
...
hat die Vergabekammer
durch
den Vorsitzenden MR Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOR'in Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn RA Hintz,
auf die mündliche Verhandlung vom 20.10.2010
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Der Auftraggeber wird verpflichtet, das Vergabeverfahren in das Stadium vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zu versetzen, die Bieter unter Beifügung der unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer geänderten Vergabeunterlagen erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen und in einer den Anforderungen des § 24 VOL/A EG in der Vergabeakte zu dokumentieren.

    Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens tragen der Auftraggeber zu 2/3 und die Antragstellerin zu 1/3. Der Auftraggeber ist jedoch von der Entrichtung des auf ihn entfallenden Kostenanteils befreit.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf xxxxxx EUR festgesetzt.

  4. 4.

    Die Auftraggeber hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragstellerin notwendig.

Begründung

1

I.

Mit europaweiter Bekanntmachung vom xxxxxx.2010 schrieb der Auftraggeber Versicherungsdienstleistungen (Sachversicherung) bestehend aus

  • Gebäudeversicherung (Feuer, Leitungswasser, Sturm/Hagel),

  • Gebäudeinhaltsversicherung (Feuer, Leitungswasser, Sturm/Hagel, Einbruchdiebstahl),

  • Elektronikversicherung,

  • Musikinstrumentenversicherung und

  • Maschinenversicherung

2

für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2013 EU-weit im offenen Verfahren aus.

3

Der Bekanntmachung war zu entnehmen, dass eine Unterteilung in Lose nicht vorgesehen ist. Nebenangebote und Änderungsvorschläge waren nicht zugelassen.

4

Hinsichtlich der Teilnahmebedingungen waren zur Beurteilung der persönlichen Lage des Wirtschaftsteilnehmers und dessen Leistungsfähigkeit verschiedene Angaben und Formalitäten gefordert. Der Zuschlag sollte auf das wirtschaftlich günstigste Angebot aufgrund der nachfolgenden Kriterien erfolgen:

  1. 1.

    Preis, Gewichtung 60

  2. 2.

    Kundenbetreuung, Erreichbarkeit Gewichtung 15

  3. 3.

    Schadensabwicklung, Gewichtung 15

  4. 4.

    Schadensverhütung, Gewichtung 10

5

In der Leistungsbeschreibung waren zusätzliche Hinweise zu den einzelnen Zuschlagskriterien enthalten.

6

Den Angebotsunterlagen war eine Objektliste Gebäude- und Inhaltsversicherung beigefügt. Bei einigen Objekten fehlte die Angabe des derzeitigen Gebäudewertes, M Wert 1914 und bei einigen Inhaltsversicherungen der Neuwert. Als Fußnote war angegeben:

"Inhaltswerte sind vom Versicherer pauschal auf eigenes Risiko festzulegen. Die Inhaltswerte für kommunale Risiken betragen erfahrungsgemäß 15 Prozent der Gebäudewerte. Bei den Mietobjekten sind die Inhaltswerte angegeben."

7

Ferner waren den Angebotsunterlagen die Sachversicherungsbedingungen für kommunale Objekte sowie Allgemeinen Bedingungen für einzelne Versicherungen beigefügt.

8

Nachdem die Antragstellerin die Angebotsunterlagen mit Schreiben vom 29.07.2010 angefordert hatte, bat sie mit Schreiben vom 10.08.2010 um Klarstellung bzw. Korrektur einzelner Punkte. Sie rügte dabei einzelne Punkte der Ausschreibung. Weitere Punkte der Ausschreibung rügte sie mit Schreiben vom 12.08.2010.

9

Mit Bieterinformationen 1 bis 3 vom 17.08.2010 informierte der Auftraggeber die Bieter hinsichtlich der Beantwortung der Nachfragen. Zur Frage der Antragstellerin vom 10.08.2010 zur Quantifizierbarkeit der Zuschlagskriterien erklärte der Auftraggeber:

"Die weiteren Kriterien sind qualifizierbar. Die Kriterien wurden bereits vielfach angewandt. Die Kriterien und ihre Wertung wurden von diversen Rechnungsprüfungsämtern anerkannt. Maßgebend wird auf die geforderten Faktoren des Versicherungsschutzes wert gelegt. Entscheidend ist jeweils das günstigste Versicherungsangebot für ein mehrjähriges Vertragsverhältnis." (Hervorhebung jeweils durch die Vergabekammer).

10

Mit Telefax vom 19.08.2010 rügte die Antragstellerin die fehlende Antwort auf Ihre Rügen vom 10.08.2010 und ihrem Schreiben vom 12.08.2010. Eine weitere (vierte) Bieterinformation des Auftraggebers datiert vom 19.08.2010.

11

Mit anwaltlichen Rügeschreiben vom 24.08.2010 beanstandete die Antragstellerin erneut die Ausschreibung und führte aus, dass ihre Rügeschreiben vom 10.08.2010, 12.08.2010 und 19.08.2010 nicht beschieden wurden. Die vier Bieterinformationen vom 17.08.2010 und 19.08.2010 würden keine individuelle Bescheidung ersetzen. Die inhaltlichen Beanstandungen ihrer Rügeschreiben hielt die Antragstellerin aufrecht. Ferner beanstandete sie die Zuschlagskriterien als intransparent und diskriminierend, da u.a. die Regionalität und damit die Entfernung zum Leistungsort berücksichtigt wird. Auch mahnte sie die richtige Mitteilung der Versicherungssummen für ihre Kalkulation an. Ihrer Auffassung nach, werde die Wertermittlung unzulässigerweise auf die Versicherer verlagert, da die richtigen Gebäude- und Inhaltssummen nur dem bisherigen Versicherer bekannt seien. Ferner rügte sie die Regelung über den Ausschluss von Terroranschlägen, die ihrer Meinung nach nicht oder nur bei einem regionalen Versicherer möglich seien.

12

Nachdem der Auftraggeber mit Schreiben vom 30.08.2010 zu dem Rügeschreiben Stellung genommen hatte, rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 03.09.2010 erneut die Ausschreibung und teilte dem Auftraggeber mit, dass ihrer Meinung nach den Rügen in der Sache in keiner Weise abgeholfen worden sei. Sie rügte ferner die fehlende individuelle Rechtsbehelfsbelehrung in dem Schreiben/Nichtabhilfebescheid vom 30.08.2010.

13

Die Antragstellerin beantragte mit Schreiben vom 13.09.2010, eingegangen bei der Vergabekammer per Telefax am gleichen Tage, die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Sie begründet ihren Antrag unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Ausführungen in den o.g. Rügeschreiben. Im Einzelnen macht sie geltend:

  • Mangelnde Losaufteilung

    Der Auftraggeber verstoße gegen das Vergaberecht, da er die einzelnen abzuschließenden Versicherungen in einem Los ausschreibt. Sie sieht hier einen Verstoß gegen die vom Gesetzgeber gewollte Verstärkung des Wettbewerbs und durch die unterlassene Losaufteilung ihre Zuschlagschancen beeinträchtigt. Gebäudewertermittlung

    Die vom Auftraggeber vorgesehene Klausel, dass der Versicherer neue Wertermittlungen durchzuführen hat, sei grob vergaberechtswidrig. Sie weist daraufhin, dass nach der Rechtssprechung des OLG Celle der Versicherungsnehmer (also der Auftraggeber) für die Ermittlung von Versicherungssummen verantwortlich sei. Die von dem Auftraggeber zur Verfügung gestellten veralteten Werte seien mit fehlenden Werten gleich zu setzen.

  • Sachversicherungsbedingungen der Gebäude- und Inventarversicherung

    Diese Sachversicherungsbedingungen seien speziell auf einen regionalen Versicherer zugeschnitten. Eine solche Ausschreibung habe Alibi-Charakter und führe zu dem vorhersehbaren Ergebnis, dass der besitzende öffentlich-rechtliche Versicherer auch weiterhin die ausschreibende Körperschaft als Kunden behält.

  • Einschluss von Terroranschlägen

    Gemäß Ziffer 3.8 des Leistungsverzeichnisses sind Schäden durch Terrorakte bis zu einer Jahreshöchstentschädigung von 40 Mio. EUR mitzuversichern. Nur bei einem regionalen Versicherer sei eine Jahreshöchstentschädigung in der geforderten Höhe möglich. Der Wiedereinschluss erfolge für Objekte bis zu einer Versicherungssumme (Gebäude, Inhalt und Kosten) von 25 Mio. EUR und einer Jahreshöchstentschädigung in gleicher Höhe. Sie legt zur Bestätigung die Antworten verschiedenster Versicherer vor. Diese weisen in ihren Antworten z.T. darauf hin, dass in den Fällen, in denen die Versicherungssumme 25 Mio. EUR übersteigt, die Deckung über die von der Versicherungsbranche gegründete xxxxxx erfolgen muss.

  • Auswahl und Wertbarkeit

    Das vom Auftraggeber genannte Zuschlagskriterium "Kundenbetreuung/Erreichbarkeit" sei ihrer Meinung nach intransparent und nicht bewertbar. Der Auftraggeber habe es versäumt, den genauen Bewertungsmaßstab bekannt zu geben, der etwas über das Verhältnis der Bewertungsergebnisse der einzelnen genannten Unterpunkte zueinander aussagt. Vergleichbares gelte auch für das Zuschlagskriterium "Schadensabwicklung". Ferner vertritt sie die Auffassung, dass eine sinnvolle Abgrenzung der beiden Kriterien "Kundenbetreuung/Erreichbarkeit" und "Schadensabwicklung" nicht möglich ist. Ihrer Auffassung nach handelt es sich um eine unzulässige Doppelbewertung gleicher Sachverhalte. Ferner kann sie nicht nachvollziehen, wie das Kriterium "Erfahrung in der Kommunalverwaltung" bewertet werden soll. Sie sieht hier eine Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien.

  • Gewichtung

    Die Antragstellerin hält die Gewichtung des Zuschlagskriteriums "Preis" für zu gering. Der Preis bzw. die Prämie sei das einzig sinnvolle und auch transparent bewertbare Kriterium bei Versicherungsausschreibungen. Lediglich bei konzeptionellen, innovativen Vergaben die nicht standardisiert sind, sei eine Gewichtung des Preises mit bis zu 30% in Ausnahmefällen möglich, nicht jedoch bei einer völlig standardisierten Versicherungsausschreibung.

14

Nach Durchführung der eingeschränkten Akteneinsicht rügte der Bevollmächtigte der Antragstellerin gegenüber dem Auftraggeber die mangelnde Dokumentation in der Vergabeakte hinsichtlich Kostenschätzung, Festlegung der Vertragslaufzeit und der Teilnahmekriterien, Zuschnitte der Leistung, usw.

15

Die Antragstellerin beantragt,

  1. 1.

    ein Vergabenachprüfungsverfahren einzuleiten und der Antragsgegnerin aufzugeben, das Vergabeverfahren in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzen,

  2. 2.

    der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren,

  3. 3.

    dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Gebühren und Auslagen aufzuerlegen,

  4. 4.

    festzustellen, dass die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Antragstellerin notwendig war.

16

Der Auftraggeber beantragt,

die Anträge (1. bis 4.) abzulehnen.

17

Er hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig. Zur Begründung führt er aus, dass er mit Bieterinformationsschreiben vom 17.08.2010 und 19.08.2010 der Antragstellerin mitgeteilt habe, den jeweiligen Rügen nicht abhelfen zu wollen. Da der Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens erst am 13.09.2010 eingegangen ist, sei die Antragstellerin mit ihrem Antrag präkludiert. Soweit die Antragstellerin in den späteren anwaltlichen Nachrügen vom 24.08.2010 ausdrücklich ihr gesamtes Rügevorbringen einbezieht, weist der Auftraggeber darauf hin, dass das Vergaberecht Nachrügen nicht vorsieht.

18

Zu von der Antragstellerin vorgetragenen Punkten nimmt er wie folgt Stellung:

  • ? Mangelnde Losaufteilung

    Soweit die Antragstellerin den Verzicht auf Losaufteilung beanstandet, vertritt der Auftraggeber die Auffassung, dass einerseits die Sparten der technischen Versicherungen vom Volumen her zu gering seien und andererseits Abgrenzungsprobleme bei der Zuordnung der zu versichernden Gegenstände zwischen Gebäude-, Inhalts- und der Elektronikversicherung auftreten können.

  • ? Gebäudewertermittlung

    Hinsichtlich der von der Antragstellerin zitierten Rechtssprechung des OLG Celle hält der Auftraggeber diese im anhängigen Nachprüfungsverfahren nicht für anwendbar. Er habe seiner Ausschreibung eine Objektliste mit allen Versicherungswerten beigefügt; gleiches gelte auch für die technischen Versicherungen. Er habe sich lediglich lt. Ziffer 4.1.3 der Leistungsbeschreibung die Möglichkeit eingeräumt, in bestimmten Einzelfällen eine Wertermittlung (Revisionsschätzung) durch den Versicherer zu verlangen, nicht jedoch durch den Bieter.

  • ? Sachversicherungsbedingungen der Gebäude- und Inventarversicherung

    Bei den von ihm verwandten Sachversicherungsbedingungen handele es sich um Bedingungen, die vom Nds. Städte- und Gemeindebund für die Kommunen entworfen worden sind und sich bewährt haben. Er habe notwendige und sinnvolle Änderungen eingearbeitet undnicht von einem öffentlich-rechtlichen Versicherer übernommen.

  • ? Einschluss von Terroranschlägen

    Der Auftraggeber weist darauf hin, dass Schadensereignisse durch Terrorakte auf Jahresbasis bis zu max. 25 Mio. EUR als Regeldeckung versichert werden. Der derzeitige Versicherer habe die Haftung landesweit über eine Versicherungssumme auf 40 Mio. EUR ausgedehnt, um derüblichen Versicherungsform alsSammelversicherung der kommunalen Gebäude- und Inhaltsversicherung zu entsprechen. Er beabsichtige mit der Ausschreibung auch, dass das Ergebnis nicht quantitativ und qualitativ unterhalb des bisherigen Standards bleibt. Bei größeren Objekten, wie z.B. das Berufsbildungszentrum, könne ein Schaden über 25 Mio. EUR nicht ausgeschlossen werden.

    Der Einwand, dass die Forderung eines Nachweises über die bestehende Rückversicherung unverhältnismäßig und rechtswidrig sei, träfe nicht zu, da ihm zunächst eine Eigenerklärung reicht. Die Bescheinigung sei erst bei einem beabsichtigten Vertragsabschluss erforderlich.

  • ? Auswahl, Wertbarkeit und Gewichtung der Zuschlagskriterien

    Der Auftraggeber vertritt die Auffassung, dass die von ihm benannten Zuschlagskriterien qualifizierbar sind. Er habe die Punkte, auf die es ankommt, im Einzelnen klar benannt und auch voneinander abgegrenzt. Ferner seien die Eignungsgesichtspunkte (Referenzen) nicht Bestandteil der Zuschlagskriterien. Die Zuschlagskriterien habe er unter den Ziffern

    1.5.1 Kundenbetreuung (15%)

    1.5.2 Schadensabwicklung (15%)

    1.5.3 Unterstützung bei der Schadensverhütung (10%)

    der Leistungsbeschreibung erläutert. Jeder Versicherer habe die Möglichkeit, neben den beispielhaft genannten Punkten weitere innovative Leistungen zu benennen. Maßgeblich werde auf die geforderten Faktoren des Versicherungsschutzes Wert gelegt. Entscheidend sei jeweils das günstigste Versicherungsangebot für ein mehrjähriges Vertragsverhältnis.

    Das Zuschlagskriterium "Kundenbetreuung/Erreichbarkeit" hält der Auftraggeber für transparent und bewertbar. Er habe verschiedene Möglichkeiten abgefragt. Auch die Regionalität könne bei Großschadensabwicklungen bzw. Schadensfeststellungen vor Ort eine Rolle spielen.

    Soweit die Antragstellerin die Gewichtung des Zuschlagskriteriums "Preis" für zu gering erachtet, führt der Auftraggeber aus, dass die anderen Zuschlagskriterien bei der Kompliziertheit rechtlicher und technischer Fragen der Schadensregulierung und -prävention ebenfalls zu berücksichtigen seien.

19

Der Auftraggeber hat mit Schreiben vom 18.10.2010 mitgeteilt, dass er den Bietern die Bewertungsmaßstäbe bekannt geben und dem Nachprüfungsantrag insoweit selbst abhelfen wird.

20

Die Vergabekammer hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 08.10.2010 gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung der Vergabekammer in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 GWB) hinaus bis zum 01.11.2010 verlängert.

21

Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 20.10.2010 Bezug genommen.

22

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und teilweise begründet. Der Auftraggeber hat gegen das Transparenzgebot gemäß § 97 Abs. 1 GWB und das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gemäß § 8 Abs. 1 VOL/A EG verstoßen. Der Auftraggeber hat zwar den Bietern mit den Angebotsunterlagen eine Objektliste übersandt, aus der die Bieter die für die Kalkulation erforderlichen Gebäudewerte entnehmen konnten. Der Auftraggeber war jedoch nicht berechtigt, diese für die Bieter notwendige Kalkulationsgrundlage dadurch zu relativieren, dass er sich in der Leistungsbeschreibung vorbehalten hat, bei älteren Gebäuden und/oder lang zurückliegenden Gebäudewertermittlungen vom Versicherungsnehmer zu verlangen, dass der Versicherer neue Wertermittlungen im Wege einer Revisionsschätzung durchführt. Der Auftraggeber hat ferner gegen seine Dokumentationspflichten gemäß § 24 Abs. 1 lit. h VOL/A EG verstoßen, da er es versäumt hat, in der Vergabeakte die Gründe zu dokumentieren, aufgrund derer er die unterschiedlichen Versicherungsleistungen im Wege einer Gesamtvergabe ausgeschrieben hat. Durch diese Verstöße ist die Antragstellerin im Sinne der§§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt. Im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag dagegen unbegründet. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Auftraggeber die Verdingungsunterunterlagen unter Verwendung von Sachversicherungsbedingungen auf der Grundlage des Musters "Gebäude- und Inhaltsversicherung für Kommunen" des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes (NSGB) erstellt hat. Der Auftraggeber war auch berechtigt, den Versicherungsschutz mit der Maßgabe eines Einschlusses von Terrorschäden bis zu einem max. Schaden von 40 Mio. EUR p.a. zu verlangen. Durch diese Forderung hat der Auftraggeber entgegen der Auffassung der Antragstellerin weder gegen den Wettbewerbsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 GWB noch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 97 Abs. 2 GWB verstoßen. Aus der Vergabeakte ergibt sich auch nicht, dass der Auftraggeber die Ausschreibungsunterlagen unreflektiert von dem von ihm beauftragten Kommunalberater übernommen hat. Schließlich ist auch nicht zu beanstanden, dass der Auftraggeber dem Zuschlagskriterium Preis eine Gewichtung von 60% zugemessen hat.

23

1.

Anzuwenden ist für das vorliegende Verfahren der Abschnitt 2 der VOL/A in der Fassung vom 20. November 2009, in Kraft getreten mit der novellierten Vergabeverordnung (VgV) am 11.06.2010 (BGBl. I Nr. 30 S. 724). Das Vergabeverfahren wurde mit europaweiter Bekanntmachung des Auftraggebers vom xxxxxx.2010 eingeleitet.

24

2.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei dem Auftraggeber handelt es sich um eine Gebietskörperschaft und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach§ 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um Versicherungsleistungen und damit um einen Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 99 Abs. 1, Abs. 4 GWB für die gemäß § 2 Nr. 2 VgV ein Schwellenwert von 193.000 EUR gilt. Der Gesamtwert des ausgeschriebenen Auftrags beträgt nach der Schätzung des Auftraggebers (Notiz vom 28. April 2010) über die gesamte ausgeschriebene Vertragslaufzeit von 3 Jahren zuzüglich Option auf ein weiteres Jahr xxxxxx EUR.

25

Die Antragstellerin ist auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als potentielles Bieterunternehmen im vorliegenden Vergabeverfahren ein Interesse am Auftrag hat und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie die Auffassung vertritt, dass der Auftraggeber die verfahrensgegenständlichen Versicherungsleistungen unberechtigterweise als Gesamtauftrag ausgeschrieben habe, obwohl eine losweise Ausschreibung der einzelnen Versicherungssparten möglich und im Interesse des Wettbewerbs geboten wäre. Ferner verstoße der vom Auftraggeber in den Vergabeunterlagen aufgenommene Vorbehalt, der ihn berechtigt, im Vertragsverhältnis vom Versicherer ggf. neue Wertermittlungen verlangen zu können, gegen das Gebot der eindeutigen Leistungsbeschreibung. Die verwendeten Sachversicherungsbedingungen der Gebäude- und Inventarversicherung sei speziell auf einen regionalen Versicherer zugeschnitten, so dass die Ausschreibung einen Alibicharakter habe. Die Forderung einer Abdeckung von Schäden durch Terrorakte bis zu einer Jahreshöchstentschädigung von 40 Mio. EUR begünstige ebenfalls einen regionalen Versicherer, da nur dieser eine entsprechende Jahreshöchstentschädigung in der geforderten Höhe ermögliche. Ferner habe der Aufraggeber das Zuschlagskriterium "Preis", das mit 60% bei der Wertung berücksichtigt werden solle, zu gering gewichtet. Schließlich habe der Auftraggeber das bisherige Verfahren nicht in einer den Anforderungen des § 24 VOL/A EG genügenden Weise in der Vergabeakte dokumentiert. Voraussetzung für die Antragsbefugnis gemäß § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstanden oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass die Antragstellerin diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen aber nichtüberspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Auflage,§ 107 GWB, Rdnr. 954). Die Antragstellerin hat zumindest schlüssig dargelegt, dass sie sich durch die geltend gemachten vermeintlichen Vergaberechtsverstöße in ihren Chancen beeinträchtigt sieht, ein konkurrenzfähiges Angebot abzugeben und den Zuschlag zu erhalten. Es ist im Übrigen nicht erforderlich, dass ein Antragsteller schlüssig darlegt, dass er bei vergabekonformem Verhalten des Auftraggebers den Zuschlag auch tatsächlich erhalten würde (vgl.OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.1999, Az.: Verg 1/99).

26

Der Nachprüfungsantrag ist auch nicht mangels rechtzeitiger Rüge gemäß § 107 Abs. 3 GWB unzulässig. Da die Antragstellerin sich vorliegend mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen Sachverhalte und Bedingungen der Ausschreibung wendet, die ihr aus der europaweiten Bekanntmachung vom xxxxxx.2010 und der mit Aufforderung zur Angebotsabgabe übersandten Vergabeunterlagen bekannt gemacht wurden, müssen die Rügen vorliegend den Anforderungen der Regelungen des§ 107 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 GWB genügen. Danach ist ein Antrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung oder erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Als Termin für die Angebotsabgabe hat der Auftraggeber den 24.09.2010 festgelegt. Die insgesamt drei Rügeschreiben der Antragstellerin vom 10.08., 12.08. und 19.08.2010 folgten daher rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB. Auch die mit Anwaltsschriftsatz vom 24.08. und 03.09.2010 abgesetzten wiederholenden und ergänzenden Rügen erfolgten rechtzeitig. Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch nicht entgegen, dass die Rügen nicht unmittelbar durch die Antragstellerin, sondern durch für sie im streitbefangenen Vergabeverfahren und im vorliegenden Nachprüfungsverfahren vertretenden Versicherungsmakler, den xxxxxx, xxxxxx, erhoben wurden (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 15.12.2005, 13 Verg 14/05 = VergabeR 2006, S. 244).

27

Der Nachprüfungsantrag ist vorliegend auch nicht wegen Verfristung gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB unzulässig. Danach ist ein Antrag unzulässig, soweit mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, vergangen sind. Auf diese Rechtsfolge hatte der Auftraggeber in seiner europaweiten Bekanntmachung vom xxxxxx.2010 die Bieter ausdrücklich hingewiesen. Die Regelung des § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB hat zum Ziel, frühzeitig Klarheit über die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens zu schaffen. Vor In-Kraft-Treten dieser Regelung kam es häufig vor, dass ein Unternehmen im Vergabeverfahren gegenüber dem Auftraggeber vermeintliche Rechtsverletzungen rügte, nach abschlägiger Mitteilung aber zunächst nichts unternahm und die Vergabekammer erst dann anrief, wenn der Auftraggeber ihm mitteilte, dass ein anderes Unternehmen den Zuschlag erhalten sollte. Dieses Zuwarten ist nun nicht mehr möglich (vgl. Wiese in: Kulartz, Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Auflage, § 107, Rdnr. 121, unter Hinweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 107 Abs. 3 GWB, BT-Drucksache 16/10117, S. 22). Voraussetzung für die Präklusionswirkung der Bekanntgabe der Nichtabhilfe gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB ist nach der Rechtsprechung allerdings, dass der Auftraggeber in der Bekanntmachung im Amtsblatt der EU auf diese Regelung hingewiesen hat (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 04.03.2010, Az.: 13 Verg 1/010). Diese Voraussetzung hat der Auftraggeber vorliegend erfüllt.

28

Der Auftraggeber hat es jedoch vorliegend versäumt, unmittelbar gegenüber der Antragstellerin die Nichtabhilfe der von ihm für unberechtigt gehaltenen Rügen zu erklären. Der Auftraggeber hat die Rügen ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte lediglich als Bieteranfragen behandelt und diese zum Gegenstand von insgesamt drei an alle Bieter übersandten Bieterinformationen vom 17.08.2010 und einer vierten Bieterinformation vom 19.08.2010 gemacht und beantwortet. Eine ausdrückliche Rügezurückweisung im Sinne des § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB erfolgte nicht.

29

3.

Der Nachprüfungsantrag ist teilweise begründet. Der Auftraggeber hat gegen das Transparenzgebot gemäß § 97 Abs. 1 GWB und das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gemäß § 8 Abs. 1 VOL/A EG verstoßen, indem er sich unter Ziff. 4.1.3 der Leistungsbeschreibung vorbehalten hat, als Versicherungsunternehmer bei älteren Gebäuden und/oder lang zurückliegenden Gebäudewertermittlungen zu verlangen, dass der Versicherer neue Wertermittlungen im Wege einer Revisionsschätzung durchführt (im Folgenden a). Ferner hat der Auftraggeber ebenfalls unter Verletzung des Transparenzgebotes gemäß § 97 Abs. 1 GWB gegen seine Dokumentationspflichten gemäß § 24 Abs. 1 lit. h VOL/A EG verstoßen, indem er es versäumt hat, in der Vergabeakte die Gründe zu dokumentieren, aufgrund derer er die unterschiedlichen Versicherungsleistungen im Wege einer Gesamtvergabe ausgeschrieben hat. Die im Bieterrundschreiben vom 17.08.2010 den Bietern mitgeteilte und im Zuge des Nachprüfungsverfahrens vom Auftraggeber erläuterte und ausgeführte Begründung für die Gesamtvergabe selbst ist dagegen nicht zu beanstanden (im Folgenden b). Im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag dagegen unbegründet. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Auftraggeber die Verdingungsunterlagen unter Verwendung der Sachversicherungsbedingungen auf der Grundlage des Musters "Gebäude- und Inhaltsversicherung für Kommunen" des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes (NSGB) erstellt hat (im Folgenden c). Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Auftraggeber den Versicherungsschutz mit der Maßgabe eines Einschlusses von Terrorschäden bis zu einem maximalen Schaden von 40 Mio. EUR pro Jahr verlangt. Mit dieser Forderung hat der Auftraggeber entgegen der Auffassung der Antragstellerin weder gegen den Wettbewerbsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 GWB noch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 97 Abs. 2 GWB verstoßen (im Folgenden d). Aus der Vergabeakte ergibt entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht, dass der Auftraggeber die Ausschreibungsunterlagen unreflektiert von dem von ihm beauftragten Kommunalberater übernommen hat (im Folgenden e). Schließlich ist auch nicht zu beanstanden, dass der Auftraggeber dem Zuschlagskriterium Preis eine Gewichtung von 60% zugemessen hat (im Folgenden f).

30

a)

Der Auftraggeber hat gegen seine Pflicht zur eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gemäß § 8 Abs. 1 VOL/A EG verstoßen, indem er sich in Ziff. 4.1.3 der Leistungsbeschreibung vorbehalten hat, als Versicherungsnehmer bei älteren Gebäuden und/oder lang zurückliegenden Gebäudewerteermittlungen zu verlangen, dass der Versicherer selbst neue Wertermittlungen durchführt. Er hat damit die von ihm den Bietern im Wege der mit den Verdingungsunterlagen überlassenen Objektliste und hinsichtlich einiger Objekte über die dritte Bieterinformation vom 17.08.2010 als notwendige Kalkulationsgrundlage mitgeteilten Gebäudewerte und Versicherungssummen für die Inhaltsversicherung auf vergaberechtlich nicht zulässiger Weise relativiert, so dass die Bieter nicht von einer transparenten Kalkulationsgrundlage ausgehen können.

31

Gemäß § 8 Abs. 1 VOL/A EG ist die Leistung eindeutig und erschöpfend zu beschreiben, so dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und miteinander vergleichbare Angebote zu erwarten sind (Leistungsbeschreibung). Die in § 8 VOL/A geregelten Anforderungen an die Gestaltung der Leistungsbeschreibung sind sowohl für das Vergabeverfahren als auch für die spätere Vertragsdurchführung mit dem erfolgreichen Bieter von fundamentaler Bedeutung. Die Leistungsbeschreibung bildet dabei das Kernstück der Vergabeunterlagen (vgl. Prieß, Die Leistungsbeschreibung - Kernstück des Vergabeverfahrens, NZBau 1/2004, S. 20 ff., und NZBau 2/2004, S. 87 ff. m.w.N.). Die Leistungsbeschreibung muss daher nicht nur eindeutig dahin gehend sein, dass sie den Bieter nicht im Unklaren lassen darf, welche Leistung von ihm in welcher Form und zu welchen Bedingungen angeboten werden soll. Sie soll auch erschöpfend dahin gehend sein, dass möglichst keine Restbereiche verbleiben sollen, die die Vergabestelle zuvor nicht bereits klar umrissen hat. Wenn die Vergabestelle diese allgemeinen Anforderungen bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung nicht beachtet, kann nicht von einer VOL-gemäßen Leistungsbeschreibung als Grundlage des Vergabeverfahrens gesprochen werden. Das Vergabeverfahren leidet in diesem Fall schon von Beginn an unter einem erheblichen Mangel (vgl. Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Auflage, § 8, Rdnr. 25). Der Grundsatz, dass der Auftraggeber die Verdingungsunterlagen so eindeutig und erschöpfend zu gestalten haben, dass sie eine einwandfreie Preisermittlung ermöglichen bzw. die Bieter die Preise exakt ermitteln können, findet seine Grenze im Prinzip der Verhältnismäßigkeit (vgl. Prieß, NZBau 2/2004, S. 87 ff, S. 90). Die Pflicht des Auftraggebers, alle kalkulationsrelevanten Parameter zu ermitteln und zusammenzustellen und damit den genauen Leistungsgegenstand und -umfang vor Erstellung der Leistungsbeschreibung aufzuklären, unterliegt daher der Grenze des Mach- und Zumutbaren. Er ist daher einerseits verpflichtet, zumutbaren finanziellen Aufwand zu betreiben, um die kalkulationsrelevanten Grundlagen der Leistungsbeschreibung zu ermitteln (vgl. Kratzenberg in: Ingenstau/Korbion, VOB, 14. Auflage A § 9, Rdnr. 21). Diese Pflicht des Auftraggeber endet jedoch, wo eine in allen Punkten eindeutige Leistungsbeschreibung nur mit unverhältnismäßigem Kostenaufwand möglich wäre (vgl. Prieß, a.a.O., m.w.N.). Eine eindeutige Leistungsbeschreibung setzt voraus, dass Art und Umfang der geforderten Leistung mit allen dafür maßgebenden Bedingungen und etwa notwendige Regelungen zur Ermittlung des Leistungsumfangs zweifelsfrei erkennbar und keine Widersprüche in sich oder zu anderen vertraglichen Regelungen enthalten sind (vgl. Traupel in: Müller-Wrede, VOL/A, 3. Auflage, § 8 VOL/A EG, Rdnr. 26, m.w.N.).

32

Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabes obliegt es dem Auftraggeber, den Bietern sowohl die ihm bekannten als auch ggf. noch von ihm zu ermittelnden Gebäudewerte mit den Verdingungsunterlagen zur Verfügung zu stellen. Dabei muss es sich nicht notwendigerweise um völlig aktuelle Daten handeln. Der Auftraggeber kann vielmehr auch auf Erhebungen älteren Datums unter Angabe des jeweiligen Jahres der Erhebung zurückgreifen. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass Versicherungsunternehmen bei der Angabe eines Gebäudewertes unter Nennung des Jahres der Datenerhebung in der Lage sind, den Gebäudewert auf den für die Kalkulation maßgeblichen Versicherungswert 1914 zurückzurechnen und damit auch den aktuellen Wert ohne weiteres zu errechnen. Die Beteiligten sind sich auch darüber einig, dass der Wert der zu versichernden Objekte für die Bieter ein wesentlicher Kalkulationsfaktor ist. Es ist daher auch für die Vergleichbarkeit der Angebote unverzichtbar, dass der Auftraggeber den Bietern die Objektwerte als verbindliche Kalkulationsgrundlage zur Verfügung stellt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 15.12.2005, Az.: 13 Verg 14/05 = VergabeR 2006, S. 244). Vorliegend hat der Auftraggeber den Bietern mit den Verdingungsunterlagen eine Objektliste Gebäude- und Inhaltsversicherung zur Verfügung gestellt, auf denen sich der Gebäudewert (M-Wert 1914) und für die Inhaltsversicherungen der Neuwert ergab. Diese Liste hat der Auftraggeber auf Nachfrage eines Marktteilnehmers mit seiner dritten Bieterinformation vom 17.08.2010 vervollständigt. Die am Vergabeverfahren beteiligten Versicherungsunternehmen müssen sich darauf verlassen können, dass sie die zur Kalkulation ihres Angebotes mitgeteilten Objektwerte heranziehen können. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Gebäudewerte als auch im Hinblick auf die Inventarwerte. Denn der Auftraggeber hatte die Bieter in der mit den Vergabeunterlagen übersandten Objektliste im Wege einer Fußnote darauf hingewiesen, wie die Versicherer Inhaltswerte zu ermitteln haben. Dort heißt es:

"Inhaltswerte sind vom Versicherer pauschal auf eigenes Risiko festzulegen. Die Inhaltswerte für kommunale Risiken betragen erfahrungsgemäß 15% der Gebäudewerte. Bei den Mietobjekten sind die Inhaltswerte angegeben."

33

Eine derartige Regelung der Ermittlung der Inventarwerte ist den Bietern unter Zugrundelegungen der Pflichten des Auftraggebers gemäß § 8 Abs. 1 VOL/A EG nur dann zuzumuten, wenn die dort genannten Ausgangsgrößen, nämlich die Gebäudewerte, den Bietern vom Auftraggeber auchverbindlich genannt werden.

34

Der Auftraggeber hat im Nachprüfungsverfahren schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2010 erläutert, dass er durch den Vorbehalt einer Revisionsschätzung durch den Versicherer vermeiden will, dass der Versicherer eine zu hohe Prämie kalkuliert, weil im Einzelfall Unklarheit darüber bestehen könne, ob eine lange zurückliegende Wertermittlung tatsächlich dem aktuellen Wert des zu versichernden Objekts entspricht. Es ist jedoch Sache des Auftraggebers, die verbindlichen Objektwerte vorzugeben, um zu gewährleisten, dass die Bieter bei der Kalkulation ihres Angebotes kein unzumutbares Risiko eingehen und insofern auch vergleichbare Angebote abgegeben werden. Hat der Auftraggeber bei einzelnen Objekten, insbesondere solchen von hohem Wert, Zweifel, ob ihm tatsächlich die realistischen Objektwerte zur Verfügung stehen, muss er diese Werte ggf. selbst durch einen Sachverständigen überprüfen lassen,bevor er die Bieter zur Angebotsabgabe auffordert. Dies gilt umso mehr, weil sich der Auftraggeber für den umgekehrten Fall, dass ein von ihm ermittelter und den Bietern vorgegebener Objektwert zu niedrig angesetzt ist, abgesichert hat. Der Auftraggeber hat die streitbefangenen Versicherungsleistungen unter Ausschluss eines Unterversicherungsrisikos ausgeschrieben.

35

Die von der Antragstellerin angefochtene Klausel zum Vorbehalt der Revisionsschätzung gemäß Ziff. 4.1.3 der Leistungsbeschreibung ist daher nicht mit den Pflichten des Auftraggebers aus§ 8 Abs. 1 VOL/A EG vereinbar.

36

b)

Der Auftraggeber hat ferner gegen seine Dokumentationspflichten gemäß § 24 Abs. 1 lit. h VOL/A EG verstoßen, da er es versäumt hat, in der Vergabeakte die Gründe zu dokumentieren, aufgrund derer er die unterschiedlichen Versicherungsleistungen im Wege einer Gesamtvergabe ausgeschrieben hat. Gemäß § 24 Abs. 1 VOL/A EG ist das Vergabeverfahren von Anbeginn fortlaufend zu dokumentieren, so dass die einzelnen Stufen des Verfahrens, die einzelnen Maßnahmen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen festgehalten werden. Die Dokumentation der einzelnen Stufen des Vergabeverfahrens sowie der Maßnahmen und der Begründung der einzelnen Entscheidungen ist Ausfluss des in § 97 Abs. 1 GWB normierten sowie EU-rechtlich verankerten Transparenzgrundsatzes (vgl. Diehl in: Müller-Wrede, VOL/A, 3. Auflage,§ 24 EG, Rdnr. 2, m.w.N.). Sinn dieser Bestimmung ist es, die Überprüfbarkeit der im Rahmen des Vergabeverfahrens getroffenen Feststellungen und Entscheidungen herbeizuführen (vgl. Franke/Grünhagen, VOB/A, § 30, Rdnr. 1, m.w.N.; Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Auflage, § 8, Rdnr. 33). Der Anwendungsbereich des § 24 VOL/A EG erstreckt sich dabei sowohl auf den formalen Verfahrensablauf als auch materiell auf die Maßnahmen, Feststellungen und Begründungen der einzelnen Entscheidungen. § 24 Abs. 2 VOL/A EG enthält einen Katalog über den Mindestgehalt der Dokumentation. Gemäß § 24 Abs. 2 lit. h VOL/A EG muss die Dokumentation u.a. mindestens auch die Gründe, aufgrund derer mehrere Teil- oder Fachlose zusammen vergeben werden sollen, umfassen. Eine derartige Dokumentation ist in der vorliegenden Vergabeakte nicht enthalten. Erwähnt werden die Beweggründe des Auftraggebers, die dieser auch in der mündlichen Verhandlung noch einmal erläutert hat - teilweise - lediglich in der zweiten Bieterinformation vom 17.08.2010. Dort heißt es auf S. 2 zu einer Frage zur fehlenden Losaufteilung:

"Die Ausschreibung der Gebäude-, Inhalts- und Elektronikversicherung in einem Los ist ausdrücklich gewünscht. Hierdurch können ggf. Abgrenzungsprobleme bei den Beiträgen und bei Schadensfällen vermieden werden. Die Vertragsverwaltung wird für die Verwaltung des Landkreises erheblich erleichtert, was letztlich zur Senkung der Kosten führt."

37

Diese Erläuterung zur Entscheidung der Gesamtvergabe lediglich in einer Bieterinformation genügt nicht den Anforderungen an die Dokumentation gemäß § 24 VOL/A EG. Zwar muss die Dokumentation nicht notwendiger Weise in einem zusammenhängenden Vergabevermerk erfolgen. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass das Verfahren lückenlos dokumentiert wird, wobei der Vermerk aus mehreren Teilen bestehen kann (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 20.03.2008, Az.: 1 Verg 6/07; OLG Koblenz, Beschluss vom 06.11.2008, Az.: 1 Verg 3/08). Dies galt bereits nach alter Rechtslage, wo der Wortlaut der Norm noch den Begriff des Vergabevermerks verwandte. Die Dokumentation muss gemäß § 24 VOL/A EG jedoch ausdrücklich laufend fortgeschrieben werden. Die einzelnen Entscheidungen und deren Gründe sind daher jeweils zeitnah zu dokumentieren (vgl. Diehl, a.a.O., Rdnr. 43; BayObLG, Beschluss vom 01.10.2001, Az.: Verg 6/01 = VergabeR 2001, S. 63 ff. (69)). Es ist nicht ausreichend, dass der Vermerk etwa erst nach Abschluss des Vergabeverfahrens und Zuschlagserteilung oder gar erst anlässlich einer (drohenden) rechtlichen Überprüfung angefertigt wird (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 20.03.2008, Az.: 1 Verg 6/07). Die Dokumentation muss somit den jeweiligen Stand des Vergabeverfahrens wiedergeben. Gemäß § 24 Abs. 2 lit. h VOL/A ist nunmehr im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung auch die ausdrückliche Pflicht normiert, die Gründe zu dokumentieren, warum mehrere Teil- oder Fachlose zusammen und nicht getrennt vergeben werden sollen. Das gilt auch für die Entscheidung des Auftraggebers, eine Gesamtvergabe vorzusehen. Dabei sind insbesondere die wirtschaftlichen und technischen Gründe aufzunehmen, die nach § 97 Abs. 3 Satz 1 GWB ausnahmsweise eine gemeinsame Vergabe zulassen. Diesen Anforderungen genügt vorliegende Dokumentation des Auftraggebers nicht.

38

Die den Bietern mit Bieterinformation vom 17.08.2010 mitgeteilten Gründe und die vom Auftraggeber in der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2010 mitgeteilten Beweggründe selbst sind in der Sache allerdings entgegen der Auffassung der Antragstellerin durchaus geeignet, eine Ausnahme vom Grundsatz der losweisen Vergabe gemäß § 97 Abs. 3 GWB und § 2 Abs. 2 VOL/A EG zu begründen. Dabei findet dieser Grundsatz ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei der Antragstellerin nicht um ein mittelständisches Unternehmen handelt, vorliegend Anwendung. Denn das subjektive Bieterrecht des § 97 Abs. 3 Satz 1 GWB steht auch größeren Unternehmen zu. Die Grundsätze über die Losvergabe dienen nicht ausschließlich der Förderung mittelständischer Interessen. Vielmehr sind diese Grundsätze auch Ausprägung des Wettbewerbs- und Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 97 Abs. 1 und Abs. 5 GWB (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.07.2007, Verg 10/07; Kus in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Auflage, § 97). Die Entscheidung zur Gesamtvergabe ist vorliegend jedoch mit § 97 Abs. 3 GWB und § 2 Abs. 2 VOL/A EG vereinbar. § 97 Abs. 3 GWB enthält keinen bloß allgemein gehaltenen Programmsatz, sondern ein konkretes Gebot an den Auftraggeber mit einem korrespondierenden, subjektiven Bieterrecht auf Beachtung der Losvergabe (vgl. Kus, a.a.O, § 97, Rdnr. 65). Zwar kommt der Begriff der Fachlose und Teillose aus den Bereichen der Bauvergaben und nicht aus dem Dienstleistungsbereich. Fachlose sind Gewerke bzw. Bauleistungen verschiedener Handwerks- und Gewerbezweige. Welche Leistungen zu einem Fachlos gehören, bestimmt sich nach den gewerberechtlichen Vorschriften und der allgemein oder regional üblichen Abgrenzung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2000, Verg 10/07). Dabei ist stets auch zu untersuchen, ob sich für spezielle Leistungen mittlerweile ein eigener Markt herausgebildet hat. Demgegenüber sind Teillose nach der Neuregelung in § 97 Abs. 3 GWB "in der Menge aufgeteilte Leistungen". Sie entstehen durch die räumliche Aufteilung einer Gesamtleistung, die regelmäßig nur bei größeren Einzel- oder Gesamtbauprojekten in Betracht kommt, wie z.B. mehrere Strecken- oder Bauabschnitte beim Autobahnbau (vgl. Schreiner in: Ingenstau/Korbion,§ 4 VOB/A, Rdnr. 8). Ungeachtet dieser mit dem Baubereich zusammenhängenden Begrifflichkeit ist jedoch zu beachten, dass sich§ 97 Abs. 3 GWB auf das Gebot der losweisen Vergabe seinem Wortlaut nach gerade nicht auf Bauvergaben beschränkt hat. Damit unterliegt grundsätzlich auch die Vergabe von Dienstleistungen der Erfüllung des § 97 Abs. 3 GWB. § 2 Abs. 2 VOL/A EG in der Fassung vom 20.11.2009 regelt dies nunmehr für den Liefer- und Dienstleistungsbereich ausdrücklich. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 VOL/A EG und § 97 Abs. 3 Satz 3 GWB dürfen mehrere Teil- oder Fachlose jedoch ausdrücklich zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Ausgangspunkt für die Prüfung, ob ein Auftraggeber im Einzelfall berechtigt ist, seinen Beschaffungsbedarf als Gesamtvergabe auszuschreiben, ist dabei nach wie vor der Grundsatz, dass nach der Rechtsprechung allein der öffentliche Auftraggeber den Gegenstand der Beschaffung definiert. Grundsätzlich steht es jeder Vergabestelle frei, die auszuschreibende Leistung nach ihren individuellen Vorstellungen zu bestimmen und nur in dieser, den autonom bestimmten Zwecken entsprechenden Gestalt dem Wettbewerb zu eröffnen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.06.2010, Az.: Verg 10/10, Beschluss vom 30.11.2009, VII-Verg 43/09, und Beschluss vom 17.11.2008, VII-Verg 52/08, jeweils zitiert nach ibr-online; OLG Jena, Beschluss vom 26.06.2006, Az.: 9 Verg 2/06 = NZBau 2006, S. 735 ff., 736). Die vergaberechtlichen Vorschriften und damit auch § 97 Abs. 3 GWB schränken den Auftraggeber lediglich in der Frage ein, wie er seinen Beschaffungsbedarf decken darf. Das OLG Jena hat in seinem Beschluss vom 06.06.2007, Az.: 9 Verg 3/07, diesen Grundsatz noch einmal hervorgehoben und betont, dass der öffentliche Auftraggeber deshalb grundsätzlich alleine darüber befinden muss, welchen Umfang die zu vergebende Leistung im einzelnen haben soll und ob ggf. mehrere Leistungsuntereinheiten gebildet werden sollen, die gesondert zu vergeben und vertraglich abzuwickeln sind. Der Bieter hat daher keinen Anspruch auf eine bestimmte Losbildung, er hat auch keinen Anspruch darauf, dass in jedem Fall Lose gebildet werden (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.11.2008, Az.: Verg W 15/08; OLG Jena, Beschluss vom 06.06.2007, Az.: 9 Verg 3/07). Ein Bieter hat des weiteren keinen Anspruch darauf, dass die Lose so konfiguriert werden, dass er zu allen Losen Angebote abgeben kann (vgl. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.11.2008, Az.: 1 VK 52/08). Bieter haben allerdings einen Anspruch darauf, dass der Auftraggeber seinen Beurteilungs- und Ermessensspielraum korrekt ausschöpft und seine Einschätzungsprärogative nichtüberschreitet. Will der Auftraggeber Lose zusammenfassen und einheitlich vergeben, muss er dies sorgfältig begründen und - wie erläutert - in den Vergabeakten dokumentieren (vgl. Roth in: Müller-Wrede, VOL/A, 3. Auflage, Rdnr. 81). Die Gesamtvergabe lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, dass ein Vergabeverfahren bei einer Losvergabe aufwendiger ist. Denn einer Losvergabe ist immanent, dass sie komplizierter und aufwendiger ist als eine einheitliche Vergabe. Stets ist anhand der konkreten Umstände des einzelnen Projektes zu belegen, weshalb und inwieweit der Mehraufwand, die Komplexität und die Kosten ein noch hinnehmbares Maßübersteigen. Ist eine Losaufteilung dagegen tatsächlich mit wirtschaftlichen oder technischen Nachteilen verbunden, führen diese zu einem unerheblichen Mehraufwand für den Auftraggeber, kann eine einheitliche Vergabe in Betracht kommen (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 06.06.2007 - 9 Verg 3/07; Maier in Kulartz/Kus/Portz, GWB, § 97, Rdnr. 69 ff., m.w.N.). Eine Gesamtvergabe kann auch gerechtfertigt sein, wenn eine Losbildung unverhältnismäßige Kostennachteile für den Auftraggeber mit sich bringen oder zu Nachteilen führen würde, die der besonderen wirtschaftlichen oder technischen Interessenlage des Auftraggebers widerspricht (vgl. Roth, a.a.O., Rdnr. 95).

39

Vorliegend hat der Auftraggeber die Entscheidung für die Gesamtvergabe nicht etwa mit einem geringeren Aufwand im Vergabeverfahren begründet. Er hat die Entscheidung im Nachprüfungsverfahren schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung damit begründet, dass die Sparten der technischen Versicherungen (Elektronik, Maschinen, Filmapparate) im Verhältnis zur Gebäude- und Inhaltsversicherung in ihren Volumina nur geringfügig sind, was unstreitig ist. Es sei deshalb fraglich, ob Bieter in von der Gebäude- und Inhaltsversicherung getrennten Nebensparten überhaupt ein wirtschaftliches Interesse an separaten Angeboten im Ausschreibungsverfahren habe. Ferner hat der Auftraggeber die Gesamtvergabe damit begründet, dass er berücksichtigt habe, dass es hinsichtlich der Zuordnung der versicherten Gegenstände zu Abgrenzungsproblemen zwischen Gebäude- und Inhaltsversicherung und der Elektronikversicherung kommen könne. Insofern seien Konflikte vermeidbar, wenn eine Zuordnung der versicherten Sachen auf diese Sparten nach dem jeweiligen Beitrag erfolgt und ein Vertragspartner den gesamten Versicherungsschutz übernimmt. Das Problem einer Abgrenzung sei dann gegenstandslos. Die Vertragsverwaltung selbst werde für den Landkreis erheblich erleichtert, was auch zu einer Senkung der Kosten führe. Diese Gründe und Erwägungen tragen nach Auffassung der Vergabekammer zumindest in der Gesamtschau die Entscheidung des Auftraggebers für eine Gesamtvergabe. Es fehlt aber an der ordnungsgemäßen Dokumentation der Gründe. Der Auftraggeber hat diesbezüglich somit gegen seine Dokumentationspflichten aus § 24 VOL/A EG, nicht aber gegen den Grundsatz der Losvergabe gemäß § 97 Abs. 3 GWB und § 2 Abs. 2 VOL/A EG verstoßen.

40

c)

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist dagegen nicht zu beanstanden, dass der Auftraggeber die Verdingungsunterlagen unter Verwendung von Sachversicherungsbedingungen erstellt hat, die vom Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund (NSGB) für die Kommunen konzipiert wurden. Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass die Übernahme der Sachversicherungsbedingungen der Gebäude- und Inventarversicherungen auf der Grundlage der Empfehlungen des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes (NSGB) öffentlich-rechtliche Versicherer - namentlich die xxxxxx - begünstigen und daher gegen den Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatz nach § 97 GWB verstoßen. DieÜbernahme der Empfehlungen des NSGB entsprechen nach den Feststellungen der Antragstellerin den Bedingungen der öffentlich-rechtlichen Versicherer, was zu massiven Wettbewerbseinschränkungen bis hin zur Obsoletheit von Versicherungsausschreibungen führe. Solche Ausschreibungen seien in nicht wenigen Fällen als Alibi-Ausschreibung zu qualifizieren. Der Auftraggeber hat demgegenüber vorgetragen, dass sich die vom NSGB konzipierten Sachversicherungsbedingungen für Kommunen in der Praxis in Niedersachsen durch Qualität und langjährige Übung bewährt haben. Sie dienten den Interessen der Kommunen und werden von Sachversicherern in Niedersachsen als Vertragsgrundlage neben anderen AVB (Elektronik-, Maschinen-, Transport-Versicherung) anerkannt. Das vom Auftraggeber erstellte Bedingungswerk entspreche im Wesentlichen dieser Empfehlung des NSGB. Es handele sich um Bedingungen, die den speziellen Anforderungen für den kommunalen Bereich entsprechen und in der kommunalen Sachversicherung üblich seien. Notwendige und sinnvolle Änderungen aus Sicht des Auftraggebers seien in der Leistungsbeschreibung eingearbeitet und ausdrücklich nicht von einem öffentlich-rechtlichen Versichererübernommen worden. Der Auftraggeber wolle aber mit den verbandsseitig empfohlenen Bedingungen auch zukünftig die Qualität und die Eckpunkte seines Sachversicherungsschutzes erhalten. Die Verwendung der vom NSGB für die Kommunen konzipierten Sachversicherungsbedingungen verstößt jedoch selbst dann nicht gegen den Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatz gem. § 97 Abs. 1, 2 GWB und § 2 Abs. 1 VOL/A EG, wenn und soweit die Musterbedingungen auch Bedingungen enthalten, die den Versicherungsbedingungen der Konkurrenten der Antragstellerin, insbesondere öffentlich-rechtlichen Versicherungen, wie der xxxxxx, entsprechen.

41

Die Antragstellerin verkennt auch hier, dass die Versicherungsunternehmen und künftigen Bieter im streitbefangenen Vergabeverfahren keinen Anspruch auf einen bestimmten Zuschnitt des Beschaffungsgegenstandes - hier Versicherungsleistungen - haben. Bei der Ermittlung und Definition des zu deckenden Bedarfs ist der öffentliche Auftraggeber vergaberechtlich weitgehend frei. Die Bestimmung der zu beschaffenden Leistung obliegt ausschließlich dem Auftraggeber. Sie ist dem Beginn des Vergabeverfahrens sachlich und zeitlich vorgelagert. Die Bieter können daher regelmäßig nicht davon abweichende eigene Vorstellungen durchsetzen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.06.2010, Az.: Verg 10/10, zitiert nach ibr-online). Bei der Ermittlung und Definition des zu deckenden Bedarfs ist der öffentliche Auftraggeber vergaberechtlich weitgehend frei. Das Vergaberecht regelt grundsätzlich nicht das "ob" oder "was" einer Beschaffung, sondern lediglich das "wie". Sofern an die Beschaffenheit der Leistung i. S. des § 8 VOL/A EG keine ungewöhnlichen Anforderungen gestellt werden, ist es deshalb vergaberechtlich auch nicht zu beanstanden, wenn der Auftraggeber, wie im vorliegenden Fall, mit dem bisherigen Versicherungsschutz zufrieden war und daher den nunmehr zu vergebenden neuen Versicherungsvertrag unter Verwendung ähnlicher oder gleicher Bedingungen den Wettbewerb unterstellt. Er kann daher auch unter Berücksichtigung der Vorgaben des § 2 Abs. 1 VOL/A EG Regelungen des alten Versicherungsvertrages für die Versicherungsunterlagen übernehmen und sich damit Bedingungen eines Versicherungsunternehmens zu Eigen machen. Dies verstößt weder gegen den vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz noch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da diese Bedingungen des Auftraggebers für alle sich am Vergabeverfahren beteiligenden Versicherungsunternehmen gleichermaßen gelten und grundsätzlich auch von allen erfüllt werden können. Da es allein dem Auftraggeber obliegt, den Beschaffungsbedarf festzulegen und die Leistung zu beschreiben, kann der Bieter vergaberechtlich nicht einfordern, auch eigene, davon abweichende Bedingungen zum Gegenstand des Auftrages zu machen.

42

d)

Aus den gleichen Gründen verstößt auch die von der Antragstellerin beanstandete Forderung des Auftraggebers unter 3.8 der Leistungsbeschreibung nach einer Abdeckung von Schäden durch Terror bis zu einer Jahreshöchstentschädigung von 40 Mio. Euro nicht gegen das Diskriminierungsverbot gem. § 97 Abs. 2 GWB und § 2 Abs. 1 Satz 2 VOL/A EG. Unter 3.8 (Einschluss von Schäden durch Terrorakte) der Leistungsbeschreibung heißt es in Absatz 2:

"Auf der Grundlage der beiliegenden Sachversicherungsbedingungen für kommunale Objekte wird abweichend von Teil II. Ziff. 3.7.1.3 (Ausschluss von Schäden durch Terrorakte) der Einschluss von Schäden durch Terrorakte vereinbart

a) im Rahmen der zu versichernden Gefahren und Schäden sind Schäden und Kosten, die durch Terrorakte verursacht werden, bis zur Höhe einer Jahreshöchstentschädigung von 40 Mio. Euro mitversichert. Unter die Jahreshöchstentschädigung fallen alle Schäden, die im laufenden Versicherungsjahr beginnen"

43

Die Antragstellerin hat vorgetragen, dass ihr eine Abdeckung von Terrorschäden in dieser Höhe nicht möglich sei und die Forderung deshalb vergaberechtswidrig sei. Üblich sei der Ausschluss von Terrorschäden für Objekte ab einer bestimmten Versicherungssumme bzw. der generelle Ausschluss von Terrorschäden mit der Möglichkeit, diese für Objekte bis zu einer bestimmten Versicherungssumme wieder einzuschließen. Der Wiedereinschluss erfolge für Objekte bis zu einer Versicherungssumme (Gebäude, Inhalt und Kosten) von 25 Mio. Euro und einer Jahreshöchstentschädigung von 25 Mio. Euro. Nach Ihrer Kenntnis und der ihrer Bevollmächtigten sei ein Einschluss von Terror bis zu einer Jahreshöchstentschädigung von 40 Mio. Euro nur bei einem regionalen Versicherer möglich. Dadurch werde der Wettbewerb im erheblichen Maße eingeschränkt. Solche Wirtschaftsteilnehmer, die, wie die Antragstellerin, die von ihr angebotene Deckung auf Grund von Regelungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GdV) nicht anbieten, würden dadurch diskriminiert.

44

Der Auftraggeber hat die Forderung nach einer Jahreshöchstentschädigung von 40 Mio. Euro von Terrorschäden damit begründet, dass er diesbezüglich nicht quantitativ und qualitativ unterhalb des bisherigen Standards bleiben wolle. Die Notwendigkeit eines Jahreshöchstwertes von 40 Mio. Euro sei erkennbar. Bei der Größe der Objekte des Auftraggebers (z.B. Berufsbildungszentren) könne ein Schaden von 25 Mio. Euro nicht ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund sei die Summe von 40 Mio. Euro für den Einschluss von Terrorschäden notwendig. Der derzeitige Versicherer des Auftraggebers habe die Haftung landesweit über eine Versicherungssumme von 25 Mio. Euro auf 40 Mio. Euro ausgedehnt, um der üblichen Versicherungsform als Sammelversicherung der kommunalen Gebäude- und Inhaltsversicherung zu entsprechen. Sammelversicherung bedeute die Zusammenfassung aller Objekte durch einen "Mantelvertrag" mit einheitlichem Bedingungswerk und festgelegter Vertragsdauer. Auch unabhängig vom Schadensbedarf möglicher Schadensereignisse durch Terrorismus wolle er nicht den beitragsfreien Vorteil einer Haftungserweiterung aufgeben.

45

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist auch die Forderung nach einer über der Jahreshöchstentschädigung von 25 Mio. Euro hinausgehende Abdeckung von Terrorschäden durch das ausschließliche Recht des Auftraggebers gedeckt, die zu beschaffende Leistung zu bestimmen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.06.2010, Az.: Verg 10/10). Gerade das Risiko Terror ist seit den New Yorker-Anschlägen vom 11.09.2001 ein beim Abschluss von Versicherungen für öffentliche Gebäude besonders zu berücksichtigendes Risiko. Richtig ist, dass sich der deutsche Versicherungsmarkt in der Einbeziehung solcher Schäden seit dem 11.09.2001 nicht einheitlich darstellt. Während das Risiko Terror vorher regelmäßig durch die Feuerversicherung abgedeckt wurde, verfolgen die Versicherungsunternehmen seither unterschiedliche Konzepte (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 18.12.2003, Az.: 13 Verg 22/03). Während einige Gesellschaften bis zu einer Vertragssumme pro Versicherungsart von 25 Mio. Euro oder im Einzelfall sogar bis zu 40 Mio. Euro Schäden auf Grund von Terrorismus ohne Beitragszuschlag einbeziehen, akzeptieren andere überhaupt keinen Einschluss von Schäden durch Terrorismus oder bieten einen Versicherungsschutz ausschließlich über die xxxxxx an. Insbesondere auf Grund des Verhaltens der Rückversicherer wird regelmäßig ab einem Objektwert von 25 Mio. Euro, im Falle eines kommunalen Objektes ab 50 Mio. Euro in der Regel nur der Weg über die von den Versicherungsunternehmen eigens dafür gegründete xxxxxx gewährt. Andere Versicherer schließen das Risiko Terrorschäden grundsätzlich aus, bieten aber einen Wiedereinschluss gegen einen Prämienzuschlag an (vgl. VK Lüneburg, Beschluss vom 07.09.2005, Az.: VgK-38/2005).

46

Die Vergabekammer vertritt weiterhin die Auffassung, dass diese inhomogene Ausrichtung des Versicherungsmarktes einen öffentlichen Auftraggeber jedoch nicht dazu zwingt, allen geschilderten Ausrichtungen der Versicherungsunternehmen gerecht zu werden und auch Angebote mit einer geringeren Abdeckung von Terrorschäden zu akzeptieren. Die unmissverständliche und allen ausgeschriebenen Objekten erfassende Forderung einer Einbeziehung des Risikos Terror bis zu einer Jahreshöchstentschädigung von 40 Mio. Euro entspricht vielmehr im vollen Umfang den Anforderungen an eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung gem. § 8 VOL/A EG. Diese Forderung bürdet den sich an der Ausschreibung beteiligenden Versicherungsunternehmen auch kein ungewöhnliches Wagnis auf. Der Einschluss des Versicherungsschutzes gegen Terrorschäden gehört vielmehr zum notwendigen und typischen Inhalt einer kommunalen Gebäude- und Inventarversicherung. Wegen der geforderten Höhe der Jahreshöchstentschädigung bleibt es der Antragstellerin unbenommen, für einzelne Objekte, deren Versicherungswert 25 Mio. Euroüberschreitet, dieses Risiko ggf. mit Hilfe der xxxxxx abzudecken. Die xxxxxx ist aus ausweislich ihres Internetauftritts ausdrücklich auf Initiative der Versicherungswirtschaft und der Industrie von 16 deutschen Versicherungsunternehmen im Jahre 2002 als Spezialversicherer gegründet worden. Zu ihren Gesellschaftern gehört mit einem Anteil von 2,5% ausdrücklich auch die xxxxxx und damit die Muttergesellschaft der Antragstellerin. Ausweislich ihres Internetauftritts deckt die xxxxxx Sach-, Kosten- und Betriebsunterbrechungsschäden durch Terrorakte erst ab einer Gesamtversicherungssumme von über 25 Mio. Euro der beim Erstversicherer bestehenden Feuer- und Betriebsunterbrechungsversicherung. Dabei ist es gleichgültig, ob die Risiken beim Sach- und BU-Versicherer in einer oder mehreren Policen bei verschiedenen Versicherern bestehen. Bei Risiken bis 25 Mio. Euro bietet xxxxxx keine Deckung. Für sie besteht automatisch Deckung bei konventionellen Sach- und BU-Versicherungen. Es ist für die Antragstellerin als Versicherungsunternehmen nicht nur möglich, sondern auch zumutbar, innerhalb der Angebotsfrist ein Angebot unter Einschluss der Leistungen des Spezialversicherers xxxxxx abzustimmen und zu kalkulieren. Das gilt umso mehr, als die xxxxxx der Antragstellerin selbst Gesellschafter der xxxxxx ist. Der vergaberechtliche Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatz gem. § 97 Abs.1 und 2 GWB zwingt den Auftraggeber nicht, auf eine Jahreshöchstentschädigung über 25 Mio. Euro hinaus für Terrorschäden zu verzichten.

47

e)

Aus der Vergabeakte ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht, dass der Auftraggeber die Ausschreibungsunterlagen völlig unreflektiert von dem von ihm beauftragten Kommunalberater, Herrn xxxxxx, übernommen hat. Die Antragstellerin hat im Zuge des Nachprüfungsverfahrens schriftsätzlich und auch in der mündlichen Verhandlung moniert, dass der Auftraggeber insbesondere in der Phase der Konzeption, der Abfassung der Leistungsbeschreibung und der Ausschreibungsbedingungen die Entwürfe des vom Auftraggeber mit der Vorbereitung und Durchführung der Ausschreibung beauftragten Kommunalberaters xxxxxx unreflektiert übernommen habe und damit gegen die Letztentscheidungspflicht der ausschreibenden Stelle verstoßen habe. Dabei ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, ob diese vormals in § 2 Nr. 3 VOL/A 2006 auch ausdrücklich geregelte Letztentscheidungspflicht auch auf der Grundlage der VOL/A 2009 noch in der bisherigen Strenge und insbesondere auch in der dem eigentlichen Vergabeverfahren vorgelagerten Konzeptionsphase fortgilt. Während§ 2 Nr. 3 VOL/A in der Fassung von 2006 noch ausdrücklich regelte, dass Leistungen unter ausschließlicher Verantwortung der Vergabestellen an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Bewerber zu angemessenen Preisen zu vergeben sind, enthält die VOL/A 2008 keine explizierte Regelung des Letztverantwortlichkeitsprinzips. Die Vergabekammer vertritt allerdings mit der Antragstellerin die Auffassung, dass bereits das vergaberechtliche Transparenzgebot gemäß § 97 Abs. 1 GWB gebietet, dass der Auftraggeber zumindest die wesentlichen Entscheidungen, die nach§ 24 Abs. 2 VOL/A EG in der Vergabeakte zu dokumentieren sind, nicht auf Dritte delegieren darf.

48

Die öffentlichen Auftraggeber dürfen sich aber nach wie vor zur Vorbereitung und Durchführung des Vergabeverfahrens der Hilfe und Beratung Dritter bedienen, was der Auftraggeber vorliegend durch die Beauftragung des Kommunalberaters xxxxxx auch in nicht zu beanstandender Weise getan hat. So ist in der Vergabeakte ein Vermerk vom 15.06.2010 über eine Besprechung der Ausschreibung Sachversicherungen Landkreis xxxxxx zum 01.01.2010 mit den Herren xxxxxx und xxxxx vom Auftraggeber und Herrn xxxxx vom Büro des Kommunalberaters am 15.06.2010 enthalten. Dort sind die wesentlichen Ergebnisse des Gesprächs über die Eckpunkte der Ausschreibung wie etwa Versicherungsdauer, Abdeckung von Terrorschäden, Gewichtung des Zuschlagskriteriums Beiträge und Erstellung der Unterlagen festgehalten. Ferner ist ein E-Mail-Austausch zwischen dem Auftraggeber und dem Kommunalberater vom 08.07.2010 über die Notwendigkeit einer Maschinenversicherung enthalten. Auch die an die Bieter versandten Vergabeunterlagen und der weitere Schriftverkehr mit den Bietern, insbesondere die drei Bieterinformationen vom 17.08.2010 und die Bieterinformation vom 19.08.2010 sind ausweislich des Briefskopfs und der Unterschriften unter Federführung des Auftraggebers nach Rücksprache mit dem Kommunalberater bzw. auf der Grundlage seines Entwurfs der Leistungsbeschreibung erfolgt. Ein Verstoß gegen die Letztentscheidungspflicht der ausschreibenden Stelle liegt somit nicht vor.

49

f)

Schließlich ist auch nicht zu beanstanden, dass der Auftraggeber dem Zuschlagskriterium Preis ein Gewicht von 60% zugemessen hat. Die Antragstellerin hält die Gewichtung des Preises für nicht ausreichend. In aller Regel sei es bei Versicherungsausschreibungen dergestalt, dass der Preis bzw. die Prämie das einzige sinnvolle und auch transparent bewertbare Kriterium darstellt. Die vom Auftraggeber gewählten und bekannt gemachten Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung entsprechen jedoch in jeder Hinsicht den Vorgaben des § 19 VOL/A EG. Gemäß § 19 Abs. 8 VOL/A EG berücksichtigen die Auftraggeber entsprechend der bekannt gemachten Gewichtung vollständig und ausschließlich die Kriterien, die in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen genannt sind. Gemäß § 19 Abs. 9 VOL/A EG beabsichtigen die Auftraggeber bei der Entscheidung über den Zuschlag verschiedene durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigte Kriterien, beispielsweise Qualität, Preis, technischer Wert, Ästhetik, Zweckmäßigkeit, Umwelteigenschaften, Betriebskosten, Lebenszykluskosten, Rentabilität, Kundendienst und technische Hilfe, Lieferzeitpunkt und Lieferungs- oder Ausführungsfrist. Der Auftraggeber hat sich in nicht zu beanstandender Weise entschieden, neben dem Hauptzuschlagskriterium Preis auch noch das Kriterium der Kundenbetreuung, Erreichbarkeit (Gewichtung 15%), Schadensabwicklung (Gewichtung 15%) und Schadensverhütung (Gewichtung 10%) zu berücksichtigen. Sämtliche Kriterien sind offensichtlich durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt. Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 VOL/A EG ist der niedrigste Angebotspreis allein nicht entscheidend. Die Vergaberichtlinien der EU legen übereinstimmend fest, dass für die Auftragsvergabe grundsätzlich zwei Kriterien maßgebend sein dürfen. Deröffentliche Auftraggeber darf entweder den Anbieter auswählen, der den niedrigsten Preis anbietet oder denjenigen Anbieter, der das wirtschaftlich günstigste Angebot abgegeben hat (vgl. Art. 53 und 54 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG (VKR)). Der deutsche Gesetzgeber hat sich in § 97 Abs. 5 GWB jedoch zulässigerweise ausdrücklich dafür entschieden, dem Kriterium "wirtschaftlichstes Angebot" den Vorzug vor dem ebenfalls europarechtlich zulässigen Kriterium "niedrigster Preis" zu geben. Das deutsche Recht schließt damit nicht aus, dass die preisliche Beurteilung des Angebots im Rahmen der Prüfung des wirtschaftlichsten Angebotes eine maßgebliche Rolle spielt. Der Preis ist nach dem deutschen Vergaberecht regelmäßig das wichtigste, aber eben nicht das allein entscheidende Kriterium (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 97, Rdnr. 144). Es ist daher nicht nur zulässig, dass der Auftraggeber die Entscheidung über den Zuschlag nicht allein vom niedrigsten Versicherungsbeitrag und damit vom Preis abhängig machen will, sondern es entspricht in jeder Hinsicht den Vorgaben des § 97 Abs. 5 GWB und den §§ 19 Abs. 8, 9 und 21 VOL/A EG, dass der Auftraggeber neben dem Preiskriterium auch andere Wirtschaftlichkeitskriterien berücksichtigt.

50

Gemäß § 114 Abs. 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei an Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Aufgrund der unter II.3.a) und b) festgestellten Tatsache, dass der Auftraggeber durch die von ihm verwendete Revisionsklausel in Ziff. 4.1.3 der Leistungsbeschreibung das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gemäß § 8 Abs. 1 VOL/A EG und im Hinblick auf die Entscheidung zur Gesamtvergabe gegen die Dokumentationspflichten gemäß § 24 Abs. 1 lit. h VOL/A EG verstoßen hat, war der Auftraggeber zu verpflichten, das Vergabeverfahren in das Stadium vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zu versetzen, die Bieter unter Beifügung der unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer geänderten Vergabeunterlagen erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern und das Verfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen und in einer den Anforderungen des § 24 VOL/A EG genügenden Weise in der Vergabeakte zu dokumentieren. Im Übrigen war der Nachprüfungsantrag dagegen als unbegründet zurückzuweisen.

51

Soweit die Antragstellerin mit ihren Rügen und ihrem Nachprüfungsantrag darüber hinaus auch die fehlende Transparenz und Bewertbarkeit der Zuschlagskriterien geltend gemacht hat, hat der Auftraggeber im Zuge des Nachprüfungsverfahrens auf den verfahrensbegleitenden Hinweis der Vergabekammer vom 15.10.2010 mit Schriftsatz vom 18.10.2010 erklärt, dass er dem Nachprüfungsantrag insoweit selbst abhelfen und den Bietern die Bewertungsmaßstäbe bekannt geben, einen neuen Termin zur Angebotsabgabe setzen und die Zuschlagsfrist entsprechend verlängern wird. Dazu bleibt der Auftraggeber zur Wahrung des vergaberechtlichen Transparenzgebotes gemäß § 97 Abs. 1 GWB auch verpflichtet. Aus § 19 Abs. 8 und 9 VOL/A EG folgt nicht nur, dass der Auftraggeber keine Kriterien, Unterkriterien oder Gewichtungsregeln anwenden darf, die er den am Auftrag interessierten Unternehmen nicht vorher zur Kenntnis gebracht hat (vgl. EuGH, Urteil vom 24.01.2008 - C 532/06, Rz. 36 - 38 = VergabeR 2008, S. 496 ff.). Die Bekanntgabepflicht erstreckt sich darüber hinaus auch auf die für die Zuschlagskriterien vom Auftraggeber in der Angebotswertung verwendeten Umrechnungsformeln und Bewertungsregeln (vgl. VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 22.01.2010, Az.: VK-SH 26/09; VK Thüringen, Beschluss vom 17.11.2008, Az.: 250-4003.20-5125/2008-029-J; VK Bund, Beschluss vom 10.08.2006, Az.: VK1 55/06; jeweils zitiert nach ibr-online). Die potenziellen Bieter müssen in die Lage versetzt werden, bei der Vorbereitung ihrer Angebote nicht nur vom Bestehen, sondern auch von der Tragweite der Zuschlagskriterien Kenntnis zu nehmen (vgl. EuGH, Urteil vom 24.01.2008, Az.: C 532/06, m.w.N.). Zur Tragweite der Zuschlagskriterien gehört nicht nur die Gewichtung selbst, sondern auch die jeweilige Umrechnungsformel bei der Wertung. Denn die inhaltliche Gestaltung der von dem Auftraggeber zur Errechnung der Punkte angewendeten Formel ermöglicht eine Einflussnahme auf die über die jeweiligen Kriterien erzielbare Punkteverteilung.

52

Der Auftraggeber ist daher weiterhin gehalten, den Bietern mit der neuen Aufforderung zur Angebotsabgabe auch sämtliche Bewertungsmaßstäbe mitzuteilen, damit die Bieter die Bewertung innerhalb der Zuschlagskriterien im gleichen Sinne verstehen müssen und bei der Kalkulation ihrer Angebote berücksichtigen können.

53

III. Kosten

54

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790). Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt nach wie vor 2.500 EUR, die Höchstgebühr nunmehr 50.000 EUR und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 EUR.

55

Es wird eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

56

Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt xxxxxx EUR (brutto). Dieser Wert entspricht dem vom Auftraggeber mit E-Mail vom 21.10.2010 mitgeteilten geschätzten Gesamtauftragswert über die gesamte ausgeschriebene Vertragslaufzeit (01.01.2011 bis 31.12.2013 zzgl. 1 Jahr Verlängerungsoption).

57

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der z. Zt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 EUR (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt.

58

Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx EUR ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxxEUR. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten für Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.

59

Die in Ziffer 2 des Tenors geregelte Aufteilung der Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zwar überwiegend, aber nicht hinsichtlich aller von ihm mit dem Antrag verfolgten Rügen Erfolg hatte.

60

Der Auftraggeber ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung des auf ihn entfallenden Kostenanteils (2/3) gemäß § 128 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 Nds. VwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04).

61

Der Auftraggeber hat der Antragstellerin zu 2/3 die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten und damit die Anwaltskosten zu erstatten. Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf Antrag der Antragstellerin gem. Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Das folgt daraus, dass die Antragstellerin ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung bedurfte.

62

Angesichts der Tatsache, dass der Auftraggeber im Nachprüfungsverfahren überwiegend unterlegen ist, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu 2/3 zu tragen.

63

Der Auftraggeber selbst war nicht anwaltlich vertreten.

64

Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den auf sie entfallenden Betrag von xxxxxxEUR unter Angabe des Kassenzeichens

65

xxxxxx

auf folgendes Konto zu überweisen:

66

xxxxxx.

IV. Rechtsbehelf

67

Gemäß § 116 GWB kann gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt werden. Diese ist beim Oberlandesgericht Celle, Schloßplatz 2, 29221 Celle, schriftlich einzulegen. Die Beschwerde ist gem. § 117 GWB binnen einer Notfrist von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung einzulegen.

68

Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen desöffentlichen Rechts.

69

Die sofortige Beschwerde ist gem. § 117 Abs. 2 GWB mit ihrer Einlegung zu begründen.

70

Die Beschwerdebegründung muss enthalten:

  1. 1.

    die Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Kammer angefochten wird und eine abweichende Entscheidung beantragt wird,

  2. 2.

    die Angabe der Tatsachen und Beweismittel, auf die sich die Beschwerde stützt.

71

Mit der Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung der Beschwerdeschrift zu unterrichten. Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer.

Gause
Schulte
Hintz