Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 02.06.2010, Az.: VgK-21/2010

Rechtmäßigkeit eines Vergabeverfahrens für Abschleppdienstleistungen; Vereinbarkeit eines Vertragsschlusses vor dem durch einen Auftraggeber selbst festgelegten frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit den Rechten eines Bieters; Subjektives Recht eines einzelnen Bieters auf eine ausreichende Dokumentation des Vergabeverfahrens und auch der einzelnen Zwischenentscheidungen; Heilung eines Dokumentationsmangels durch die nachträgliche Zusendung einer Preismatrix nach der mündlichen Verhandlung; Definitionsmöglichkeit der im Bedarfsfall die Ausstattung der von den Bietern einzusetzenden Kraftfahrzeuge mit einer Feinstaubplakette fordernden Teilnahmevoraussetzung

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
02.06.2010
Aktenzeichen
VgK-21/2010
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 29882
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

VOL/A-Vergabeverfahren Abschleppdienstleistungen für die Stadt xxxxxx (Abschluss einer Rahmenvereinbarung)

In dem Nachprüfungsverfahren
...
hat die Vergabekammer
durch
den Vorsitzenden MR Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn und
den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn Sameluck,
auf die mündliche Verhandlung vom 02.06.2010
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin durch die Aufhebung des Vergabeverfahrens der Lose 3 und 6 und die unter Verstoß gegen § 101a GWB erfolgte Vergabe der Lose 1, 4 und 5 in ihren Rechten verletzt ist.

    Die Unwirksamkeit der Vergabe der Lose 1, 4 und 5 wird gemäß § 101 b GWB festgestellt.

    Die Auftraggeberin wird verpflichtet, hinsichtlich der Lose 1, 3, 4, 5 und 6 erneut in die Angebotswertung einzutreten, diese im Hinblick auf die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes erneut durchzuführen und dabei die aus den Gründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.

  2. 2.

    Die Kosten werden auf xxxxxx EUR festgesetzt.

  3. 3.

    die Kosten trägt grundsätzlich die Auftraggeberin. Die Auftraggeberin ist jedoch von der Entrichtung der Kosten befreit.

  4. 4.

    die Auftraggeberin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragstellerin notwendig

Begründung

1

I.

Mit europaweiter Bekanntmachung vom xxxxxx.2009 schrieb die Stadt xxxxxx im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die Maßnahmen nach dem Nds. SOG im offenen Verfahren den Abschluss einer Rahmenvereinbarung über die Abschleppdienstleistungen innerhalb des Stadtgebietes xxxxxx für einen Zeitraum von 48 Monaten aus (AZ. 32/5064/09). Das Auftragsvolumen schätzt die Auftraggeberin auf insgesamt 2700 Abschleppvorgänge pro Jahr. Der Auftrag soll in 6 Losen mit in etwa gleichem Auftragsvolumen vergeben werden. Angebote durften für ein oder mehrere Lose abgegeben werden. Unter III.2.3) der Bekanntmachung wurde angekündigt, dass auf Verlangen der Vergabestelle die Technische Leistungsfähigkeit nachzuweisen ist durch

  • die Vorlage der Erlaubnis nach dem Güterkraftverkehrsgesetz,

  • eine Aufstellung einer dem Auftrag angemessenen Anzahl zur Verfügung stehender geeigneter Abschleppfahrzeuge mit Angaben zu Hersteller, Typ, Alter, Ausrüstung, Gültigkeit von HU und AU,

  • eine ausführliche Beschreibung des Sicherstellungs-/Verwahrgeländes mit Angaben zu Lage, Größe, Sicherungsmaßnahmen sowie der Erreichbarkeit mit dem ÖPNV und Nachweisen und Erklärungen zu ihrer Verfügbarkeit und

  • eine Bescheinigung gem. § 5 Abs. 3 Altfahrzeug-Verordnung.

2

Nebenangebote sind nicht zulässig. Als einziges Zuschlagskriterium wurde der niedrigste Preis bekannt gegeben.

3

Das von der Auftraggeberin nach den aktuell vertraglich geregelten Abschleppkosten für die Vertragslaufzeit von 4 Jahren geschätzte Auftragsvolumen beträgt insgesamt xxxxxx EUR brutto und damit pro Los und Jahr xxxxxx EUR.

4

In der Aufforderung zur Angebotsabgabe wurden die Bieter darüber informiert, dass verschiedene Eignungsnachweise auf Verlangen der Vergabestelle vorzulegen sind. Außerdem erhielten die Bieter neben verschiedenen Informationen zu den Modalitäten des Wettbewerbs den Hinweis, dass mit der Auftragsausführung voraussichtlich am 01.04.2010 zu beginnen sein wird. Zu den Vergabeunterlagen gehören eine Leistungsbeschreibung, die Ausführungsbedingungen zur Rahmenvereinbarung, die AGB der Auftraggeberin und Übersichtskarten zum Zuschnitt der Lose.

5

In der Leistungsbeschreibung trifft die Antragsgegnerin unter der Überschrift Zuschlagskriterium folgende Festlegung:

"Zuschlagskriterium für ein Los ist die günstigste angebotene Bruttojahressumme, die sich aus folgenden in Anlage 3 zu machenden Angaben zusammensetzt".

6

Es folgt ein entsprechendes Berechnungsschema. Als Anlage 3a ist der Leistungsbeschreibung eine "Preismatrix zur Berechnung der angebotenen Bruttojahressumme durch die Vergabestelle" beigefügt.

7

Die Ausführungsbedingungen zur Rahmenvereinbarung über die Abschleppdienstleistungen enthalten unter III. Ausstattung und Abwicklung unter Nr. 1) "Fuhrpark" folgende Vorgaben:

"Die Vertragsfirma muss für ein Los über mindestens 2 Kranwagen zum Abschleppen von Fahrzeugen verfügen. Bei der Zuschlagserteilung für mehrere Lose erhöht sich die Anzahl der erforderlichen Kranwagen entsprechend.

Mindestens 1 weiteres Fahrzeug muss für Abschleppmaßnahmen an Örtlichkeiten mit beschränkter Rangier- und Wendemöglichkeit geeignet sein."

8

Unter Nr. 7) "Durchführung der Leistung" werden die Begriffe Vollleistung, Teilleistung und Leerfahrt definiert. Hiernach liegt eine Vollleistung vor, wenn das abzuschleppende Fahrzeug bereits vollständig verladen ist und das Abschleppfahrzeug angefahren ist. Im Preis für eine Vollleistung sind die Kosten für eine eventuell notwendige Verwahrung des abgeschleppten Fahrzeuges von bis zu 7 Kalendertagen enthalten. Eine Teilleistung liegt vor, wenn bereits Arbeiten am abzuschleppenden Fahrzeug erfolgt sind, wie z.B. Anbringen der Abschleppkralle etc. Eine Leerfahrt liegt vor, sobald ein Abschleppfahrzeug sich vom Betriebshof oder von einer anderen Stelle, an der es mit der Durchführung einer Abschleppmaßnahme beauftragt wird, in Richtung des Abschlepportes in Bewegung gesetzt hat.

9

Unter VII. "Umweltzonen" findet sich folgender Hinweis:

"Es wird ausdrücklich auf die bestehende Umweltzone hingewiesen. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass die eingesetzten Kraftfahrzeuge im Bedarfsfall mit entsprechenden Feinstaubplaketten ausgestattet sind."

10

Bieteranfragen während der Angebotsphase sind in der Vergabeakte nicht dokumentiert worden.

11

Nach Maßgabe der Niederschrift über die Angebotseröffnung vom 08.12.2009 gingen insgesamt 3 Angebote ein, hierunter das Angebot der Antragstellerin, die - als Bietergemeinschaft aus mehreren Abschleppunternehmen - ein Angebot auf die Lose 1, 3, 4, 5 und 6 abgegeben hat. Die Beigeladene zu 1 hat auf die Lose 4 und 5 angeboten, die Beigeladenen zu 2 und zu 3 haben als Bietergemeinschaft auf die Lose 1 und 2 angeboten. Alle Bieter haben jeweils identische Preise für die von ihnen angebotenen Lose kalkuliert.

12

Noch im Dezember 2009 forderte die Auftraggeberin bei den Bietern die angekündigten Eignungsnachweise an.

13

Die Auftraggeberin hat ihre Prüfung und Wertung im Vergabevermerk vom 18.02.2010 dokumentiert. Nach Maßgabe des Vergabevermerks wurden die Angebote formal und inhaltlich geprüft. Hierbei blieben alle eingegangenen Angebote unbeanstandet. Für die Eignungsprüfung wurde vermerkt, dass alle Bieter die erforderliche Eignung besitzen. Zur Prüfung der Angemessenheit der Preise wurde für das Angebot der Antragstellerin festgehalten:

"Das Angebot des Bieters 3 (Bietergemeinschaft xxxxxx) liegt ... um mehr als 100% über den kalkulierten Kosten und den Kosten der anderen Bieter für die anderen Lose. Auch im Städtevergleich (Anlage) liegt der gebotene Preis deutlich über den dort verlangten durchschnittlichen Abschleppkosten. Bei diesem Angebot liegt ein offensichtliches Missverhältnis zwischen Preis und Leistung vor",

14

Für die Angebote der Beigeladenen wurde kein Missverhältnis zwischen Preis und Leistung erkannt. Zur Wertung der Angebote nach dem Kriterium niedrigster Preis hat die Auftraggeberin auf S. 2 des Vergabevermerks unter F vermerkt:

"Die Wertung erfolgt nach dem mit der Vergabebekanntmachung mitgeteilten Kriterium: niedrigster Preis. Die Gewichtung des Preises ist in der Vergabebekanntmachung als einziges Kriterium genannt worden. Deshalb sind alle Angebote gleich zu gewichten.

Wie sich aus der beigefügten Anlage 3a zur Leistungsbeschreibung vom 01.10.2009 "Preismatrix" ergibt, hat die Fa. xxxxxx das preislich günstigste Angebot für das Los 4 und das Los 5 abgegeben. Die Firma - Bietergemeinschaft xxxxxx - hat das preislich günstigste Angebot für das Los 1 und das Los 2 abgegeben.

Für die Lose 3 und 6 liegt kein wirtschaftliches Angebot vor."

15

Als Anlage 3a wurde dem Vergabevermerk eine für das Angebot der Antragstellerin erstellte Preismatrix beigefügt, in welcher die Auftraggeberin für die von der Antragstellerin angebotenen Lose eine Bruttojahressumme von xxxxxx EUR errechnet hat. Entsprechende Berechnungen für die Angebote der Beigeladenen enthält die Vergabeakte nicht. Ein für die Beigeladenen gewerteter Angebotspreis wird im Vergabevermerk nicht erwähnt.

16

Der Vergabevorschlag empfiehlt einen Zuschlag für die Lose 1 und 2 auf das gemeinsame Angebot der Beigeladenen zu 2 und 3 und für die Lose 4 und 5 auf das Angebot der Beigeladenen zu 1. Hinsichtlich der Lose 3 und 6 wird eine Aufhebung der Ausschreibung gemäß § 26 VOL/A empfohlen.

17

Mit Schreiben vom 12.03.2010 informierte die Auftraggeberin die Bieter über die Absicht, die Lose 1, 2, 4 und 5 an die Beigeladenen zu vergeben, und teilte mit, dass ein Vertragschluss frühestens ab 01.04.2010 erfolgen soll. Mit separatem Schreiben vom gleichen Tag teilte sie mit, dass die Ausschreibung für die Lose 3 und 6 aufgehoben worden sei.

18

Mit Schreiben vom 19.03.2010 rügte die Antragsteller die Teilaufhebung für die Lose 3 und 6 und forderte die Auftraggeberin auf, die Lose 3 und 6 zu vergeben.

19

In ihrer Rügeantwort vom 22.03.2010 wies die Auftraggeberin diese Rüge zurück. Zur Begründung der Aufhebung teilte sie mit, das Ergebnis der Ausschreibung sei für diese Lose nicht wirtschaftlich gewesen.

20

Ausweislich der Vergabeakte wurde der Zuschlag auf die Lose 1, 2, 4 und 5 mit Schreiben vom 23.03.2010 an die Beigeladenen erteilt.

21

Am 30.03.2010 rügte die Antragstellerin die Vergabe der Lose 1, 2, 4 und 5. Sie trug vor, sie habe am 25.03.2010 erfahren, dass die Beigeladenen über veraltete Autos verfügen, die nicht die in der Ausschreibung geforderte Feinstaubplakette besäßen.

22

Die Auftraggeberin wies diese Rüge mit Schreiben vom 01.04.2010 zurück und teilte der Antragstellerin mit: "Für die eingesetzten Fahrzeuge der Abschleppunternehmen, die den Zuschlag für die Lose 1, 2, 4 und 5 erhalten haben, liegen die in der Ausschreibung geforderten Voraussetzungen vor." Der Vergabeakte sind hierzu die Kopien verschiedener Dokumente der Beigeladenen beigefügt. Hiernach wurde der Beigeladenen zu 2 für die Kraftfahrzeuge xxxxxx und xxxxxx am 18.03.2010 eine bis zum 03. bzw. 07.12. 2010 befristete Ausnahmebewilligung, sowie am 09.02.2010 für das Fahrzeug xxxxxx eine bis zum 31.12.2011 befristete und auf eine Kilometerleistung von maximal 2.000 km begrenzte Ausnahmebewilligung erteilt. Die Beigeladene zu 3 hat für das Kraftfahrzeug xxxxxx am 24.02.2010 eine bis zum 31.12.2011 befristete und auf eine Kilometerleistung von maximal 2.000 km begrenzte Ausnahmebewilligung erhalten.

23

Die Beigeladene zu 1 hat für die Kraftfahrzeuge xxxxxx und xxxxxx am 02.03.2010 Berechtigungen bis zum 31.12.2011 erhalten. Für die Fahrzeuge xxxxxx und xxxxxx wurde eine Ausnahmegenehmigung beantragt.

24

Die Antragstellerin hat für das KFZ der Firma xxxxxx xxxxxx am 09.11.09 eine Ausnahmegenehmigung beantragt. Die Auftraggeberin hat mit Schreiben vom 06.04.2010 deren Ablehnung in Aussicht gestellt, weil es möglich sei, das KFZ nachzurüsten.

25

Am 01.04.2010 wandte sich die Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag an die

26

Vergabekammer. Unter Hinweis auf ihre rechtzeitig nach entsprechender Kenntnisnahme vorgetragenen Rügen beanstandet sie die Entscheidungen der Auftraggeberin als vergaberechtswidrig. § 26 VOL/A sehe eine Teilaufhebung der Ausschreibung aus wirtschaftlichen Gründen für einzelne Lose nicht vor. Zudem sei eine Unwirtschaftlichkeit auch gar nicht gegeben. Sie habe ausschreibungskonform angeboten. Die von ihr angebotenen Preise lägen erheblich niedriger als die aktuellen Preise für vergleichbare Abschleppleistungen in anderen Großstädten. Die von der Auftraggeberin diesbezüglich herangezogenen Preise seien nicht aktuell und berücksichtigten preiswirksame Unterschiede der Abschleppleistungen nicht.

27

Zur Erfüllung der in der Ausschreibung geforderten Umweltmaßnahmen seien neue Abschleppfahrzeuge erforderlich. Den hierfür erforderlichen höheren Aufwand, zu dem sie sich durch die Forderungen der Auftraggeberin veranlasst gesehen hat, habe sie in ihrer Kalkulation berücksichtigt. Ihr Preis sei angemessen. In anderen Großstädten seien für vergleichbare Abschleppleistungen Preise von 250 bis 280 EUR üblich.

28

Die Beigeladene zu 2, die zusammen mit der Beigeladenen zu 3 einen Rahmenvertrag für die Lose 1 und 2 erhalten hat, habe aktuell am 11.05.2010 im Bereich des Loses 2 für das Abschleppen eines PKW, der noch am selben Tag wieder abgeholt worden sei, einen Preis von xxxxxx EUR + xxxxxx EUR Vermittlungsgebühr = xxxxxx EUR netto und damit insgesamt xxxxxx EUR brutto abgerechnet. Sie kenne die Preise der Beigeladenen nicht. Sollten die Beigeladenen zu 2 und zu 3 der Auftraggeberin im Vergabeverfahren einen geringeren Preis angeboten haben, sei dieser ein nicht kostendeckender Dumpingpreis. Sie gehe davon aus, dass auch der angebotene Preis der Beigeladenen zu 1 nicht auskömmlich sei, denn diese verlange aktuell für das Abschleppen eines Zweirades xxxxxx EUR netto, dazu kämen Zuschläge und eine Vermittlungsgebühr.

29

Erst im Wege der Akteneinsicht habe sie Kenntnis davon erlangt, dass die Beigeladenen nicht nur ein Los, sondern jeweils zwei Lose erhalten haben. Hiernach habe sie den Zuschlag auf die Angebote der Beigeladenen unverzüglich gerügt, denn nach ihrer Kenntnis verfügen die Beigeladenen nicht über die erforderlichen Fahrzeuge, um die technischen Anforderungen der Ausschreibung zur Vergabe von mehr als einem Los zu erfüllen.

30

Die Beigeladene zu 1 besitze insgesamt drei Abschleppfahrzeuge mit Krananlage, was nach den Forderungen der Ausschreibung für die Vergabe von zwei Losen nicht ausreiche. Sie bezweifele, dass die Beigeladene zu 1 nachweisen konnte, dass ihr ein viertes, nicht in ihrem Besitz befindliches Fahrzeug für die Auftragsausführung dauernd zur Verfügung steht. Die Bietergemeinschaft der Beigeladenen zu 2 und zu 3 verfüge zwar über eine für die Auftragsdurchführung von zwei Losen ausreichende Anzahl von Abschleppfahrzeugen, jedoch hätten nur maximal zwei dieser Fahrzeuge die geforderte Feinstaubplakette. Die Auftraggeberin habe unter VII. (Umweltzonen) ausdrücklich verlangt, dass die eingesetzten Fahrzeuge im Bedarfsfall mit entsprechenden Feinstaubplaketten ausgestattet sein müssen, eine Ausnahmegenehmigung sei dort nicht als ausreichend angegeben worden.

31

Hieraus erkläre sich auch, dass die Preise der Beigeladenen niedriger seien als der von ihr angebotene Preis. Die Beigeladenen erfüllen die Anforderungen der Ausschreibung hinsichtlich der Fahrzeugkapazitäten und Umweltmaßnahmen nicht, daher könne auf ihre Angebote ein Zuschlag nicht erteilt werden.

32

Da die Auftraggeberin ausweislich der Vergabeakte den Zuschlag bereits am 23.03.2010 und damit vor dem im Informationsschreiben gemäß § 101 a GWB mitgeteilten Termin auf die Angebote der Beigeladenen erteilt habe, seien die mit den Beigeladenen geschlossenen Verträge unwirksam.

33

Die Antragstellerin beantragt,

  1. 1.

    die Auftraggeberin zu verpflichten, das Vergabeverfahren für die Lose 3 und 6 fortzusetzen und den Zuschlag unter Berücksichtigung des Angebotes der Antragstellerin zu erteilen,

  2. 2.

    festzustellen, dass die Erteilung des Zuschlages auf die Angebote der Beigeladenen für die Lose 1, 4 und 5 unwirksam und daher aufzuheben ist,

  3. 3.

    die Auftraggeberin zu verpflichten, den Zuschlag auf die Lose 1, 4 und 5 unter Berücksichtigung des Angebotes der Antragstellerin neu zu erteilen.

  4. 4.

    die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller gem. § 128 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären,

  5. 5.

    der Auftraggeberin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufzuerlegen.

34

Die Auftraggeberin beantragt,

  1. 1.

    die Nachprüfungsanträge der Antragsteller zurückzuweisen,

35

Sie hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig und unbegründet.

36

Mit Informationsschreiben vom 12.03.2010 habe die Antragstellerin Kenntnis davon erhalten, dass die Ausschreibung für die Lose 3 und 6 aufgehoben und die Lose 1, 2, 4 und 5 an die Beigeladenen vergeben werden sollten. Die Teilaufhebung sei von ihr aber erst am 19.03.2010 und die Vergabe der übrigen Lose erst am 30.03.2010 gerügt worden. Die Antragstellerin habe die vermeintlichen Verstöße also erst nach 7 bzw. 18 Tagen - und damit nicht unverzüglich i.S. des § 107 GWB - gerügt. Sie bestreitet, dass der Antragstellerin die Information über die fehlende Feinstaubplakette erst am 25.03.2010 vorgelegen habe. Im Übrigen habe die Antragstellerin die Rechtsverletzung und den ihr drohenden Schaden nicht hinreichend substantiiert vorgetragen.

37

Mit dem Angebotspreis der Antragstellerin werde der für die Vergabe veranschlagte Kostenrahmen um mehr als 100% überschritten. In Vergleichsstädten (xxxxxx, xxxxxx, xxxxxx, xxxxxx und xxxxxx) lägen die Ausgaben je Abschleppeinsatz unter 100 EUR.

38

Mit Ausnahme der die antragstellende Bietergemeinschaft vertretenden Fa. xxxxxx seien alle Mitglieder der Bietergemeinschaft seit über 30 Jahren Vertragsunternehmen des ADAC, für den sie im Stadtgebiet xxxxxx aktuell für pauschal xxxxxx EUR brutto abschleppen, wobei noch eine jährliche Provisionsrückzahlung an den ADAC in Höhe von 3% zu berücksichtigen sei. Dieser Preis sei über die Vertragslaufzeit durchaus gestiegen. Im Hinblick darauf, dass diese Firmen aus diesen Verträgen einen erheblichen Anteil ihrer Umsätze generieren, verbiete sich die Annahme, dass ein Preis in dieser Größenordnung unauskömmlich sei. Auch die Beigeladenen hätten deutlich günstiger angeboten als die Antragstellerin.

39

Nach einer aktuellen Ausschreibung der Stadt xxxxxx werde dort ab dem 01.06.2010 für xxxxxx EUR abgeschleppt und für xxxxxx EUR im Freien bzw. xxxxxx EUR in der Halle verwahrt.

40

Nach den durch die Rechtsprechung gesetzten Maßstäben sei nach alledem die Aufhebung der Ausschreibung der Lose 3 und 6 wegen Unwirtschaftlichkeit nicht zu beanstanden. Die Lose 3 und 6 würden derzeit (30.4.) freihändig vergeben.

41

Die mit den Beigeladenen mit Beginn zum 01.04.2010 geschlossenen Verträge über die Lose 1, 4 und 5 seien nicht unwirksam. Die Vergabeentscheidung zu diesen Losen sei auch nicht zu beanstanden. Die Beigeladene zu 1 verfüge über die für die Vergabe von 2 Losen geforderte Kapazität von 4 Kranwagen. Sie selbst besitze 3 Kranwagen, die Verfügbarkeit über den geforderten 4. Kranwagen sei durch ein uneingeschränktes vertragliches Nutzungsrecht gegeben.

42

Eine Feinstaubplakette sei nicht unabdingbar verlangt worden. Bei verständiger Auslegung des Ausschreibungstextes genüge es, dass die Kraftfahrzeuge berechtigt seien, die Umweltzone befahren zu dürfen. Dies sei für die Kraftfahrzeuge der Beigeladenen der Fall. Auch die Antragstellerin müsse die Vergabeunterlagen so verstanden haben, denn ein Mitglied ihrer Bietergemeinschaft werde ebenfalls Fahrzeuge mit Ausnahmegenehmigung einsetzen.

43

Die Beigeladenen haben sich im Termin geäußert.

44

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 02.06.2010 Bezug genommen.

45

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Auftragsvergabe für die Lose 1, 4 und 5 vor Ablauf des von der Auftraggeberin benannten frühesten Zeitpunktes verstößt gegen § 101 a GWB, so dass gemäß § 101 b GWB auf Antrag deren Unwirksamkeit festzustellen ist.

46

Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung der Auftraggeberin, die Ausschreibung der Lose 3 und 6 aufzuheben, sowie durch die Entscheidung zur Vergabe der Lose 1, 4 und 5 an die Beigeladenen in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt.

47

1.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Die Stadt xxxxxx ist öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB.

48

Bei dem streitgegenständlichen Auftrag handelt es sich um eine Rahmenvereinbarung i.S.d. § 3 a Nr. 4 Abs. 1 VOL/A und damit um einen Dienstleistungsvertrag i.S.d. § 99 Abs. 1 GWB.

49

Gegenstand ist die Erteilung von Abschleppdienstleistungen über einen vertraglichen Zeitraum von vier Jahren. Der streitbefangene Auftragswert übersteigt nach Schätzung der Auftraggeberin mit xxxxxx EUR brutto für diesen Zeitraum den im Jahre 2009 geltenden Schwellenwert von 206.000 EUR gemäß den §§ 100, 127 GWB i.V.m. § 2 Nr. 3 der Vergabeverordnung (VgV) in der zum Zeitpunkt der Bekanntmachung am xxxxxx.2009 geltenden Fassung.

50

Die Antragstellerin ist antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB. Sie hat mit ihrer Teilnahme an der Ausschreibung das Interesse am Auftrag signalisiert und im Nachprüfungsantrag geltend gemacht, dass sie durch einen Verstoß gegen Vergabevorschriften in Ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB auf Einhaltung der Vergabevorschriften verletzt worden sei. Die Antragsgegnerin habe ohne sachlichen Grund die Ausschreibung über zwei Lose aufgehoben, obwohl die Antragstellerin wirtschaftlich auskömmliche Angebote abgegeben hätte. Die erfolgte Vergabe sei unter Verletzung von Vorschriften des Vergaberechtes zustande gekommen, indem anderen Bietern abweichend von den Ausschreibungsunterlagen die Befugnis erteilt worden sei, eine Berechtigung durch eine Ausnahmebewilligung zu ersetzen. Ein drohender Schaden, also die Möglichkeit, dass die Antragstellerin den Zuschlag bei Einhaltung des ordnungsgemäßen Verfahrens hätte erhalten können, erscheint im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung möglich. Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das den Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass die Antragstellerin diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen aber nicht überspannt werden (ausführlich hierzu Kadenbach in Willenbruch Bischoff, 11. Los § 107 GWB Rdnr. 28 m.w.N; Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Auflage, § 107 GWB, Rdnr. 954).

51

Es ist nicht erforderlich, dass ein Antragsteller schlüssig darlegt, er hätte bei vergabekonformem Verhalten des Auftraggebers im laufenden Verfahren ohne Neuausschreibung den Zuschlag auch tatsächlich erhalten (BGH, Beschluss vom 26.09.2006, NZBau 2006, S. 800 [BGH 26.09.2006 - X ZB 14/06]; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.1999, Az.: Verg 1/99, S. 24). Da im vorliegenden Fall die Antragstellerin als einzige auf die Lose 3 und 6 angeboten hat, bei Los 1 nur mit der Bietergemeinschaft der Beigeladenen zu 2 und 3 und bei den Losen 4 und 5 nur mit der Beigeladenen zu 1 im Wettbewerb steht, besteht in diesem Fall sogar eine reale Möglichkeit, dass die Antragstellerin in einer neuen, aus Sicht der Antragstellerin vergaberechtskonformen Vergabe den Zuschlag erhalten könnte.

52

Die Antragsbefugnis hinsichtlich des Antrags zu 2. ist auch nicht gemäß § 114 Abs. 2 GWB durch die am 24.03.2010 erteilten Aufträge an die Beigeladenen erloschen. Grundsätzlich kann ein erteilter Zuschlag nicht im Nachprüfungsverfahren aufgehoben werden (§ 114 Abs. 2 Satz 1 GWB), mit der Folge, dass Anträge dieses Inhalts unzulässig sind. Dies setzt aber tatbestandlich auch voraus, dass die Erteilung des Zuschlags wirksam erfolgt ist. § 101 b GWB knüpft an bestimmte, in § 101 a GWB aufgezählte Gründe die Rechtsfolge der absoluten Unwirksamkeit des Vertrags und eröffnet dadurch in dieser begrenzten Fallgruppe ausnahmsweise eine besondere Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags nach Vertragsschluss.

53

Die Auftraggeberin hat entgegen ihrer Zusicherung im Schreiben vom 12.03.2010 die Verträge nicht vor dem 01.4. 2010 zu schließen, vorzeitig am 24.3.2010 die Aufträge erteilt. Darin liegt ein Verstoß gegen § 101 a Abs. 1 Satz 1 GWB. Wenn die Auftraggeberin in der Benachrichtigung an die unterlegenen Bieter eine Frist für den frühesten Vertragsschluss setzt, die über die Mindestfristen des § 101 a Abs. 1 Satz 3 und 4 GWB hinausgeht, darf sie zum Schutz der unterlegenen Bieter vor Ablauf dieser Frist den Auftrag nicht erteilen. § 101 b GWB ersetzt die zur Geltungszeit der Vorgängerregelung § 13 VGV häufig eintretende und mit Unsicherheiten verbundene relative Unwirksamkeit durch eine an streng formale Kriterien gebundene absolute Unwirksamkeit des Vertrags (vgl. BR Drucksache 349/08 vom 23.05.08, S. 39). Die bisherige Rechtsprechung, wonach eine Vergabe vor Ablauf der gesetzten Zuschlagsfrist zwar treuwidrig sei, die Rechtswirksamkeit der geschlossenen Verträge aber nicht beeinträchtige (so Fett in: Willenbruch Bischoff 8. Los,§ 13 VgV, Ziffer 18 m.w.N. zur alten Rechtslage), ist daher auf die neue Rechtslage nicht übertragbar, wenn der unterlegene Bieter seine Rechte durch formal korrekte Anträge im Vergabeverfahren gemäß § 101 b Abs. 2 GWB wahrt.

54

Der Antrag wurde fristgerecht gestellt. Zwar ist hier nicht bekannt, ob und wann die Auftragsvergabe im Amtsblatt der EU bekannt gemacht worden ist. (§ 101 b Abs. 2 Satz 2 GWB). Auf den dadurch bewirkten Fristbeginn kommt es jedoch nicht an, da der Antragstellerin jedenfalls mit Verfügung der Vergabekammer vom 30.04.2010 Kenntnis vom Zuschlag gegeben wurde, verbunden mit dem Hinweis, dass ein wirksam erteilter Zuschlag nicht aufgehoben werden könne. Die in § 101 b Abs. 2 GWB genannte 30 Tagesfrist lief daher bis zum 30.05.2010. Die Antragstellerin ist ihrer Obliegenheit, fristgerecht entsprechende förmliche Anträge zu stellen, am 21.05.2010 nachgekommen.

55

Die Anträge zu 1 und 3 der Antragstellerin sind auch nicht gemäß § 107 Abs. 3 Ziff. 1 GWB unzulässig. Zwar hat sie sieben Tage benötigt, um unter Einschaltung einer anwaltlichen Vertretung die Teilaufhebung für die Lose 3 und 6 zu rügen. Die Rüge gegen die nicht ausschreibungskonforme Befugnis zum Befahren der Umweltzone durch die Beigeladenen hat sie fünf Tage nach positiver Kenntnisnahme erhoben. Nach Akteneinsicht im Nachprüfungsverfahren hat sie die unzureichenden Kapazitäten der Beigeladenen zu 1 hinsichtlich der Kranfahrzeuge erkannt und beanstandet.

56

Gemäß § 107 Abs. 3 Ziff. 1 GWB ist ein Antrag unzulässig, soweit der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nichtunverzüglich gerügt hat. Aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des EUGH (vgl. Urteile vom 28.01.2010 in den Rechtssachen C-406/08 und C-456/08) ist die Präklusionsregel des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB nicht mehr anwendbar.

57

In den zum irischen und zum englischen Recht ergangenen Entscheidungen des EuGH ging es um die Frage, ob ein Nachprüfungsantrag unzulässig ist, wenn das Verfahren nicht unverzüglich eingeleitet wird. Der EuGH hat den Unverzüglichkeitsbegriff als zu unbestimmt bewertet. In den dort entschiedenen Fällen ging es allerdings nicht - wie im Falle des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB - um die Anforderungen an die Rügeobliegenheit als Zuverlässigkeitsvoraussetzung, sondern um Ausschlussfristen. In der deutschen Rechtsprechung werden die Folgen der zitierten EuGH-Entscheidungen für das Nachprüfungsverfahren unterschiedlich bewertet. Die 1. VK Bund (Beschluss vom 05.03.2010, Az.: VK1-16/010) und das OLG Dresden (Beschluss vom 07.05.2010, WVerg 6/10) gehen davon aus, dass § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB nach wie vor grundsätzlich anwendbar ist, weil der Begriff der Unverzüglichkeit im deutschen Recht eindeutig definiert ist, nämlich als "ohne schuldhaftes Zögern" im Sinne des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB, was zudem aufgrund einer ausgeprägten Rechtsprechung zu § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB bzw. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB a.F. auch für das Vergaberecht weitergehend konkretisiert worden ist. Demgegenüber hat das OLG Celle in einer aktuellen Entscheidung vom 26.04.2010, Az.: 13 Verg 4/10, entschieden, dass eine Rügepräklusion gemäߧ 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB aufgrund der Vorgaben nach diesen EuGH-Entscheidungen mangels hinreichender Transparenz des Begriffs "unverzüglich" von vornherein nicht mehr in Betracht kommen dürfte (ebenso OLG Celle, Beschluss vom 04.03.2010, Az.: 13 Verg 1/10).

58

Daher kommt es auf die von der Auftraggeberin geltend gemachte enge Auslegung des Begriffs "unverzüglich" nicht an. Die Rügen sind von der Vergabekammer als rechtzeitig eingelegt zu behandeln.

59

2.

Der Nachprüfungsantrag ist begründet.

60

Der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Vergabe der Lose 1, 4 und 5 an die Beigeladenen ist begründet. Die Antragstellerin ist durch die Vergabe vor Ablauf des von der Auftraggeberin selbst festgelegten frühesten Zeitpunktes des Vertragsschlusses in ihren Rechten gemäß § 97 Abs. 7, § 101 a Abs. 1 Satz 1, 101 b Abs. 1 Nr. 1 GWB verletzt, mit der zwingenden Rechtsfolge, dass der Vertrag von Anfang an objektiv unwirksam ist und die Unwirksamkeit auf Antrag festzustellen ist.

61

Die Antragstellerin ist durch die Teilaufhebung der Ausschreibung 3 und 6 und die Entscheidung über den Zuschlag für die Lose 1, 4 und 5 in ihren Rechten aus § 97 Abs. 1 und Abs. 7 GWB verletzt. Aus dem in § 97 Abs. 1 GWB enthaltenen Transparenzgebot und der in § 30 VOL/A normierten Dokumentationspflicht folgt ein subjektives Recht der einzelnen Bieter auf ausreichende Dokumentation des Vergabeverfahrens, insbesondere aller dabei getroffenen wesentlichen Entscheidungen einschließlich der Zwischenentscheidungen. Um einen effektiven Rechtschutz zu gewährleisten, müssen für die Bieter bereits Zwischenentscheidungen vor Zuschlagserteilung nachvollziehbar sein. Dies ist nur möglich, wenn diese Entscheidungen dokumentiert werden.

62

Zu den materiellen Dokumentationspunkten zählen insbesondere die Verfahrensphasen, bei denen die Vergabestelle eine Ermessensentscheidung zu treffen hat, wie etwa bei der Prüfung der Angebote, Angaben über Verhandlungen mit Bietern und deren Ergebnis sowie das Ergebnis der Wertung der Angebote (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 30.04.2001, Az.: 1 SVK/23-01; 1. VK des Bundes, Beschluss vom 11.10.2002, Az.: VK 1-75/02). Ebenso sind im Vergabevermerk die Gründe für die Erteilung des Zuschlags auf das betreffende Angebot anzugeben. Es ist eine nach § 30 Nr. 1 VOL/A bzw. § 30 Nr. 1 VOB/A zwingende Pflicht des Auftraggebers, die Auswahlentscheidung als wesentliche Entscheidung in nachvollziehbarer Weise zu dokumentieren, um für den Bewerber die erforderliche Überprüfbarkeit zu gewährleisten (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 08.03.1999, NZBau 2000, S. 44 ff. [OLG Brandenburg 03.08.1999 - 6 Verg 1/99]).

63

Eine fehlende Dokumentation wesentlicher Schritte bis zur Vergabeentscheidung ist daher rechtsfehlerhaft und führt zu einer Nichtvollziehbarkeit der getroffenen Entscheidung. Daraus folgt, dass im Vermerk die Gründe so dezidiert festzuhalten sind, dass auch einem Außenstehenden bei Kenntnis der Angebotsinhalte deutlich erkennbar und nachvollziehbar wird, warum gerade auf das betreffende Angebot der Zuschlag erteilt werden soll. Eine nachträgliche Heilung im Nachprüfungsverfahren ist nicht möglich (OLG Celle, Beschluss vom 11.02.2010, 13 Verg 16/09).

64

Hier hat die Auftraggeberin im Vergabevermerk vom 18.02.2010 unter B 4. auf eine "anliegende Preismatrix" verwiesen, die jedoch nur für die Antragstellerin in der vorgelegten Vergabeakte enthalten war. Auf Nachfrage der Vergabekammer vom 27.05.2010 wurde lediglich auf die Preismatrix für das Angebot der Antragstellerin verwiesen. Auch in der mündlichen Verhandlung sah sich die Auftraggeberin nicht in der Lage, sich zu diesem Punkt zu äußern. Die nachträgliche Zusendung der Preismatrix nach der mündlichen Verhandlung ist nicht geeignet, den Dokumentationsmangel zu heilen. Eine nachträgliche Heilung von Dokumentationsmängeln ist nicht geeignet, das Vertrauen in die Transparenz der Entscheidungsprozesse herzustellen. Daher ist die nachträgliche Vorlage von Vermerken im Nachprüfungsverfahren nicht geeignet, Dokumentationsmängel zu heilen (vgl. OLG Celle a.a.O.).

65

Im Nachprüfungsverfahren ist außerdem deutlich geworden, dass die Ermittlung der marktüblichen Preise durch Abfragen aus dem Jahre 2006 bei anderen Städten inhaltlich nicht ausreichend gewesen ist. Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung der Vergabekammer von den Beteiligten genannten Preise ist davon auszugehen, dass die Vergleichspreise zumindest nicht mehr aktuell sein dürften, zumal die Umweltzone im Gebiet der Auftraggeberin erst im Jahr 2007 eingerichtet wurde. Der Inhalt der Leistungen in den anderen Städten, sowie das Volumen jener Aufträge sind nicht dokumentiert, so dass die Vergleichbarkeit mit dem Vergabegegenstand, damit die Vergleichbarkeit der Preise nicht nachvollzogen werden kann. Die im Verhandlungstermin erkennbaren erheblichen Preisunterschiede im Stadtgebiet der Auftraggeberin für vergleichbare Vorgänge lassen es geboten erscheinen, hier erneut die marktüblichen Preise zu ermitteln, danach die Angebote neu zu werten. Ergebnis der Prüfung kann auch sein, dass die Vergabe aus Gründen des § 26 Nr. 1 c VOL/A aufzuheben sein wird.

66

Bei der neu vorzunehmenden Wertung wird die Auftraggeberin zum Angebot der Beigeladenen zu 1, Firma xxxxxx, prüfen müssen, ob deren Angebot die Voraussetzungen für eine Auftragserteilung über zwei Lose erfüllt. Bisher lagen die Voraussetzungen für eine Vergabe von zwei Losen nicht vor. Die Auftraggeberin hat mit Schreiben vom 16.12.2009 pflichtgemäß die Beigeladene aufgefordert, eine Aufstellung der zur Verfügung stehenden KFZ vorzulegen und bei Einschaltung von KFZ Dritter, deren Verfügbarkeit durch Vorlage von Verpflichtungserklärungen offenzulegen. Die Antwort der Beigeladenen zu 1 genügte diesen Anforderungen nicht. Sie hat das KFZ einer dritten Firma aufgeführt, ohne dies offenzulegen und dessen Verfügbarkeit nachzuweisen. Dieses Verhalten wird bei der Neubewertung der Angebote zu berücksichtigen sein.

67

In der mündlichen Verhandlung wurden die von der Antragstellerin vorgelegten Rechnungen der Beigeladenen zu 2, über das Abschleppen eines PKW am 11.05.2010 und der Rechnung der Beigeladenen zu 1 vom 26.04.2010 über das Abschleppen eines Motorrades erörtert. Es wurde zumindest in den dort erörterten und dokumentierten Fällen eine Praxis der Beigeladenen festgestellt, nicht mit der jeweiligen Auftraggeberin, sondern direkt mit den Eigentümern der KFZ zu nicht aus dem Vergabeverfahren herleitbaren Tarifen abzurechnen. In Anlage 4 zur Leistungsbeschreibung ist unter III Ziffer 9 aber ausdrücklich vorgesehen, dass die Kosten der Abschleppmaßnahme durch Rechnung gegenüber der Auftraggeberin geltend zu machen sind. Diese festgestellte Abweichung wird die Auftraggeberin bei der Neubewertung der Angebote überprüfen müssen.

68

Die Auftraggeberin hat in Ziff. VII der Anlage zur Leistungsbeschreibung als Teilnahmevoraussetzung angegeben, dass die von den Bietern einzusetzenden Kraftfahrzeuge im Bedarfsfall mit Feinstaubplaketten ausgestattet sein müssen.

69

Die Vergabekammer hat keine Bedenken dagegen, dass die gewählte Formulierung auch Ausnahmegenehmigungen einschließt.

70

Das Tatbestandsmerkmal "Bedarfsfall" ist teleologisch nach den objektiven Kriterien räumlich, zeitlich und sachlich zu definieren.

71

Räumlich besteht der Bedarf nur in den Losen, auf die sich die Umweltzone räumlich erstreckt. Dies sind hier Teilflächen aller 6 ausgeschriebenen Lose.

72

Zeitlich gilt die Umweltzone bereits jetzt und voraussichtlich während der gesamten zu vergebenden Dauer des Rahmenvertrages. Eine Einschränkung auf den Bedarfsfall ist daher weder zeitlich noch räumlich möglich.

73

Sachlich darf die Umweltzone laut dem Internetauftritt der Auftraggeberin Stand 03.05.2010 (http://www.xxxxxx) seit dem Jahr 2010 mit Dieselkraftfahrzeugen nur dann befahren werden, wenn diese der Euro-4-Norm entsprechen, damit die sog. grüne Feinstaubplakette erhalten. Daneben gibt es u.a. zwei zeitlich unbefristete Ausnahmetatbestände.

  • Für Freiberufler, Gewerbetreibende u.a., die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs die Umweltzone befahren müssen, wenn deren KFZ nicht nachgerüstet werden kann und die Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs zur Existenzgefährdung führen würde.

  • Für Spezialfahrzeuge "Herumsteher" ohne Nachweis der Existenzgefährdung, wenn sie in der Umweltzone nicht mehr als 2.000 km im Jahr fahren. Spezialfahrzeuge sind Kraftfahrzeuge mit Spezialaufbauten (Um- oder Aufbauten), durch welche die eine deutliche Verschiebung der Wertanteile zwischen Fahrzeug und Zusatzbauten gegeben ist. Im Internetauftritt werden gewerbliche und private Beispiele genannt.

74

Da die Abschleppkraftfahrzeuge mit einem vorgetragenen Wert von 100.000 bzw. 150.000 EUR je nach Ausführung eine deutliche Wertverschiebung in Richtung Aufbauten aufweisen, besteht sachlich dauerhaft kein Bedarf für die Teilnehmer am Vergabeverfahren, eine solche Plakette nachzuweisen, wenn sie kalkulieren, dass sie nicht mehr als 2000 km jährlich in der Umweltzone zurücklegen werden. Dies zu entscheiden ist Sache des Bieters, nicht der Auftraggeberin als Vergabestelle.

75

Daher ist der Hinweis im Sinne des § 8 Abs. 1 VOL/A bei fachkundiger Würdigung aus der Sicht des Adressatenkreises, nämlich fachkundige Abschleppunternehmen, eindeutig und erschöpfend. Dies wird durch die den Beigeladenen gewährten Ausnahmegenehmigungen zum Befahren der Umweltzone belegt.

76

III. Kosten

77

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790). Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt nach wie vor 2.500 EUR, die Höchstgebühr nunmehr 50.000 EUR und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 EUR.

78

Es wird eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

79

Für den zurückgenommenen Antrag über das Los 2 wird aus Billigkeitsgründen keine Gebühr erhoben.

80

Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt für die fünf im Nachprüfungsverfahren relevanten Lose für eine Vertragslaufzeit von vier Jahren auf der Basis der von der Auftraggeberin für jedes Los ermittelten Bruttojahressumme von xxxxxx EUR insgesamt xxxxxx EUR brutto. Dieser Betrag entspricht dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.

81

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR(§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 EUR (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt.

82

Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx EUR ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR.

83

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

84

Der Auftraggeber ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung der Kosten gemäß § 128 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 Nds. VwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom

85

13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04).

86

Der Auftraggeber hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten und damit die Anwaltskosten zu erstatten. Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf Antrag der Antragstellerin gem. Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Das folgt daraus, dass die Antragstellerin ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung bedurfte.

87

Angesichts der Tatsache, dass die Auftraggeberin im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat sie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.

88

IV. Rechtsbehelf

89

Gemäß § 116 GWB kann gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt werden. Diese ist beim Oberlandesgericht Celle, Schloßplatz 2, 29221 Celle, schriftlich einzulegen. Die Beschwerde ist gem. § 117 GWB binnen einer Notfrist von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung einzulegen.

90

Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.

91

Die sofortige Beschwerde ist gem. § 117 Abs. 2 GWB mit ihrer Einlegung zu begründen.

92

Die Beschwerdebegründung muss enthalten:

  1. 1.

    die Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Kammer angefochten wird und eine

    abweichende Entscheidung beantragt wird,

  2. 2.

    die Angabe der Tatsachen und Beweismittel, auf die sich die Beschwerde stützt.

93

Mit der Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung der Beschwerdeschrift zu unterrichten. Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer.

94

Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist.

Gause
Rohn
Sameluck