Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 17.08.2010, Az.: VgK-34/2010

Nachprüfung eines Vergabeverfahrens "Ausschreibung Stadtbahnwagen TW 3000" aufgrund einer Verletzung eines vergaberechtlichen Transparenzgrundsatzes; Gewichtung der Zuschlagskriterien nach Preis (35%), Technik (25%) und Betriebskosten (25%); Feststellung der Anforderungen der Wirtschaftsteilnehmer über ein Prüfsystem in einem 2-stufigen Präqualifikationsverfahren; Verpfllichtung eines Auftraggebers zum erneuten Eintritt in ein Verhandlungsverfahren und Mitteilung sämtlicher vorgesehener Bewertungsmaßstäbe; Verwendung eines eindeutigen Begriffs bei der Vorgabe einer Definition der Fehlerkategorien

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
17.08.2010
Aktenzeichen
VgK-34/2010
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 35422
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

Vergabeverfahren "Ausschreibung Stadtbahnwagen TW 3000"

In dem Nachprüfungsverfahren
...
hat die Vergabekammer
durch
den Vorsitzenden MR Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOR'in Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn RA Dr. Freise,
auf die mündliche Verhandlung vom 17.08.2010
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Die Auftraggeberin wird verpflichtet, erneut in das Vergabeverfahren einzutreten, die nach Ablauf der zweiten Verhandlungsrunde verbliebenen Bieter erneut zur Abgabe eines finalen Angebotes aufzufordern, die Angebote zu werten und sowohl bei der Aufforderung zur Angebotsabgabe wie auch bei der Wertung die aus den Gründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.

  2. 2.

    Die Kosten werden auf xxxxxx EUR festgesetzt.

  3. 3.

    Die Kosten des Verfahrens hat grundsätzlich die Auftraggeberin zu tragen. Die Auftraggeberin ist jedoch von der Entrichtung der Kosten befreit.

  4. 4.

    Die Auftraggeberin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragstellerin notwendig.

Begründung

1

I.

Mit europaweiter Bekanntmachung vom xxxxxx.2009, veröffentlicht am xxxxxx.2009, rief die Auftraggeberin zur Teilnahme an einem Verhandlungsverfahren auf, da sie beabsichtigt, 50 Hochflur-Stadtbahnwagen mit der Option auf weitere 96 Wagen zu beschaffen. Hinsichtlich der Qualifikation für das System waren an die Wirtschaftsteilnehmer Anforderungen gestellt, die über ein Prüfsystem in einem 2-stufigen Präqualifikationsverfahren erfolgen sollte. Die Teilnehmer wurden darauf hingewiesen, dass das Prüfungssystem von unbestimmter Dauer gültig ist und unter bestimmten Voraussetzungen verlängert werden kann. Hinsichtlich der Zuschlagskriterien wurden die Teilnehmer darauf hingewiesen, dass das wirtschaftlich günstigste Angebot in Bezug auf die Kriterien, die in den Verdingungs-/Ausschreibungsunterlagen, der Aufforderung zur Angebotsabgabe oder zur Verhandlung aufgeführt sind.

2

Die Auftraggeberin hatte gemeinsam mit einem Beratungsunternehmen einen Lieferantenfragebogen zusammengestellt, mit dessen Hilfe die Teilnehmer für das Verhandlungsverfahren ausgewählt werden sollten. Bei der Auswertung der Präqualifikation ergab sich, dass vier Lieferanten und zwei Bietergemeinschaften zur Abgabe eines Angebotes zugelassen wurden, unter ihnen die Antragstellerin und die Beigeladene.

3

Den Ausschreibungsunterlagen ist zu entnehmen, dass die Zuschlagskriterien gewichtet werden sollen:

  • Preis 35%,

  • Technik 25%,

  • Betriebskosten 25%,

4

Dieses war in folgende Unterkriterien aufgeteilt:

  1. 1.

    Energieverbrauch 6%

    1. a.

      Referenzstrecke

    2. b.

      Gewicht

  2. 2.

    Präventive Instandhaltung 7%

    1. a.

      Fristenplanung - Ausführungszeit

    2. b.

      Fristenplanung - Arbeitsaufwand

  3. 3.

    Korrektive Instandhaltung 6%

    1. a.

      Fehlerauswirkungen/Zuverlässigkeit

    2. b.

      Tauschteile - Tauschbarkeit

  4. 4.

    Teilemanagement 6%

  • Design 10%

  • Projektmanagement 5%.

5

Den Bietern wurde erläutert, wie die Punktevergabe bei den einzelnen Zuschlagskriterien erfolgen soll.

6

Der Aufforderung zur Angebotsabgabe waren Lastenhefte beigefügt, die unterteilt waren in

  • Lastenheft Teil A: Kaufmännische Anforderungen,

  • Lastenheft Teil B: Technische Anforderungen,

  • Lastenheft Teil C: Betriebskosten / LCC "LCC / RAM-orientierte Qualitätssicherung"

    (LCC = Kosten innerhalb eines Lebenszyklus eines Produktes, hier: Stadtbahnwagen

    RAM-orientierte Qualitätssicherung = Reliability = Zuverlässigkeit

    Availability = Verfügbarkeit

    Maintrainability = Instandhaltbarkeit, Reparierbarkeit und Einbaubarkeit

  • Lastenheft Teil D: Design

  • Lastenheft Teil E. Projektmanagement und

  • zusätzlich Anlagen

7

Den Niederschriften über die ersten Angebotsrunden vom 20.11.2009 und 17.03.2010 ist zu entnehmen, dass diese drei Bieter in jeder Runde ein Angebot einreicht hatten, unter ihnen die Antragstellerin und die Beigeladene.

8

Dem überarbeiteten Ergebnisprotokoll vom 15.02.2010 der Auftraggeberin ist zu entnehmen, dass sie unter Punkt 02 Vergabekriterien und Bewertung, die Bieter darauf hingewiesen hat, dass die Bewertungskriterien "Technik", "Betriebskosten/LCC" und "Projektmanagement" anhand der Konformitätslisten beurteilt werden. Den Bietern wurde dabei eine Powerpoint-Präsentation überreicht, in der die Unterkriterien und deren Gewichtung des Zuschlagskriteriums "Betriebskosten/LCC" ebenso wie die "LCC-Auswertungskriterien" bekannt gegeben wurden. Die LCC-Auswertungskriterien waren wie folgt weiter unterteilt:

9

Energieverbrauch (6%)

10

1a

11

Referenzstrecke 5%

12

1b

13

Gewicht 1%

14

PM = Präventive Instandhaltung (7%)

15

2a

16

Fristenplanung - Ausführungszeit 4%

17

b.

Fristenplanung - Arbeitsaufwand 3%

18

CM = Korrektive Instandhaltung (6%)

19

3a.

20

Fehlerauswirkungen/Zuverlässigkeit 3%

21

3b.

22

Tauschteile - Tauschbarkeit 3%

23

4 Teilemanagement 6%

24

Mit Schreiben vom 04.03.2010 teilte die von der Auftraggeberin beauftragte Rechtsanwaltskanzlei den Bietern nach der 1. Verhandlungsrunde unter " V. Wertung des Zuschlagskriteriums Preis" mit, dass der Preis für das 1. Los (Gesamtpreis für 50 Stadtbahnfahrzeuge) mit 50% und der Preis für die Optionen (Gesamtpreis Stadtbahnfahrzeuge 51-146) ebenfalls mit 50% berücksichtigt wird.

25

Mit Schreiben vom 07.04.2010 teilte die beauftragte Rechtsanwaltskanzlei der Auftraggeberin den drei Bietern nicht nur den Ablauf der 2. Verhandlungsrunde mit, sondern wies darauf hin, dass sie im Anschluss aufgefordert würden, ihr Angebot innerhalb einer Woche zuüberarbeiten. Dem Verhandlungsprotokoll der Auftraggeberin vom 13.04.2010 ist u.a. zu entnehmen, dass beim Zuschlagskriterium "Technik " anhand einer Konformitätsliste das derzeitige im Einsatz befindliche Fahrzeug TW 2000 mit 0 Punkten bewertet wird. Die durch den Bieter erreichten Punkte würden durch lineare Interpolation in eine Punkteskala von 0 bis 100 umgerechnet. In einer Mail vom 15.04.2010 wurde diese Bewertung an Hand eines Beispiels erläutert. Die Bieter wurden aufgefordert, ihr überarbeitetes Angebot bis zum 22.04.2010, 12.00 Uhr einzureichen.

26

Der Niederschrift über die dritte Angebotsrunde vom 23.04.2010 ist zu entnehmen, dass die drei Bieter jeweils ein überarbeitetes finales Haupt- und Nebenangebot eingereicht hatten.

27

Dem Ergebnisprotokoll mit Vergabevorschlag vom 06.05.2010 ist eine Anlage beigefügt, in der nicht nur die Rangfolge in den einzelnen Teilen der Lastenhefte ausgeführt, sondern auch erläutert wird, wie viele Punkte jeder Bieter für die einzelnen Unterkriterien erhalten hat. Es wurde vorgeschlagen, aufgrund der Gesamtbewertung und der wirtschaftlichen Betrachtung von Haupt- und Nebenangebot den Zuschlag auf das Hauptangebot der Beigeladenen zu erteilen.

28

Mit Schreiben vom 25.05.2010 informierte die beauftragte Rechtsanwaltskanzlei der Auftraggeberin die Antragstellerin per Telefax gemäß § 101a GWB, das beabsichtigt ist, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Sie teilte der Antragstellerin die insgesamt erreichte Punktzahl mit und erläuterte die Bewertung des Angebotes in den einzelnen Zuschlagskriterien.

29

Mit Schriftsatz vom 28.05.2010 rügte die Antragstellerin diese Entscheidung über die beabsichtigte Zuschlagserteilung der Auftraggeberin als vergaberechtswidrig. Zur Begründung führt sie aus, dass die Bewertung des Zuschlagskriteriums Technik fehlerhaft erfolgt sei und nachträgliche Änderungen in dem Zuschlagskriterium durchgeführt wurden. Ferner sei die Bewertung des TW 2000 zu hoch und ihr Haupt- und Nebenangebot zu niedrig erfolgt. Beim Zuschlagskriterium Betriebskosten/LCC sei der Energieverbrauch ebenso wie die Fehlerauswirkungen/Zuverlässigkeit unterbewertet worden.

30

Nachdem die beauftragte Rechtsanwaltskanzlei der Auftraggeberin mit Schreiben vom 02.06.2010 der Antragstellerin erklärte den Rügen nicht abhelfen zu wollen, beantragte diese am 07.06.2010, eingegangen bei der Vergabekammer am selben Tage, die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Sie begründet ihren Nachprüfungsantrag unter Zugrundelegung ihres Rügeschreibens.

31

Ferner führt sie auch aufgrund der eingeschränkten Akteneinsicht aus, dass ihr Angebot nicht wegen einer angeblich fehlenden Unterschrift auf dem finalen Angebot vom 20.04.2010 ausgeschlossen werden durfte, wie die Auftraggeberin jetzt ausführt. Zwar sei es zutreffend, dass sie den schriftlichen Ausdruck der Datei "Datenbereitstellung zu LCC" nicht unterschrieben habe, jedoch läge kein Verstoß gegen das Unterschriftserfordernis vor. Sie habe das Angebot im maßgeblichen Angebotsformular rechtsverbindlich unterschrieben.

32

Ferner habe sie ausweislich des Submissionsprotokolls vom 23.04.2010 einen niedrigeren Angebotspreis angeboten als die Beigeladene. Die Beigeladene habe aber für ihren Angebotspreis mehr Punkte erhalten.

33

Die Antragstellerin moniert auch die fehlende Bekanntgabe der Berechnung der Bewertung der Angebote bei einzelnen Zuschlagskriterien. Erst im Nachprüfungsverfahren habe sie erfahren, bei welchen Voraussetzungen die Auftraggeberin null Punkte vergeben hat. Sie sieht hier einen Verstoß gegen das Transparenzgebot. Sie rügt die Bewertung nach den einzelnen Kriterien wie folgt:

34

1.

Technik (25%)

35

Zunächst begründet die Antragstellerin ihre Rüge, dass die Mitteilung der Auftraggeberin, dass der derzeit im Einsatz befindliche Wagen TW 2000 bei der Wertung berücksichtigt werden soll, erst eine Woche vor Abgabe des finalen Angebots und damit zu spät erfolgte. Hinzu käme, dass der z. Zt. im Einsatz befindliche TW 2000 zu hoch bewertet worden ist. Der TW 2000 erfülle die entsprechenden Anforderungen der Konformitätsliste im Lastenheft nicht. Aus den Wertungsfehlern der Auftraggeberin bei diesem Zuschlagskriterium ergäbe sich eineÜberbewertung des TW 2000 in Höhe von xxxxxx Punkten. Andererseits sei ihr Angebot beim Faltenbalg, Bordnetzumrichter (BNU) und der Gerätebelüftung nicht sachgerecht und unterbewertet worden, so dass sie insgesamt xxxxxx Punkte mehr beim Zuschlagskriterium Technik hätte erhalten müssen.

36

2.

Betriebskosten (25%)

37

Aus ihrer Sicht ist die Bewertung des Energieverbrauchs (5% Referenzstrecke und 1% Gewicht) nicht nachvollziehbar. Obwohl das von ihr angebotene Fahrzeug nachweislich die geringste Fahrzeugmasse habe, habe sie für den Energieverbrauch der Referenzstrecke nur xxxxxx von 50 möglichen Punkten erhalten. Ihrer Auffassung nach bedeute dies unter Zugrundelegung der prozentualen Abschläge im Ausmaß ihrer Abweichungen, dass das von ihr angebotene Fahrzeug 58% mehr Energie verbrauchen müsste als das günstigste Fahrzeug. Dies sei jedoch physikalisch nicht möglich, da die am Markt erhältlichen Antriebs- und Stromversorgungssysteme aller Hersteller in etwa den gleichen Wirkungsgrad aufweisen.

38

Soweit die Auftraggeberin unterstellt, dass ihr Angebot beim Unterkriterium PM = Präventive Instandhaltung (7%) und dort im Kriterium 2b. Fristenplanung - Arbeitsaufwand (3%) nicht auskömmlich ist, weist die Antragstellerin zunächst darauf hin, dass die Auskömmlichkeit kein Wertungskriterium sei. Es sei in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass die Auftraggeberin sich bei einer ev. Unauskömmlichkeit der angesetzten Stundenzahl durch entsprechende Vertragsstrafen abgesichert habe. Die Auftraggeberin habe zudem nicht belegt, dass ihre Angaben im verbindlichen Angebot nicht plausibel sind.

39

Sie hält auch die die Bewertung derFehlerauswirkungen/Zuverlässigkeit (3%) für fehlerhaft, da die Auftraggeberin nicht die Angaben aus ihrem Angebotübernommen hat. Nach Angaben der Auftraggeberin habe sie in diesem Punkt das beste Angebot abgegeben und müsse daher die volle Punktzahl erhalten.

40

Ferner hätte das Angebot der Antragstellerin somit beim Zuschlagskriterium Betriebskosten/ LCC mit insgesamt xxxxxx Punkten höher bewertet werden müssen als geschehen.

41

Auch das von der Auftraggeberin nach der Vergabeentscheidung in Auftrag gegebene Gutachten biete keinen Aufschluss über die Bepunktung ihres Angebotes. Es sei zudem nicht geeignet, die unzutreffende Wertung durch die Auftraggeberin zu stützen. Das Gutachten stelle allein auf die Unterschiede der Angaben in den beiden Angeboten ab, die einerseits auf entsprechende Vorgaben der Auftraggeberin zurückzuführen und anderseits plausibel sind.

42

Die Antragstellerin beantragt:

  1. 1.

    der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen,

  2. 2.

    die Antragsgegnerin zu verpflichten, bei fortbestehender Vergabeabsicht den Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin zu erteilen,

  3. 3.

    hilfsweise zum Antrag zu Ziffer 2., die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Wertung der Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen,

  4. 4.

    die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin gemäß § 128 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären,

  5. 5.

    der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.

43

Die Auftraggeberin beantragt,

  1. 1.

    die Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen;

  2. 2.

    der Antragstellerin wird Akteneinsicht nur beschränkt auf den Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens und unter Wahrung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Bieter gewährt;

  3. 3.

    die Antragstellerin hat der Auftraggeberin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die Auftraggeberin notwendig.

44

Die Auftraggeberin tritt den Vorwürfen und Rechtsauffassungen der Antragstellerin entgegen. Sie hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig und spricht der Antragstellerin die Antragsbefugnis ab.

45

Eine nochmalige Überprüfung der Angebotsunterlagen hätte ergeben, dass das Angebot der Antragstellerin auszuschließen war, da eine Unterschrift auf dem Datenblatt Betriebskosten/ LCC fehlte. Durch die einzelnen Verhandlungsrunden hätten sich viele Punkte inhaltlich erheblich verändert. Um sicherzustellen, dass jeweils die aktuellen Unterlagen beigefügt waren, habe sie eine separate Unterzeichnung der einzelnen Datenblätter gefordert. Sie weist darauf hin, dass aus ihrer Sicht besonders auffällig sei, dass nur bei diesem einen Datenblatt die Unterschrift fehlt, während alle anderen paraphiert bzw. unterzeichnet wurden.

46

Ferner sei das Angebot der Antragstellerin in Bezug auf Angaben im Lastenheft Teil C "Betriebskosten/LCC" nicht auskömmlich, da die von der Antragstellerin angegebenen Stundenzahlen für die Instandhaltung der Stadtbahnwagen nicht einmal ausreichen, um die Hauptuntersuchung gemäß BOStraB ordnungsgemäß durchzuführen. Zum Beweis legt die Auftraggeberin ein Gutachten eines Ingenieurbüros von Juni 2010 vor, das ihre Zweifel an die Auskömmlichkeit des Angebotes bestätigt.

47

Soweit sich die Antragstellerin gegen die Berücksichtigung des vorhandenen Wagens TW 2000 wendet, habe sie diesen Umstand nicht unverzüglich nach Bekanntgabe gerügt und auch nicht dargelegt, wie sie dadurch bei der Art der Wertung negativ beeinflusst wurde.

48

Selbst wenn möglicherweise Vergabeverstöße vorliegen sollten, begründen sie nach Ansicht der Auftraggeberin keinen Schaden zu Lasten der Antragstellerin. Sie habe eine Vergleichsbewertung unter Berücksichtigung der Forderungen der Antragstellerin zur Bewertung ihres Angebotes durchgeführt und dabei festgestellt, dass hier das Angebot der Antragstellerin bei den Zuschlagskriterien Technik und Betriebskosten/LCC jeweils nicht an erster Stelle lag.

49

Soweit der Nachprüfungsantrag nicht unzulässig ist, sei er aber unbegründet. Die Auftraggeberin erläutert zunächst ihre Bewertung der beanstandeten Wertungskriterien Technik und aus dem Zuschlagskriterium Betriebskosten die Unterkriterien Energieverbrauch und Fehlerauswirkungen/Zuverlässigkeit.

50

1.

Technik (25%)

51

Zunächst weist sie darauf hin, dass ausweislich der Konformitätsliste maximal 9830 Punkte erreichbar waren. Diese Punktzahl entspricht 250 Punkten (gewichtet). Der TW 2000 erreichte nach ihren Feststellungen 8455 Punkte, die sie entsprechend ihren Vorgaben mit 0 Punkten (gewichtet) hat.

52

Durch diese Vorgehensweise habe sie sicher gestellt, dass die neuen Fahrzeuge in der technischen Gesamtbewertung mit einer höherwertigen Technik entsprechend ihrer technischen Ausstattung im Detail bewertet werden. Die Gründe für diese Art der Bewertung habe sie den Bietern in den schriftlich übersandten Protokollen der Verhandlungsrunden dargelegt und auch eine exemplarische Beispielberechnung übermittelt.

53

Soweit die Antragstellerin moniere, dass sie beim Faltenbalg zu wenig Punkte erhalten habe, weist die Auftraggeberin darauf hin, dass man sich bei dem von der Antragstellerin angebotenen Wellenbalg nur sehr schlecht anlehnen kann. Sie habe daher für diese Anforderung nur xxxxxxx von 10 Punkten (gewichtet xxxxxx von 30 Punkten) erhalten.

54

Bei dem Bordnetzumrichter (BNU) habe die Antragstellerin zwar erklärt, dass er konvektionsgekühlt sein soll, jedoch entspräche diese Antwort nicht der Kommentierung, in der von Fremdbelüftung gesprochen wird. Da Lüfter ausfallen können, deren Lüftungskanäle zyklisch gereinigt und auf eine gute Abdichtung zum Geräteinneren geachtet werden muss, habe sie bei dieser Anforderung null Punkte vergeben.

55

Hinsichtlich der Bewertung der Gerätebelüftung weist sie darauf hin, dass das von der Antragstellerin angebotenen System mit der Ansaugung der Kühlluft unter dem Fahrzeug ähnlich dem der bei Fahrzeugen der Serie TW 6000 sei. Sie habe bei den TW 6000 schlechte Erfahrungen in Sachen Instandhaltungsfreundlichkeit gemacht und betrachtet dies als deutlichen Rückschritt. Die Forderung nach einer indirekten Kühlung sei gerade bei dem Lösungsvorschlag der Antragstellerin mit der unsauberen Kühlluft zwingend erforderlich. Sie habe daher bei dieser Anforderung null Punkte vergeben.

56

2.

Betriebskosten (25%)

57

Auch bei diesem Zuschlagskriterium waren maximal 250 Punkte (gewichtet) erreichbar. Sie erläutert, dass der Bewerber mit dem geringsten Energieverbrauch 50 Punkte (gewichtet) erzielte. Sie habe 0 Punkte vergeben, wenn der Energieverbrauch das 1,25fache des besten Bewerbersübersteigt. Dazwischen erfolgten prozentuale Abschläge im Ausmaß der Abweichung. Ihrer Auffassung nach sei ein heutiges Straßenbahnfahrzeug, welchen 50% mehr Energie verbrauche als ein Vergleichsfahrzeug, nicht mehr wirtschaftlich. Vergleichbares gelte auch für das Leergewicht der Fahrzeuge. Auch hier habe sie 0 Punkte vergeben, wenn das Leergewicht das 1,25fache des besten Bewerbers übersteigt.

58

In diesem Zusammenhang weist die Auftraggeberin darauf hin, dass sie nicht verpflichtet sei, sämtliche Berechnungen offenzulegen, wenn dieses auf die Angebotsabgabe keine Auswirkungen habe. Die Wertungsmaßstäbe seien weder unbestimmt noch unangemessen. Selbst die Mitteilung aller Berechnungsformeln würde zu keinem anderen Ergebnis führen.

59

Soweit die Antragstellerin unterstelle, dass die von den anderen Bietern angegebenen Werte hinsichtlich desEnergieverbrauchs physikalisch nicht erzielbar seien, habe diese ihre Behauptung nicht belegt. Die Unterschiede im Energieverbrauch seien auch deutlich geringer als von der Antragstellerin angenommen. Aus ihrer Bewertung ergebe sich entgegen der Annahme der Antragstellerin nicht, dass sie einen 58% höheren Energieverbrauch angegeben habe als die anderen Bieter.

60

Sie hält auch die Ausführungen der Antragstellerin zur Auskömmlichkeit des Angebotes bei der Bewertung des BereichsPM = Präventive Instandhaltung für widersprüchlich, da sie einerseits deren Bewertung rügt und andererseits ausführt, dass unrichtige Angaben in diesen Bereich ohne Relevanz seien.

61

Die Antragstellerin habe selbst vorgetragen, dass ein sachlicher Grund für die Abweichungen der Angaben zum verbindlichen Angebot vom 19.03.2010 vorliegt. Sie habe vorgetragen, dass sie die Aufwendungen, die in der Werkstatt anfallen, entgegen den Vorgaben im Ergebnisprotokoll vom 13.04.2010 nicht berücksichtigt habe.

62

Hinsichtlich einer vermeintlichen Bewertung des Unterkriteriums Fehlerauswirkungen/Zuverlässigkeit weist die Auftraggeberin darauf hin, dass sie die Antragstellerin in den beiden letzten Verhandlungsrunden darauf hingewiesen habe, dass die von ihr eingereichten Zuverlässigkeitswerte im Lastenheft Teil C nicht der aktuellen betrieblichen Realität entsprechen und deutlich die Werte der Bestandsfahrzeuge übersteigen. Die neuen Daten der Antragstellerin, die die Fehlerauswirkungen abbilden sollen, hätten zu völlig unrealistisch niedrigen Fehleranzeigen in den einzelnen Kategorien geführt. Das Angebot der Antragstellerin habe unabhängig von der Art der Wertung in allen Fehler-Kategorien die schlechtesten Werte.

63

Die Beigeladene hat bisher keine Anträge gestellt. Sie unterstützt die Ausführungen der Auftraggeberin zur Unzulässigkeit bzw. zur Unbegründetheit des Nachprüfungsantrages. Aus dem ihr zur Verfügung stehenden Sachverhalt vermag sie keinerlei Hinweise auf einen Verstoß der Auftraggeberin gegen die vergaberechtlichen Grundsätze zu erkennen.

64

Die Vergabekammer hat mit Verfügungen des Vorsitzenden vom 01.07.2010 und 27.08.2010 gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung der Vergabekammer in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 GWB) hinaus zunächst bis zum 30.08.2010 und dann bis zum 03.09.2010 verlängert.

65

Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 17.08.2010 Bezug genommen.

66

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin ist in ihren Rechten im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB verletzt. Die Auftraggeberin hat gegen das Transparenzgebot gemäß § 97 Abs. 1 GWB verstoßen. Zwar hat sie den Bewerbern im vorliegenden Verhandlungsverfahren die Zuschlagskriterien, die Unterkriterien und ihre Gewichtungen im Sinne des § 25a Nr. 1 GWB mitgeteilt. Sie hat ihnen aber wesentliche Bewertungsmaßstäbe vorenthalten, da sie den Bewerbern nicht mitgeteilt hat, dass Angebote, die die Bestwerte zu den Unterkriterien Energieverbrauch, Leergewicht und Zuverlässigkeit um 25% bzw. 50% überschreiten, automatisch mit 0 Punkten bewertet werden. Ferner ist die Auftraggeberin bei der Bewertung der Angebote anhand des Unterkriteriums Zuverlässigkeit von nicht vergleichbaren Sachverhalten ausgegangen, weil die Beigeladene ausweislich ihrer schriftsätzlichen Erklärungen im Nachprüfungsverfahren vom 14.07.2010 ihre Angaben zur Fehlerhäufigkeit in den Kategorien A bis D offenbar nicht - wie von der Auftraggeberin vorgesehen - unter Zugrundelegung eines Einzelfahrzeugs gemacht hat, sondern Mehrfachtraktionen und damit die Kombination mehrerer Fahrzeuge in einem Zugverband zugrunde gelegt hat, was die zu kalkulierenden Fehler und insbesondere Ausfälle zum Teil kompensieren kann. Um vergleichbare Angebote zu erhalten, war die Auftraggeberin daher zu verpflichten, das Vergabeverfahren in das Stadium vor Aufforderung zur Abgabe des finalen Angebotes zurückzuversetzen, die in diesem Stadium des Verhandlungsverfahrens verbliebenen Bieter erneut zur Abgabe eines finalen Angebotes aufzufordern und den Bietern dabei sämtliche Bewertungsmaßstäbe sowie alle kalkulationsrelevanten Anforderungen im Sinne des § 8 Nr. 1 VOL/A mit der Leistungsbeschreibung eindeutig und so erschöpfend vorzugeben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und die Angebote miteinander verglichen werden können.

67

1.

Anzuwenden ist für den vorliegenden Fall noch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der bis zum 23.04.2009 einschließlich geltenden Fassung. Denn gemäß § 131 Abs. 8 GWB, angefügt durch Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. April 2009 (BGBl. I, S. 790) und in Kraft getreten gemäß dessen Art. 4 am 24.04.2009, sind für Vergabeverfahren, die vor dem 24.04.2009 begonnen haben, die zu jenem Zeitpunkt geltenden Vorschriften des GWB maßgeblich. Das vorliegende Vergabeverfahren wurde mit öffentlicher Bekanntmachung vom xxxxxx.2009 eingeleitet.

68

2.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei der Auftraggeberin, der xxxxxx, handelt es sich um den operativen Betreiber des Öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) in der Stadt xxxxxx. Ihre Anteile werden 98,38% von der xxxxxx gehalten. Die Anteile der xxxxxx wiederum werden zu 80,49% von der Stadt xxxxxx und zu 19,51% von der xxxxxx gehalten. Die Antragsgegnerin ist damit eine öffentliche Auftraggeberin im Sinne des§ 98 Nr. 2 GWB. Der streitbefangene Auftrag erreicht auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 Nr. 1 GWB festgelegt sind. Gegenstand des vorliegenden Vergabeverfahrens ist die Lieferung von 50 Hochflur-Stadtbahnwagen mit der Option auf weitere 96 Wagen und damit ein Lieferauftrag im Sinne des § 99 Abs. 2 GWB, § VOL/A, für den, da es sich um einen Lieferauftrag im Verkehrsbereich handelt, gemäß § 2 Nr. 1 der Vergabeverordnung (VgV) in der zum Zeitpunkt der Vergabebekanntmachung geltenden Fassung ein Schwellenwert von 212.000 EUR (netto) gilt. Dieser Schwellenwert wird vorliegend ausweislich der in der Vergabeakte (Ordner 13) dokumentierten Bewertung der Hauptangebote selbst unter Außerachtlassung des Wertes der optional zusätzlich zu beschaffenden Stadtbahnfahrzeuge bei Weitem überschritten. Die Auftraggeberin hat für die mindestens zu beschaffenden 50 Stadtbahnwagen unter Zugrundelegung des preislich niedrigsten Hauptangebotes eines voraussichtliche Abrechnungssumme/Wertungssumme von xxxxxx EUR ermittelt.

69

Die Antragstellerin ist auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bewerberin und Bieterunternehmen im vorliegenden Vergabeverfahren ein Interesse am Auftrag hat und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie die Auffassung vertritt, dass die Auftraggeberin die Bewertung der Angebote unter Zugrundelegung des Zusatzkriteriums Betriebskosten, das mit einer Gewichtung von 25% in die Gesamtwertung eingeflossen ist, nicht vergaberechtsgemäß durchgeführt habe. Die Auftraggeberin habe sowohl im Hinblick auf das Unterkriterium Energieverbrauch als auch im Hinblick auf das Unterkriterium präventive Instandhaltung das Angebot der Antragstellerin nicht angemessen bewertet. Insbesondere sei die Auftraggeberin nicht berechtigt gewesen, für die Unterkriterien Energieverbrauch und Fehlerauswirkungen/Zuverlässigkeit 0 Punkte zu vergeben, sobald ein Angebot das 1,25fache bzw. 1,5fache des jeweils angebotenen niedrigsten Wertes überschreite. Diese Berechnungsfaktoren habe die Auftraggeberin den Bewerbern im Verhandlungsverfahren nicht mitgeteilt. Voraussetzung für die Antragsbefugnis gemäß § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass die Antragstellerin diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen aber nichtüberspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Auflage,§ 107 GWB, Rdnr. 954). Die Antragstellerin hat ferner geltend gemacht, dass die Auftraggeberin bei der Bewertung der Angebote anhand des Unterkriteriums Zuverlässigkeit von nicht vergleichbaren Sachverhalten ausgegangen ist, weil die Beigeladene ausweislich ihrer schriftsätzlichen Erklärungen im Nachprüfungsverfahren vom 14.07.2010 ihre Angaben zur Fehlerhäufigkeit in den Kategorien A bis D nicht unter Zugrundelegung eines Einzelfahrzeugs gemacht habe, sondern ihren Angaben Mehrfachtraktionen und damit die Kombination mehrerer Fahrzeuge in einem Zugverband zugrunde gelegt habe, was die zu kalkulierenden Fehler und insbesondere die Ausfälle zum Teil kompensieren könne. Unter Zugrundelegung sämtlicher von der Antragstellerin geltend gemachten vermeintlichen Vergaberechtsverstöße hätte die Antragstellerin vorliegend eine Chance auf Erhalt des Zuschlags. Es ist im Übrigen nicht erforderlich, dass ein Antragsteller schlüssig darlegt, dass er bei vergabekonformem Verhalten des Auftraggebers den Zuschlag auch tatsächlich erhalten hätte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.1999, Az.: Verg 1/99).

70

Der Nachprüfungsantrag ist auch nicht mangels rechtzeitiger Rüge gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB unzulässig. Danach ist der Antragsteller verpflichtet, vor Anrufung der Vergabekammer den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich zu rügen. Die Auftraggeberin hatte die Bieter mit Schreiben vom 25.05.2010 per Telefax gemäß § 101a GWB informiert, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen und dabei der Antragstellerin die insgesamt erreichte Punktzahl mitgeteilt und die Bewertung des Angebotes in den einzelnen Zuschlagskriterien erläutert. Bereits mit Anwaltsschriftsatz vom 28.05.2010 hat die Antragstellerin die Entscheidung über die beabsichtigte Zuschlagserteilung gegenüber der Auftraggeberin gerügt. Diese nur innerhalb von 3 Tagen abgesetzte Rüge erfolgte unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 2 Nr. 1 GWB. Es kann daher vorliegend dahin stehen, ob die Präklusionsregel gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteile vom 28.01.2010 in den Rechtsachen C-406/08 und C-456/08) überhaupt noch anwendbar ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 26.04.2010, Az.: 13 Verg 4/10, und Beschluss vom 04.03.2010, Az.: 13 Verg 1/10; a. A. OLG Dresden, Beschluss vom 07.05.2010, Az.: WVerg 6/10, zitiert nach ibr-online). Soweit sich die Antragstellerin darüber hinaus im Zuge des Nachprüfungsverfahrens gegen die vermeintlich fehlerhaften Angaben der Beigeladenen zur Fehlerhäufigkeit gewendet hat, hat sie von dem zugrunde liegenden Sachverhalt erst durch Schriftsatz der Beigeladenen vom 14.07.2010 positive Kenntnis erlangt. Eine diesbezügliche Rüge war daher entbehrlich.

71

3.

Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Antragstellerin ist i. S. der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt. Die Auftraggeberin hat gegen den vergaberechtlichen Transparenzgrundsatz gem. § 97 Abs. 1 GWB verstoßen. Sie hat die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes gemäß § 25 Nr. 3 VOL/A zwar unter Zugrundelegung der den Bewerbern gemäß §§ 9a Nr. 1 lit c, 25a Nr. 1 GWB bekannt gemachten Zuschlagskriterien, den Unterkriterien und ihrer Gewichtungen durchgeführt. Sie hat ihnen aber wesentliche, kalkulationsrelevante Bewertungsmaßstäbe vorenthalten, weil sie den Bewerbern nicht mitgeteilt hat, dass Angebote, die 25% bzw. 50% über den Bestwerten zu den Unterkriterien Energieverbrauch, Leergewicht und Zuverlässigkeit liegen, automatisch mit 0 Punkten bewertet werden (im Folgenden a). Ferner ist die Auftraggeberin bei der Bewertung der Angebote anhand des Unterkriteriums Zuverlässigkeit von nicht vergleichbaren Sachverhalten ausgegangen, weil die Beigeladene ausweislich ihrer schriftsätzlichen Erklärungen im Nachprüfungsverfahren vom 14.07.2010 ihre Angaben zur Fehlerhäufigkeit in den Kategorien A bis D offenbar nicht - wie von der Auftraggeberin vorgesehen - unter Zugrundelegung eines Einzelfahrzeugs gemacht hat, sondern Mehrfachtraktionen und damit die Kombination mehrerer Fahrzeuge in einem Zugverband zugrunde gelegt hat, was die zu kalkulierenden Fehler und insbesondere Ausfälle zum Teil kompensieren kann (im Folgenden b).

72

a)

Zu Recht macht die Antragstellerin geltend, dass die Auftraggeberin versäumt hat, die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes gem. §§ 25 Nr. 3, 25 a Nr. 1 Abs. 1 VOL/A ausschließlich auf der Grundlage der gemäß § 9 a Nr. 1 lit. c VOL/A den Bietern bekannt gemachten Zuschlagskriterien und ihrer ebenfalls bekannt gemachten Gewichtungund Bewertungsmaßstäbe durchzuführen. Durch eben dieses Versäumnis ist die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt. Gemäß § 97 Abs. 5 GWB und § 25 Nr. 3 Satz 1 VOL/A ist der Zuschlag auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Gemäß § 25 Nr. 3 Satz 2 VOL/A ist der niedrigste Angebotspreis - grundsätzlich - nicht allein entscheidend. Die Vergaberichtlinien der EU legen übereinstimmend fest, dass für die Auftragsvergabe grundsätzlich zwei Kriterien maßgebend sein dürfen. Der öffentliche Auftraggeber darf entweder den Anbieter auswählen, der den niedrigsten Preis anbietet oder denjenigen Anbieter, der das wirtschaftlich günstigste Angebot abgegeben hat (vgl. Art. 53 u. 54 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG (VKR) wie zuvor bereits Art. 36 der Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie RL 92/50 EWG, ABl. EG Nr. L 209/1; Art. 34 der Baukoordinierungsrichtlinie RL 93/37/EWG, ABl. EG Nr. L 199/54, Art. 26 der Lieferkoordinierungsrichtlinie RL 93/36/EWG, ABl. EG Nr. L 199/1).

73

Der deutsche Gesetzgeber hat sich in § 97 Abs.5 GWB jedoch zulässigerweise ausdrücklich dafür entschieden, dem Kriterium "wirtschaftlichstes Angebot" den Vorzug vor dem ebenfalls zulässigen Kriterium "niedrigster Preis" zu geben. Das deutsche Recht schließt damit nicht aus, dass die preisliche Beurteilung des Angebotes im Rahmen der Prüfung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes eine maßgebliche Rolle spielt. Der Preis ist nach dem deutschen Vergaberecht vielmehr regelmäßig das wichtigste, aber eben nicht das allein entscheidende Kriterium (vgl. Boesen, VergabeR, § 97, Rdnr.144). Der Auftraggeber ist bei der Angebotswertung an die von ihm festzulegenden bekannt zu machenden Zuschlagskriterien und ihrer ebenfalls festzulegenden und bekannt zu machenden Gewichtung gem. § 9 a Nr. 1 lit. c VOL/A i.V.m. § 25 a Nr.1 VOL/A gebunden. Mit dieser Verpflichtung soll erreicht werden, dass die Bieter vorhersehen können, auf was es dem Auftraggeber bei den Angeboten ankommt. Nur so können die Bieter Zielstellung und die Wünsche des Auftraggebers bei der Angebotserstellung berücksichtigen. Für den Auftraggeber hat die Angabe der Zuschlagskriterien den Vorteil, dass er auf seine konkreten Bedürfnisse zugeschnittene Angebote erhält und zugleich werden dadurch Manipulationen des Verfahrens ausgeschlossen und die Zuschlagsentscheidung wird transparent sowie nachprüfbar. Eine Festlegung der Zuschlagskriterien kann den Auftraggeber durch die damit eintretende Selbstbindung auch vor der Einflussnahme Dritter schützen (vgl. Gnittke/Hattig in: Müller-Wrede, VOL/A, 2.Auflage, § 9 a, Rdnr.8, m.w.N.). Dabei ist zudem zu beachten, dass es nicht immer ausreicht, lediglich die Hauptzuschlagskriterien und ihrer Gewichtung bekannt zu geben. Eine Verpflichtung zur Bekanntgabe von Unterkriterien und deren Gewichtung besteht jedenfalls dann, wenn sich für die Bieter die Kenntnis davon auf den Inhalt ihrer Angebote auswirken kann (OLG München, Beschluss v.17.01.2008 - Verg 15/07).

74

Vorliegend hatte die Auftraggeberin in den Besonderen Vertragsbedingungen (Stand: 14.08.2009) ausdrücklich folgende Zuschlagskriterien mit Gewichtung festgelegt:

  • Preis 35%

  • Technik 25%

  • Betriebskosten/LCC 25%

75

Dieses war in folgende Unterkriterien aufgeteilt:

  1. 1.

    Energieverbrauch 6%

    1. a.

      Referenzstrecke

    2. b.

      Gewicht

  2. 2.

    Präventive Instandhaltung 7%

    1. a.

      Fristenplanung - Ausführungszeit

    2. b.

      Fristenplanung - Arbeitsaufwand

  3. 3.

    Korrektive Instandhaltung 6%

    1. a.

      Fehlerauswirkungen/Zuverlässigkeit

    2. b.

      Tauschteile - Tauschbarkeit

  4. 4.

    Teilemanagement 6%

  • Design 10%

  • Projektmanagement 5%.

76

Über die Festlegung der Kriterien, der Unterkriterien und ihrer prozentualen Gewichtung hinaus hatte die Auftraggeberin in den Besonderen Vertragsbedingungen (Stand: 14.08.2009) jedoch auch festgelegt, wie bei jedem einzelnen Unterkriterium die Wertung der Angebote und die Punkteermittlung erfolgen sollen. Sie hat damit detailliert den gesamten Wertungsvorgang festgelegt und den Bietern mit den Vergabeunterlagen mitgeteilt. So heißt es zur Bewertung des Kriteriums Preis, das mit 35% in die Gesamtwertung einfließen sollte:

"Für die Angebotswertung wird der Preis wie folgt in eine Punkteskala von 0 bis 100 Punkte normiert:

- 100 Punkte erhält das Angebot mit dem niedrigsten Preis (Wertungssumme)

- 0 Punkte erhält ein fiktives Angebot mit dem 1,5fachen des niedrigsten Preises

- alle Angebote darüber erhalten ebenfalls 0 Punkte

- die Punktebewertung für die dazwischen liegenden Preise erfolgt über eine lineare Interpolation mit bis zu 3 Stellen nach dem Komma."

77

Demgegenüber sollten die Punkte für das Unterkriterium zum Kriterium Betriebskosten/LCC, das mit insgesamt 25% bei der Gesamtwertung berücksichtigt werden sollte, nicht durch Interpolation zwischen zwei bekannt gemachten Größenordnungen, sondern durch prozentuale Abschläge, gemessen am jeweils besten Angebotswert, ermittelt werden. So heißt es auf Seite 10 der Besonderen Verfahrensbedingungen unter 7.3:

"Die Punkte werden wie folgt ermittelt:

1a)
Energieverbrauch - Referenzstrecke

Der Bieter mit dem geringsten Energieverbrauch (Differenz aus aufgenommener Traktionsenergie und ins Netz maximal zurückgespeister Energie) erhält die volle Punktzahl. Die anderen Bieter erhalten prozentuale Abschläge im Ausmaß ihrer Abweichungen.

1b)
Energieverbrauch - Fahrzeugmasse

Der Bieter mit dem geringsten Fahrzeuggewicht erhält die volle Punktzahl. Die anderen Bieter erhalten prozentuale Abschläge im Ausmaß ihrer Abweichungen ...

3a)
Fehlerauswirkungen - Zuverlässigkeit

Der Bieter mit der geringsten Summe der gewichteten Fehleranzahl aus den Kategorien A bis D erhält die volle Punktzahl. Dabei wird zur Berechnung der gewichteten Fehleranzahl folgender Schlüssel verwendet:

A-Fehler = 24 D-Fehler

B-Fehler = 6 D-Fehler

C-Fehler = 2 D-Fehler

D-Fehler = 1 D-Fehler

Die anderen Bieter erhalten prozentuale Abschläge im Ausmaß ihrer Abweichungen."

78

Mit E-Mail vom 14., 15. und 16.04.2010 hat die Auftraggeberin die im Verhandlungsverfahren verbliebenen Bewerber zur Abgabe eines finalen Angebotes aufgefordert. Die o. g. Zuschlagskriterien und ihre prozentuale Gewichtung blieben unverändert.

79

Den Bietern wurden aber auch unstreitig keinerlei Veränderungen hinsichtlich der konkreten Bewertungsmaßstäbe zur Punkteermittlung für das Zuschlagskriterium Betriebskosten/LCC mitgeteilt, so dass die Bieter auch bei der Kalkulation ihres finalen Angebotes noch davon ausgehen mussten, dass die in den Besonderen Verfahrensbedingungen festgelegten und bekannt gemachten Bewertungsmodalitäten nach wie vor gelten und der Angebotswertung unverändert zugrunde gelegt werden.

80

Lediglich im Hinblick auf das Zuschlagskriterium Technik hatte die Auftraggeberin den Bietern ausweislich der den per E-Mail versandten Aufforderungen zur Abgabe des finalen Angebotes beigefügten Ergebnisprotokolle zu den mit den Bietern im Rahmen der zweiten Verhandlungsrunde jeweils geführten Verhandlungsgesprächen erstmals mitgeteilt, dass das derzeit bei der Auftraggeberin eingesetzte Fahrzeug TW 2000 als Maßstab gelten sollte. Im Ergebnisprotokoll über das mit der Antragstellerin am 13.04.2010 geführte Verhandlungsgespräch heißt es dazu unter Nr. 4 Technik:

"Nur Soll-Kriterien wurden bewertet. Wurde die Erfüllung der Anforderungen ohne Einschränkung durch den Bieter bestätigt, wurde die maximale Punktzahl von 10 Punkten vergeben. Die Gewichtung der einzelnen Soll-Kriterien wurde den Bietern bekannt gegeben. Ein Angebot, dass die nach der Konformitätsliste maximal zu erreichende Punktzahl erreicht, erhält die volle Punktzahl. Anhand der Konformitätsliste wurde auch das derzeitige bei der xxxxxx im Einsatz befindliche Fahrzeug TW 2000 bewertet. Die durch das Fahrzeug TW 2000 erreichte Punktzahl entspricht 0 Punkte. Die durch den Bieter erreichten Punkte werden durch lineare Interpolation in eine Punkteskala von 0 bis 100 Punkten umgerechnet. Weitere Details zur Besprechung der Technischen Punkte siehe anliegendes Technisches Ergebnisprotokoll."

81

Die Auftraggeberin hat bei der Auswertung der finalen Angebote ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte (Ordner Nr. 13) die Vorgaben des § 25a Nr. 1 VOL/A grundsätzlich beachtet, indem sie in ihrer Angebotswertung nur die Zuschlagskriterien und Unterkriterien mit ihrer Gewichtung berücksichtigt hat, die er den Bietern bereits mit den besonderen Verfahrensbedingungen (Stand: 14.08.2009) gemäß 9a Nr. 1 lit. c VOL/A bekannt gemacht hatte.

82

Das darüber hinaus in den Besonderen Verfahrensbedingungen festgelegte, detaillierte Verfahren zur konkreten Punkteermittlung hat die Auftraggeberin in der Angebotswertung jedoch modifiziert, ohne dieseÄnderungen den Bietern mitzuteilen. Ausweislich der in Nr. 12 der Vergabeakte enthaltenen Übersicht über die Angebotsauswertungen Betriebskosten/LCC (Stand: 26.04.2010) hat sie die Punkte nicht, wie zuvor bekannt gemacht, wirklich durch einen Punkteabschlag gemessen am jeweils besten Angebotswert ermittelt. Sie hat vielmehr einen weiteren Wert eingefügt, um auch die Wertung des Zuschlagskriteriums Betriebskosten/LCC im Wege der Interpolation durchführen zu können. So heißt es in der tabellarischen Übersicht zur Angebotsauswertung Betriebskosten/LCC zum Unterkriterium 3.1 Energieverbrauch:

"Der Bieter mit dem geringsten Energieverbrauch erhält die volle Punktzahl 0 Punkte erhält das Angebot, das um 25% über dem Bestwert liegt. Dazwischen wird linear interpoliert."

83

Zum Unterkriterium 3.3 Korrektive Instandhaltung mit den weiteren Unterkriterien a) Fehlerauswirkungen/Zuverlässigkeit und b) Tauschteile - Tauschbarkeit heißt es:

"Der Bieter mit der geringsten Fehleranzahl erhält die volle Punktzahl 0 Punkte erhält das Angebot, das um 50% über dem Bestwert liegt. Dazwischen wird linear interpoliert."

84

Dieser von der Auftraggeberin für die Angebotswertung intern festgelegte Maßstab für die Vergabe von 0 Punkten hat insbesondere dazu geführt, dass die Antragstellerin beim Unterkriterium "Korrektive Instandhaltung" für das Unterkriterium "Fehlerauswirkungen/Zuverlässigkeit" unter Zugrundelegung ihrer Angaben in den von den Bietern mit dem Angebot vorzulegenden "Datenbereitstellung zu LCC" nur xxxxxx Punkte erhalten hat, während die Beigeladene xxxxxx Punkte erhalten hat. Die Beigeladene wiederum hat beim Kriterium 3.2 "Präventive Instandhaltung" für das Unterkriterium Fristenplanung - Ausführungszeit bei der Auswertung des finalen Angebotes lediglich xxxxxx Punkte erzielt, während die Antragstellerin xxxxxx Punkte erhalten hat. Beim Unterkriterium 3.1 Energieverbrauch hat die Antragstellerin für den auf der Referenzstrecke ermittelten Wert lediglich xxxxxx Punkte erzielt, während die Beigeladene xxxxxx Punkte erreicht hat.

85

Die Auswirkungen der von der Auftraggeberin intern festgelegten Interpolationsmethode in Abweichung von der den Bietern mit den Besonderen Verfahrensbedingungen vom 14.08.2009 bekannt gemachten Bewertungsmethode sind entgegen der Auffassung der Auftraggeberin nicht unerheblich. Zwar wären die Stärken und Schwächen der Angebote beim Zuschlagskriterium Betriebskosten/LCC auch dann zum Tragen gekommen, wenn die Auftraggeberin, wie ursprünglich bekannt gemacht, die Punkte lediglich durch prozentuale Abschläge gemessen am jeweils besten Angebotswert ermittelt hätte. Die Abstände bei den Bewertungen der einzelnen Kriterien und Unterkriterien wären jedoch anders verlaufen, zumal eine Bewertung mit 0 Punkten immer erst bei einer Überschreitung der Bestwerte um 100% möglich gewesen wäre.

86

Die Einführung eines Maßstabs für die Vergabe von 0 Punkten hätte den Bietern nach den Maßstäben des§ 25a VOL/A und des Transparenzgrundsatzes gemäß § 97 Abs. 1 GWB aber auch deshalb bekannt gemacht werden müssen, weil er kalkulationsrelevant sein kann. Es ist nicht auszuschließen, dass ein Bieter bei Kenntnis der Tatsache, dass die Vergabe von 0 Punkten für das Unterkriterium Energieverbrauch bereits dann droht, wenn das von ihm angebotene Fahrzeug einen um 25% höheren Energieverbrauch als das in diesem Kriterium beste Angebot ausweist, diesen möglichen Nachteil dadurch kompensiert, dass er einen niedrigeren Preis anbietet.

87

Aus § 9 a Nr. 1 lit. c VOL/A und § 25 a Nr. 1 VOL/A folgt nicht nur, dass der Auftraggeber keine Kriterien, Unterkriterien oder Gewichtungsregeln anwenden darf, die er den am Auftrag interessierten Unternehmen nicht vorher zur Kenntnis gebracht hat (vgl. EuGH, Urteil vom 24.01.2008 - C 532/06, Rz. 36-38 = VergabeR 2008, Seite 496 ff.). Die Bekanntgabepflicht erstreckt sich darüber hinaus auch auf die für die Zuschlagskriterien vom Auftraggeber in der Angebotswertung verwendeten Umrechnungsformeln und Bewertungsregeln (vgl. VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 22.01.2010, Az.: VK-SH 26/09; VK Thüringen, Beschluss vom 17.11.2008, Az.: 250-4003.20-5125/2008-029-J; VK Bund, Beschluss vom 10.08.2006, Az.: VK 1 55/06; VK Sachsen, Beschluss vom 11.08.2006, Az.: 1/SVK/073/06; jeweils zitiert nach ibr-online). Die potentiellen Bieter müssen in die Lage versetzt werden, bei der Vorbereitung ihrer Angebote nicht nur vom Bestehen, sondern auch von der Tragweite der Zuschlagskriterien Kenntnis zu nehmen (vgl. EuGH, Urteil vom 24.01.2008, Az.: RS.C-532/06 m.w.N.). Zur Tragweite der Zuschlagskriterien gehört nicht nur die Gewichtung selbst, sondern auch die jeweilige Umrechnungsformel bei der Wertung, denn die inhaltliche Gestaltung der dem Auftraggeber zur Errechnung der Punkte angewendeten Formel ermöglicht eine Einflussnahme auf die über die jeweiligen Kriterien erzielbare Punkteverteilung.

88

Dabei muss ein Auftraggeber für die Angebotswertung kein bis in die letzten Unterkriterien und deren Gewichtung gestaffeltes Wertungssystem aufstellen, das im Übrigen dann auch Gefahr liefe, endlos und unpraktikabel zu werden. Zu beachten ist, dass der Auftraggeber auf der letzten Ebene der Angebotswertung einen Wertungsspielraum hat. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn sich der Auftraggeber auf der letzten Stufe der Angebotswertung in einem Restbereich eine freie Wertung vorbehält. Laut Rechtssprechung ist die fehlende Bekanntgabe von Bewertungsregeln daher dann unschädlich, wenn dem betroffenen Unterkriterium nur ein sehr geringes Gewicht zukommt, das Verschiebungen bei der Angebotsreihenfolge nur im eingeschränkten Umfang erwarten lässt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.07.2009, Az.: VII-Verg 10/09).

89

Von einer derartigen Unerheblichkeit kann vorliegend entgegen der Auffassung der Auftraggeberin jedoch nicht ausgegangen werden. Bereits die von der Auftraggeberin im Zuge des Nachprüfungsverfahrens durchgeführte alternative Angebotswertung, bei der die Auftraggeberin die 0 Punkte-Maßstäbe 1,25 und 1,5 nicht angewandt hat, hat eine erhebliche Auswirkung auf die Bewertung der drei Vergabeverfahren der verbliebenen Angebote. Zwar liegt auch nach der Vergleichsberechnung das Angebot der Antragstellerin noch leicht hinter dem Angebot der Beigeladenen. Der Abstand beträgt nach der Vergleichsberechnung der Auftraggeberin insgesamt jedoch nur noch 1 Punkt (xxxxxx:xxxxxx Punkte), wobei die Auftraggeberin für die Vergleichsberechnung allerdings zusätzlich auch die von der Antragstellerin angefochtene künstliche Spreizung beim Zuschlagskriterium "Technik" durch den bei der Auftraggeberin zurzeit eingesetzten TW 2000 nicht berücksichtigt hat. Beim Unterkriterium Fehlerauswirkungen/Zuverlässigkeit zum Kriterium 3.3. Korrektive Instandhaltung hat die Auftraggeberin auch in ihrer Vergleichsberechnung für das Angebot der Antragstellerin xxxxxx Punkte ermittelt. Verdoppelt hat sich der Punktestand der Antragstellerin dagegen beim Unterkriterium 3.1 Energieverbrauch/Referenzstrecke, wo die Auftraggeberin in ihrer Vergleichsberechnung für das Hauptangebot der Antragstellerin xxxxxx Punkte statt zuvor xxxxxx Punkte errechnet hat.

90

Die Anwendung der den Bietern nicht bekannten Umrechnungsformeln oder Bewertungsmaßstäben beschränkt sich jedoch nicht auf das jeweilige Zuschlagskriterium. Dadurch, dass die Auftraggeberin sowohl monetäre als auch nicht-monetäre Zuschlagskriterien festgelegt hat, hat sie den Bietern die Möglichkeit gewährt, Nachteile bei den nicht-monetären Zuschlagskriterien durch Vorteile beim Zuschlagskriterium Preis auszugleichen und umgekehrt. Die Auftraggeberin war daher verpflichtet, den Bietern nicht nur die Zuschlagskriterien, ihre Unterkriterien und ihre prozentuale Gewichtung bekannt zu geben, sondern auch nur solche Bewertungsregeln anzuwenden, die sie den Bietern zuvor bekannt gemacht hat. Sie durfte daher nicht bei den Unterkriterien Energieverbrauch, Präventive Instandhaltung und Korrektive Instandhaltung zum Zuschlagskriterium Betriebskosten/LCC der Wertung einen 0-Punkte-Maßstab beiÜberschreitung des besten Angebotes um 25% bzw. 50% einführen, ohne den Bietern den Bewertungsmaßstab vor Angebotsabgabe bekannt zu geben.

91

Demgegenüber ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht zu beanstanden, dass die Auftraggeberin für die Bewertung der Angebote anhand des Zuschlagskriteriums Technik, das mit einer Gewichtung von 25% in die Wertung eingeflossen ist, die Leistungswerte des bei ihr zurzeit eingesetzten Fahrzeugs TW 2000 als Bewertungsmaßstab herangezogen hat. Im Gegensatz zu den anderen von der Antragstellerin beanstandeten Bewertungsmaßstäben wurde die Berücksichtigung des TW 2000 den Bietern im Vorfeld der Aufforderung zur Abgabe des finalen Angebotes unstreitig mitgeteilt. Ausweislich des in der Vergabeakte enthaltenen Ergebnisprotokollsüber das mit der Antragstellerin am 13.04.2010 geführte Verhandlungsgespräch wurde der Antragstellerin wie auch den anderen Bietern mitgeteilt, dass das derzeitige bei der xxxxxx im Einsatz befindliche Fahrzeug TW 2000 im Rahmen des Kriteriums Technik berücksichtigt werden soll. Die durch das Fahrzeug TW 2000 erreichte Punktzahl solle 0 Punkte entsprechen. Die durch den Bieter erreichten Punkte sollten durch lineare Interpolation in einer Punkteskala von 0-100 Punkten umgerechnet werden. Hinsichtlich der weiteren Details zur "Besprechung der technischen Punkte" verwies das Protokoll auf das ebenfalls in der Vergabeakte enthaltene technische Ergebnisprotokoll.

92

Die Bieter wurden somit durch die Auftraggeberin in die Lage versetzt, die Bewertung des vorhandenen Fahrzeugs TW 2000 bei ihrer Kalkulation zu berücksichtigen. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Auftraggeberin die Leistungswerte des TW 2000 in die Bewertung des Kriteriums Technik als Maßstab herangezogen hat und ihre Erfahrungen mit diesem Fahrzeug bei der Bewertung berücksichtigen will. Bei der Bewertung der Angebote und somit auch bei der Frage, welcher Formel sich der öffentliche Auftraggeber für die Punktebewertung bedient, steht dem öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu (vgl. OLG München, Beschluss vom 27.01.2006, Az.: Verg 1/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.05.2005 - Verg 8/05). Da es sich bei dem Beschaffungsgegenstand im vorliegenden Fall um ein Produkt handelt, das noch gar nicht existiert und jedenfalls noch nicht für eine Teststellung zur Verfügung steht, ist die Auftraggeberin darauf angewiesen, ihre Erfahrungen mit dem derzeit eingesetzten Fahrzeug TW 2000 zu nutzen und die Leistungen des Produktes als Maßstab in die Angebotswertung einfließen zu lassen. Anderenfalls könnte die Auftraggeberin die von den Bietern für das angebotene Produkt nach der Konformitätsliste einzutragenden Angaben nicht auf Plausibilität überprüfen. Dem steht nicht entgegen, dass der TW 2000 die entsprechenden Anforderungen der Konformitätsliste im Lastenheft für die vorliegende Beschaffung selbst nicht erfüllt. Dieser Tatsache hat die Auftraggeberin gerade dadurch Rechnung getragen, dass sie die vom derzeitigen Fahrzeug TW 2000 erreichten Werte mit 0 Punkte bewertet.

93

b)

Einer Ermittlung des wirtschaftlichsten finalen Angebotes im Sinne des § 25 Nr. 3 VOL/A steht vorliegend darüber hinaus entgegen, dass die Antragstellerin und die Beigeladene in ihren Angeboten bei ihren Angaben zu ihrem Unterkriterium 3a) Fehlerauswirkungen/Zuverlässigkeit zum Zuschlagskriterium Betriebskosten/LCC offenbar von einer unterschiedlichen Basis ausgegangen sind, wodurch die Gebote nicht mehr im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A miteinander verglichen werden können. Gemäß Rdnr. 7.3 der den Bietern vorgegebenen Besonderen Verfahrensbedingungen (Stand: 14.08.2009) sollte der Bieter mit der geringsten Summe der gewichteten Fehleranzahl aus den Kategorien A bis D die volle Punktzahl erhalten. Gemäß den Festlegungen im Lastenheft Teil C: Betriebskosten/LCC "LCC/RAM-orientierte Qualitätssicherung" (Stand: 14.08.2009) hat die Auftraggeberin die möglichen Fehlerereignisse nach ihren Auswirkungen eingeteilt. Dort heißt es auf S. 20 unter Nr. 4.3.4 Fehlerauswirkungen/Fehlerkategorien - Spalte 7:

"Für die grundsätzliche Definition unterschiedlicher Auswirkungen von Fehlerereignissen bezüglich Betrieb und Instandhaltung wird unter Beachtung der Empfehlung von entsprechenden Organisationen (u.a. VDV) und den speziellen Einsatzbedingungen bei der xxxxxx eine Einteilung in untenstehende Fehlerkategorien verwendet (Abb. 4 - 4)."

94

Es folgt auf S. 21 die tabellarische Einteilung und Erläuterung. Dort heißt es:

"Kategorie A schwerstes Fehlerereignis: Fahrgäste müssen sofort aussteigen und Außerbetriebnahme erforderlichoder Abschleppen erforderlich oder Räumung der Strecke nur durch Hilfsmannschaften möglich;

Kategorie B gravierendes Fehlerereignis: Fahrgäste müssen an der nächsten Haltestelle aussteigen, Außerbetriebnahme erforderlich und Fahrzeug räumt aus eigener Kraft die Strecke;

Kategorie C Fehlerereignis: Die Betriebsfähigkeit des Zuges ist nur gering beeinträchtigt. Eine Weiterfahrt ist zunächst ohne Einschränkungen bis zur Endhaltestelle oder bis zur nächsten Einrückstelle möglich, weil z.B. aufgrund redundanter Ausführung von Komponenten die geforderte Funktion teilweise weiter erfüllt wird und Instandsetzung vor dem nächsten Auslaufen erforderlich,

Kategorie D unkritisches Fehlerereignis: Die Betriebsfähigkeit des Zuges ist nicht beeinträchtigt. Eine Weiterfahrt ist ohne Einschränkung möglich, weil z.B. aufgrund redundanter Ausführung der Komponenten die geforderte Funktion weiterhin voll erfüllt ist. Der Fehler ist der Werkstatt zu melden."

95

Im Lastenheft folgt sodann eine Erläuterung wie die Bieter die von ihnen kalkulierten Fehlerraten anzugeben haben. Dort heißt es:

"Der Bieter kategorisiert die Auswirkungen der oben definierten Fehlerraten je Baugruppe/Bauteil in seinem Angebot (siehe Datei "Datenbereitstellung zu LCC", Spalten H bis K und Beispiel Tabellenblatt "Korrektive Instandhaltung"). Dabei ist auch eine prozentuale Aufteilung der Auswirkungen der jeweiligen Fehlerrate eines Objekts auf mehrere Kategorien möglich."

96

Entsprechend den Fehlerauswirkungen hatte die Auftraggeberin auf S. 10 der Besonderen Verfahrensbedingungen unter 7.3 für die Wertung einen Schlüssel festgelegt. Danach entspricht ein A-Fehler 24 D-Fehlern, ein B-Fehler 6 D-Fehlern, ein C-Fehler 2 D-Fehlern und ein D-Fehler 1 D-Fehler. Der Bieter mit der geringsten Summe der gewichteten Fehleranzahl aus den Kategorien A bis D sollte die volle Punktzahl erhalten. Die anderen Bieter sollten prozentuale Abschläge im Ausmaß ihrer Abweichungen erhalten.

97

Die Auftraggeberin hat im Nachprüfungsverfahren sowohl schriftsätzlich als auch in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie erwartet habe, dass die Bieter ihre Fehlerangaben auf ein angebotenes Einzelfahrzeug beziehen. Dafür spricht, dass die Auftraggeberin im Lastenheft Teil C in der oben zitierten Definition der Fehlerereignisse sich teilweise ausdrücklich auf "das Fahrzeug" bezieht. In der Definition zur Fehlerkategorie C wird dagegen ausdrücklich von der "Betriebsfähigkeitdes Zuges " gesprochen, was aus dem Empfängerhorizont des Bieters auch für einen Verbund mehrerer Fahrzeuge und damit eine sog. Mehrfachtraktion sprechen konnte. Insofern hat die Auftraggeberin zumindest bei der Vorgabe der Definition der Fehlerkategorien keine eindeutigen Begriffe verwandt. Im Übrigen nimmt das Lastenheft dagegen eindeutig nur auf Einzelfahrzeuge Bezug. So heißt es auf S. 20 unter 4.3.2 Fahrzeugstruktur - Spalten 1 - 5:

"Die Spalten 1 - 5 des Tabellenblatts "Korrektive Instandhaltung" entsprechen der Fahrzeugstrukturierung aus 4.2.2 ... Spalte 5, Beschreibung: Anzahl gleichartiger Baugruppen/Bauteile der dritten Strukturebene pro Fahrzeug."

98

Unter 4.3.3 Zuverlässigkeit - Spalte 6 heißt es:

"FPMK ("Failures Per Million Kilometers") je Baugruppe/Bauteil {1/106km]

Anzahl der technisch bedingten Fehlerereignisse einer Baugruppe bzw. eines Bauteils des Fahrzeuges in der dritten Strukturebene pro Million Kilometer unter den gegebenen Belastungen."

99

(Hervorhebungen durch die Vergabekammer)

100

Die Antragstellerin hat erklärt, dass sie die Anforderungen entsprechend den Ausführungen der Auftraggeberin im Nachprüfungsverfahren verstanden und die von ihr kalkulierten Fehlerraten auf Basis eines Einzelfahrzeugs in ihrem Angebot angegeben hat. Demgegenüber hat die Beigeladene in ihrem Schriftsatz vom 14.07.2010 auf S. 9 f. vorgetragen, dass sie in ihrem Angebot davon ausgegangen ist, dass die Auftraggeberin erwartet habe, dass Basis für die Fehlerangaben ein Zugverband mehrerer Fahrzeuge sein sollte. Dort heißt es:

"In der Datenbereitstellungsdatei ist nach den Vorgaben der Antragstellerin nur ein Feld für Eintragungen der Fehler vorgesehen. Insofern könnte man hier auf die Idee kommen, die Ausfallwerte pro Triebwagen einzugeben. Für die Antragsgegnerin kommt es jedoch weniger auf die Ausfallraten eines einzelnen Triebwagens, sondern vielmehr auf Fehlerhäufigkeit bzw. die Ausfallraten innerhalb eines Zugverbandes an; verlieren viele Fehler doch bei dem, in der Praxis besonders häufigen, gemeinsamen Betrieb mehrerer Fahrzeuge im Verband erheblich an Gewicht. Besonders deutlich wird dies bei gravierenden Problemen der Kategorie A, kann hier doch das weitere Fahrzeug die Aufgaben übernehmen. Daher wies die Antragsgegnerin die Bieter in der Verhandlungsrunde Anfang Februar 2010 darauf hin, dass in die Tabelle die Werte für einen Zugverband eingetragen werden müssen und nicht die Werte für einen einzelnen Triebwagen. Diese Information hat sie allen beteiligten Bietern, und selbstverständlich auch der Antragstellerin, in gleich behandelnder und transparenter Weise zukommen lassen (vgl. S. 10 der Antragserwiderung und S. 25 f. des Nachprüfungsantrages)."

101

Angesichts dieses substantiierten schriftsätzlichen Vortrags der Beigeladenen überzeugt ihre gegenteilige Aussage in der mündlichen Verhandlung, sie habe gleichwohl in ihrem Angebot ebenfalls Fehlerangaben bezogen auf ein einzelnes Fahrzeug gemacht, nicht. Die Auftraggeberin kann daher vorliegend nicht davon ausgehen, dass die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen im Hinblick auf das Unterkriterium 3a) Fehlerauswirkungen/Zuverlässigkeit zum Zuschlagskriterium Betriebskosten/LCC für ihre Angaben von gleichen Sachverhalten ausgegangen sind. Da gemäß § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A die Leistung so eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben ist, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und die Angebote miteinander verglichen werden können, ist der Auftraggeberin eine vergaberechtsgemäße Auswertung der vorliegenden finalen Angebote nicht möglich. Die von den Bietern offenbar verwendete unterschiedliche Basis für die Angabe der Fehler hat sich vorliegend auch konkret zum Nachteil der Antragstellerin ausgewirkt, da sie in allen drei Angebotsrunden für das Unterkriterium 3a) Fehlerauswirkungen/Zuverlässigkeit ausweislich der in der Vergabeakte (Nr. 13, Auswertung finale Angebote) enthaltenen tabellarischen Übersicht zur Angebotsauswertung Betriebskosten/LCC nur xxxxxx Punkte erhalten hat, während die Beigeladene die Höchstpunktzahl von xxxxxx Punkten erhalten hat. Wie die Beigeladene in ihrem oben zitierten Schriftsatz vom 14.07.2010 selbst vorgetragen hat, ist es von entscheidender Bedeutung, ob man bei den zu kalkulierenden Fehlerangaben ein Einzelfahrzeug oder einen Zugverband (Mehrfachtraktion) zugrunde legt. Bei Mehrfachtraktionen können sich Fehler an einzelnen Fahrzeugen (z.B. ein Bremsenausfall) weniger schwerwiegend auswirken als bei der Einfachtraktion, weil dort die ausgefallenen Systeme teilweise durch die entsprechenden Systeme der anderen Fahrzeuge übernommen werden können. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Auftraggeberin war und ist daher gehalten, den Bietern vor Angebotsabgabe eindeutige Angaben zur Berechnungsbasis für die von den Bietern mit dem Angebot anzugebende Fehleranzahl vorzugeben, um vergleichbare Angebote im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A zu erhalten.

102

Gemäß § 114 Abs. 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei an die Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Aufgrund der oben unter II. 3. festgestellten Tatsache, dass die Auftraggeberin bei der Wertung zum Teil Bewertungsmaßstäbe angewandt hat, die sie den Bietern zuvor nicht mitgeteilt hatte, und der Tatsache, dass zumindest die Antragstellerin und die Beigeladene bei ihren produktbezogenen Angaben zu Fehlerauswirkungen und Zuverlässigkeit von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgegangen sind, so dass diesbezüglich keine vergleichbaren Angebote vorliegen, war festzustellen, dass die Antragstellerin durch die Angebotswertung und die Entscheidung der Auftraggeberin, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen, in ihren Rechten verletzt ist. Die Auftraggeberin war daher zu verpflichten, erneut in das Verhandlungsverfahren einzutreten, die nach Ablauf der zweiten Verhandlungsrunde verbliebenen Bieter erneut zur Abgabe eines finalen Angebotes aufzufordern und den Bietern dabei nicht nur Zuschlagskriterien, Unterkriterien und ihre Gewichtung, sondern auch sämtliche von der Auftraggeberin vorgesehenen Bewertungsmaßstäbe mitzuteilen.

103

III.

Kosten

104

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790). Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt nach wie vor 2.500 EUR, die Höchstgebühr nunmehr 50.000 EUR und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 EUR.

105

Es wird eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

106

Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt xxxxxx EUR. Dieser Betrag entspricht ausweislich der Vergabeakte (Bd. 13, Auswertung der finalen Angebote, Ergebnisse 3. Angebotsrunde, Preisvergleich) der Angebotssumme nach dem Hauptangebot der Antragstellerin für den Gesamtauftrag für die Lieferung von 50 Hochflur-Stadtbahnwagen und der ausgeschriebenen Option für die Lieferung weiterer 96 Wagen und damit dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.

107

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR(§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 EUR (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt.

108

Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx EUR ergibt sich eine Gebühr in Höhe der gesetzlichen Höchstgebühr von xxxxxx EUR.

109

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

110

Die Auftraggeberin ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung der Kosten gemäß § 128 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 Nds. VwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04).

111

Die Auftraggeberin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten und damit die Anwaltskosten zu erstatten. Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf Antrag der Antragstellerin gem. Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Das folgt daraus, dass die Antragstellerin ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung bedurfte.

112

Angesichts der Tatsache, dass die Auftraggeberin im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat sie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.

113

IV.

Rechtsbehelf

114

Gemäß § 116 GWB kann gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt werden.

115

...

Gause
Schulte
Dr. Freise